Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Lautes und Leises

Karl Farkas: Servus, Fritz.

Fritz Grünbaum: Servus, Karl. Etwas spät kommst du.

Farkas: Bös?

Grünbaum: O nein, nur eine Konstatierung.

Farkas: Wie geht's?

Grünbaum: Danke, gut.

Farkas: Bist etwas einsilbig, heute.

Grünbaum: Wieso einsilbig? Ich heiß' noch immer Grünbaum.

Farkas: Herrliches Wetter draußen.

Grünbaum: Ja, die ganze Woche schon. Sehr günstig für die Geschäftsleute.

Farkas: Wieso?

Grünbaum: Wenn's schön draußen ist, gehen die Geschäftsleute viel spazieren, und bei den heutigen Zeiten ist es noch immer lukrativer, spazieren zu gehen als im Geschäft zu sein.

Farkas: Oh, welch ein Esprit!

Grünbaum: Berufsgewohnheit. Aber was ist heute mit dir los? Du kommst und grüßt höflich. Nimmst sogar den Hut vom Kopf und die Zigarre aus dem Mund, bist nicht aufgeregt und nervös. Was hast du?

Farkas: Ich bin gut gelaunt.

Grünbaum: Und dies warum? 205

Farkas: Weil ich das sichere Gefühl habe, daß heute unsere Revue endlich fertig wird.

Grünbaum: Wieso gerade heute?

Farkas: Weil in den letzten Tagen in der Welt nichts passiert ist, worüber wir ins Plaudern kommen könnten.

Grünbaum: Du hast recht. So was von einer ereignislosen Woch'n! Stell' dir vor, wir wären Journalisten und hätten für unser Blatt ein humoristisches Wochenfeuilleton zu schreiben –

Farkas: – über die Wochenereignisse, die sich nicht ereignet haben? Ein fürchterlicher Gedanke.

Grünbaum: Ich bewundere diese Leute, die jede Woche die Tagesneuigkeiten beblödeln müssen. Was werden sie dieses Mal machen?

Farkas: Mir fiele schon was ein.

Grünbaum: Aber worüber? Es ist doch gar nichts Neues passiert?

Farkas: No zum Beispiel ist jetzt der belgische Premier van Zeeland zurückgetreten.

Grünbaum: Wird sich der Rex freuen.

Farkas: Was geht das den Hund an?

Grünbaum: Was für ein Hund?

Farkas: Rex ist ein Hund.

Grünbaum: Du, der wird dich auf Ehrenbeleidigung klagen. Rex ist ein Politiker.

Farkas: Pardon.

Grünbaum: Er ist der große Gegenspieler van Zeelands.

Farkas: Was spielen die?

Grünbaum: Demokratie oder Faschismus.

Farkas: Und wer gewinnt? 206

Grünbaum: Die letzte Partie hat van Zeeland gewonnen. Aber jetzt hat wieder der Degrelle Chancen.

Farkas: Sie spielen zu dritt?

Grünbaum: Wieso?

Farkas: Der Degrelle, der Zeeland und der Rex.

Grünbaum: Aber Degrelle und Rex ist doch eine Person.

Farkas: Mit zwei Namen?

Grünbaum: Warum nicht? Der Kaspar Brandhofer heißt doch auch Leo Reuß.

Farkas: Ah, Schauspieler ist der Rex?

Grünbaum: Unsinn. Er ist ein Komödiant, aber kein Schauspieler.

Farkas: Aha, und jetzt freut er sich über Zeelands Rücktritt?

Grünbaum: Ja.

Farkas: Und mit wem wird jetzt der Zeeland spielen, wenn er zurückgetreten ist?

Grünbaum: Mit seinem Leidensgenossen Dr. Schacht aus Berlin.

Farkas: Ist der also doch gestürzt?

Grünbaum: Ja.

Farkas: Trotzdem er der Karriere seine Gesinnung geopfert hat?

Grünbaum: Trotzdem.

Farkas: Daß so einem gewiegten Finanzmann ein falscher Wechsel durchschlüpfen kann!

Grünbaum: Was meinst du?

Farkas: Seinen Gesinnungswechsel!

Grünbaum: Heute sprüht's aber wieder aus dir!

Farkas: Witzigsein ist eben meine Schickung auf Erden. 207

Grünbaum: »Sendung« willst du sagen.

Farkas: »Senden« und »schicken« ist dasselbe.

Grünbaum: Aha! »Sehr geehrter Herr! Im Besitze Ihrer werten Schickung vom 16. d. ...«

Farkas: Jetzt sprühst aber du! Da ist es mir doch lieber, daß wir die Revue schreiben. Also, der Vorhang hebt sich und man sieht –

Grünbaum: – den Bisamberg mit dem Großschicker!

Farkas: Zähme deinen Humor! Also der Vorhang hebt sich –

Grünbaum: Weil du gesagt hast, »senden« und »schicken« ist dasselbe.

Farkas: Ruhe! Also, der Vorhang hebt sich, auf der Bühne herrscht allgemeine Unruhe –

Grünbaum: Sehr aktuell!

Farkas: Wieso?

Grünbaum: Marokko! Dort sind die neuesten Unruhen. Palästina und Indien haben schon nicht mehr interessiert.

