Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Vom Küssen

        Eins intressiert mich sehr: ich möcht' gern wissen,
Warum die Leut' versessen sind aufs Küssen!
Bei Frau'n, ich bitte, kann ich das verstehn:
Es ist der Leim, auf den die Gimpel gehn!
Denn kriegt die Frau den Mann erst bis zum Kuß,
Dann weiß sie schon, daß er dran glauben muß;
Sie reicht ihm diplomatisch ihre Lippe,
Und denkt der Mann: »Was kann da sein? Ich nippe!«
Erwischt sie ihn beim Kragen und sagt flink:
»Du hast nur nippen woll'n? O nein, da trink'!«
Zum Traualtar schleppt im Triumph sie ihn
Und – requiescat, hin ist hin!
Bei Frauen also wird die Sucht nach Küssen
Der Philosoph begreiflich finden müssen;
Denn allbekannt ist's, wie ich glaub',
Die Weiber leben ja vom Raub!
Sie rauben Boas, Straußenfedern,
Pariserschuh' aus feinsten Ledern,
Theaterkarten, Pralinés,
Parfüm, Banknoten und Soupers,
Die Frau raubt einem Mann die Ruhe,
Brillanten, Pferde, Goldlackschuhe,
Und wenn gar nichts mehr zu rauben schon,
Dann raubt sie ihm die – Illusion!
Und was verschafft ihr den Genuß? 16
Das macht sie alles durch den Kuß!
Die Männer woll'n gefangen sein,
Und durch den Kuß fängt sie sie ein!
Drum wird man jetzt begreifen müssen,
Warum sie küßt. Nicht wird sie küssen!

Was aber treibt den Mann dazu,
Der leben könnt' in schönster Ruh'!
Was untergräbt der Idiot
Sein schönes Leben – ohne Not?
Was ist denn schon an einem Kuß,
Daß man sich so drum reißen muß?
Man sagt, ein Kuß schmeckt wunderbar,
Na schön! Gesetzt den Fall, 's ist wahr,
Daß er sogar sehr gut selbst tut – –
Ein Gulyasch schmeckt doch auch ganz gut,
Und doch fiel es noch keinem ein,
So dumm und hirnverbrannt zu sein,
Und, um ein Gulyasch zu erstreben,
Die schöne Freiheit aufzugeben!
Oder: hat man einen schon gesehn,
Um zwölf Uhr nachts im Freien steh'n
Beim Regenguß im finstern Garten,
Und geduldig auf ein – Gulyasch warten?
Na also, jeder lächelt da.
Beim Küssen aber tut man's ja!!
Und doch weiß jeder Gulyaschesser:
Die Küsse schmecken auch nicht besser!

Dann muß man sagen auch ganz ehrlich:
Ein Gulyasch ist nicht so gefährlich!
Man braucht sich bloß vor Augen führ'n: 17
Was kann beim Gulyasch schon passier'n!
Bin ich schon sehr vom Pech geschlagen,
Verderb' ich mir dabei den Magen!
Na, da ist man noch nicht desparat,
Man macht drei Wochen Karlsbad,
Und kehrt man heim zum alten Fleck,
Sind alle Gulyaschfolgen weg!
Doch einer, der, vom Kuß betrogen,
Sich eine Gattin zugezogen,
Der ist mit Recht wohl desparat,
Denn, Freund, da nutzt kein Karlsbad!
Und suchst du doch dorthin zu eilen,
Um von der Gattin dich zu heilen,
Dann läßt du höchstens Geld zurück,
Sonst aber hast du dort kein Glück;
Du kommst nach Haus, vergrämt und grau
Und – inklusive deiner Frau!
Denn gegen's Gulyaschattentat
Hilft allerdings noch Karlsbad,
Doch gegen Kuß und Weiberfaxen
Ist noch kein Karlsbad gewachsen!

