Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Bei Mile Kuhlmann roch es nach Hoffmannschen Tropfen und Kampferspiritus. Mile litt an Zahnweh und saß deshalb mit verbundenen Backen und hatte bei Kuchens zum Schneidern abgesagt. Ihre Schwester war eifrig bei der Arbeit; an der Tür stand eine Wäscherin, Frau Bergmann, von nebenan, und die alte Nissen saß auf dem Stuhle, als ob sie in Brennesseln geraten würde, wenn sie sich etwas bequemer machte. Allezeit hockte sie so auf der äußersten Kante der Sitzpolster, selbst bei ihresgleichen.

»Wie geht's denn drüben?« fragte Mile die Waschfrau.

»Ach, schlecht; die Ohlsen leidet ja schrecklich am Asthma. Schlafen kann sie schon lange nicht mehr! Ganz durchgelegen – schon mehrere Wochen, und der Husten dabei! Die macht's nicht lange mehr! Gestern war Doktor Schübeler da und sprach auch noch von Herzleiden. Wassersucht hat sie schon lange.« –

»Na, das geht ja!« bestätigte die alte Nissen mit ihrem ernsten Gesicht und in ihrer still spöttelnden Weise.

»Sie meinen?« setzte die Waschfrau eifrig ein.

»Ich meine, daß sie jedenfalls Krankheiten genug hat. Bei so viele wird sie ums Sterben nicht verlegen werden.«

»Was Sie immer zu sagen haben!«

Frau Nissen nahm den hingeworfenen Satz nicht auf, aber sie äußerte:

»Ich hörte gestern bestimmt, daß es der Ohlsen besser ginge.«

Das machte die Waschfrau so boshaft, daß sie zunächst ihre Schürze in die Höhe nahm und sie mit ihrer Nase in Berührung brachte. Und statt etwas zu erwidern, zuckte sie bloß höhnisch die Achseln und suchte Mile Kuhlmanns Zustimmung zu ihrem Verhalten durch Gesten einzuholen.

»O, das Reißen, das Reißen!« seufzte die Schneiderin, ohne Neigung, sich in den Streit zu mischen.

»Tannennadeln kauen, Fräulein!« sagte die Wäscherin. »Das hilft!«

Frau Nissen schüttelte den Kopf und lächelte auf ihre Weise. »Unsinn!« wollte sie sagen, aber sie schwieg.

»Ich hab's von die nassen Füße! Ne, ist das ein Wetter draußen. – Da jagt man ja keinen Hund heraus. –«

»Lassen Sie ihn ausreißen, sonst kommt's doch man wieder!« warf Frau Nissen dazwischen. »Es ist ja immer derselbe. Er ist hohl!«

Das war nun wieder unvorsichtig von Frau Nissen. Mile vergaß alle ihre Schmerzen und sagte gereizt:

»Ne, meine Beste! Einmal und nicht wieder! Sechs hab' ich überhaupt man mehr von vierundzwanzig oder wieviel es sind. Alle anderen haben sie mir ausgebrochen. Ja, herausgebrochen, denn gut waren sie alle! Ein paar Stunden waren sie immer dabei! Und all das Geld! Am besten verstand es noch Glitsch. Aber der ist auch immer so zudringlich bei so was. Ist ja gar nicht hohl. Es gibt wohl wenige, die so gute Zähne hatten wie ich, aber da ist ja kein Ende aufzufinden!«

Die Waschfrau stimmte immer bei; teils durch Zeichen, teils durch Gemurmel, mitunter durch ein Ja, bisweilen durch ein Nein. Schon aus Widerspruchsgeist gegen die alte Nissen gab sie Mile recht.

»Ich muß die Taille wohl ein büschen hochsetzen?« fragte jetzt die bucklige Schwester, die bisher geschwiegen hatte.

Mile nickte. »Ja, und leg' man starke Falten vorne!«

»Soll'n Sie bald wieder aufwarten?« fragte die Waschfrau.

Die Näherin schüttelte den Kopf.

»Schüblers, Franzius' und von Tapps haben ihre große schon gegeben. Bei Heinrichs war neulich –«

»Du, die Niese war vorhin hier, als du nach der Apotheke warst,« unterbrach sie die Schwester. »Hast denn schon gehört? Der Provisor soll verlobt sein.«

»Welcher Provisor?« fragten hastig zwei zu gleicher Zeit. Frau Nissen hatte Zeit zu warten und schwieg.

»Na, der, der Bertius bei Heinrichsens, und weißt mit wem?«

Es war ein zu großer Hochgenuß, die Zuhörenden etwas auf die Folter zu spannen.