Farkas: Mich interessiert auch Marokko nicht. Momentan interessiert mich nur die Revue. Also, der Vorhang hebt sich –

Grünbaum: Marokko ist sogar sehr interessant. Wie überhaupt der ganze Orient. Die exotischen Völker beginnen, sich vollständig ...

Farkas: Dafür benehmen sich die Europäer wie die Wilden.

Grünbaum: Ja, die Europäer haben so lange Kultur zu den Wilden getragen, bis ihnen selbst keine übrig geblieben ist.

Farkas: Bitte, weniger Kulturgeschichte und mehr Revue! Also, der Vorhang hebt sich – 208

Grünbaum: Ha!

Farkas: Was hast du?

Grünbaum: Se. Exzellenz der Herr Geschickte von England.

Farkas: Was soll das?

Grünbaum: Weil du sagst, »senden« und »schicken« ist dasselbe.

Farkas: Schluß! Wir betreiben hier keine Sprachstudien. Überhaupt, es wird viel zu viel geredet.

Grünbaum: Das sag' ich auch. Alle reden! In Rom, in Berlin, in London, in Paris ... Dabei schlägt jeder auf den Tisch, rasselt mit der Kanone und erklärt zum Schluß, er will den Frieden.

Farkas: Das ist der Jargon der Staatsmänner! Sie geben uns in den kriegerischsten Ausdrücken die Hoffnung, daß der Friede erhalten bleibt.

Grünbaum: Was hat das aber mit unserer Revue zu tun?

Farkas: Du hast recht. Schreiben wir!

Grünbaum: Also los, was zögerst du?

Farkas: Ich denk' an die Besetzungsschwierigkeiten. Für die Charakterrolle brauche ich eine witzige, scharf karikierende Frau –

Grünbaum: Nimm doch die Tini Schickers.

Farkas: Kenne ich nicht.

Grünbaum: Wenn »schicken« und »senden« dasselbe ist, mußt du wissen, wer Tini Schickers ist.

Farkas: In solchen Augenblicken bedaure ich es immer, daß man für Mord ins Landesgericht kommt!

Grünbaum: Welche Voreingenommenheit gegen das Landesgericht? Neulich wurden doch die Wiener Journalisten bei einem Presseempfang durch das 209 Landesgericht geführt. Alle waren begeistert. Ich möchte es mir gern ansehen.

Farkas: Ich nicht. Man trifft dort zu viel Bekannte.

Grünbaum: Es ist wahr. Heute, bei der Hypertrophie der Gesetzgebung steht jeder Mensch mit einem Fuß im Kriminal –

Farkas: – und acht Tage später sitzt er mit beiden drin. Wer heute den Maschen des Gesetzes zu entgehen weiß, muß schon ein geschickter Kerl sein!

Grünbaum: Ha!

Farkas: Was denn?

Grünbaum: Ein gesendeter Bursch.

Farkas: Was ist das?

Grünbaum: Ein geschickter Kerl!

Farkas: Jetzt hab' ich's aber satt! Diese ewigen Witzeleien! Arbeiten wir! Also, der Vorhang hebt sich –

Grünbaum: Aber geräuschlos.

Farkas: Natürlich geräuschlos. Warum erwähnst du das besonders?

Grünbaum: Wegen der Anti-Lärm-Propaganda! Wenn unser Vorhang Lärm macht, boykottiert die den Simpl.

Farkas: Wen geniert eigentlich der Lärm? Mein Großvater ist 94 Jahre alt geworden, und damals hat's noch keine Anti-Lärm-Propaganda gegeben!

Grünbaum: Heute haben wir schwächere Nerven! Darum weg mit allem, was Lärm macht.

Farkas: Aha! Weg mit den Autos, weg mit der Eisenbahn, weg mit den Fabriken ... was wird eigentlich zum Schluß übrigbleiben?

Grünbaum: Die Anti-Lärm-Propaganda. Und die muß 210 zuletzt sich selbst umbringen, weil sie in der Öffentlichkeit so viel Lärm macht.

Farkas. Ernsthaft: es sollte wirklich weniger laut zugehen.

Grünbaum: Das geistige Niveau der heutigen Menschheit verträgt nur den Lärm! Schreien kann jeder, da hört man seine Worte nicht. Spräche er ohne Lärm, dann würde man sofort hören, daß er Blödsinn redet.

Farkas: Aber es gibt doch einzelne, die Gescheites zu sagen hätten.

Grünbaum: Das verstehen wieder die Hörer nicht.

Farkas: Zeitalter der Technik: es gibt viel zu viel Lautsprecher und viel zu wenig Kopfhörer!

Grünbaum: Und außerdem ist es acht Uhr! Auf in den Simpl!

Farkas: Und die Revue ist wieder nicht fertig geworden. Dabei muß sie nicht nur fertig, sondern auch besonders gut sein! Das Publikum, abgelenkt durch Sport und Politik, wird immer kritischer.

Grünbaum: Nur die Wiener nicht! Wenn im Theater ein gutes Stück ist, da interessiert sich der Wiener nicht für Politik und nicht für Sport, da geht er – ins Kaffeehaus! 211

 


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