Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Nieder mit mir!

                  Hör'n Sie mich an – aber nicht erschrecken! –:
Ich kann mich seit Jahren selber nicht schmecken!
Ich weiß ja, die Sache ist fürchterlich,
Aber ich hab' eine Aversion gegen mich;
Ich hab' gegen mich eine Antipathie,
Daß ich mir manchmal sag' selber, »du Vieh«,
Ja, manchmal, bevor ich noch morgens bin munter,
Hau' ich – im Bett noch! – mir eine herunter.
Sie lächeln? No, meinen Sie, 's ist ein Vergnügen,
Mit seinem Todfeind im Bett zu liegen?
Wo man gefaßt sein muß jede Nacht,
Daß man mit zwei bis drei Watschen erwacht?
Und was der Gipfel der Situation:
Ich kann mir nicht selber laufen davon!
Denn, wo ich auch immer am Schlusse wär',
Bin ich selber hinter mir her.
Doch das ist das Allerentsetzlichste hier:
Rächen kann ich mich auch nicht an mir!
Ich hab' schon probiert, in den Spiegel zu gucken
Und – mir selbst ins Gesicht zu spucken.
Doch, wenn mir vor Lachen dann wackelt der Bauch,
Lacht und wackelt mein Feind drin auch!
Und tret' ich zur Seite, bemerk' ich mit Schreck: 106
Das Glas ist bespuckt, und mein Feind ist weg!
In dieser Form macht's mir gar keinen Spaß,
Ich hab' nämlich gar keinen Haß auf das Glas.
Die Sache bezieht sich doch nur auf mich,
Was ich hab' anspucken woll'n, war ja ich!

Ich hab' schon versucht in den mildesten Tönen
Mich mit mir selbst wieder auszusöhnen.
Aber da war ich ja so gemein
Und gab mir zur Antwort: »Ich geh' nicht drauf ein!«
Ja, einst sogar hab' ich mich angeschrie'n barsch:
»Du kannst, wenn du willst . . . mit einem Wort, marsch!«
Ich wollt's sogar tun, doch es endete kläglich,
Es war aus technischen Gründen nicht möglich!

Sie werden mich fragen, warum ich mir bös' bin.
No, hab' ich nicht recht, bitte, wenn ich nervös bin?
Hab'n Sie die Güte und schau'n Sie mich an:
Wie seh' ich aus? Wie ein feiner Mann!
Mit diesem Geist und dem Exterieur
Hätt' ich gepaßt zum Staatssekretär!
Das wär' so gewesen ein Posten für mich,
Und ich wär's auch geworden! Was aber tu ich?
Minister war mir zu wenig auf Erden,
Schriftsteller hab' ich müssen werden,
Noch dazu auf dem Kabarett!
Ich muß steh'n bei der Nacht auf dem Brett,
Ich – ein Gentleman, soll man sagen! –
Muß den Leuten Gedichte vortragen!
Und was für Leuten?! Den Mindersten, wo . . . 107
Ach so . . .! No, ich sag' nichts, ich mein' ja nur so!
Innen bin ich so furchtbar fein,
Daß ich könnte Minister sein.
Aber statt in der Regierung zu sitzen,
Befass' ich mich lieber mit blöden Witzen.
So sitz' ich mit einer Hälfte im Pfuhl,
Mit der andern jedoch – im Ministerstuhl.
Und erfahrungsgemäß kann es doch nichts nützen,
Mit einem – Dings auf zwei Stühlen zu sitzen.
Begreifen Sie jetzt, warum ich nervös?
Mein Inneres ist auf mein Äußeres bös.
Ich bin eine Mischung von Ehrfurcht und Spott:
Innen Minister und außen Fallott!

Am liebsten ließe ich mich von mir scheiden.
Ich kann nämlich Menschen mit Glatzen nicht leiden!
Die Glatze war immer ein Bild, das mich quält:
Sie ist wie Salat, wo der Essig drauf fehlt.
No, soll ich vielleicht herumgeh'n als Tropf
Mit Essig und Öl auf dem Hinterkopf?
Oder soll ich ihn vielleicht mit Zwiebeln belegen?
Glauben Sie mir, ich muß mich erregen:
Im Innern bin ich direkt ein Poet,
Welcher im Glanz seiner Goldlocken steht!
No, sagen Sie selber, bei solchen Beschwerden
Muß man doch schließlich zum Selbstmörder werden!
Innerlich trag' ich den Lockenschatz
Und äußerlich scheint mir Sonn' auf die Glatz'!

Was mir jedoch auf die Nerven geht, 108
Das ist das Gefühl, ich bin mir zu blöd'.
Ich sag' es in größter Verlegenheit hier:
Ich kann mich nicht unterhalten mit mir,
Mir geht, wenn ich manchmal so sitze, zu Haus',
Direkt vor mir selber die Gall' heraus.
Das kommt wohl daher, daß die Langweil' so groß ist:
Wie ich den Mund aufmach', weiß ich, was los ist!
Oft hab' ich Lust, zu studieren Geschichte,
Was aber mach' ich? Blöde Gedichte!
Und will ich Klavierspiel'n in traulichem Heime,
Sitz' ich schon dort und mach' jüdische Reime!
Glauben Sie mir, ich geh' mir bis daher,
Aber ich bin mein Verwandter, mein naher,
Immer nur ich und immer nur ich?
Das ist keine Gesellschaft für mich!

Ich hab' mir die Lippen schon blutig gebissen,
Aber dann ist mir doch die Geduld gerissen,
Und aufgesucht in meinem Jammer
Hab' ich zum Schluß die bewußte Kammer.
Dort hab' gehofft ich, allein zu sein.
Ich floh in die stille Kammer hinein
(»Still«, weil ich still' dort geheimes Verlangen!),
Richtig bin ich mir nachgegangen!!?
Es nutzt mir kein Riegel, kein Schloß, keine Tür,
Wo ich mich hinsetz', sitz' ich bei mir!

So will ich denn schließen, verdächtige Gemeinde.
Lebet wohl, allerwerteste Freunde,
Ich kann nicht mehr bleiben, denn ich bin hier,
Und glauben Sie mir: mir ist mies vor mir! 109

 


 


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