Fritz Grünbaum
Die Hölle im Himmel und andere Kleinkunst
Fritz Grünbaum

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Mein Sohn

              Ich möcht' Ihnen was sagen unter Diskretion:
Ich hasse meinen eigenen, leiblichen Sohn!
Ich bin mir darüber vollkommen klar,
Daß dieses Gefühl jeder Menschlichkeit bar,
Ich habe mir selber in schlafloser Nacht
Die bittersten Vorwürfe längst schon gemacht,
Und renn' wie verzweifelt bei Tag durch die Stuben,
Aber ich kann mir nicht helfen: ich hasse den Buben!
Dabei aber weiß ich, daß andere Leute
Gott würden danken, wenn sie nur heute,
Selbst unter bitteren Sorgen und Bürden
So einen reizenden Sohn haben würden!
Der Bub ist nämlich nach meiner Meinung
Glatt eine klassische, edle Erscheinung:
Blitzende Augen, lockige Haare,
Zähne, schneeweiße, wunderbare,
Kurz, seine Schönheit ist außergewöhnlich – –
Was soll ich Ihnen sagen? Er sieht mir ähnlich!
Und sehn Sie, trotz allem, so schlecht es auch schien,
Ich kann mir nicht helfen, ich hasse ihn!
Der Haß hat eigentlich schon seinen Anfang genommen,
Eh' noch der Bub zur Welt ist gekommen. 54
Da war ich nämlich noch Gymnasiast
Und hab' in der Schule nicht aufgepaßt,
So daß, als das Semester sein Ende nahm,
Ich ein hundeelendes Zeugnis bekam!
Na, ich nahm's also nolens und volens nach Haus,
Und da brach bei meinem Vater die Tobsucht aus!
Er schrie: »Dieses Zeugnis ist unerhört,
Aber was mich dabei noch am meisten empört,
Das ist deine elende Schamlosigkeit;
Alles, was recht ist, aber das geht zu weit!
Ich begreife nicht, wenn du dich derartig führst,
Daß du dich nicht vor deinem Sohne genierst,
Wie soll sich der einmal ein Beispiel an dir nehmen?
Du hättest dich vor deinem Sohn müssen schämen!«

Also ich glaube, ich war wie vom Donner gerührt.
Ich dachte zuerst, ich hätt' mich geirrt,
Denn abgeseh'n davon, daß ich vorderhand
Noch gar nicht im Besitz eines Sohnes stand,
Befand ich mich außerdem zu jener Zeit
Im Stadium rosiger Unklarheit,
Indem ich mir nämlich noch nicht einmal klar,
Über die Mittel und Wege war,
Welche auf Grund von langem Probieren
Zu der Geburt eines Sohnes führen!
Man denke sich meine Verblüffung demnach,
Als jetzt mein Papa von meinem Sohne sprach!
Ich konnte mich also vor Zorn gar nicht fassen,
Und damals begann ich den Burschen zu hassen!
Man merke demnach in bezug auf meinen Sohn:
Er war noch nicht da, und ich haßte ihn schon!
Lachen Sie nicht, sonst werde ich bitter. 55
Die Sache ist grad wie bei einem Gewitter:
Bevor noch der Guß die Erde befeuchtet,
Weiß man, er kommt – es wetterleuchtet!
Die Luft ist mit Spannung zum Bersten erhitzt,
Und – genau so hat damals mein Sohn geblitzt!

Ich überspringe jetzt einige Jährchen,
In denen die Liebe mir immer noch Märchen,
In denen ich bloß mich mit Büchern befaßte
Und selbstverständlich die Damen haßte
Und niemals in weiblichen Umgang mich mischte,
Bis eines Tags mich mein Vater erwischte!
(Und zwar bei einer Gelegenheit,
Welche schon immer seit uralter Zeit
Allgemein als geeignet erschienen,
Um als Ursache eines Sohnes zu dienen!)
Also die Sache nahm einen bösen Verlauf.
Die Dame sprang auf, und ich sprang auf.
Der Vater schrie, das wäre Gemeinheit,
Jetzt könnten wir beide uns suchen die Reinheit,
Wir würden sie aber aus mancherlei Gründen
Und nach menschlicher Voraussicht kaum je wieder finden,
Denn ein unwiederbringliches Gut sei die Reinheit,
Und dann überhaupt, so eine Gemeinheit – – –
Und an dieser Stelle des Wortgefechts
Versetzte er mir eins links und eins rechts.
Und wie so der Schlag mir im Angesicht sitzt,
Da hat zum zweiten Male – mein Sohn geblitzt,
Denn der Vater schrie: wir könnten uns schämen!
Wenn wir jetzt einen Sohn bekämen! 56

Jetzt wurde mir aber zu dumm diese Sache,
Und ich schwor meinem Sohne bittere Rache!
Nachdem man sich aber an einem Mann,
Der gar nicht da ist, nicht rächen kann,
Beschloß ich, um Rache für mich zu erzwingen,
Ad hoc einen Sohn hervorzubringen.
Ich kaufte mir also einen Rosenstrauß
Und ging hierauf auf Verlobung aus!

