Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einunddreißigstes Kapitel.

Wie endlich ein anderer das Doktern übernimmt.

Ich muß bekennen, das machte mich böse und noch böser ward ich, als ich vernahm, daß der Statthalter seinen Bueben in eine der apartigen Schulen thun wolle, die für reiche Baurensöhnchen in unserer Nähe errichtet worden, weil er bei mir nicht fortkomme. Ich mache viel zu lang am gleichen; sein Bueb hätte den gleichen Zettel dreimal hintereinander abschreiben müssen. U selligs syg doch nadisch nie dr Bruch gsi. Ich bekam einen rechten Kyb gegen den Pfarrer, der, wie ich wähnte, mich in dieses alles hinein gewerchet hätte; und ich fieng auch an, denen beizustimmen, wenigstens innerlich, welche sagten: die D. Pfaffen seien alle falsch am Volk; man sollte sie alle fortjage oder um ds Halbe mit-ne akkordiere; sie machten es auch dafür und wären noch froh. Man könnte es eigentlich auch machen ohne sie, wenn man einen guten Schulmeister hätte; die hätte man alle Tage, den Pfarrer nur an einem Sunde.

So wurde rings um mich geredet und immer lauter, und besonders in Zeitungen stund ähnliches. Denn es war die Zeit gekommen, welche der Pfarrer angedeutet hatte: die alten Herren dankten ab und es gab eine neue Regierig.

Ehe sich Tausende nur versahen, war die Herrscherfamilie verschwunden, alle Stühle leer, die sie im Besitz gehabt; es waren alle gleich in der Republik Bern und alle gleich berechtigt zu den leeren Stühlen. Tausendschwernot! was war da jetzt mit dem Gring zu verdienen, wer einen Gring dazu hatte! Tausende ergriff die Reue, daß sie nicht besser für ihre Gringe gesorgt. Und mancher holte das Tintenfaß vom Unterzug herunter, stäubte es aus, weichte mit Wasser die Kruste auf und versuchte mit Bangen im Hinterstübli: ob er denn wohl noch seinen Namen schreiben könne? Aber noch viel mehr Tausende ergriff ein größer Bangen, das Bangen: woher in dem Lande, wo wenige ans Regieren nur gedacht, die Menge Leute nun nehmen, die regieren könnten, ausgerüstet nur mit den unentbehrlichsten Bildungsstücken? Von all diesen Tausenden erhob sich nun ein tausendfältiges, durch tausendfältiges Echo noch vertausendfältigtes Geschrei gen Himmel über die geistige Not des Landes, wo die einzelnen Kapacitäten dürftig herumschwammen schwammen wie Brot in einer Bettlersuppe. In dieses Geschrei mischten sich die Klänge des Zornes mehr und mehr über die, welche Schuld sein sollten an dieser Bildungslosigkeit; siebenmal sieben Sünden wurden auf ihre Schultern gewälzt, die Schultern der Aristokraten und Pfaffen. Hinter dem Umhang hervor schauten lachend die abgetretenen Herrscher in diese Not hinein; sie hatten sie erwartet und erwarteten auch ein baldiges komisches Ende des so ernsthaft begonnenen Spiels. Aber sie täuschten sich. Unter den Schreienden waren viele nicht auf den Kopf gefallen. Sie schrieen nur so mit; sie dachten bei sich selbst: so gut wie die regiert haben, können wir's doch wohl auch. Was sie gelernt hatten, haben wir auch gelernt so ungefähr, weltsch ausgenommen. Mancher erinnerte sich, daß er schlauer gewesen als der Landvogt, und dieser habe den Kürzern ziehen müssen gegen ihn. Wenn's doch so sein müsse, so wolle er in dieser Vaterlandsnot zu regieren probieren, bis Geschicktere da seien – so sagte er.

Und sie probierten zu regieren, und zum Schrecken der Alten ging's; denn die Neuen hatten auch eine Portion gesunden Verstand; und daran hatte man bei der Abdankung nicht gedacht, nicht gedacht, daß man das Volk nicht verwöhnt hatte zu großen Ansprüchen, im Gegenteil zufrieden zu sein mit dem gesunden Verstand und nicht einmal zu fragen, wer ihn eigentlich hätte, ob der Vogt oder der Schreiber. Aber man schrie demungeachtet, wie an einer Feuersbrunst nach Löschmitteln, Spritzen, Eimern und Leuten, nach Bildungsmitteln, nach Schulen aller Art, nach Lehrern von allen Sorten. Gute Schulen, gute Schulmeister seien die Hauptsache! hallte an allen Bergen wieder, und das Echo brachte die süßen Klänge uns zu Ohren: Schulen und Schulmeister seien die Hauptsache. Und wie ein Fieber schien der Bildungseifer das ganze Land ergriffen zu haben; alles schien zu zittern und zu beben nach der Zeit, wo die Kinder, wenn sie aus dem Mutterleibe kämen, der Hebamme entgegenschrieen: einmal eins ist eins, zweimal zwei ist vier; wo die Geißbuben und Mistaufleser darüber sich prügelten, ob es zwei oder drei Urzustandswörter gebe? ob Gott ein Urzustandswort sei oder ein Geist? ob ein Dingwort ein Hauptwort sei oder gar nichts? wo jeder Hans Michel im Oberland und im Unterland Doktor wäre irgend einer Wissenschaft, und aus seinen Küherhosen flugs schlüpfen könnte in Professorhosen, wenn er nämlich wollte. Man war überzeugt, jedes Glied und jedes Gliedlein des souveränen Volkes hätte einen eigentlichen Bildungsteufel im Leibe, und nur die verdammten Pfaffen mit ihren Weihwedeln und Bannsprüchen hinderten ihn auszuschlüpfen wie ein Küchlein aus dem Ei. Und wenn man die verdammten Pfaffen wegbrächte mit ihren Weihwedeln und Bannsprüchen von den mit diesen Teufelchen Schwängern, so würde an einem schönen Morgen ein Kreisen das ganze Land ergreifen und am Abend hätten wir das Land rigeldick Leute, gegen die der Aristoteles nur ein Esel und Sokrates noch ein ärgerer Esel wäre. Mit allen möglichen Mitteln suchte man die Pfaffen zu verscheuchen, damit sie die Kreisenden ruhig gebaren ließen. Während man so scheuchte und schimpfte, wählte man, um die Geburt zu beaufsichtigen, damit nicht etwa falsche Kinder untergeschoben würden, Behörden. Obenan ein Erziehungs-Departement. Ein Kirchen-Departement fand man nicht nötig, vielleicht weil man meinte, die rechte Erziehung löse die Kirche auf, mache sie überflüssig; aber dann nicht den Staat auch? Über das Departement hinüber wählte man die große Land-Schulkommission, damit ja die Bildung nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Lande zur Welt käme, und zwischen beide hinein, zwischen Thüre und Angel, die kleine Land-Schulkommission. Und damit wir Schulmeister echt republikanische Geburtshelfer würden, wurden Anstalten dekretiert für alte und junge, und ein Wagen mit verrosteten Flinten aus dem Zeughause dahin abgesandt, um uns recht wehrhaft zu machen. Als alles dieses geschehen war, was begann man? Man fing an zu zanken und zwar auf gräuliche Weise.

