Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Die Hölle – im Himmel!

                    Ehrlich gesprochen, ich pfeif' auf mein Leben!
Ich hätt' nichts dagegen, es hinzugeben
Und gleich zu verlassen das Erdengetümmel,
Aber ich fürcht' mich, ich komm' in den Himmel!
Wenn ich bedenk': vom irdischen Stengel
Reißt man mich ab und macht mich zum Engel,
So hoch in der Luft, . . . im ätherischen Saal – –
Für mich ist der Himmel bestimmt kein Lokal,
Da bringen mich keine zehn Rösser hinein,
Gott soll mich schützen, ein Engel zu sein!

Stell'n Sie sich vor, das Leben hört auf,
Man ist gestorben und fliegt hinauf! . . .
Schon die Gemeinheit, von toten Gerechten,
Die doch jetzt endlich schon Ruh' haben möchten,
Zu verlangen, daß gleich sie im Äther sich wiegen
Und etliche zehntausend Meilen hoch fliegen . . .!
Ich bitt' Sie um alles, was sind das für Sachen:
Als Toter soll ich noch Kunststücke machen?!
Ich bin doch gestorben, um Ruhe zu haben,
Hab' ich mich dazu lassen begraben,
Daß ich als Flieger mich produzier'n soll
Und noch einmal mein Leben riskier'n soll?!
Statt mich zu legen bequem in die Gruft,
Soll ich auf einmal jetzt geh'n in die Luft, 96
Steigen hinauf und fliegen davon?
Bin ich ein Vogel? Ein Luftballon?
Wenn ich so mühsame Sachen soll treiben,
Hätt' ich doch gleich können – leben bleiben?!

Aber schön, ich bin tot und flieg' schon nach oben,
Und – Gott soll es geben! – zum Schluß bin ich droben.
No schön . . . Und was dann? . . . No was soll dann sein?
Ich klopf' an den Himmel und geh' hinein.
Das heißt, ich habe mich ausgedrückt schlecht nur:
Ich geh' nämlich gar nicht hinein, ich möcht' nur.
Ich putz mir erst ab meine staubigen Schuh',
Dann klopf' ich ans Türl, mach' auf – is's zu!
Das Haustor vom Himmel ist zugemacht!
Und ich – steh' draußen in bitterer Nacht. – –
Kalt ist's da droben – – und zieh'n tut's zum Weinen,
Hausschlüssel hab' ich ja leider noch keinen –
Ich muß also läuten und warten dann hier,
Bis der Portier endlich aufmacht die Tür!

No, kommt Ihnen das nicht sehr komisch schon vor:
Wozu hat der Himmel jetzt wirklich ein Tor?
Kommen nur ehrlich Menschen hinein,
Könnt' er doch auch in der Nacht offen sein;
Und dürfen hinein auch verdächtige Lümmel,
Ist doch das Ganze wieder kein Himmel!?
Aber lassen wir diese Erörterung sein,
Sonst kommen wir nie in den Himmel hinein!
Das Haustor ist da, – was es immer bedeutet – 97
Und nehmen wir an, daß, nachdem ich geläutet,
Der Portier mit dem Schlüssel zur Himmelstür schwebt
Und endlich also zu öffnen erlebt;
Sperrsechserl hab' ich ihm auch schon gegeben
Und geh' also ein in das ewige Leben!

Es bleibt aber wieder nur bei dem Versuch,
Denn vor dem Hineingeh'n kommt's Fremdenbuch.
Hier trag' ich mich ein im Scheine der Lichter:
»Fritz Grünbaum, verstorbener, seliger Dichter,
Geboren zu Brünn, verendet in Wien,
Derzeit Engel im Himmel drin.«
Erst wenn ich das tat, werd' ich weitergebeten
Und bin also endlich – hineingetreten.

Erst ist es ganz schön: Die Luft ist so rein,
Wo man nur hinschaut, steh'n Engelein,
Die kommen gleich freundlich herangeflogen,
Und man fühlt sich von ihnen – angezogen,
Aber komische Leut' hat das himmlische Haus:
Erst zieh'n sie mich an, dann zieh'n sie mich aus.
Denn alles Malheur war bis heute nur Probe,
Jetzt kommt erst die Qual mit der Himmelsgard'robe.
Denn ich kann doch nicht so in den Erdengewändern
In der Ewigkeit droben als Mensch herumschlendern;
Vergessen Sie nicht, daß ich nicht mehr in Wien,
Sondern im Himmel und Engel dort bin!
Oder haben Sie schon einen Engel geseh'n
In Lackschuh'n, mit Frack und Spazierstock 'rumgeh'n? 98
Ich darf also weiter nicht Zeit verlier'n
Und muß mich sofort als Engel maskier'n.

