Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Ich möcht' mir so gern die Beine brechen!

              Ich zögere nicht, das auszusprechen;
Und hält man mich auch für geistesgestört . . .
Auf das Urteil der Welt hab' ich niemals gehört!
Ich geh' sogar noch weiter: ich bin bereit,
Sofern es gewünscht wird, jederzeit
(Da ich doch einmal schon angefangen!)
Für mein vorhin gestelltes Verlangen
(Betreffs der zu brechenden Beine eben)
Eine rationelle Erklärung zu geben.

Vielleicht läßt sich's negativ leichter besprechen:
Warum soll ich mir nicht die Beine brechen?
Nein, also wirklich, warum nicht?
Sagen Sie eins, was dagegen spricht!

Das Argument, daß ein Beinbruch schmerzlich,
Belächle ich a priori herzlich.
Schmerzen hab' ich nie hoch gewertet.
Ich bin nämlich ungemein abgehärtet!
Vor Schmerzen hab' ich niemals gebebt . . .
Gott, ich bin doch verheiratet, und hab's überlebt! . . .

Es wird einer lächeln und sagen, er finde
Gegen den Beinbruch ästhetische Gründe, 80
Weil so ein Defekt in seiner Schwere
Einen peinlich-unschönen Eindruck gewähre.
Also da ist der Streit sofort geschlichtet:
Wo steht denn geschrieben, ich bin verpflichtet,
Mit meines Körpers Reizen und Blüten
Einen ästhetischen Anblick zu bieten?
Mit Freiheiten geht's uns ja allerdings schlecht,
Aber das ist zumindest mein Staatsbürgerrecht:
Ich kann so schön sein, wie mir's beliebt!
Und wenn mir das keine Genugtuung gibt,
Und ich will lieber mies sein, darf ich es auch!
Und vom letzteren Rechte mach' ich Gebrauch!
Aber selbst, wenn die Gesetze geböten,
Meine ästhetischen Qualitäten
Streng zu bewahren vor Unfall hermetisch:
Sind meine Beine denn gar so ästhetisch?
Ich muß gestehn, ich glaube sehr,
Daß ich ohne Beine ästhetischer wär'!
Ich brauch' mir doch keine Illusionen zu machen.
Also das mit der Ästhetik ist wirklich zum Lachen!
Das macht mich nur frech, und zur Offensive
Geh' ich jetzt über ins Positive.
Ich will Ihnen sagen, warum ich im Recht,
Wenn ich mir die Beine gern brechen möcht'!

Sie haben bisher immer höhnisch gekichert.
Jetzt passen Sie auf: Ich bin doch versichert!
Haben Sie Worte? Zehntausend Mark
Bezahlt die Gesellschaft für diesen Quark!
Bitte: fünf Mille pro Exemplar,
Zahlbar am Tage des Beinbruchs in bar! 81