Das Erziehungs-Departement, oder wenigstens ein bedeutender Teil desselben, war von Anbeginn empfindlich über die große Schulkommission, die ihm in gewisser Beziehung an die Seite gesetzt war; betrachtete sie als einen Schleiftrog, zuckte mitleidig die Achsel über sie, und gedachte, sie etwa alle Jahre zur Parade einmal aufmarschieren zu lassen. Das Departement war überzeugt, soviel Intelligenz und Kenntnis der Sache in seinem Schoße zu vereinigen, daß anderweitige Beratungen nichts als Störungen und Verwirrungen in sein tiefdurchdachtes, allseitig eingreifendes, aus theoretischen Betrachtungen und praktischen Anschauungen hervorgegangenes System bringen müßten. Zur Sprache öffentlich kam dieses nicht; es wurde nur gemerkt und angeschauet. Da spaltete sich das Erziehungs-Departement selbst und diese Spaltung kam vor die Welt. Diese Spaltung schien von Wahlen auszugehen, wie noch manche andere Spaltung in der neuen Republik; allein sie hatte ihren tieferen Grund. Es scheint sich auch in einzelnen Mitgliedern die Meinung festgesetzt zu haben, ihrer Meinung geschehe Eintrag, auch wenn sie im Departement selbst besprochen würde, indem sie so in sich abgeründet sei, daß ein einziger Feilenstrich das Ganze verderbe. Dieser Meinung scheint vor allem Herr Fellenberg gewesen zu sein, der den übrigen Mitgliedern des Erziehungs-Departementes schroff entgegentrat. Er war der älteste, hatte den berühmtesten Namen und schon seit Jahren auf Hofwyl allen Widerspruch abgestellt. Es war ein sehr großes Unglück für ihn, daß er dem Streit die Wendung gab: als ob das Heil der Republik Bern daran liege, ob die pädagogischen Anstalten derselben zu Hofwyl und unter seiner Leitung stattfänden oder nicht? Denn dadurch wird er sich nie des Vorwurfs, selbstsüchtige oder ehrgeizige Zwecke gehabt zu haben, erwehren können, wie ungerecht sie auch sein mögen. Es kam noch ein zweites hinzu, welches ihm mehrere Klassen von Menschen abwendig machte und so ihm den Sieg entriß.

Er führte nämlich den Streit ganz auf seine Weise. Herr Fellenberg ist ein Patrizier von Bern, aber dadurch vor Tausenden ehrwürdig, daß er nicht auf dem alten hergebrachten Wege von Pöstlein zu Pöstlein zu Ehre und Vermögen kommen wollte, sondern anders. Herr Fellenberg bemerkte das Wehen einer neuen Zeit und ließ auf den Wellen derselben sich schaukeln: aber das kann ein Berner Patrizier nicht lange, er faßt mit seinen zehn Fingern gerne etwas Bestimmtes, Positives. Daß sie Idealisten seien, kann ihnen niemand nachreden.

Herr Fellenberg ergriff die Landwirtschaft und, die Richtung des Zeitalters nach einer rationelleren Erziehung erfassend, auch die Pädagogik in weiterm Sinn. Bei diesem Ergreifen von zweien Dingen verband er eine merkwürdige Kombinationsgabe. Er verflocht die beiden Dinge so ineinander, daß noch heute der Streit darüber waltet: ob die Landwirtschaft oder das Erziehungswesen sein Hauptzweck sei? der Streit: ob er das Heil der Menschheit oder sein eigenes, d. h. Vermögen und Namen, suche.

Jede Partei hat ihre Daten für sich. Die, welche in ihm einen der Retter der Menschheit sehen, wollen ihn neben Pestalozzi setzen, berufen sich auf seine Wehrli-Schule, seine vielfach erlittenen Verfolgungen, seine grandiosen Einrichtungen und endlich auf seine eigenen Worte, schriftliche und mündliche, namentlich auf die Zeugnisse in vielen öffentlichen Blättern und Zeitungen, auf die Zeugnisse berühmter oder besternter Männer, die ein oder zwei Tage in Hofwyl gewesen und nun in ein oder zwei Bänden Lob posauneten. Die andere Partie erkennt die landwirtschaftlichen Bemühungen des Herrn Fellenbergs vollkommen an, gibt ihm auch das Zeugnis, daß er einen ausgezeichneten organisierenden Sinn besitze, spricht ihm aber nicht nur jede Fertigkeit im Erziehen, sondern auch jeden Sinn für das Erziehen ab und behauptet: alle diese Anstalten hätten nicht pädagogische, sondern ökonomische oder ehrgeizige Zwecke. Auch sie führt ihre Belege ins Feld.

