Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Monolog über Kinder

                Ich glaube nicht, daß ich Kinder habe.
So tief ich in meiner Erinnerung grabe,
Ich wüßt' nicht, wieso? Zwar hab' ich geliebt,
Doch hab' ich das immer platonisch geübt,
Und wissenschaftlich ist festgestellt:
Man kann – also bisher – in dieser Welt,
In keinerlei Orten oder Bezirken
Auf platonischem Wege Kinder bewirken.
Das kann man nur im Gegenteil;
Und dieser Pfad war mir zu steil!
Nun aber kommt das tollste Theater:
Was sagen Sie jetzt? Ich bin wirklich Vater!
Zwar nicht reell, historisch, geschichtlich,
Aber – was will man da machen? – gerichtlich!
Ich habe mich nie an Frau'nreiz gelabt,
Aber der Richter hat zu mir das Vertrauen gehabt.
Kam irgendwo zur Welt ein Prinz –
Schwupps, sagte der Richter sofort, ich bin's!
Und bitte: der Fall ist der dritte schon,
Ohne daß ich was gehabt hätt' davon!
Das ist doch peinlich! Es haben drei Damen
Beansprucht bereits für ihr Kind meinen Namen.
Wollt' Vater ich werden, dann drückten sie sich,
Beim Vatersein aber packten sie mich!
Das wird schließlich fad, wenn das dreimal passiert, 63
Ohne daß ich mich hätt' früher amüsiert!
Schließlich bezahlt man ja gern am End
Für ein Amüsement sein Äquivalent,
Aber für nichts und wieder nichts?
Ob Sie mir's glauben, das Herz mir bricht's!
Kunststück, so ein Richter! Der urteilt sehr bald:
»Sie bezahlen den Damen den Unterhalt!«
Ich aber frag', ob's zu Recht so geschah:
Amüsier'n darf ich sie nicht, aber unterhalten ja?
Daß mich doch alle mit Kindern bedenken!
Erstens lass' ich mir überhaupt nichts schenken,
Und zweitens grad Kinder, die ich so meide!
Ist denn ein Kind überhaupt eine Freude?
Kinder sind höchstens ein Resultat
Von Freuden, die man genossen hat;
Eine Quittung über Vergnügen,
Die chronologisch noch vor dem Kind liegen;
Respektive: ein jeder sieht
Zwischen Freuden und Kindern den Unterschied
Wie zwischen Frühling und Wintersgrau.
(Auch arithmetisch stimmt das genau:
Denn wenn im März etwas Liebes geschah,
Ist im Dezember ein Kind schon da!)
Und wie ist es da?! Nach meiner Meinung
Tritt selbst ein Unglück nicht so in Erscheinung.
Beim Unglück haben stets Dichter geschrieben:
»Kein Auge dabei ist trocken geblieben!«
Nun, möchten Sie mir sagen, was trocken bleibt,
Sobald sich im Hause ein Kind herumtreibt? 64
Wo man es anfaßt, ist es naß.
Beim Kind endet wirklich schon jeder Spaß,
Denn so einem Engel im weißen Hemd
Ist jegliche Selbstbeherrschung doch fremd!
Ein Wesen, das sich aus Instinkten zusamm'setzt
Und seinen Empfindungen keinerlei Damm setzt,
Das tobt sich doch nicht nur auf Windeln aus!
Na, das hat mir grad noch gefehlt in mein' Haus,
Daß so ein Geschöpf zum Zeitvertreib
In kindlich-fröhlicher Harmlosigkeit
Auf meine Gedichte und Manuskripte
Seinen inneren Drang nach Befreiung verübte!
Meine Gedichte sind tränenfeucht!
Der Kraft meiner Tränen gelang es vielleicht,
Den Kummer so mancher Leser zu mindern;
Feuchtigkeit aber von kleinen Kindern,
Die statt auf Windeln auf Gedichten passiert,
Halte ich einfach für deplaciert!
Hat man aber endlich den Bengel so weit,
Daß er das Quantum von Feuchtigkeit,
Welches organisch er produziert,
Korrekt am gehörigen Ort eliminiert,
Dann hat die Nahrungsabfuhr vielleicht
Ihre definitive Ordnung erreicht;
Die Sorge für Nahrungszufuhr, mein Lieber,
Ist aber lange noch nicht vorüber!
Zu diesem Behuf existiert eine Rasse,
Eine besondere Menschenklasse,
Jeder kennt und fürchtet den Namen:
»Ammen« nennt man die jungen Damen.
Diese Damen also entfalten
Durch ihr – meist voreheliches – Verhalten 65
Für Babys, die ihrer Obhut geweiht,
Eine überströmende Zärtlichkeit!
Sie repräsentieren in ihrem Berufe
Sexuell eine Zwischenstufe,
Indem sie durch ihr berufliches Walten
Sozusagen die Mitte halten
Zwischen Frauen und Mädchen ungefähr:
Frau'n sind sie noch nicht und Mädchen – nicht mehr!
Hast du also ein Kind bekommen,
Respektive, genau genommen,
Ist deiner Frau dieses Faktum passiert,
Dann wird eine Amme ins Haus zitiert,
Und mit dieser schließest du einen Kontrakt,