Zunächst also werd'n mir die Strümpf' ausgespannt,
Weil bloßfüßig dort nur herum wird gerannt;
Das ist der Beginn schon vom Paradies,
Daß ich sofort mir soll waschen die Füß'!!
Hierauf bekomm' ich ein weißes Gewand,
Und statt dem Spazierstock krieg' ich in die Hand
Anderthalb Meter Lilienstengel – –
Und das Ganze heißt: Grünbaum im Himmel als Engel!
No, bitte sehr, können Sie vorstell'n sich dies:
Grünbaum, Lilien und nackte Füß'?!
Nicht um ein Schloß möcht' ich schau'n in den Spiegel,
Aber das Schrecklichste sind erst die Flügel!

Sagen Sie mir, was soll das bezwecken,
Sich hinten Federn hineinzustecken?!
Halten wir einmal nur ehrlich Gericht,
Wozu braucht man Flügel? Zum Fliegen doch nicht!
Denn da ich sie doch erst hab' oben bezogen,
Wie bin ich dann bis in den Himmel geflogen?!
Bei der Abfahrt hab' ich noch keine gehabt,
Und trotzdem hat doch die Reise geklappt;
Vom Erdball zum Himmel hinaufzugelangen,
Ist also ganz ohne Flügel gegangen,
Und jetzt, nach der Ankunft im Himmelreich da,
Brauch' ich die Flügel auf einmal ja?
Die einfachste Logik mithin also spricht:
Zum Fliegen braucht man die Flügel nicht; 99
Sie dienen somit nicht so sehr für den Schwung,
Sondern vielmehr zur Verschönerung! –
No, ist das so schön, mit Flügeln zu geh'n?
Die Gans macht das auch und ist doch nicht schön!
Ich lass' mich nicht zwingen, Flügel zu tragen.
Lachen möchten die Leut' und sagen,
Wenn sie mich in diesem Aufzug erblicken:
»Da geht der Grünbaum mit Federn am Rücken!«

Kurz, wo man es anpackt, man merkt doch zum Schluß,
Im Himmel hat man nichts wie Verdruß.
Was einem aber im Magen liegt,
Ist die Beschäftigung, die man dort kriegt.
Zur Marter z. B. der Himmel wird,
Wenn man als Schutzengel funktioniert.
Wissen Sie, was das für Qualen sind,
Schutzengel spielen bei einem Kind? – –
Wenn sich herabsenkt des Abends Kühle
Und ich kaum steh'n kann und schläfrig mich fühle,
Begibt sich das Kindlein, das holde, zur Ruh',
Und ich soll ihm drücken die Augen zu;
Ins Ohr soll ich flüstern ihm Wiegenlieder,
Ich bin müd' und der Fratz legt sich nieder!
Aber früh', schon um sechs, wenn er ausgeruht ist,
Und mir von der Nachtwach' schon mehr als nicht gut ist,
Klettert der Balg über Felsen und Stein,
Und ich muß als Schutzengel hinter ihm d'rein.
Statt ihm herunterzuhauen zwei Watschen,
Hab' ich die Ehre, ihm nachzuhatschen.
No, möchten Sie sagen mir, wie man das macht: 100
Klettern bei Tag und singen bei Nacht?
Bergpartie'n tags, daß mir krachen die Glieder,
Und dann bei Nacht wieder Wiegenlieder?
Klettern und Singen und Wachesteh'n? . . .
Wann darf ich eigentlich schlafen geh'n?
Und wenn ich schon schlafen darf, schlaf' ich nicht süß,
Weil es mich friert auf die nackten Füß';
Und schlaf' ich schon ein auf dem Wolkenhügel,
Stör'n mich beim Liegen am Rücken die Flügel;
Und leg' ich sie ab samt dem Lilienstengel,
Bin ich doch wieder ein Mensch und kein Engel;
Und wenn ich ein Mensch und kein Engel bin,
Was such' ich dann wieder im Himmel drin?
Für mich wär' der Himmel die schlimmste Erfahrung,
Denn erstens sind Wolken für mich keine Nahrung,
Dann zweitens sind Flügel für mich kein Gewand,
Und drittens ist das für mich kein Stand,
Auf einen Lausbuben aufzupassen,
Welchen die Eltern herumkriechen lassen!
Drum muß ich erklären hier feierlich:
Der Himmel ist kein Kaffeehaus für mich,
Da bringen mich keine zehn Rösser hinein,
Gott soll mich schützen, ein Engel zu sein! 101

 


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