Er selbst könne nicht erziehen, denn dazu gehe ihm das nötige Element, die Liebe ab, sagen sie und führen eine Menge Beispiele aus seinen näheren Umgebungen an, die ich nicht wiederholen mag. Er habe auch keinen Sinn für das Erziehen, sonst würde er nicht die Knaben aus der Wehrli-Schule verdammen, mit Eseln zu fahren jahrelang; denn solch ein Esel habe auf den führenden Knaben einen erzieherischen Einfluß, der keinem, der nur so von weitem Erzieher wäre, entgehen könnte. Die Wehrli-Schule könne eben so gut Spekulation sein, ein kluges Aufgreifen der Zeit, als eine Wohlthat für die Menschheit.

Das erstere wollen sie beweisen durch die Behauptung, daß die Knaben nicht um ihrer selbst, sondern um Hofwyls willen da seien; sonst würden sie nicht meist nach dem Essen ihre Unterrichtsstunden erhalten, drei des Tages, und landwirtschaftliche Mißrechnungen würden nicht auf Kosten der Wehrli-Knaben ausgeglichen. Am allerwenigsten sei er Lehrer; das hätte man an seiner Verfassungslehre sehen können. Sie sagen, der beständige Skandal, in welchem Herr Fellenberg mit den Lehrern lebe, und die Art, wie er sie geistig und geldlich auszubeuten wisse, stemple ihn zu einem Ökonomen der dickern Art und nicht zu einem geistigen Bildner der Menschheit. Sie führen die Änderungen seines Systems, ja gar die Änderungen seines Namens an, je nach dem politischen Winde, um zu beweisen, daß er keiner sei, der auf der ewigen Basis des Rechts und der Wahrheit fuße, sondern ein kluger Handelsmann, der den Schild ändere je nach der Laune der Regierenden, ein vorsichtiger Schiffer, der die Segel wechsle je nach den wechselnden Winden.

Aus allem dem, was geschrieben worden, wollen sie gar nichts gehen lassen. Nur für 6 Kreuzer könne man schon viel schreiben lassen bei einem Schulmeister, für 15 Batzen noch mehr bei einem Schreiber, und wenn man einen fleischfressenden und biertlinkenden Bruder sechs Wochen füttere und ihm dann gar noch einige Groschen in die Tasche gebe, auch nach diesen sechs Wochen noch Fleisch zu essen und Bier zu trinken, so schreibe der einem die ganze Welt voll, was man wolle, weißes oder schwarzes, am liebsten etwas giftiges.

Am meisten ärgert sie die Zusammenstellung Fellenbergs mit Pestalozzi, von denen sie behaupten, daß sie einander glichen wie Liebe und Eigennutz, wie Geist und Starrsinn, wie Vergebung und Rache, wie Gefühl und Gefühllosigkeit. Dann erzählen sie, wie Pestalozzi und sein Name hatte gemißbraucht werden sollen, noch ärger als die neue Republik Bern, und was Fellenberg gegen ihn gethan, ja geschrieben hätte so Arges, daß sein Verleger es nicht mehr hätte drucken wollen nach dem zweiten Bogen. Das sei aber ein wahres Glück für Fellenberg gewesen; er wäre vor der Welt schon lange gerichtet.

Mit diesen Gründen ungefähr wurde der Streit unter den Gelehrten geführt bis auf den heutigen Tag und ist noch nicht entschieden. Ein einfältig Bäuerlein gab folgendes Urteil ab, das aber den Streit nicht entscheiden wird.

Ein schlichter Bauersmann in elbem, halbleinenem Rock, Namens Sepp, ging auch einmal nach Hofwyl; er wollte mit eigenen Augen anschauen, worüber so viel gestritten wurde. In Hofwyl beachtete man seine klugen Augen nicht; man sah nur, daß er zu Fuß kam, kein Engländer sei, kein Magnat irgend einer Art; darum beachtete man den ganzen Mann nicht. Der stieg nun unbeachtet umher, that Fragen hie und da, nahm Prisen aus seiner hörnernen Schnupfdrucke. Man antwortete ihm bald unbefangen, bald spöttisch, aber man antwortete doch, versteckte nichts vor ihm, und des Mannes kluger Blick sah in alle Winkel, wußte, was er fragte, und faßte gut die Antworten. Als endlich der Tag sich neigte, da ging er heimwärts in seinen mit Fett gesalbten Schuhen und seiner hörnernen Schnupfdrucke. Auf dem nächsten Hügel stund er stille und sah noch einmal nieder auf das prächtige Hofwyl mit seinen von außen großartigen Gebäuden und noch großartigern Feldern. Nach langem Sinnen brachen ihm unwillkürlich die Worte hervor: »Ja, Fellenberg, du bist ein gewaltiger Mann! Du hast einen großen Kampf gekämpfet; du hast wilden Boden entsumpft, geläutert, in herrliches Land verwandelt, hast mächtige Gebäude errichtet und wohlfeil, hast Lehrsäle und Werkstätten, Ställe und Keller, wie man sie nirgends sieht; hast Hornvieh und Schmalvieh, hast Esel und Pferde, wie sie wohl niemand hat; und das alles hast du geschaffen; wahrlich, du bist ein gewaltiger Mann! Aber, Fellenberg, wo hast du die Menschen, die du geschaffen? »Einige dreißig Jahre, sagst du, hättest du erzogen: wo sind sie, deine Erzogenen, deine geistigen und leiblichen Söhne? Wo ist der Kranz von Männern, den du dir selbst geflochten; der dich umsteht und mit feuriger Kraft die Weisheit des Vaters in Thaten verwandelt; in denen dein Geist, dein Wille lebt, so daß in dir das Bewußtsein erglüht, unsterblich zu sein in diesen Männern, fortzuleben in ihnen, wenn längst dein morscher werdender Leib verwesen ist? Wo sind sie, die Scharen von Jünglingen, die in glühender Begeisterung an dir hangen, dich als ihren Vater verehren und deines Winkes gewärtig, ihr Leben dir zu weihen; welche, wenn die Männer fallen, an ihre Stellen stehen und den Namen des Vaters Fellenberg hoch halten, als ihr Panier, daß man ihn steht in allen vier Weltteilen, gleich dem Namen des unvergeßlichen Pestalozzi? Wo hast du sie, diese Männer, diese Jünglinge, wo hast du sie, Fellenberg? Du hast sie nicht! Ich habe heute nach ihnen geforscht, ich habe sie nicht gefunden. Fremde oder kalte Leute umstehen dich; einsam ist es um dich; du hast dir niemand erzogen, der deinen Namen erhält. Das weißt du, darum soll es die Republik thun, meinst du. Die Gebäude kann die Republik erhalten, das Land zusammenhalten; aber deinen Namen, Fellenberg, als Bildner und Erzieher, kann sie nicht erhalten. Anstalten erhalten keinen Namen; nur der Geist, der vom Träger des Namens belebend, begeisternd ausgegangen, ist's, der Namen und Anstalten erhält. »Fellenberg, du armer Mann! Gewaltig bist du wohl, aber einsam bist du, bist kein alter Eichenstamm, an dem junge Gewächse sich aufgeschlungen, ihn ewig grün erhalten. An dir hat niemand sich emporgerankt – weißt du warum? Du ringst kühn den Todeskampf; aber du wirst erliegen; denn du armer Mann. – du bist einsam.«

