Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Immer die alten Neuigkeiten!

Karl Farkas: Servus, Fritz!

Fritz Grünbaum: Servus, Karl! Der Vorhang hebt sich –

Farkas: Wenn's nur der Vorhang wäre! Mir hebt sich leider der Magen!

Grünbaum: Unpäßlich?

Farkas: Nein, aber der Gedanke an die Weihnachtsgeschenke macht mich krank! Woher nehm' ich das Geld dafür?

Grünbaum: Du hättest dir etwas weglegen sollen.

Farkas: Habe ich doch: jeden Tag einen Schilling.

Grünbaum: Macht 365 Schilling!

Farkas: Ja, aber ich hab' mit dem Weglegen erst im November begonnen.

Grünbaum: Aha, dein alter Fehler: du beginnst mit allem zu spät.

Farkas: Du meinst die Revue? Also paß auf: der Vorhang hebt sich, Donaulandschaft –

Grünbaum: Den Vorschlag hab ich dir schon vorige Woche abgelehnt –

Farkas: Ich habe schon einmal die Donau vorgeschlagen?

Grünbaum: Ja, als die »Srbija« kenterte. Das war wenigstens aktuell.

Farkas: Heute ist es eben wieder aktuell. 223

Grünbaum: Wieso?

Farkas: Die »Srbija« ist schon wieder gekentert.

Grünbaum: Nicht möglich. Macht sie das aus Trotz?

Farkas: Ich glaube an volkswirtschaftliche Hintergründe. Unsere Donau-Dampfschiffahrt wurde so glücklich saniert. Jugoslawien ist doch an der Donauschiffahrt gleichfalls interessiert, also vielleicht wollte die »Srbija« einmal unserer Sanierung – auf den Grund gehen.

Grünbaum: Einmal! Wieso aber zweimal?

Farkas: Aller guten Dinge –

Grünbaum: – sind nicht zwei, sondern drei.

Farkas: Woher weißt du, daß sie nicht noch ein drittesmal kentert?

Grünbaum: Meinetwegen kann sie kentern, so oft es ihr Freude macht! Was ist mir die »Srbija«? Wichtig ist nur, daß uns Grinzing erhalten bleibt.

Farkas: Um Gottes willen, hat man uns es abgefordert?

Grünbaum: Unsinn! Wieso soll man uns Grinzing abfordern?

Farkas: Als Kolonie! Es werden doch jetzt Forderungen nach Kolonien erhoben!

Grünbaum: Aber die richten sich vorwiegend an England. England kann doch nicht fremdes Land hergeben?

Farkas: Nur fremdes! Das ist seine Spezialität.

Grünbaum: Und was ist deine Spezialität? Ein Vorhang, ohne, wenn er sich hebt, etwas dahinter! Ich glaube, eher werden die Chinesen mit den Japanern fertig als wir mit unserer Revue.

Farkas: Du hast recht, beginnen wir! Der Vorhang 224 hebt sich, man sieht Grinzing –

Grünbaum: Durch-, um- oder unterfahren?

Farkas: Das ist von der Behörde leider noch nicht entschieden.

Grünbaum: Bis unsere Revue fertig ist, wird es entschieden sein!

Farkas: Eins ist aber schon heute sicher: alle baulichen Schönheiten bleiben erhalten, die Technik soll die Tradition nicht besiegen.

Grünbaum: Sehr richtig, der Weingeist triumphiert über den Ungeist.

Farkas: Gott sei Dank! Was täten denn die Wiener ohne ihr Grinzing? Wo möchten sie dann wieder einmal sein beim Wein, beim Wein, beim Wein? Und was würde man ihnen dann antworten, wenn sie bange fragten: »Wo ist denn heut ausg'steckt?«

Grünbaum: »Beim Furtwängler!«

Farkas: Furtwängler?

Grünbaum: Im Konzerthaus, bei der Weinkost!

Farkas: Genug, kehren wir zu unserer Revue zurück.

Grünbaum: Das ist die Höhe: du bist es, der nie einen Einfall hat; du bist es, der von dem Einfall, den du nicht hast, immer abschweift; du bist es – –

Farkas: Bombardiere mich nicht mit Vorwürfen!

Grünbaum: Wieso bombardiere ich? Bin ich ein Japaner?