Welcher juristisch beiläufig besagt,
Daß sie in Form einer Kombination
Von Miete und Werkvertrag deinem Sohn
Einen Platz zunächst ihrem Herzen vermietet
Und ebendaselbst ihm Nahrung bietet,
Wogegen ihr eine Vergütung gebührt,
Die postnumerando zahlbar wird.
Nun sollt' man doch meinen, das Resultat
Einer solchen Übereinkunft wär' einfach und glatt:
Man zahlt am Ersten präzis ihren Lohn
Und die Amme bedient, wie besprochen, den Sohn!
So? Meinst du? Na wart auf die Praxis nur!
Eine Amme ist nämlich – Künstlernatur;
Die muß man zu ihrem beruflichen Walten
In einer gewissen Stimmung erhalten;
Denn fühlt eine Amme die leiseste Trauer,
Dann wird im Moment ihr das – Leben sauer,
Und das empfindet in kurzem schon 66
Mit tiefer Betrübnis dein eigener Sohn.
Er brüllt und schreit durchs ganze Haus,
Und du, du raufst dir die Haare aus!
Du mußt also, um seine Trauer zu lindern,
Bei der Amme jede Gereiztheit verhindern!
Was immer sie wünscht im Stillen beim Stillen,
Du bist dazu da, den Wunsch zu erfüllen:
Verlangt sie nach Sekt, sie braucht bloß zu winken,
Und du, du gibst ihr Heidsieck zu trinken;
Empfindet sie Sehnsucht, im Auto zu fahren,
Empfehl' ich dir, hol' es, du kannst da noch sparen!
Sei froh, und dein Schöpfer sei vielmals bedankt,
Daß sie nicht noch Äroplane verlangt!
Am Sonntag empfängt dann die Amme Soldaten.
Da kocht deine Frau einen Gänsebraten –
(Es wär' denn, es schmeckt ihm was anderes besser;
Weil auch sogar ein Soldat oft als Esser
In seinem Gusto empfindet persönlich;
Aber das sagt er schon selber gewöhnlich!)
Gib ihm also zu rauchen und essen,
Denn seine Stellung ist nicht zu vergessen.-
Schließlich sind es ja doch die Soldaten,
Welche die Ammen beruflich beraten;
Denn hätten wir keine Soldaten mehr,
Wo nähmen wir so viele Ammen denn her?
Drum nimm des Soldaten dich liebevoll an,
Es gilt deinem Sohn doch; denke daran!
Tu überhaupt, was die Amme nur will,
Beiß in die Zähne, und denke dir still:
Die Stunde muß kommen, wo alles versöhnt ist,
Die Amme fliegt, wenn dein Bengel entwöhnt ist! 67
Jetzt glaub aber ja nicht, die Plage sei aus,
Sobald nur die Amme verlassen dein Haus!
Denn diese Befreiung von Ammenbeschwerden
Ist lange kein Grund noch, um üppig zu werden!
Es nahen vielmehr sich jetzt Rachegestalten,
Die dich samt Gemahlin in Atem halten,
Die Freude und Frohsinn und Ruh dir zerfasern.
Was soll ich dir sagen? Es kommen die Masern!
Du schaust eines Tags deinen Sohn an, den Engel,
Und denkst dir dabei: »Was kratzt sich der Bengel?«
Der Hausarzt erscheint, um zu sehn, was dein Sohn macht,
Sagt »Masern!«, drauf wälzt deine Frau sich in Ohnmacht,
Deine Freunde, die weichen im Bogen dir aus,
Sie haben doch selber ein Kind zu Haus
Und können daher kein Gespräch mit dir wagen.
(Selbstverständlich! . . . Auf Masern zu sagen!)
Die Dienstboten schrei'n bis zum Küchenmädel,
Da wird dir ganz übel, es brennt dir der Schädel,
Du bist der Tobsucht, dem Selbstmorde nah . . .
Und am nächsten Tag – ist die Amme wieder da!
Sie hat es vor Sehnsucht nicht ausgehalten,
Und das Engerl kriegt einen Umschlag, einen kalten,
Vorausgesetzt, daß man sie hält wieder da,
Deine Frau schreit: »Ja, ja!« und die Amme sagt: »Ja!«
Und heute ist Freitag, und zu Ehren des Tags
Bittet sie um etwas Rotwein und Lachs,
Und Sonnabend abends spielst du mit ihr Skat,
Und Sonntag, da klopft's – und es ist der Soldat! 68
Und jetzt fängt die Sache von vorn wieder an,
Nur kommen statt Masern die Keuchhusten dann!

Hab' ich es nötig, noch mehr zu berichten?
Nein! Es gehört zu den ält'sten Geschichten:
Nachkommenschaft bringt keinen Genuß,
Kindererzeugen erzeugt Verdruß!
Drum hab' ich es eidlich mir vorgenommen,
Absichtlich niemals ein Kind zu bekommen;
Ich hab's überlegt (man sagt so was schnell nicht!),
Ein Kind verursach' ich prinzipiell nicht!
Und schenkt meine Frau mir dann trotzdem ein Kind
(Man weiß doch, wie rücksichtslos Frauen oft sind!),
Dann kann dieser Engel, so hold und rein,
Mir noch so sehr geschnitten sein
Von vorn oder rückwärts aus meinem Gesicht –
Das eine beschwör' ich: Von mir ist er nicht! 69

 


 << zurück weiter >>