So sprach das halbleinene Bäuerlein und wendete seine gesalbten Schuhe seinen zwei Großkindern zu, die ihns grün erhielten.

Wer diesen Streit einzig hatte entscheiden können, war Herr Fellenberg. Hätte er alle reden lassen und in stiller Größe gehandelt mit seinen großen Mitteln, gehandelt mit großartigem, großmütigem Sinn, unbekümmert um alles Gekläff, dann hätten seine Werke geredet, die Kläffer wären verstummt und der Vater seines Hofwyls hätte vielleicht der Vater seines Vaterlandes werden können. Aber das geschah nicht. Er war mitten im Streite, und mit einer Leidenschaftlichkeit, von der man glauben sollte, sie könnte nicht wohnen in reinem Bewußtsein, nicht bei einem wahrhaft großen Mann. In diesem Streit war er durchaus nicht Schweizer, war gar nicht der würdige Bildner des Menschengeschlechtes, der sich dessen Entsumpfung, dessen Versittlichung zum Vorwurf gemacht. Man glaubte eine fulminante Schauspielerin zu hören, der eine andere ins Licht stehen wollte, oder den Vorsteher einer Menagerie, dem vorgeworfen worden, er hätte nicht das rechte Fütterungssystem, oder er wisse seine wilden Bestien nicht zu behandeln. Es ist wahr, Herr Fellenberg hatte mit unendlich großen Schwierigkeiten zu kämpfen, und nur seine ausgezeichnete Charakterkraft half ihm sie überwinden; er ward ein Napoleon auf seinem Gebiet. Aber eben das Bewußtsein dieser Kraft hätte bei einem Privatmann Schranken anerkennen, nicht gegen jeden Widerspruch Blitze schleudern, gegen jeden Widerstand jedes Mittel anwenden, nicht mutwillig Krieg auf Tod und Leben beginnen sollen, wo ein versöhnend Wort von einem solchen Mann Vereinigung der Kräfte bewirkt hätte. So war Herr Fellenberg gewohnt, seine Kriege zu führen, und so führte er auch diesen Krieg gegen das Erziehungs-Departement und gegen die Pfaffen, weil unglücklicherweise im Erziehungs-Departement und ihm zur Seite solche stunden, die er Pfaffen zu nennen beliebte.

Er schimpfte auf eine so gemeine und pöbelhafte Weise in seinen Artikeln und Blättern und brauchte so alles Erdenkbare, um ihm im Wege stehende Persönlichkeiten moralisch totzuschlagen, daß rechtlichen Leuten vor ihm zu grauen anfing. Ja, er trieb seine Gesittung so nahe an die Bestialität, daß er Tote aus dem Grabe kratzte, um an ihnen seine Wut zu kühlen. Er posaunete auf so ungemessene Weise sein Lob aus, nannte sich mit so schönen Namen und pries so laut sein Thun und stellte noch eigens Leute an, ihm dabei zu helfen, da sein Atem nicht zuzureichen schien, daß Unparteiische stutzten und zu untersuchen anfingen, ob die Sache auch rein sei, für welche man mit solchem Selbstlob fechte. Und endlich wurde in diesen Streit, um Personen niederträchtig zu machen, von Hofwyl aus der Teufel, die Erbsünde und das Fragenbuch auf eine solche Weise hineingezogen, daß die Ungebildeten, das Volk stutzte, Verrat an der Religion witterte, gegen alles Neue in den Schulen erbittert wurde und das gleichgültig gewordene Fragenbuch, als Symbol des rechten Glaubens, aufs neue und auf viele Jahre innig ans Herz drückte.

Wie gesagt, ich rede hier nur von der Art und Weise, den Streit zu führen. Aber dieser Streit hatte die unseligsten Folgen auf den Gntwickelungsgang des Schulwesens und ganz besonders für uns Schulmeister. Schon das Echo von dem Volksgetön über Bildung und Schulen hatte uns wirbeln gemacht im Kopfe, und man will sagen, es hätte hier und da Einer Reden geführt, wie in den Dezembertagen 1830 eine Kammermagd beim Brunnen: heute müsse sie noch fegen und waschen, über acht Tage könnten es dann die Frau und die Jungfer thun und sie wolle beim Kaffeetischli sitzen.

