Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Fahrten ins Blaue, Weiße, Gelbe und Braune

Karl Farkas: Servus, Fritz!

Fritz Grünbaum: Servus, Karl! Wie gewöhnlich, zu spät!

Farkas: Du mußt entschuldigen, ich hatte im Kaffeehaus eine Debatte. Ich kann Pessimisten nicht leiden. Da hat einer von Teuerung gesprochen, so was bringt mich auf. Wo gibt's eine Teuerung? Stell' dir vor, wie billig das ist: ein Borsalino, ein Übergangsmantel, ein Sportanzug, zwei Hemden, zwei Paar Socken – achtzig Schilling!

Grünbaum: Wo kriegt man das?

Farkas: Nirgends! Aber stell' dir vor, wie billig!

Grünbaum: Du bist ein Idiot.

Farkas: Nein, ein Optimist. Der stellt sich das Unmögliche möglich vor und ist glücklich.

Grünbaum: Also stelle ich mir unsere neue Revue fertig vor.

Farkas: Dazu brauchst du kein Optimist zu sein, die wird heute bestimmt fertig. Also paß auf: Der Vorhang hebt sich, wir befinden uns in einer Zeitungsredaktion.

Grünbaum: Schon dagewesen: »Journalisten«!

Farkas: Aber keine gewöhnliche Redaktion! Eine besondere! Ich betone –

Grünbaum: Ich verstehe: betont ...! Aber da können 234 wir nicht mitspielen: wir sind da nicht genehm.

Farkas: Unsinn!

Grünbaum: Wieso? Sind wir plötzlich genehm? Ah, du meinst wahrscheinlich eine rumänische –

Farkas: Wie kommst du auf Rumänien?

Grünbaum: Weil man dort einen Tag genehm und den nächsten unangenehm ist. Heute machen sie dort drei Schritte zurück und morgen, wenn die Franzosen runzeln, einen Schritt vorwärts!

Farkas: Ich rede nicht von Rumänien, sondern von einer idealisierten Redaktion! Da tritt ein Mann auf –

Grünbaum: Wie alt?

Farkas: Das ist nebensächlich.

Grünbaum: Im Gegenteil, bei der Zeitung bestimmt sich der Charakter nach dem Alter.

Farkas: Was ist das schon wieder für ein Stumpfsinn?

Grünbaum: Das ist ein rassebiologisches Phänomen! In der Zeitung hat der Mensch in jedem Alter einen anderen Charakter: bei der Geburt ist er »ein kräftiger Junge«, bei der Wohnungssuche »ein solider Junggeselle«, auf der Brautschau »ein charaktervoller, akademisch gebildeter Dreißiger« und in der Verlustanzeige »ein armer Angestellter«.

Farkas: Genug Zeitungspsychologie! Wir sind also in einer Redaktion –

Grünbaum: Schon wieder! Die hab ich dir schon abgelehnt. Du wirst mich noch in Hitze bringen!

Farkas: Schlecht? Sei froh, daß dir warm wird: diese Kältewelle gegenwärtig –

Grünbaum: Ja, es ist schrecklich! Alles ist krank durch diesen Frost – 235

Farkas: Vor allem die Wirtschaft!

Grünbaum: Was hat die Wirtschaft mit der Kälte zu tun?

Farkas: Sehr viel: die Kredite frieren ein! Und vor allem leidet die Kunst.

Grünbaum: Natürlich, bei diesem Frost muß man die Theater – wattieren!

Farkas: Sehr richtig! Und die Premieren finden – eine kühle Aufnahme!

Grünbaum: Auch die Ravag zeigt Kälteerscheinungen.

Farkas: Wieso?

Grünbaum: Die Abonnenten bekommen kalte Füße und die Einnahmen sinken auf Minus.

Farkas: Und der Schnupfen grassiert auch in der Politik: England ist verschnupft über Japan, das ihm seinerseits etwas hustet.

