Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Meine Genealogie

                Sagen Sie selber: ist es kein Jammer,
Zu sitzen allein so wie ich in der Kammer
Zuhaus und keinerlei Kinder zu haben?
Weder ein Mädel, noch einen Knaben!?
Sonst geht's mir ja gut, ich bin nicht ohne Geld,
Geliebt von den Frau'n, geehrt von der Welt,
Und trotzdem, ich schwör's, sitz' ich traurig zuhaus'
Und hab' die Empfindung: jetzt sterb' ich aus!
Mein Wort, es ist wirklich was Bitt'res dabei,
So auszusterben auf eins, zwei, drei
Und, wo man gewesen ist einer der Feschen,
Von heut' auf morgen glatt zu erlöschen.
Die Grünbaumische Dynastie,
Ich soll so gesund sein, vergißt mir das nie!
Gott, und außerdem ist doch die Sache so schön:
Man hat von dem Kind schon Plaisier im Entsteh'n,
Weil, eh' noch zur Welt dieses Kinderl kam,
Die Sache bereits für den Herrn und die Dam',
Die für sein Entstehen zusamm' sich gefunden,
Mit einem gewissen Vergnügen verbunden!

Und ist das Kind da, dann hat man's im Haus,
Man zieht es hübsch an, und dann zieht man es aus,
Man schickt es zur Schule in sämtliche Klassen,
Man kann es taufen und impfen lassen – 50
Das heißt, bei meinem wär' taufen nicht Brauch,
Aber impfen lassen könnt' ich es auch!
Vielleicht daß ans Baden sogar ich gewöhn' es . . .
Mit einem Wort, so ein Kind ist was Schönes!

Stell'n Sie sich vor, ich hätt' einen Sohn.
(Meine Frau war' natürlich eine geborene Kohn –
Was denn soll sie sein? Ob Kohn oder Popper,
Das ist doch egal! Die Hauptsach' ist: propper
Und schön muß sie sein, und Geld muß sie haben
Und soll mich beschenken mit einem Knaben,
Dann ist es egal, ob sie Beer hieß, ob Kohn!)
Also stell'n Sie sich vor, ich hätt' einen Sohn.
Wie schön wär' der Bub! . . . Die Leut' müßten schrei'n:
»Das Kind muß der Sohn eines Großherzogs sein!«
So fein und so nobel, die Schultern so breit,
Und die Lippen so rot, und das Aug' so gescheit,
An Geist und an Körper ganz außergewöhnlich . . .
Ich nehm' nämlich an, der Bub wär' mir ähnlich!
Denn wenn er mir ähnlich ist, ist er wie ich,
Und wenn er wie ich ist, kann er stolz sein auf sich,
Und wenn er dann stolz in sein Fäustel sich lacht,
Dann ist er wie ich – und dann ist er gemacht!

Geachtet wär' er . . .! Noch mehr als sein Vater!
Ich lass' ihn natürlich nicht geh'n zum Theater,
Ich bück' mich genug vor den Zuschauern krumm,
Mein Sohn soll pfeifen aufs Publikum!
Ich möcht' doch den Buben, er soll mir nur leben,
Zum freiwilligen Automobilkorps geben.
Da hat er doch Uniform, da ist er Held, 51
Da ist er Soldat und – braucht nicht ins Feld!

Oder: ich lass' ihn studier'n Mediziner.
Er kommt dann als Doktor in irgend ein Wiener
Besseres Sanatorium.
Schön wie er ist, kann er, eh' ein Jahr um,
Die Tochter des Hauses als Gattin umarmen.
Was meinen Sie, wie er da sitzt hübsch im Warmen?
Da können Sie ruhig sein, mir gesagt,
Was so ein Sanatorium tragt!
Mein Sohn kann sich freu'n, da ist mir nicht bang!
So gesund soll er sein – und die Leute krank!

Oder der Bub könnt' auch ohne Beschwerden
Schließlich und endlich Schriftsteller werden!
Sie brauchen nicht fragen, ob er das könnt',
Und ob er Talent hätt'? Was braucht er Talent?
Ich weiß es doch selber, wie man es macht.
Man sagt etwas jüdisch, und das Publikum lacht!
Und fällt mir schon gar nichts ein, sag' ich nur »Dalles«,
Und das Publikum lacht. Es lacht über alles!
No seh'n Sie, das ist doch ein Platz für den Sohn
Von Grünbaum und der geborenen Kohn,
Die Schriftstellerlaufbahn steht sicher ihm frei,
Den Dialekt, den bring' ich ihm bei!

Kurz, stell'n Sie sich vor, wie mein Sohn stünde da!
Eine schöne Mama, ein berühmter Papa,
Eine gediegene Position . . .
Reden wir lieber gar nicht davon!
In diesem Sohn könnt' sich alles vereinen. 52
Aber leider Gottes hab' ich doch keinen!

Mein Ehrenwort, ich wär' schon zufrieden,
Wäre mir nur eine Tochter beschieden!
Zwar möcht' dann erlöschen das Grünbaumgeschlecht,
Doch wenn sie ein Rosenbaum heiraten möcht' –
(Wer denn soll sie nehmen? Ich wüßte es kaum,
Allenfalls noch der Herr Mandelbaum –)
Dann wär' das dieselbe Mixtur und Mechanik,
Der Grünbaum vergeht, doch es bleibt die Botanik!
Und wenn ich dann sehe den lieblichen Traum,
Meine Enkel, die Kinder vom Rosenbaum,
Von allen vergöttert, von jedem gelitten
Und mir wie aus dem Gesicht geschnitten,
Dann setzt sich in denen dann fort mein Genie,
Dann seh' ich gerettet die Genealogie . . .
Dann sag' ich mir still im bewegten Gemüt:
»Der Grünbaum verwelkt, doch der Rosenbaum blüht!« 53

 


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