Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Neuntes Kapitel.

Heinrich waren die Verhandlungen mit dem Gläubiger des Physikus übertragen; aber der Briefwechsel zog sich lange zwecklos hin. Endlich erklärte der Wechselinhaber, sich mit fünfzig Prozent abfinden lassen zu wollen. Es trat nun die Frage heran, wie die Summe zu beschaffen sei.

»Jetzt wären wir also so weit!« erklärte Heinrich in einem Gespräch mit dem Physikus, während er, mit der einen Hand das Kinn streichend, die andere in der Hosentasche bergend, mit seinem unbeweglichen Gesicht vor dem Ofen stand. »Es kommt nur noch darauf an, Ihren Gläubiger zu bewegen, daß er in jährliche Abschlagszahlungen willigt. Er stellt allerdings die Bedingung, daß der Vergleichsbetrag bar ausgezahlt werde. Aber woher beschaffen?«

Dem Physikus schwebte wohl ein Wort auf der Zunge, aber, er war durch alles das, was bisher vor sich gegangen, namentlich durch den Sieg, welchen Heinrich über Paulsens Gläubiger errungen, bereits so eingeschüchtert, daß er nichts zu erwidern wagte.

Endlich, als der Apotheker hartnäckig schwieg, sagte er: »Ich glaubte, lieber Heinrich, daß Sie diesen Fall bei Ihren Verhandlungen im Auge gehabt hätten, daß Sie –«

»Daß ich?« fiel der Angeredete tonlos ein.

»Ja, daß Sie, da Sie die Güte hatten, sich in der fraglichen Angelegenheit so energisch und erfolgreich zu bemühen, auch diese Frage in Erwägung gezogen hätten.«

»Nein, ich habe ursprünglich den Gedanken gehabt, daß der Kerl ganz und gar nichts haben sollte. Es hat sich ja unzweifelhaft herausgestellt, daß Ihr Schwager von den fünfzehntausend nur zehn empfing. Ich bin der Meinung, da von barer Zahlung überhaupt nicht die Rede gewesen ist, daß wir jetzt einen Teil, und so fort jedes Jahr einen weiteren – natürlich ohne Zwischenzinsen – anbieten. Wieviel könnten Sie augenblicklich zur Verfügung stellen?«

Der Physikus, der wie ein Schulknabe vor dem Gewaltigen stand, wagte das entsetzliche Wort »Nichts« nicht auszusprechen. Er kannte jede Silbe, die dann aus Heinrichs Munde folgen würde.

»Wir brauchen«, fuhr der Apotheker, ohne seine Antwort abzuwarten, fort, »siebentausendfünfhundert Mark. Wenn Sie jedes Jahr tausend Mark abzahlen und gleich jetzt fünfhundert, so sind Sie in sieben Jahren frei. Ich denke, daß Sie das erübrigen können. Ja, Sie müssen es erübrigen! Woher sonst nehmen?«

Der Apotheker sah seinen Freund bei diesen Worten mit kaltem Blick an, und der Physikus nickte zustimmend. Eine Antwort wegen der fünfhundert gab er aber nicht.

»Sie meinen also, es geht? Gut! Dann schaffen Sie also die fünfhundert Mark, die gleich gezahlt werden müssen, jetzt herbei.«

Der Physikus stand wie auf Kohlen, ja er zitterte. Er schnitt oft mit fester Hand in einen zuckenden Körper, er trat an das Bett sterbender Patienten und war gestählt gegen den Herzensjammer derer, die zurückblieben. Aber das war alles nichts gegen die Pein, diesem Manne eingestehen zu müssen, daß er noch nicht einmal hundert Mark für besagten Zweck zurückgelegt habe.

Heinrich hoffte auch, daß dem so sein werde, aber keine Miene verriet, was in ihm vorging.

»Augenblicklich«, nahm der Physikus mit kurzem, schwerem Anlauf das Wort, »ist es mir unmöglich, überhaupt etwas zu beschaffen, lieber Heinrich. Es tut mir sehr leid, aber –«

Die Folge dieses Bekenntnisses bestand darin, daß der Apotheker den Ofen verließ, die Hände auf dem Rücken kreuzte und offenbar in schwerem Sinnen auf und abging. Endlich blieb er wie nach plötzlich gefaßtem Entschluß vor Paulsen stehen und sagte in verändertem Tone:

»Nun gut! Wir wollen einmal anders sprechen, lieber Freund! Ich will Dora, Ihrer Dora, die ganze notwendige Summe leihen, und Sie können den Mann gleich befriedigen.«