Ich hab' mich ja nie über meine Beine beschwert:
Aber das sind sie auch unter Brüdern nicht wert!
(Wer über diese Bemerkung lacht
Und sich über meine Beine lustig macht,
Den bitt' ich, daß er sich im Stillen nur frag',
Ob er nicht gerne den gleichen Betrag
Für seinen Kopf hätt' entgegengenommen!
– Ich glaub' nur nicht, daß er so viel hätt' bekommen. –)
Also: wenn man es sachlich bedenkt,
Daß ich die Beine doch kriegte geschenkt
Und sie – nachdem ich sie gratis gewann –
Mit zehntausend Mark wieder abgeben kann . . .
Dann möcht' ich den sehn, der den Nachweis mir führt,
Daß das ein Geschäft ist, das sich nicht rentiert!
Denn außer den Policegewinnen
Kann ich doch nichts mit den Beinen beginnen.
Ich hab' sie nur nutzlos im Haus herumliegen.
Spazier'n damit gehen? Auch ein Vergnügen!
Die ganze Skala der Annehmlichkeiten
Verpflicht' ich mich, ohne ein Bein zu bestreiten.
Zur Liebe brauch' ich die Beine doch nie.
Zwar scheint es zuerst, als benötigt' ich sie,
Um, wie es üblich im Sexualleben,
Mich zu dem Rendezvous hinzubegeben.
Denn allerdings: dieser Usus besteht,
Daß der Liebende liebend zur Liebenden geht,
Und bei diesem Geh'n, das will ich gesteh'n,
Sind leider die Beine – kaum zu umgeh'n!
Aber soweit ich das Weibervolk kenn',
Brauch' ich mein Gehwerk trotzdem nicht. Denn: 82
Fahr' ich im Auto zum Rendezvous,
Fliegen sie doppelt begeistert mir zu.
Also ergibt sich da deutlich und schlicht:
Zur Liebe braucht man die Beine nicht.
Der aber, der nur im Haß kann entbrennen,
Wird sie noch leichter entbehren können.
Es sind zwar beim Hassen die Fußtritte Brauch,
Aber eine anständige Ohrfeige tut es doch auch!
Braucht fürs Gefühl drum die Beine man schwerlich,
Im Geschäftsleben sind sie vollends entbehrlich!
Außer daß einen ein Ziel nur erfreu':
Nämlich die Laufbahn als Messenger-boy;
Aber (das sieht wieder jedermann ein)
So krankhaft ehrgeizig muß man nicht sein!
Gibt es nicht andre Berufe in Menge,
Daß nach der Laufburschkarriere man so dränge?
Andre Berufe, die auch ganz schön
Und nicht so sehr in die Beine gehn?
Man kann als Minister ganz anständig leben.
Ein Minister braucht sich nicht Mühe zu geben,
Er sitzt bequem auf seinem Portefeuille,
Beziehungsweise Ministerfauteuil,
Hat nichts zu tun und lebt seiner Ruh'
Und das Schönste: er braucht keine Beine dazu.
Im Gegenteil: es wird ohne Bein
Ein Minister bedeutend sicherer sein.
Das kann nur die Chancen des Rücktritts verkürzen;
Denn wenn er nicht gehn braucht, kann er nicht stürzen! 83

Eins nur konzedier' ich sofort:
Zu einem braucht man die Beine – zum Sport!
Es sagt mir z. B. ein Hochtourist:
»Schau, was du für ein Esel bist!
Du willst frivol dir brechen die Beine.
Dabei vergissest du aber das eine:
Wird's dich nicht reu'n, wenn du nie über Wiesen
Steigen mehr kannst zu den Bergesriesen?«
Darauf sage ich: »Lieber Hochtourist,
Schau, was du für ein Esel bist!
Paß einmal auf und hör mir zu:
Ich will genau dasselbe wie du!
Du kletterst von mir aus über die Wiesen,
Über gefährliche Bergesriesen,
Gletscher, Geröll und felsigen Pfad.
Und was ist schließlich das Resultat?
Ich kenn' doch die Sache von außen und innen . . .
Erst kommen Spalten, und dann kommen Rinnen,
Kamine, Lawinen und fallende Steine
Und . . . einmal brichst du ja doch die Beine!
Und dann hast du alles, wonach dir gebangt,
Und . . . genau dasselbe hab' ich verlangt!«

Meine Verehrten, ich bin am Ende.
Aber bevor ich von Ihnen mich wende,
Möcht' ich bezüglich des »Beinebrechen«
Etwas mir noch vom Herzen sprechen.
Seh'n Sie, mir selber ist es ja klar,
Wie furchtbar blöd mein Vortrag war.
Doch wenn ich auch selbst diesen Unsinn verlache – – – 84
Mit dem Publikum ist es so eine Sache.
Nämlich manchmal – pardon! – ist etwas sehr dumm,
Und trotzdem – gefällt es dem Publikum!
Das Kabarett bleibt ein Nachtgeschäft,
Wo man nur fesseln kann, wenn man blufft!

Daher also wagt' ich's, vom Beinbruch zu sprechen,
Und zwang Sie, sich drüber den Kopf zu zerbrechen.
Aber – – Sie dürfen nicht böse sein!
Seh'n Sie, ich war doch nur halb gemein:
Denn während Sie sich den Kopf nur zerbrochen,
Wünschte ich mir doch – zerbrochene Knochen.
Und ihrer Verachtung wär' ich nur wert,
Wenn ich's gewünscht hätt' – umgekehrt!
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