Farkas: Nein, denn sonst hättest du dich schon entschuldigt! Übrigens finde ich das reizend von den Japanern: sie überfallen alles, was ihnen in den Weg kommt, aber dann – entschuldigen sie sich. Ihr Außenminister kann ihre vielen Entschuldigungen gar nicht bewältigen. 225

Grünbaum: Ich habe gehört, sie werden jetzt ein eigenes »Ministerium für öffentliche Entschuldigungen« errichten, welches sich bereit erklären wird, sich schon jetzt für alle Völkerrechtsverletzungen der nächsten vier Jahre im vorhinein zu entschuldigen.

Farkas: Jetzt hab' ich dich! Mir wirfst du vor, von der Revue abzuschweifen und jetzt erwisch' ich dich beim Völkerrecht? Was hat Politik mit Revue zu tun?

Grünbaum: Mit der meinigen sehr viel! Paß auf: der Vorhang hebt sich, man sieht –

Farkas: Nun?

Grünbaum: Gar nichts. Es herrscht Schneegestöber.

Farkas: Seit wann stöbert's bei uns?

Grünbaum: Nicht bei uns! Die Revue spielt in Rußland.

Farkas: Dort herrscht jetzt Schneegestöber?

Grünbaum: Nur Schneegestöber! Alles, was dort sonst noch geherrscht hat, ist bereits beseitigt.

Farkas: Sprich nicht so! Die Russen haben soeben durch die lückenlose Wahl der Regierungsliste bezeugt, daß sie über das System dort glücklich sind!

Grünbaum: Traut sich denn in Rußland jemand unglücklich zu sein? Er zieht es eben vor, seine Stimme ab-, statt seinen Geist aufzugeben.

Farkas: Bei dir hingegen habe ich oft das Gefühl, du ziehst es vor, deinen Geist aufzugeben.

Grünbaum: Bei welcher Gelegenheit?

Farkas: Beim Dichten!

Grünbaum: Wundert dich das? Wo ich doch meist in deiner Gesellschaft dichte? Große Geister 226 vertragen bei der Arbeit nicht die Anwesenheit eines anderen. Deshalb hat zum Beispiel der Bridge-Forscher Culbertson jetzt die Scheidungsklage eingereicht. Er ist erst in der Ehe draufgekommen, daß ihn die Frau beim Bridge stört.

Farkas: Das ist noch gar nichts! Mein Mathematikprofessor hat seinerzeit auf Scheidung geklagt und ist erst bei Gericht daraufgekommen, daß er gar nicht verheiratet war.

Grünbaum: Oh, daß ich doch zu Gericht gehen könnte, um dort zu erfahren, daß es keinen Farkas gibt! Dann sänke der Vorhang über einem seligen Grünbaum!

Farkas: Apropos: Vorhang und Grünbaum! Jetzt hab' ich's: der Vorhang hebt sich über einen grünen, silberfunkelnden Weihnachtsbaum. Wir sind im Heim eines Wiener Gemeindebeamten, der selig im Kreise seiner neun Kinder sitzt –

Grünbaum: Stumpfsinn, Widerspruch in sich selbst! – – Wie kann einer fixbesoldet sein, neun Kinder haben und gleichzeitig sich glücklich fühlen?

Farkas: Hast du nicht gelesen, daß die Gemeinde Wien ihren Angestellten eine Weihnachtszuwendung von fünfzig Schilling für das zweite und von hundert Schilling für jedes weitere Kind gewährt? Neunkindrige erhalten also siebenhundertfünfzig Schilling.

Grünbaum: Wunderbares Wien! In anderen Ländern wird man für seine Gesinnung bestraft, Wien belohnt die – Überzeugung!

Farkas: Freudenstrahlend blickt die Familie zu den schimmernden Zweigen des Christbaumes empor, 227 dessen silberne Glöckchen der Welt verkünden –

Grünbaum: Daß es acht Uhr ist. Komm, sonst können wir nicht mehr mit der Elektrischen in den Simpl fahren und müssen ein Taxi nehmen, um zurecht zur Vorstellung zu kommen.

Farkas: Nie wieder Elektrische! Gestern stand ich auf der überfüllten vorderen Plattform neben dem Fahrer, der fortwährend statt auf den Klingelknopf auf meinen Fuß trat.

Grünbaum: Warum hast du ihn nicht aufmerksam gemacht?

Farkas: Weil es verboten ist, mit dem Fahrer zu sprechen! 228

 


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