Nun aber suchte Herr Fellenberg Verbündete gegen das Erziehungs-Departement und die Pfaffen, wählte unglücklicherweise uns Schulmeister vor allen und machte uns noch unglücklichererweise zu leichten Truppen, dem Vortrab; wir wurden die sogenannten enfants perdus, die man an die gefährlichsten Orte voranschickte, weil nicht viel verloren war, wenn sie verloren gingen. Zu dem Ende wurden wir mit allen möglichen Mitteln nach Hofwyl gezogen oder wenigstens in dessen System. Es wurde auf die Achseln geklopft, süße Worte: mein Freund! guter Mann! u. s. w. nicht gespart. Unsere Einbildungskraft wurde mit allerlei reizenden Bildern von Emancipation von der Pfaffenherrschaft, würdige, freie Stellung, Anerkennung als die Bildner von 80,000 jungen Staatsbürgern, als des wichtigsten Standes im Staate, als die Arbeiter, die des Lohnes wert seien, als Märtyrer, denen endlich die Krone gebühre, gewaltig entzündet. Unser ohnehin reizbares, mißtrauisch empfindliches Gemüt wurde durch die gehässigsten Verunglimpfungen des Erziehungs- Departementes und seiner Freunde, der Pfaffen, welche dem Schulmeisterglück im Wege stünden, welche allen Willen unseres Vaters für uns vereitelten, mit dem Staatsschatz nicht nur nicht herausrückten, sondern den furchtbaren Verrat an uns begingen, entsumpfte Staatsbürger durch verflucht schlechte Wiederholungskurse systematisch wieder versumpfen zu wollen (ein furchtbarer Geistermord, in Masse verübt an 700 wackern Männern, den edelsten im Volke!), in förmliche Gährung gebracht. Ja, es wurde sogar Geld gegeben an einige und die Sache gehörig bekannt gemacht, damit man sehen könne, was uns geschehen würde, wenn Herr Fellenberg Meister wäre und nicht das pfäffisch gesinnte Erziehungs-Departement.

Wer will es uns nun verargen, wenn wir Schulmeister, welche die Welt so wenig kannten, nicht wußten, was Komplimente waren, mit Kniffen und Intriguen nie gefochten hatten, gedrückt von unserer Lage, belastet mit tausend Sorgen, den Kopf verloren und den Boden unter unsern Füßen? Wenn wir Herrn Fellenberg nicht nur als unsern Vater, sondern auch als unfern Heiland betrachteten, ihm unbedingten Glauben schenkten, wer will uns das verargen?

Wenn einer oder der andere von uns des Pfarrers Kutte genauer gschauete und dachte: nächstens wolle er sich auch so eine machen lassen, aber eine noch schwärzere, wer will etwas anderes machen, als gutmütig über uns lachen? Wenn wir des Sonntags, an welchem unsere Weiber uns nur Grumbirnen zu kochen vermochten statt Fleisch, zu den Kindern sagten: Chinder, essit brav, ds anger Jahr gibt's de nit ume-alli Sunde Fleisch, sunder o dür dWuche düre!« wer fühlt nicht Mitleid mit uns?

Das hätte noch alles nichts gemacht; aber nun setzte man uns auf die Schlachtrosse und jagte uns hinein in den wüsten Streit. Wir mußten gegen die Pfaffen streiten, lernten sie betrachten als Usurpatoren der uns zukommenden Stellung, als die, welche eigentlich das Brot essen, das der liebe Gott für uns bestimmt, in den Häusern wohnten, die uns zukämen. Je nach den Umständen ritt man auch die Bauren an, trat ihnen wenigstens mit dem Hute auf der Seite unter den Bart. Vor allem aber ritt man gegen das Erziehungs-Departement in Schriftchen, Zeitungen, Vorstellungen und, wo ein Mitglied desselben den Mund aufthat, besonders an Schulmeister-Versammlungen, da fuhr man ihm darüber mit einer Unverschämtheit, einer Anmaßung, daß mir noch jetzt die Haare zu Berge stehen, wenn ich daran denke. Und es war eine Zeit, wo man vor solchen Worten bedeutend schlotterte.

Dann meinten wir, was wir verrichtet hätten und stunden zusammen, drückten uns die Hände, strengten uns zu kühnen Gesichtern an und redeten Oberarm drein: Dene hey mr's zeigt; aber warte si ume, mr wen-ne's noch ganz anders zeigen; und statt dabei den Schnauz zu drehen, wie ein Husar gethan hätte, schneuzten wir die Nase und, wenn dieses mit einem Nastuch geschah nämlich, rieben sie hochrot, als ob sie glühe in heißem Kampfesmut. Dann klopfte man uns freundlich auf die Achseln, sparte die holdseligen Anreden nicht, und sparte am Abend, damit der Mut in Begeisterung aufflamme und in der Nacht nicht verglühe, die blaue Milch nicht. Und warum hätte man die blaue Milch sparen sollen, bezahlte sie doch der Staat zu 1 Batzen p. Maß?

Der Herd und Schauplatz dieser blutlosen aber giftigen Kämpfe waren nämlich auf die allerunglückseligste Weise die Wiederholungskurse.

Obgleich man uns die Köpfe aufblies, daß sie wurden wie ein über das Meer schiffender Luftballon, so lebte doch noch ein ander Gefühl in uns. Es lebte in uns ein Gefühl, das wir heimlich hielten, aber das um so tiefer sich eingrub, ein Gefühl, daß wir trotz allem Aufbegehren nicht seien, was wir sein sollten, daß uns unendlich viel fehle, um würdige Lehrer, der Stand zu sein, auf dessen Achseln das Menschengeschlecht ruhe. Eine Ahnung stieg in uns auf von der Größe unseres Berufes und der eigenen Leere, von der unendlichen Entfernung zwischen dem, was wir wären, und dem, was wir uns einbildeten. Ein brennender Durst des Wissens kam über uns; in jung und alt stammte ein unwiderstehlicher Trieb auf nach Befähigung.