Nun könnt' ein ganz Gescheiter sagen:
»Muß denn ein Kuß die Folge tragen,
Daß sich ein Eheband draus flicht?
Ich nehm' mir vor, ich heirat' nicht!
Ich lass' mir antun nicht Gewalt,
Ich küsse nur mit Vorbehalt!
Ich frag' das Mädchen unbefangen:
›Wie hoch beläuft sich Ihr Verlangen?‹
Ich zahle alles unverdrossen,
Nur Heiraten ist ausgeschlossen! 18
So hab' ich weiter nie Verdruß,
Ich küss' und zahl' und dann ist Schluß!«

No, ist das ein Rhinozeros,
Das absichtlich die Augen schloß?
Es ist doch nicht die Eh' allein,
Die einen Kuß läßt schmerzhaft sein.
Man weiß doch, in den Konsequenzen
Läßt ein Malheur sich nie begrenzen,
Und so ist's auch beim Kuß genau:
Das Pech ist nicht so sehr die Frau,
Nein, der Effekt vom Kußvergnügen
Ist leider meist auch 's Kinderkriegen,
Wobei es gleicherweise schmählich,
Ob's eh'lich oder ob's nicht – eh'lich!
Ob legitim, ob ungesetzlich,
Ein Kind bleibt Kind, und ist entsetzlich!
Denn ist's nicht – eh'lich, weiß man nie,
Ob's nicht wird schaden der Partie,
Weil für die künft'ge Schwiegermutter
Ein früh'res Kind gefundnes Futter,
Indem es ihrer bösen List
Ein Grund zum Mitgiftdrücken ist!
Und kriegt man Kinder ehelich,
Ergeben noch mehr Sorgen sich!
Denn ist's ein Bub, dann geht man stumm
Den ganzen Tag in Angst herum,
Daß er vom graden Weg abirrt
Und einmal Wechsel fälschen wird!
Und ist's ein Mädel, sagt man sich,
Die Möglichkeit ist fürchterlich,
Daß in bezug auf einen Mann 19
Das Kind sich nicht beherrschen kann!
Dann blüht auf einmal mir der Name
Des Vaters einer – Lebedame!
Die Möglichkeit ist sicher kläglich
Und ist bei jeder Tochter möglich!
Ja, schlägt sie nach dem Vater ein,
Dann ist es eher ja wie nein!

Da hast du also die Bilanz:
Die Gattin macht dir einen Tanz,
Die Tochter schlecht, der Sohn mißraten,
Und immer nur in Sorgen waten,
Wobei man sich noch sagen muß:
Das alles kommt von einem Kuß!
Drum bitte ich dich, sage mir,
Steht wirklich dieser Kuß dafür?
Das redest du mir doch nicht ein,
So gut kann gar kein Bussel sein!
Und glaubst du, solche harte Nüsse
Sind etwa nur die Liebesküsse?
Ich sag' dir, Küsse jeder Art
Sind gut, wenn man sie sich erspart!

Zum Beispiel gleich der Tochter Kuß,
Den auf die Stirn man drücken muß.
Mit diesem Kusse lass' mich aus,
Dein Kind macht sich ja doch nichts draus!
Denn von dem Bussel auf die Stirn
Kann so ein Mädel nicht viel spür'n!
Und einer, quer den Mund herüber,
Ist ihr von jüngern Leuten lieber!
Dann gibt's auch noch den Bruderkuß, 20
Den ich als blöd bezeichnen muß.
Was brauchst du deinen Bruder küssen?
Daß du ihn gern hast, muß er wissen!
Die Schwägerin jedoch küss' nie!
Ganz überflüssig wär' die Müh'!
Denn sollte Küsse sie vermissen,
Dann soll sie doch dein Bruder küssen,
Der ist ihr Mann, du aber nicht,
Und deshalb ist es seine Pflicht!

Was red' ich denn noch überhaupt,
Wenn du mir's nicht schon längst geglaubt:
Es lebt kein Mensch auf dieser Welt,
Der deinen Kuß für nötig hält!
Ist er gesunden Angesichts,
Sagt er doch selbst: »Es fehlt mir nichts!«
Und fehlt ihm nichts in diesem Leben,
Was brauchst du ihm noch Küsse geben?
Und ist er wieder krank ein bißchen,
Dann braucht er doch erst recht kein Küßchen,
Denn wenn die Glieder Schmerzen machen,
Hat man den Kopf auf andere Sachen!

Du wirst jetzt einseh'n, jeder Kuß
Ist schädlich – oder Überfluß.
Drum küsse nie zum Zeitvertreib,
Besonders aber küss' kein Weib!
Und wenn du schon vor Sehnsucht brüllst,
Küss' deine Pölster, wenn du willst.
Das ist bequem und viel gesünder
Und – Pölster kriegen keine Kinder!
Doch da bei einem Weibe man 21
Ein gleiches schwer behaupten kann,
So küsse nie ein Weib zum Schein,
Denn es könnt' doch – geladen sein. 22

 


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