Da in dem ehrlichen Gesichte des Physikus etwas auftauchte, vor dem selbst Heinrich erschrak, setzte er rasch hinzu: Wenn ich sage leihen, so ist das eigentlich nicht der richtige Ausdruck. Sollten unsere früher besprochenen Pläne sich verwirklichen, sollte, wie ich hoffe, Dora meine Frau werden, so ist sie meine Erbin, Erbin meines ganzen Vermögens, und sie kann es auch mit dieser Summe halten, wie sie will. – Sie dürfen sich nicht wundern, lieber Paulsen, daß ich die ganze Angelegenheit so geschäftsmäßig und, wie Sie und Ihre liebe Frau gewiß häufig gedacht haben, so rauh behandelt habe. Glauben Sie, ich meinte es gut, wenn ich einem Wucherer nicht unser schönes Geld hinwerfen wollte. Sie sehen ja auch, daß ich meinen Zweck erreicht habe. Der Hälfte sind Sie bereits entbunden, und« – hier lächelte Heinrich geschmeidig und zupfte an dem karierten Halstuch, –»die andere wird Ihnen ebensowenig Sorge machen, wenn Sie mir ein wenig behilflich sein wollen.« Und dann ernster fortfahrend: »Hätte ich Sie gewähren lassen, verehrter Freund, so säßen Sie jetzt da und würden keine gute Stunde mehr haben! Ihr Gläubiger ist ein gefährlicher Mensch, ein Gauner, dem Sie gar nicht gewachsen sind. Gerade, weil ich Ihr aufrichtiger Freund bin, Ihre Frau hoch verehre und Dora schon von Kindheit an von ganzem Herzen zugetan war, gerade deshalb« – Er brach ab und streckte dem Physikus die Hand entgegen.

Heinrich hatte, wenn er seinen biederen Ton annahm, in der Tat etwas so Unwiderstehliches, und die Vermutung, daß er es ehrlich meine, wurde durch die seiner Liebenswürdigkeit in kluger Berechnung beigemischte verstandeskühle Art so sehr bestärkt, daß er allezeit das Spiel gewann, wenn er es darauf absah.

Der Physikus, den anfänglich der vorgeschlagene Handel mit Entrüstung erfüllen wollte, bat nun Heinrich im stillen alles ab. Er war durch die plötzliche Entlastung von den ihn schon seit Monaten quälenden Verpflichtungen wie von einem Alp befreit und erachtete die bereits früher gebilligte Verbindung Doras mit dem Apotheker als das größte Glück, das ihnen allen widerfahren könne. Er ergriff deshalb die dargebotene Hand, dankte dem Freunde in überströmenden Worten und versprach, nunmehr die Angelegenheit mit seiner Tochter tatkräftig fördern zu wollen.

Nach einigen Tagen wurde für die Frau Doktor Paulsen ein Paket von Herrn Heinrich abgegeben. Es enthielt eine Quittung über fünftausend Mark samt Zinsen, und daneben standen die Worte:

 
»Hochverehrte Freundin!

Wenn ich mir erlaube, Ihnen beifolgend ein Geschenk für Dora zu überreichen, so knüpfe ich daran die Bitte, ja die Bedingung, daß Ihre Tochter niemals etwas davon erfährt. Die Gründe werden Sie verstehen.

Im übrigen bitte ich um Verzeihung, daß ich den Eindruck bei Ihnen hervorrufen mußte, als hätte ich Interesse und Opferfreudigkeit für Sie verloren. In der Tat war das Gegenteil der Fall, und ich hoffe, daß die Beweise vorliegen.

In treuester Gesinnung
Heinrich.«

Nach all diesen Vorfällen war es eine natürliche Folge und fast nicht einmal absichtliche Berechnung, daß der Physikus und seine Frau in Doras Gegenwart Heinrich häufig in anerkennender Weise erwähnten. Man lobte, wenn man auch seine Eigenheiten zugab, seinen ehrenhaften Charakter, rühmte seinen Verstand und seine Geschäftstüchtigkeit und fand in der Art und Weise, wie er sich zu dem Schubyschen Vergehen gestellt hatte, den Beweis gegeben, daß er wahrlich kein rachsüchtiger Mensch sei.

Dora hörte ahnungslos zu, nahm's unbewußt in sich auf, und als ähnliche Äußerungen, durch den Schubyschen Fall hervorgerufen, auch in anderen Familien laut wurden, befestigte sich in ihr von neuem der Gedanke, daß Heinrich doch ein außerordentlicher Mensch sei. Es kam hinzu, daß er ihr jetzt mit zartester Rücksicht begegnete und namentlich ganz vermied, sie noch, – Doras wundester Punkt! – als eine Halberwachsene zu behandeln. Er sprach es häufig in ihrer Gegenwart aus, wie gesetzt, wie verständig sie sei, und wie glücklich sie sich entwickle.