Freilich gab es auch unter uns Windbeutel, die wir für Mirakel hielten, die mit breitem Maul nicht nur dick thaten mit sich vor andern, sondern die auch in sich kein Gefühl ihres Nichts, keinen Trieb nach mehr empfanden; die in göttlicher Dummheit stolz einherwandelten, aber eben nicht die Wege zum Lernen, sondern die Wege des Verleumdens, Aufbegehrens, Aufweisens und Kneipens. Aber von diesen rede ich gar nicht hier und will sie nicht näher bezeichnen, vielleicht haben sie sich jetzt gebessert. Daher besuchten zuweilen die, welche es am nötigsten hatten, keinen Wiederholungskurs, z. B. der auch nicht, der meinte: es komme jetzt eine ganz neue Lehre auf, man sage ihr die Satzlehre, und der erhaltene Bücher bärtig werden läßt.

Aber wirklich war es rührend und ergreifend, wie dieser Trieb manchen Mann mit kahlem Scheitel und alter Gestalt ergriff, wie er hineilte, den neuen Lehren mit einer Anstrengung zuhörte, einer Menge Schreibereien mit einer Hingabe sich unterzog, die an einem Jüngling Lob verdient hätte, an einem alternden, des Lernens ungewohnten Mann aber bewunderungswürdig war. Noch rührender aber war es, wie der Mann willwankte: Soll ich gehen oder nicht, meinem Triebe folgen oder meinen Umständen mich unterziehen? Wie er mit bangem Herzen seinen Wunsch seinem Weibe vortrug; wie die manche halbe Nacht mit einander werweiseten: ob es sich erleiden möge; ob das Weib die Haushaltung und das Pflanzen besorgen, die Kinder meistern und den ausbleibenden Verdienst des Mannes entbehren könne? Wie der Wunsch des Mannes immer dringender ward und das Weib seine Thränen im Herzen behielt und dem Manne mit einem Kusse nachgab; dann seine Garderobe untersuchte, seine zwei Paar leinerne Strümpfe neu fürfüßte mit freundlichem Gesicht und ihm sagte: »Mannli, du muescht no es Paar Hose lah mache; so darf i di nit lah gah;« und am Ende die vorrätigen sieben und einen halben Batzen so mit ihm teilte, daß sie ihm vier in den Sack gab und nur drei und einen halben Batzen behielt. Und wie der Mann weich wurde, aber doch nicht stark genug, seinen Wunsch aufzugeben; wie er die Frau tröstete mit einer bessern Zeit, und wie er der Frau sagte, als er mit nassen Augen von den schlafenden Kindern Abscheid genommen, die Frau ihm das Halstuch umgebunden und ein frisch gewaschenes Nastuch in den Sack gesteckt hatte: daß er nur der Kinder wegen gehe, damit er bei größerer Geschicklichkeit eine bessere Stelle erhalten und somit die Kinder besser erziehen könne. Und wie er der Frau die Hand längte und sie ihn fragte: wann er wohl einmal heimkommen werde? Und wie er unterm Dachtrauf an seine Taschen greifend die Tubakpfeife zu vermissen glaubte und wieder hineinging und sein Weibchen noch einmal sah und seine Tubakpfeife in der Tasche fand. Und wie nach hundert Schritten sein Weibchen ihm nachgelaufen kam mit dem Schuhlöffel in der Hand, den er ja immer brauchen müsse zu seinen halb neuen Schuhen. Und wie der Schulmeister ihn nach langem Besinnen wieder zurückgab, weil er denke, es werden an andern Orten auch Schuhlöffel sein. Und wie sie dann wieder von einander Abschied nahmen, nachdem ihnen noch manches in Sinn gekommen war zu empfehlen. Und wie sie voneinander gingen und zurücksahen, und das arme Frauchen mit fünf Kindern und drei und einem halben Batzen die Scheube erst vor die Augen nahm, als der Mann um die Ecke war. Und wie sie schluchzend heimging und sich dann ans Spinnrad setzte, um noch ein halbes Tausend oder einen halben Batzen aus der Kunkle zu ziehen, und wie sie die Finger in den Augen netzen konnte und doch wieder ein freundlich Gesicht hatte, als das erste Kind erwachte – das alles hätte man sehen sollen, dann hatte man gewußt, wie heilig ein Wiederholungskurs sollte geachtet werden, wie er geweiht sei durch Weiberthränen und Kinderdarben. Ohne es zu sehen, hätten es vernünftige Menschen und Menschen, die nicht bloß ihre Zwecke im Auge gehabt, wie Napoleon beim Stürmen einer Batterie, wohl denken können.

Aber man dachte an solche Kleinigkeiten nicht; man vergiftete alle Wiederholungskurse durch die in dieselben geworfenen Fackeln des Streites und des Zwiespaltes von wohlbekannter Seite her. Man raubte den Lehrern die Unbefangenheit, gab ihrem Gemüt eine feindselige Richtung, und die Kurse selbst basierte man nicht auf das Bedürfnis, sondern auf den Schein.

