Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Was die Frauen bei der Unterredung mit Mile Kuhlmann als eine Unmöglichkeit hingestellt hatten, sollte nun doch, und zwar ohne jedwede Anregung von seiten Doras, zustande kommen, und das ging folgendermaßen zu.

Heinrich hatte sich aufraffen und hatte handeln müssen. Kordes war, um das Unheil vollzumachen, nun auch noch erkrankt und lag auf ganz unbestimmte Zeit danieder. Tibertius' Tage in der Apotheke waren gezählt, und Heinrich selbst mußte auf Schübelers Anordnung noch längere Zeit den Geschäften fernbleiben; er fühlte sich auch in der Tat so matt, daß er nur einen Teil des Tages ohne Unbehagen außerhalb des Zimmers zubringen konnte. Für schleunigen Ersatz mußte gesorgt werden. Durch die Krankheit war vieles aus der Ordnung geraten; es war die höchste Zeit.

Zunächst sah Heinrich die Offerten durch, die inzwischen eingelaufen waren. Unter den Meldungen befand sich zu seiner angenehmen Überraschung auch eine von August Semmler, dem einstigen Lehrling, der erklärte, schon früher als an dem üblichen Termin, und zwar in kurzer Zeit, eintreten zu können. Das paßte vortrefflich. Der Antragsteller hatte unter ihm gelernt, kannte seine Eigenheiten, war, wie sich herausgestellt hatte, durchaus ehrlich gewesen und legte auch jetzt die besten Zeugnisse vor. Damit war eine Schwierigkeit beseitigt. Nun galt es, sich in der Zwischenzeit einzurichten! Es war unmöglich, daß Tibertius allein fertig werden, daß er noch lange die ganze Arbeit auf sich nehmen konnte. In der Tat hatte dieser bereits Heinrich schriftlich ersucht, Ersatz für den erkrankten Kordes zu schaffen. Der Apotheker überlegte. Es konnte sich höchstens um Wochen handeln; das mußte Tibertius noch leisten, und er konnte es, wenn er wollte. Aber wollte er? Sicher nicht nach all den Vorgängen. Heinrich sann nach, wie dem Grollenden beizukommen sei, und faßte einen Entschluß. Ja, so ging es!

Als Tibertius zu einer Besprechung zu ihm ins Zimmer trat, steckte Heinrich eine freundliche Maske vor und sagte:

»Ich beklage aufrichtig die mißlichen Umstände und danke Ihnen, daß Sie bisher den Verhältnissen in so aufopfernder Weise Rechnung getragen haben. Darf ich Sie bitten, auch noch die letzten Tage – hoffentlich nicht viele mehr – auszuhalten? Meine Erkenntlichkeit werde ich Ihnen noch besonders an den Tag legen.«

Tibertius war entschlossen, die Zähne zu zeigen, und sagte kurz: »Ich bedauere. Es geht jetzt schon über meine Kräfte. Tag und Nacht, ohne je herauszukommen, in der Apotheke und im Laboratorium, rezeptieren, bedienen und buchführen, alles, alles tun, das kann ich nicht mehr auf mich nehmen. Ich muß dringend bitten, daß Sie so bald wie möglich Hilfe schaffen.«

Heinrich ging von dem eigentlichen Thema ab und sagte: »Natürlich, natürlich! Nur eine Frage: Ist es also unbedingt Ihr Wille, um Ostern das Geschäft zu verlassen, Herr Tibertius? Steht Ihre Heirat schon bevor? Durch meine Krankheit bin ich in allem entrückt worden. Entschuldigen Sie die Nachfrage.«

Der Provisor zuckte die Achseln.

»Wie, ist noch etwas im Wege?« fragte der Heuchler, der alle die Schwierigkeiten hervorgerufen hatte.

»Allerdings –«

»So, so? Vermag ich da vielleicht etwas zu tun? Ihr Verhalten in der letzten Zeit ist so musterhaft gewesen, daß ich mich freuen würde, Ihnen einen Gegendienst leisten zu können.«

Heinrich meinte den Esel und schlug auf den Sack. Die jungen Leute heirateten sich am Ende doch! Heinrich wußte, welch ein energisches Mädchen Christine Lassen war. Also jetzt aus der Not eine Tugend machen, war klug. Er beschloß, den Retter zu spielen und dadurch seine Zwecke zu erreichen.

