Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Fünfzehntes Kapitel.

»Nun?« warf Herr Heinrich an einem Sonntagmorgen Herrn Tibertius hin und lud ihn mit einer Handbewegung zum Nähertreten ein. »Womit kann ich dienen?«

Der Provisor hatte das Gefühl, er habe sich seines Prinzipals höchstes Wohlwollen erworben. Alles war während dessen Abwesenheit nach Pflicht und Ordnung verlaufen, und auch das vergangene Jahr hatte zu keinerlei Ausstellungen gegen ihn Veranlassung gegeben. Dies machte ihm Mut, endlich an einem Sonnabend, kurz vor Tisch, Herrn Heinrich zu fragen, ob er ihm am nächsten Tage eine Unterredung gewähren wolle. Dieser Mut wurde freilich nicht gehoben, als er am kommenden Morgen seinem Prinzipal gegenübertrat. So obenhin behandelte dieser die Sache, daß er bei Tibertius' Eintritt nur einen Augenblick vom Schreiben aufguckte und sich dann zunächst wieder über den Briefbogen beugte.

Erst nach einer Weile wandte er sich zu dem Provisor und sagte außer dem Erwähnten:

»Also, bitte! – Und nehmen Sie doch einen Stuhl – Ich stehe zur Verfügung –«

Herr Heinrich hatte ein Messer ergriffen, schnitt an einer Bleifeder und lehnte sich gesenkten Hauptes und mit der Miene jemandes zurück, der wohl alles zu hören bereit, aber stets so frei ist, von seiner Meinung auch nicht ein Tüttelchen abzulassen.

»Ich wollte mir gestatten,« hub Tibertius mit zaghafter Stimme an, »Ihnen etwas vorzutragen –« Er stockte.

»So sagten Sie bereits gestern. Es ist ja der Zweck unserer Unterredung,« schaltete der Apotheker in kaltem Tone ein. Er hatte das sichere Gefühl, daß es sich um Geld handelte. Das paßte ihm natürlich nicht, und bei solcher Miene, wie er sie jetzt aufzog, – das wußte er aus Erfahrung – ließ der Bittsteller gleich fünfzig Prozent ab. Die anderen fünfzig fanden sich dann später.

»Also?« fuhr Heinrich fort.

Mit der ganzen Einleitung, die sich Tibertius zurecht gelegt hatte, war es nun schon nichts. Er hatte die Hand in der Tasche und drehte seinen Stubenschlüssel immerfort hin und her; der Schlüssel ward feucht in der erregten Hand. Die Befangenheit, die sich seiner bemächtigt hatte, stieg; es schoß ihm heiß durch den Körper.

Er hatte sich vorgenommen, mit der Schilderung seines Lebenslaufes zu beginnen und dabei einzuflechten, daß ihn ein Gedanke niemals verlassen habe, daß er an ihm festgehalten trotz seiner abhängigen Lage, trotz seiner Vermögenslosigkeit, trotz seines vorgerückten Alters. Dann wollte er von dem Gegenstand selbst, von der Fabrik sprechen und Heinrich mitteilen, daß er sich während all dieser Jahre mit der ganzen einschlägigen Literatur fortlaufend beschäftigt habe. Weiter wollte er ihm dartun, wie er fühlte, daß er der rechte Mann sei, eine Sache zu fördern, ihm klarmachen, wie leicht der Konkurrenz zu begegnen sei, wie wenig die meisten dies Geschäft verständen, wie sich manches noch daran anschließen, wie hoch sich das Kapital verzinsen, wie rasch es sich amortisieren lassen werde. – Aber nun von alledem nichts! Er sagte nur:

»Ich trage mich schon lange mit dem Gedanken, eine chemische Fabrik zu errichten, Herr Heinrich, und deshalb wünschte ich –«

»So? So? Ah!? Ihre jetzige Stellung aufzugeben?« fiel der Apotheker ihm gleich ins Wort und ergriff eine zweite Bleifeder, um sie anzuspitzen. – »Nun, ich kann's Ihnen ja nicht verdenken, daß Sie selbständig werden wollen. Wann wünschen Sie denn das Geschäft zu verlassen?«

Tibertius zuckte enttäuscht zusammen. Heinrich ließ ihn nicht einmal zu Worte kommen. Und keine Silbe des Bedauerns äußerte er bei der Annahme, daß er, Tibertius, habe kündigen wollen. Tibertius bewegte den vielgeprüften Schlüssel noch rascher in der Tasche hin und her; ja er nahm auch noch die Uhrkette mit der anderen Hand zu Hilfe und rieb ihre Glieder. Aber er sagte doch bestimmter im Ton:

»Sie ließen mich nicht ausreden, Herr Heinrich. Ich suche einen Kompagnon, einen Kapitalisten für die Fabrik. Deshalb wollte ich gern mit Ihnen sprechen.«

Der Apotheker wußte nun genau, was folgen werde, und das reizte ihn schon deshalb, weil er anderen niemals etwas gönnte. Er erwiderte deshalb in einem nachlässigen und zugleich stark ablehnenden Ton:

»Ah!? Einen Kompagnon? Und Sie meinen, daß ich Ihnen einen solchen verschaffen könnte? Ich habe gar keine Bekanntschaften in Kapitalskreisen und halte es auch sehr schwer, jemand zu finden. Es gehört dazu, wenn's was Ordentliches werden soll, ein sehr großes Stück Geld, und mit diesem ist's ja auch noch lange nicht einmal getan –«