Das Departement ward genötiget, eigene Kurse zu errichten, und wie zwei feindliche Mächte stunden die Fellenbergischen und departementlichen Kurse einander gegenüber. Und eben diese Stellung hinderte die natürliche Entwicklung jedes Kurses, hinderte, daß man unbefangen bis dahin niederstieg, wo man seine Schüler finden konnte, daß man sich begrenzte und unnötigen Firlefanz bei Seite ließ. Man hatte das Examen vor Augen, hatte Verunglimpfungen vor Augen, und so schwebten einem diese oft mehr vor Augen, als die Schüler selbst. Und weil in den Examen getäuscht werden konnte, so erschienen vor denselben Spione, Aufseher mit verwachsenen Hosen und mörderischem Gesicht, den Kopf hochgehalten in schwarzer Halsbinde, und setzten sich hin unter die armen Schulmeister und vernütigten, verleumdeten ihnen den Unterricht, den sie seit so vielen Wochen empfangen, den sie als einen Schatz hochgehalten, um deßtwillen sie die Weiber weinen, die Kinder darben ließen. Und die armen Schulmeister, welche nicht selbst prüfen konnten, welche auf Autorität hin glauben mußten, denen wurde die Freude geraubt. Es entstund in ihnen Mißtrauen gegen das Gelernte; es wuchs ihnen ein Stachel im Herzen, daß sie ein Vierteljahr verloren. Gegen das Lernen wurden sie gleichgültig; der Durst nach Weiterbildung war vorüber. Eine Menge Dinge, welche sie gelernt hatten, dienten ihnen zu nichts, und selbst den erhaltenen Unterricht in den Schulfächern konnten sie nicht anwenden in der Schule. Der Anknüpfungspunkt war ihnen nicht gezeigt würden. Wie oben gesagt worden: man hatte sich höchstens zu den Schulmeistern herabgelassen und nicht zu der Schule selbst, wie sie mit einigen Veränderungen fast durchgehends durch den Kanton bestund. Als daher einmal ein Schulmeister, der eben aus einem Wiederholungskurse kam, wo man viel arbeitete, sehr systematisch war, Erklärungen auswendig lernte, damit man ja in keinem seligmachenden Worte fehle, in einem Examen eine Geschichte im Neuen Testament sprachlich, besonders in Bezug auf das Zeitwort oder Zustandswort, erklären sollte, so erklärte er alles Mögliche, nur kein Zeitwort. Als er gemahnt wurde, doch bald damit anzufangen, sonst finde er in der Geschichte kein Zeitwort mehr, so entschuldigte er sich damit: er kenne diese Methode nicht und sei an eine ganz andere gewohnt. Als man ihm sagte, man schreibe ihm ja gar keine Methode vor, sondern nur, daß er die vorkommenden Zeitwörter erkläre und zwar nach jeder ihm beliebigen Sprachlehre und auf jegliche ihm beliebige Methode, so sagte er wieder: das sei nicht seine Methode, das Zeitwort zu behandeln. Nun, so solle er es behandeln nach der ihm beliebigen Methode, sagte man ihm. Da erklärte er seine Geschichte aus und fragte dann einen der vier zu examinierenden Knaben: »Du, wenn ich sage, der Vogel fliegt, kannst du mir dann sagen: worin ist der Vogel?« Der Knabe besann sich; endlich sagte er: »In dr Luft.« »Nein, der Vogel ist nicht in der Luft; worin ist er? Chast du mr's säge? U, du? Er ist i-mene Zue... Zuest... Zuesta..., er ist ja i-mene Zuestand, in einem Zustande ist der Vogel, wenn er fliegt, sagt man. Also »fliegt« ist ein Zustandswort, weil es den Zustand ausdrückt, in welchem etwas ist.«

Da war auch der Knopf, von dem ich eben sprach, der Knopf zwischen dem Fach und der Schule nicht gemacht, und zwar auch nicht einmal der Knopf zwischen dem abstrakt Erlernten und der Anwendung auf gegebene Fälle. Auch in der Anordnung dieser Kurse war unwillkürlich der Streit das Hauptaugenmerk und nicht die Schule selbst; sonst hätte man die Anordnungen gewöhnlich früher und gründlicher durchdacht.

Und wenn dann das harrende Weib den heimkehrenden Mann nach seiner Beute fragte, da erhielt gar manches vom mutlosen Mann mutlose Antworten. Und das arme Weib jammerte: »Wärist du daheime geblieben!« Noch ein ander Gift kam in die Wiederholungskurse und in den Bildungstrieb, welches auf das verderblichste einwirkte.

Die Mitglieder des Erziehungs-Departementes hätten entweder Klötze oder Engel sein müssen, wenn unser Aufbegehren und Schimpfen dieselben nicht hätte erbittern, uns abgeneigt machen sollen. Nun wird bei allem Respekt wohl erlaubt sein zu sagen, daß sie keins von beiden waren, nicht Engel, nicht Klötze. Die Stimmung des Erziehungs-Departementes äußerte sich nicht durch ein ernstes Zurechtweisen der gegen dasselbe Gehetzten; diese Stimmung äußerte sich im Schulgesetz.

Wir erwarteten große Dinge und zürnten daher nicht wenig, als im Entwurf der kleinen Landschulkommission unsere Lage wohl verbessert wurde, aber nicht in dem Maße, als wir erwartet hatten. Wir zürnten noch mehr darüber, daß zehn Inspektorate sollten aufgerichtet werden zu unserer Beaufsichtigung (war die wohl noch nötig?); daß durch diese circa 20,000 L. Kosten verursacht wurden, welche wir als uns entrissen betrachteten, machte uns auch nicht gutes Blut.

In der großen Landschulkommission, die ohnehin, auch als Kommission, gegen das Departement böses Blut hatte, ritten nun unsere Repräsentanten anders auf, ungestüm wie Helden.

Da nun kam die Meinung des Departements, daß wir erst besser werden müßten, ehe man uns besser besolden könne, zum Vorschein, aber nicht klar ausgesprochen. Wohl stichelte man und redete von unanständigen fleischlichen Gelüsten, was eine unanständige Rede war. Eine Rede, die davon zeugte, daß man nicht nachrechnete, wie mit 100 L. und einer Familie auszukommen sei; daß man nicht bedachte, daß ein Schulmeister und seine Kinder nicht ätherische Wesen, sondern halt Menschen sind, die hungrig werden und im Hunger nach Brot schreien. Werden doch, wie man sagt, auch Professoren hungrig und zwar brav; warum sollten es nicht auch Schulmeister werden? Da sie auch geistigen Hunger fühlten, so war der andere ihnen doch wahrlich nicht auf diese Weise vorzuwerfen. Man redete davon, daß der Staat besondere Zulagen nicht vermöge, daß man den Eifer der Gemeinden (o Gott erbarm!) zur Verbesserung der Schulen durch unbesonnene Staatszulage nicht lähmen solle ec.