Tibertius durchschaute Heinrich nur zu gut; doppelt verächtlich wurde ihm der Mensch. Aber sein Lebensglück stand auf dem Spiel. Er nahm deshalb die Hand, die sich ihm bot, und sagte:

»Nun wohl, Herr Heinrich! Dienst um Dienst. Kann ich durch Sie die Schwierigkeiten beseitigen, die mich von meiner Braut noch trennen, – ich weiß, daß Frau Lassen auf Ihre Ansichten etwas gibt, – dann soll es mir darauf nicht ankommen. Ich bitte Sie also, mit ihr zu sprechen, und verpflichte mich dagegen bis zur Ankunft einer Hilfe drunten auszuhalten.«

Heinrich nickte befriedigt.

»Gut, ich danke, Herr Tibertius. Ich werde handeln, verlassen Sie sich darauf, aber ich verlasse mich auch auf Sie.«

»Das können Sie!«

Frau Kapitän Lassen besuchte nun wirklich noch einmal Herrn Heinrich auf seinen Wunsch, ging wiederum zu Tach, befragte ihre nächste Freundschaft und forschte nochmals auf den bleichen Wangen ihres Kindes nach der rechten Entscheidung.

Eines hatte sie, abgesehen von den Einwirkungen ihrer Berater und dem sichtlichen Willen des seligen Kapitäns, der eine maßgebende Rolle bei ihren Entschließungen spielte, noch besonders umgestimmt: Tibertius hatte erklärt, von größeren Plänen zunächst abzusehen, in Kappeln bleiben und dort vorerst nur eine Fabrik und eine Niederlage künstlicher Wasser errichten zu wollen. Schon bei geringem Anlagekapital bot sich ihm dabei ein sicheres, einträgliches Geschäft. Was bis jetzt die großen Städte fabrizierten, konnte man selbst billig herstellen und dafür Absatzkreise gewinnen. Auch Heinrich hatte diesem Plane beigepflichtet, Tibertius' Verhalten während seiner Krankheit im Übermaß gelobt und der Alten geraten, unter solchen Umständen ihren Widerstand aufzugeben. Und da brach denn plötzlich das Eis!

»Eben teilt Mutter mir mit, daß sie nichts dagegen habe, wenn Du morgen zu Tisch kämest! Sie sagte nichts weiter, und ich fiel ihr um den Hals. Nun ist alles gut, mein lieber, lieber Fritz. Nun werden wir glücklich mit dem Segen der alten, braven Frau, und dieser wird uns im Leben begleiten. Mir ist, als sei die Luft voll Musik; es klingt in meinen Ohren. Im Hause erscheint mir alles so feierlich; mein Herz durchströmt eine fromme Inbrunst, die sich zu dem Schöpfer wendet.

Mein guter Fritz! Ich liebe Dich!                  
Christine.«

Ein Brief dieses Inhalts erreichte Tibertius mitten in seinen Zweifeln und gerade in dem Augenblick, als er mit dem unerwartet schon nach acht Tagen eingetroffenen Semmler über einige geschäftliche Dinge sich aussprach. Er vergaß einen Korken, den er just in der Hand hielt, auf die Medizinflasche zu drücken, brach mitten in seiner Rede ab und eilte, mit Pfropfen und Brief in der Hand, aus der Apotheke auf sein Zimmer. Er wußte vor freudiger Erregung nicht mehr, was er tat.

Die Gefühle, die durch seine Brust zogen, waren so unbeschreiblicher Art, daß er, oben angekommen, sich niederließ, das Haupt stützte und wie ein Kind weinte. Es war die Glückseligkeit, die Rührung, die ihn übermannte; es war auch der heiße Dank gegen das Schicksal. –

Ja, berauscht euch nur im Schlachtengesang, frohlockt, wenn ihr mit dem letzten Spatenstich das Felsengebirge durchbrochen, laßt es hinaustönen, daß ihr die unsichtbare Milbe unter dem Glase entdeckt habt, ergötzt euch am materiellen Erfolg, spöttelt über die Gefühlsregungen weicher Seelen und errichtet dem kühl berechnenden Verstande immer neue Throne. Alle eure Glückstriumphe wiegen die heiligen Wonneschauer nicht auf, welche die einfältigen Herzen durchzittern!


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