Tibertius hörte zu und drehte weiter. Damit war's noch lange nicht getan! Also seine Person, seine Tüchtigkeit galten nichts. Er zitterte, und jetzt war ihm auch alles gleich. Der Mensch, der da vor ihm saß, flößte ihm einen solchen Widerwillen ein, daß er sich ihm gegenüber wenigstens nichts vergeben wollte. Er sagte deshalb schroff und stark von oben herab:

»Das ist gar nicht zweifelhaft, wenn die Sache nach meiner Idee angefaßt wird. Und daß sie geht, sich rentiert, dafür garantiere ich. Seit vielen, vielen Jahren beschäftigte ich mich, wie gesagt, mit dem Plane, habe alles sorgfältig geprüft und berechnet. Ich getraue mir, die Fabrik in einem Jahre aufzubauen und in dem nächsten schon einen Umsatz zu erzielen, von dem die heutigen Fabrikanten keine Ahnung haben.«

Diese zuversichtliche Sprache machte aber auf Heinrich nicht nur keinen Eindruck, sondern sie erhöhte seinen Ärger. Ein Mensch, der es wagte, seiner Ansicht entgegenzutreten, so zuversichtlich eine andere, abweichende auszusprechen, mußte gleich gründlich abgefertigt werden.

»Ich zweifle nicht, ich zweifle durchaus nicht,« entgegnete er beleidigend höflich, »daß Sie besonders befähigt sind, die Sache in Angriff zu nehmen, aber wie gesagt, mir fehlen alle Konnexionen, und somit erledigt sich wohl der Gegenstand –«

Nach diesen Worten erhob er sich und sah den Provisor kalt an. Und nun zeigte es sich, welch ein unpraktischer Mensch Tibertius doch war. Obgleich ihm sein Verstand das Richtige zuflüsterte, nämlich, daß eher die Häuser draußen auf der Straße lebendig werden und zu einem Tanz sich anschicken könnten, als daß Heinrich jemals Geld hergeben und sein Kompagnon werden würde, riß es ihn trotz der bereits eingetretenen Enttäuschung, halb im Trotz, halb in letzter, schwacher Hoffnung, hin, mit starker Betonung des ersten Wortes zu fragen:

»Sie würden sich nicht entschließen, dieser vorzüglichen Sache näherzutreten, Herr Heinrich?«

»Ich?« stieß der Apotheker mit so gut geheucheltem Erstaunen und mit so souveräner Verachtung heraus, daß es Tibertius abermals siedend heiß über den Rücken lief.

»Nein, lieber Herr! Für solche Phantastereien habe ich kein Geld und keinen – Sinn. Ich habe ja hier mein Geschäft. Wie sollte ich plötzlich darauf kommen, eine chemische Fabrik anzulegen? Ich müßte ja ins Irrenhaus gesteckt werden, wenn ich für eine meines Erachtens durchaus überflüssige Sache mein sauer Erworbenes riskieren wollte. Und wie gesagt, ich müßte doch mein Geschäft hier aufgeben, an einen großen Zentralpunkt ziehen, um die durch die günstigen Verbindungen eintretenden Frachtersparungen auszunutzen, mich der dort vorhandenen, brauchbaren Arbeitskräfte versichern, und müßte namentlich auch durch Barzahlung des Rohmaterials die Konkurrenz aus dem Felde schlagen können.

Dazu reichen meine kleinen Mittel lange nicht aus, meine Kenntnisse erst recht nicht und meine Neigungen gleich gar nicht. Und noch dazu Kompagnongeschäfte!« – hier gab er Tibertius den tödlichen Schlag –, »sind ja stets eine Torheit! Kompanie – Lumperie! sagt das Sprichwort, und es hat recht. Entweder reicht, was verdient wird, für beide nicht, oder der Unfriede verzehrt das Innere und verhindert eine gedeihliche Entwicklung.«

So, nun hatte der Antragsteller eine Antwort in allen Regenbogenfarben, eine Antwort, wie er sie sich niemals wieder wünschen würde. Wie klein, wie niedergeschmettert stand er mit seinen Illusionen vor dem großen Apotheker! Und wie erhaben fühlte sich dieser über den alten Junggesellen, der immer noch in der Welt umherwanderte, suchte, suchte, spekulierte und nichts sein Eigen nannte.

Und als sich Tibertius mit den knappen, seine grenzenlose Verstimmung geschickt verbergenden Worten: »Dann entschuldigen Sie!« zur Tür wandte, reizte das den Apotheker, der als Tyrann von Gottes Gnaden gar keine Auflehnung, aber auch keine Gleichgültigkeit duldete, dermaßen, daß er hinwarf:

»Noch eins! Sie wünschen also zu bleiben, oder habe ich den Inhalt dieses Gespräches als Kündigung aufzufassen?«

Bei diesen Worten raffte sich Tibertius auf. Es hatte sich etwas in ihm angefacht, das wie eine Flamme emporschlug, und er sagte:

»Überall, wohin ich noch meinen Fuß setzte, fand ich Bedauern, wenn ich meinen Wanderstab wieder in die Hand nahm. Man achtete meinen Fleiß, meine Fähigkeiten und dasjenige, was freilich bei einem ehrenhaften Manne selbstredend ist, meine Rechtschaffenheit. Wo man mich so leichten Herzens gehen läßt wie hier – von Dank will ich gar nicht reden –, da finde ich nichts für Herz und Gemüt. Und das ist doch auch etwas! Am Ende, trotz meines Alters. trotz meiner Mittellosigkeit – bleibe ich doch ein Mensch!«

Herr Heinrich senkte unempfindlich den Kopf.

»Ich verstehe also? Sie kündigen?« bestätigte er mit eisigem Gleichmut. »Nach Ihren Wünschen!«


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