Auch Sophie schien ihre Ansichten über den Apotheker geändert zu haben. Mehreremal waren während der Krankheit kleine Geschenke von ihm bei ihr eingetroffen, und an dem Tage, an dem sich die alte Dame wieder vom Krankenlager erhoben, war solcher Sendung ein kleines Billett beigefügt gewesen, in dem er seiner Freude über ihre Wiedergenesung Ausdruck gegeben hatte. Freilich, wenn Sophie gehört hätte, wie sich der Apotheker gelegentlich über sie geäußert, würde sie den Wert dieser Zuwendungen nicht eben hoch geschätzt, und wenn sie in Heinrichs Inneres hätte schauen können, rasch erkannt haben, daß ihn ihre Person sehr wenig kümmerte, und daß er bei diesen Aufmerksamkeiten nur seine egoistischen Zwecke verfolgte.

Ein besonderes Aufsehen erregte es in Kappeln, daß Heinrich mit dem jetzt wieder beginnenden Frühjahr große bauliche Veränderungen in seinem Hause vornehmen ließ. Das Erdgeschoß ward nach dem Hofe zu erweitert, das obere Stockwerk abgerissen, und elegante Wohnräume wurden hergestellt. Er wolle vermieten, hieß es. Er finde sicher seine Rechnung dabei und erhöhe den Wert des Grundstücks um das Doppelte. Überhaupt war man im Städtchen der Ansicht, daß alles, was Heinrich vornahm, das Ergebnis kluger Berechnung sei; er gucke durch die Wand, und der Himmel segne, was seine Hände berührten.

Daß ein Mensch, dem er sein volles Vertrauen geschenkt, ihn um einige Hunderte oder Tausende bestohlen hatte, was machte ihm das aus? Schätzte man doch seine Einnahme aus Geschäft und Zinsen auf mindestens dreißig- bis vierzigtausend Mark im Jahr, eine Summe, die um so erheblicher ins Gewicht fiel, als er persönlich davon nur einen verhältnismäßig geringen Teil verbrauchte. Wie das jährlich mit Zins und Zinseszins anwachsen mußte!

Bei einem Besuche, den Dora eines Nachmittags Sophien machte, rechnete eine brave Kaffeeschwester diese Summe vor, und wenn Dora auch wenig oder gar nichts von Geldsachen verstand, so viel begriff sie doch, daß Heinrich sehr reich sein müsse.

Ach, wie sei Kappeln doch still und langweilig, klagte sie der alten Freundin! Gerade in diesem Frühjahr, trotz des herrlichen Wetters, schlief der Verkehr. Der junge Dorn hatte sich unterwegs mit einer Dame verlobt, mehrere von Doras Freundinnen waren zu Verwandten und Bekannten gereist, und nicht eine Persönlichkeit machte sich zum Mittelpunkt, um das gesellschaftliche Leben etwas zu heben.

Bernhard hatte endlich einmal geschrieben, aber nur sehr kurz. Er bedankte sich in den wärmsten Worten für die ihm erwiesene Gastfreundschaft, hoffte, daß es den lieben Verwandten gutgehe, ließ seine Kusine Dora aufs herzlichste grüßen und schloß mit der Mitteilung, daß er demnächst eine süddeutsche Universität beziehen werde.

Das war alles! Anfänglich hatte Dora jeden Tag nach einem für sie bestimmten Schreiben ausgesehen. Unter allen denkbaren Vorwänden machte sie sich, wenn der Postbote erscheinen mußte, in dem Hausflur zu schaffen, guckte auf ihres Vaters Schreibtisch, wo die angekommenen Briefe abgelegt wurden, und malte sich, wenn sie abermals eine Enttäuschung erlitt, den Augenblick aus, wo endlich der ersehnte Brief eintreffen werde.

Allmählich, als Wochen auf Wochen vergingen, ohne daß der Vetter ein Lebenszeichen gab, ließ die Spannung ihres Herzens nach.

Es war ein Traum gewesen, ein kurzer Traum! – Bernhard dachte nur noch an seine Kusine, wie man sich irgendeines guten Freundes erinnert; sicher mit keinen anderen Empfindungen und am wenigsten mit Gefühlen, wie solche in Doras Herzen Raum hatten und sie fast verzehrten.


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