»Na?« riefen wieder beide. Die Waschfrau trat sogar tiefer ins Zimmer und stemmte eine ihrer weißgerinselten Hände auf den Tisch.

»Ja, rat' mal!« sagte Emma, hob das Mieder in die Höhe, legte es wieder aufs Knie und zog den Stoff hin und her.

»Wenn's die alte Muhl ist, denn paßt's!« sagte Frau Nissen, und alle lachten. Mamsell Muhl war eine wegen ihres sonderbaren Verhaltens und ihrer auffallenden Art, sich zu kleiden, in Kappeln allbekannte alte Jungfer.

»Na, wer ist's denn?« fragte Mile schon etwas ungeduldig.

»Christine Lassen!«

»Christine Lassen? – –? Nicht möglich –!«

»Na, Zeit wurde es sonst auch!« sagte die Waschfrau. »Aber den! Ich kenn' ihn nicht. Aber was man so hört! Er soll ja wohl nicht so ganz richtig im Kopf sein?«

»Ja!« sagte Mile, »das wäre auch der letzte für mich gewesen! Das ist ja ein richtiger Etepetete! Gar kein Mann –«

»Hat denn die alte Lassen schon eingewilligt?« schaltete die alte Nissen, die ihrer Klugheit zufolge stets voraussah, wo die Dinge einen Haken haben könnten, ein.

»Weiß nicht« – erwiderte Emma.

»Ich glaub's noch nicht!« bemerkte Mile, in der Hoffnung, daß sich's zerschlagen möchte schon deshalb, weil sie Christine beneidete. »Die Alte sitzt fest auf ihr Geld. Ehe sie was herausgibt! – Ich kenn' sie ja genau. Ich war ja 'mal Mamsell auf'n Dampfschiff in früheren Jahren –«

»Wieviel hat die alte Lassen wohl?« fragte die Waschfrau.

»Viel! viel! Der Kapitän war ein richtiger Grapser! Ein ekliger Kerl! Es war nicht mit ihm auszukommen. Und schimpfen tat der alte Grobian –« Mile hielt inne, das Gespräch stockte, und die Waschfrau schielte nach der Uhr.

»Na, ich muß machen, daß ich wegkomm'!« hub sie eilig an. »Also, Sie denken daran, Fräulein? Bitte, vergessen Sie es nicht.« Sie nickte Mile zärtlich zu und verschwand.

»Gott sei Dank, daß sie weg ist. Nun können wir doch mal vernünftig sprechen. Was meinen Sie denn, Nissen? Emma will nichts davon wissen –,« begann Mile.

»Wegen Glitsch?« erwiderte die Alte phlegmatisch.

Die Näherin nickte, gerade wieder von stärkerem Zahnreißen geplagt, bloß mit dem Kopfe.

»Na, so ganz und gar abzuweisen wäre es ja nicht. Er ist man so'n Windbeutel –«

»Na, Nissen, da tun Sie ihm nu ganz unrecht. Alles kann man ihm vorwerfen, aber das? Mann in den besten Jahren, gutes Geschäft, – und am Ende – ich bin ja auch –«

»Gewiß! Sie sind längst über weg,« betonte Frau Nissen kurz und derbe. »Das ist die Hauptsache! Und dann – angesprochen hat er Sie ja noch gar nicht!? Warten Sie doch erst mal ab –«

»Du hör' mal an, Emma!« rief wegen der rücksichtslosen Einwände gegen ihr Alter die Näherin stark erbost und wurde ganz blaß. »Na, Nissen, wer von Ihnen Rat haben will, ist auch schön aus –«

»Sie werden nie klug, Mile!« fuhr die Alte unempfindlich fort. »Sie haben es ja gut, was wollen Sie auf Ihre alten Tage noch solche Sprünge machen? Mit dem Heiraten ist es ja ganz schön, aber die Wehen kommen nach! Gucken Sie sich doch mal um in Kappeln.«

Halb wirkte bei Mile die Empfindlichkeit noch nach, halb aber war sie mit den Worten der alten Nissen einverstanden. Was sie hatte, wußte sie; was kommen würde –? Ihre Eigenliebe regte sich plötzlich. Sie machte deshalb dem Gespräch ein unerwartet schnelles Ende und sagte:

»Na, ja, überlegen muß man sich das ja noch –«

»Ja, und meine Zeit ist nun auch um!« schloß Frau Nissen, und nachdem sie noch einmal Emmas Arbeit betrachtet hatte, ging sie mit kurzem Gruß zur Tür hinaus.


 << zurück weiter >>