Es wohnte zu jener Zeit mir vis-à-vis
Ein General der Kavallerie,
Also ein ehrenwert-vornehmer Mann,
Bei diesem nun klopft' ich entschlossen an.
Ich war wohl ein bissel befangen, indes
Ich ging sofort in medias res,
Und bat ihn, sein Kind mir zur Gattin zu geben,
Indem ich sie liebte, wie mein eigenes Leben.
Der General hat zuerst so seltsam gelacht,
Dann aber kurzen Prozeß gemacht,
Indem er mir sagte, er müßt' mir bedeuten,
Die Sache stieße auf Schwierigkeiten,
Die, gar nicht zu reden von meiner Statur,
Außerdem konfessioneller Natur!
Ein Stabsoffizier könne schwerlich fürs Leben
Seine Tochter einem Manne, der Grünbaum heißt, geben!
Ich wandte hierauf bescheiden ein,
Wenn dieses der Grund seiner Weigerung allein,
Dann ließ' sich das ändern sehr leicht und vergnüglich,
Indem ich bereit wäre, unverzüglich
Um Namensänderung einzukommen. 57
Dann aber blieb' es mir unbenommen,
Mich Eduard Sterneck, Kurt von der Pleißen
Oder Romuald Ottokar Felseck zu heißen.
Da hat der Herr General guter Dinge
Gesagt, allerdings, er denke, es ginge,
Und daß eventuell der Vorname Kurt
Maskieren könne meine Geburt,
Kurz, daß seine Tochter zur Verfügung mir bliebe,
Wofern ich sie wirklich so inniglich liebe!
Da schrie ich vor Freude, erregt wie noch nie:
»Was heißt ich liebe? Ich vergöttere sie!
Sie seh'n doch, wie sehr ich vor Wonne vibriere,
Ich liebe die Süße, die Holde, die Ihre!«
Da warf mich der Alte hinunter die Stiegen
(Ich sage Ihnen: So was von Fliegen!)
Und schrie: »Jetzt machen Sie aber geschwind,
Sie wagen zu sagen, Sie lieben mein Kind?
Meine Tochter, die Süße, die Holde, die Meine? . . .
Sie elender Lausbub, ich hab' ja gar keine!«
So stürzt' ich hinunter, so saust' ich vom Thron . . .
Und wer war dran schuld? Mein feiner Herr Sohn!
Da hab' ich mir schnaubend die Aufgabe gestellt:
Kost's was es kost'! Jetzt muß er auf die Welt!

Aber ich sagte mir zuerst mit schlauem Gesicht,
Beim zweiten Schwiegerpapa passiert mir das nicht!
Bevor ich noch geh' zu dem Manne hinein,
Muß alles bereits in Ordnung sein:
Feststeh'n soll es, um mich sicher zu schützen,
Der Mann muß eine Tochter besitzen
Und – ob nun aus Bayern, Tirol oder Preußen,
Mindestens Salomon Silberstein heißen, 58
Damit dann beim Kreuzen unserer Wege
Meine Herkunft keinen Anstoß errege.
Und richtig, ich fand auch nicht allzuspät
Einen Mann von gewünschter Qualität,
Inhaber von einem Töchterlein,
Er hieß allerdings nicht Silberstein,
Dafür aber nannte er sich Rosenblatt,
Was ja die gleiche Bedeutung hat.
Ich trug ihm also mein Anliegen vor,
Und Rosenblatt lieh mir ein williges Ohr.
Er sagte: »Nun also, Herr Grünbaum, Sie Kind, Sie,
Erst muß ich doch wissen genauer, wer sind Sie?
Was ist Ihr Geschäft? Wie sind Sie gestellt?
Auf welche Art verdienen Sie Geld?«
Ich meinte, ich wäre beim Cabaret.
Drauf sagte Herr Rosenblatt nur: »Oi weh!
Machen Sie keine langen Geschichten,
Reden Sie deutsch: Sie leben vom Dichten!
Haben Sie sich kein anderes Geschäft gewußt,
Ausgerechnet dichten haben Sie gemußt!?«
Ich gab ihm zur Antwort, er müsse gesteh'n,
Das Dichten sei immerhin auch ganz schön,
Schon mancher hätte sich über Nacht
Durch diese Kunst einen Namen gemacht.
Er möge seinen Blick auf die Klassiker lenken
Und beispielsweise an Schiller denken.
Da sah mich Herr Rosenblatt mitleidig an:
»Und wenn Sie der Schiller schon sein werd'n, was dann?
Den Adel hat er gehabt und zwei Dutzend Orden,
Aber Millionär ist er doch nicht geworden!
Mein lieber Herr Grünbaum, mit Ihren Gedichten 59
Werden Sie bei mir keine Wunder verrichten.
Aber ich glaube, daß man mit Ihrem Talent
In der Textilbranche was ausrichten könnt!
Wollen Sie wirklich mein Schwiegersohn sein,
Dann folgen Sie mir, und schlagen Sie ein;
Machen Sie zu Ihr Dichterheft
Und treten Sie ein in mein Geschäft!«
Da hab' ich ein trauriges Gesicht gemacht,
Aber dann, dann hab' ich an meinen Sohn gedacht,
An den Sohn, an dem ich mich rächen wolle,
Und der zu diesem Behuf auf die Welt kommen solle,
Und da hab' ich dem Alten die Hand hingestreckt
Und gesagt: »Ich bitte, das Geschäft ist perfekt.
Wann ist die Hochzeit, das will ich erfahr'n!«
Da sagte der Alte: »In siebzehn Jahr'n.
Ich hoffe, das ist Ihnen nicht zu bald,
Meine Tochter ist nämlich – zwei Jahre alt!«
Da sah man einen Dichter die Hände erheben
Und Herrn Rosenblatt eine Ohrfeige geben,
Worauf ich beschimpft und beleidigt entfloh'n –
Und wer war dran schuld? Mein feiner Herr Sohn!