Grünbaum: England schnupft, Japan hustet und ich – fiebere auf die Fortsetzung der Revue.

Farkas: Also paß auf: Der Vorhang hebt sich –

Grünbaum: Falsch! Erst kommt die Ouvertüre des Orchesters –

Farkas: Sprich mir nicht von Orchester, sonst muß ich an das europäische Konzert denken, und das ist sehr verstimmt.

Grünbaum: Warum?

Farkas: Wenn man fiebert, ist man immer verstimmt.

Grünbaum: Europa hat Fieber?

Farkas: Rüstungsfieber! Neun Milliarden Schilling gibt England für seine Verteidigung aus!

Grünbaum: Neun Milliarden für die Verteidigung, dafür könnt' es sich die ganze Österreichische Anwaltskammer nehmen. Warum ist es übrigens 236 angeklagt?

Farkas: Aber ich meine doch »Landesverteidigung«. Weißt du nicht, daß jetzt alle Völker rüsten? Sowohl zu Lande wie zu Wasser.

Grünbaum: Die Flottenrüstung ist ja die Sparkassa der Nationen: sie legen Kreuzer auf Kreuzer.

Farkas: Nicht zu vergessen die Luftrüstung.

Grünbaum: Von der verspricht man sich am meisten.

Farkas: Aber zu Unrecht! Früher hat's geheißen: »Doch das Gute kommt von oben«, in der Zeit der Bombenflieger kann man das nicht mehr behaupten.

Grünbaum: Genug Politik.

Farkas: Wieso? Politik ist der Zug der Zeit.

Grünbaum: Der Zug kommt uns teuer zu stehen! Da sind mir die Bundesbahnen lieber, da gibt's Ermäßigungen.

Farkas: Vorausgesetzt, daß man sich darin auskennt. Jetzt ist doch in Österreich eine neue Wissenschaft entstanden: die Bundesbahnermäßigungstarifkunde.

Grünbaum: Ja, ohne Tarifgelehrten traut man sich heutzutage auf keinen Perron. Da wollte ich neulich auf den Semmering. Bis Liesing hab' ich den Kurzstreckentarif benützt, von dort bis Wiener Neustadt bin ich mit Weekendermäßigung gefahren, von Wiener Neustadt bis Gloggnitz hab' ich ein kombiniertes Ausflüglerzertifikat gehabt, und von dort bis auf den Semmering ist mir ein Rundreisetouristenbegünstigungsschein mit Familienrabatt bewilligt worden; so kommt mich die ganze Strecke Wien–Semmering nur um vier Schilling 237 teurer als eine Gesellschaftsreise Saloniki–Wien.

Farkas: Wunderbar! Die Bundesbahnen scheinen sich an der Tarifpolitik der Wiener Theater ein Beispiel genommen zu haben. Dort gibt's erstens die Kassenpreise, bestimmt für Ortsfremde und naive Einheimische; zweitens die Hotelpreise, gewidmet den Wohlfahrtseinrichtungen der Portiers; drittens die Kunststellenpreise für die Bevölkerung und viertens die Freikarten für die Majorität.

Grünbaum: Fehlt noch eins: die Umsteigkarte! Wenn man sich bei einer Oper langweilt, steigt man auf eine Prosabühne um und kommt zuletzt bei einem Revuefinale an.

Farkas: Apropos, Revue! Der Vorhang hebt sich –

Grünbaum: Um acht Uhr? Zu spät, wir müssen zur Vorstellung in den Simpl.

Farkas: Soll ich dich in meinem Wagen mitnehmen?

Grünbaum: Danke, nein! Du bist ein zu unvorsichtiger Fahrer.

Farkas: Ich habe seit heute einen Chauffeur. Der ist sehr vorsichtig.

Grünbaum: Wieso weißt du das schon?

Farkas: Er hat den Gehalt im voraus verlangt. 238

 


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