Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Nordlicht, Nordlicht,
aber sonst wenig Licht!

Karl Farkas: Servus, Fritz!

Fritz Grünbaum: Servus, Karl! Bevor sich der Vorhang hebt, wüßte ich gern, warum du so spät kommst.

Farkas: Du hältst mich wohl für faul?

Grünbaum: Stimmt.

Farkas: Irrtum. Ich bin seit fünf Uhr früh auf den Beinen.

Grünbaum: Wo warst du also?

Farkas: Beim Angeln.

Grünbaum: Dumme Ausrede!

Farkas: Im Gegenteil: volle Wahrheit. Der Arzt sagt, ich mache zu wenig Bewegung. Deshalb hat er mir befohlen, Sport zu treiben. Das soll mich aufpulvern.

Grünbaum: Und da suchst du dir ausgerechnet das Angeln aus, den phlegmatischesten Sport?

Farkas: Phlegmatisch? Gerade im Gegenteil: Angeln ist die aufregendste aller Sportarten.

Grünbaum: Das mußt du mir erklären. Was regt dich beim Angeln auf?

Farkas: Die Angst, daß ein Gendarm kommt. Ich habe nämlich keine Anglerkarte.

Grünbaum: Deine Anglerkarte interessiert mich nicht. Offenbar hast du aber auch keine Revue-Idee? 249

Farkas: Wieso? Du läßt mich nur nicht zu Wort kommen. Schon beim Hereinkommen wollte ich dir sagen, daß mir ein Licht aufgegangen ist.

Grünbaum: Du meinst das Nordlicht? Gott sei Dank, daß es nur einen Tag gedauert hat! Ein schrecklicher Gedanke, daß jetzt der Himmel auch schon aufgenordet würde!

Farkas: Warum? Hochzeitsreisende und Schuldner wären mit der Mitternachtssonne sehr einverstanden!

Grünbaum: Wieso?

Farkas: Im Lande der Mitternachtssonne ist es sechs Monate Nacht. Stell' dir das vor!

Grünbaum: Und was haben die Schuldner davon?

Farkas: Wenn sie ein Darlehen »bis morgen« aufnehmen, brauchen sie sechs Monate nicht zu zahlen!

Grünbaum: Du verkriechst dich sogar auf den Nordpol, um dich von der Revue zu drücken! Aber jetzt mache ich kurzen Prozeß und –

Farkas: Apropos: Prozeß! Hast du von dem Vivisektionsprozeß gelesen?

Grünbaum: Was war das?

Farkas: In einer Schule wurden Experimente an einem lebenden Frosch gemacht.

Grünbaum: Und das ist verboten?

Farkas: Natürlich! Nur ein Arzt darf das!

Grünbaum: Ist denn der Jerger von der Staatsoper ein Arzt?

Farkas: Wieso?

Grünbaum: Weil er zu Silvester mit dem Frosch experimentiert hat!

Farkas: Au! Au! Das hättest du dir ersparen sollen. 250 Also paß auf: Der Vorhang hebt sich, es ist stockdunkel, von der Bühne sieht man zunächst gar nichts.

Grünbaum: Aha! Du meinst die »Deutsche Bühne«. Von der sieht man gar nichts, aber man hört viel von ihr –

Farkas: Unsinn. Der Vorhang hebt sich, die Bühne ist erst finster, dann aber wird es licht, und man erblickt einen Hain –

Grünbaum: Einen Tautenhayn, davon rede ich doch.

Farkas: Du redest! Er macht schon selbst von sich reden – durch seine Wanderbühne.

Grünbaum: Wieso »Wanderbühne«?

Farkas: Weil sie schon wandert, bevor sie noch zu spielen begonnen hat. Der Tautenhayn wandert mit seinem Projekt von einem Bezirk in den andern, ohne mit seiner Kabale auf Liebe zu stoßen.

Grünbaum: Stimmt. Angefangen hat er im Raimundtheater als Verschwender seiner Zeit; dann mußte sein Plan im Stadttheater versanden, aber jetzt scheint sich im Philadelphiatheater ein Tauber gefunden zu haben, der ihn auch nicht erhört.

Farkas: Wenn du mit deiner Wanderung beim Simpl angekommen bist, verständige mich. Dann erzähle ich dir meine Revue-Idee.

Grünbaum: Ich bin nicht neugierig darauf, ich habe selber eine Idee: eine Napoleon-Revue.

Farkas: Jetzt fängst du auch noch an? Man kann sich ja vor Napoleons auf der Bühne nicht retten! Eben grassiert wieder einer von Bruckner.

Grünbaum: Dagegen ist schon ein Mittel gefunden. 251 Statt der projektierten Doppelschillinge 1938 mit dem Bild Bruckners sollen jetzt solche mit Napoleons Porträt geprägt werden. Erfahrungsgemäß hamstert das Publikum die neuen Doppelschillinge, und so wird Napoleon endlich aus dem Verkehr verschwinden.

Farkas: Ha!

Grünbaum: Was gibt's?

Farkas: Jetzt ist mir der richtige Anfang für unsere Revue eingefallen: Der Vorhang hebt sich, auf der Bühne heftiger Schneesturm –

Grünbaum: Sehr aktuell bei dem Frühlingswetter dieses Winters! Die Bevölkerung sieht sich ja vor das schrecklichste Dilemma gestellt. Sonst war es jedem eine liebe Gewohnheit, im Winter den Überzieher zu versetzen und den Winterrock auszulösen; mit Frühlingsbeginn wieder versetzte man den Winterrock und löste den Überzieher aus. Bei den jetzigen Temperaturschwankungen aber weiß kein Mensch, was er versetzen, und was er auslösen soll!

Farkas: Ja, es ist ein Katastrophenwinter! Auf den Bergen bröckelt der Schnee ab, in Genf der Völkerbund, in Paris der Franc, in Bukarest – alles wackelt, nichts hebt sich . . . Apropos »heben«: Also, der Vorhang hebt sich –

Grünbaum: Laß ihn unten, es ist acht Uhr, wir müssen in den Simpl zur Vorstellung. Nimmst du mich in deinem Wagen mit?

Farkas: Den habe ich eingestellt! Ich bin daraufgekommen, daß ein Wagen seinen Besitzer verweichlicht: man gewöhnt sich das Gehen ab, wird 252 bequem, verliert die Initiative und büßt seinen moralischen Elan ein –

Grünbaum: Ich verstehe dich, ich habe auch kein Geld! 253

 


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