Da hab' ich in schäumender Wut mir gesagt:
»Jetzt hab' ich mich aber genug geplagt!
War's mir unmöglich, mich rasch zu verloben,
Dann werd' ich die Sache anders erproben.
Was kann da schließlich dran schmählich sein?
Wird höchstens mein Sohn nicht ehlich sein!«
Gesagt, getan! Es läßt sich leicht denken,
Daß, um auf mein Bitten, die Gunst mir zu schenken,
Bei meinen beträchtlichen äußeren Reizen
Junge Damen sich nicht lange spreizen, 60
Weshalb ich denn auch eine Dame fand,
Die sich zu meinem Projekte verstand,
Die Lösung des schweren Problems zu probieren
Und in meinem Interesse einen Sohn zu konstruieren.
Ich betonte sofort, daß ich dankbar ihr wär',
Sie sagte aber: »O, bitte sehr,
Kommen Sie nur mit mir nach Haus,
Ich mache mir ein Vergnügen daraus!«
Da bin ich vor Freude beinahe gesprungen
Und nach einem Jahr war das Werk gelungen.
Ich hab' eines Tags im Kaffeehaus vernommen,
Der Sprößling sei endlich angekommen!
Ich zahlte und stürzt', was ich konnte, nach Haus,
Dort aber war's mit dem Jubel aus.
Denn mein Sohn, der ersehnte, ich kann es kaum sagen,
Der hat wohl geblitzt, doch nicht eingeschlagen,
Denn als meine Freundin des Kindes genesen,
Da ist dieser Sohn – eine Tochter gewesen!

Da hab' ich den Kampf um des Sohnes Leben
Wortlos und endgültig aufgegeben.
Wortlos verließ ich den verlorenen Posten,
Wortlos bezahlt' ich die üblichen Kosten,
Der Mutter des Kindes die entsprechende Rente,
Der Tochter usancegemäß die Alimente,
Dem Doktor, der Amme et cet'ra den Lohn,
Und wer war dran schuld? Mein feiner Herr Sohn!

Aber den Gedanken an Rache und ähnliche Fakta
Legte ich definitiv jetzt ad acta
Und habe beschlossen, von nun ab beim Hassen 61
Einzig allein es bewenden zu lassen,
Indem ich mir sagte: So eine Rache
Ist eine so teure wie schwierige Sache,
An Geld und Erfolgen schließlich gebricht's,
Der Haß aber, sehn Sie, der kostet nichts.
Wer wollte sich drum meiner Logik entzieh'n:
»Ich hab' keinen Sohn, aber ich hasse ihn!«

Indem ich nunmehr mit dem Sohneshasse,
Verehrtes Publikum, jetzt Sie entlasse,
Ersuche ich Sie um Nachsicht und Schonung
Und lege Wert auf die folgende Betonung:
Ich hoff', daß es jedem von Ihnen doch klar ist,
Daß alles, was ich erzählt hab', nicht wahr ist.
Und daß ich den Haß wie den Sohn in 'n paar Stunden
Zu Vortragszwecken habe erfunden.
Denn, wenn auch das Thema des Vortrags verblödet,
Das wichtigste ist ja doch, daß man was redet,
Ich habe nicht einen Moment dran gedacht,
Einen Sohn zu bekommen und zu hassen mit Macht.
Ich schwöre es Ihnen, ich bin nicht so dumm,
Aber was tut man nicht alles fürs Publikum! 62

 


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