Von allem das merkwürdigste war, daß auch hier Vater Fellenberg mit dem Erziehungs-Departement fast gleicher Meinung, daß er ein ganz anderer war jetzt, da es auf Geld, als sonst, wo es nur auf Worte ankam. Er wollte nämlich alle bisherigen Schulmeister-Einkommen in einen großen Sack thun, denselben wohl rütteln und dann den gesamten Inhalt unter alle Schulmeister gleichmäßig verteilen. Das gab ihm bei seinen Anhängern den ersten und harten Stoß, und was er vor Möhren von seinen Anhängern alles hören mußte, weiß ich nicht.

Aber hier hatten wir die Oberhand. Unsere Stellvertreter machten uns ein artiges Einkommen z'weg, bei welchem man sein konnte, und schafften die lästigen und kostbaren Inspektoren uns vom Halse. Nachdem die kleine Kommission circa 1-1/2 Jahre an ihrem Entwurf gearbeitet hatte und jede Nachfrage als unverschämte Neugierde, als unbefugtes Zudrängen gar handlich und schnuzig von der Hand gewiesen worden war (und man kann sich doch denken, daß uns darnach blangete), so arbeitete jetzt das Erziehungs-Departement nicht viel weniger lang an einem dritten Entwurf, nämlich vom Herbst 1833 bis Im Frühjahr 1835, d. h. so lange wurde daran gearbeitet, bis er von dem Großen Rat angenommen wurde. Darüber darf man sich aber nicht wundern; denn das Erziehungs-Departement bestund in der Zwischenzeit eine schwere Geburt, und einer Wöchnerin mutet nicht einmal ein Holzhauer zu, daß sie ihm sänge und Scheiter zusammentrage. Es gebar nämlich die Hochschule. Die Geburt ging zwar ziemlich leicht und es war ein schönes Kind; was Wunder, daß die Väter ganz vernarret waren in dasselbe und ob dem Gvätterle mit demselben manches andere vergaßen. Welcher Vater hat wohl bei seiner Erstgeburt nicht manche Stunde an der Wiege vertändelt und hat geträumt, wie dieses Kind seine Stütze sein, wie er einen Teil der Last ihm aufbürden, wie er Kommis und Handlanger entlassen könne und einen beständigen Gesellschafter zu Nutz und Kurzweil sich angeschnallt habe?

Was Wunder auch, daß Vater oder Mutter sich nichts sagen ließen bei seiner Auferziehung, der Bestellung seiner Wärter! Hatten sie das Kind geboren, so mußten sie sich doch auf seine Pflege auch am besten verstehen, versteht sich! Einem Vater oder einer Mutter ist schwer begreiflich zu machen, daß das Erzeugen und das Erziehen nicht ungefähr den nämlichen Verstand brauche, sondern einen andern. Sie wollen auch nicht glauben, daß dem Kinde Krallen wachsen, die es am ersten den Eltern einhängt, wenn es nicht wohl erzogen ist. Und wollen noch weniger glauben, daß das Kind am Ende Meister wird im Hause, daß sie sich seiner Meisterschaft nach einigem ohnmächtigen Widerstreben recht freiwillig unterziehen und ohne da sie es eigentlich recht wissen, bis dann am Ende das Heulen und Zähneklappern kömmt, wenn sie endlich merken, daß sie nichts anders sind als die Tüpfi, aus denen das Kind den Brei ißt.

Begreiflich muß es jedermann vorkommen, wie sehr diese Zögerung uns Schulmeistern allen in den Gliedern gramselte, mit welchen Augen wir die Hochschule ansahen und wie groß eigentlich unser Mut in den Wiederholungskursen zu werden begann und wie oft wir bei uns selbst werweiseten: ob es sich denn wohl der Mühe lohne, mehr zu lernen? Und doch blieben wir noch aufrecht, obschon der Entwurf des Erziehungs-Departementes hätte entmutigen sollen. Aber wir dachten mit gewaltigen Worten und spitzigen Federn vor dem Großen Rat zu siegen und ließen nun schreiben, was das Zeug hielt, und redeten drein, daß es uns dünkte, die Großräte müßten aus D...k gemacht sein, wenn sie nicht auch Feuer und Flammen für uns speien sollten.

Man kann sich denken, wie unsere Herzen klopften, wie unsern Weibern bangte, wie selbst unsere Kinder fragten: »Ätti, wenn dörfe mr im halbe Tag o über dTischdrucke?«, als endlich auf den Großrat-Traktanden auch das Primarschulgesetz stund. Wir glaubten, die ganze Volksmenge zittere gleich uns vor Eifer, wie das wohl herauskommen werde? Aber, o Gott, die Leute nahmen es kaltblütig! Nahmen es kaltblütig, als mit dem nassen Finger eine Hoffnung nach der andern uns durchgestrichen und eine Bürde nach der andern auferlegt wurde. Das Departement war von dem Grundsätze ausgegangen, daß der Stand nicht sei, was er sein solle, daß daher nicht dem Stande, sondern nur einzelnen zu helfen sei, die bereits wären, wie sie sein sollten. Das gute Departement hatte nie gerechnet, was eine Schulmeister-Haushaltung, gehalten gleich einer Tauner-Haushaltung, koste: hatte nicht darauf gerechnet, daß wir auch fleischliche Gelüste hätten; nämlich uns satt zu essen, zu trinken, uns zu kleiden; hatte nicht daran gedacht, daß ein guter Fuhrmann ein Pferd nicht nüchtern aus dem Stall nimmt und ihm sagt: Wenn du brav läufst, dann will ich dich auch brav füttern, sondern daß er es erst brav füttert und erst dann ein braves Laufen von ihm fordert. Das gute Departement! Es fürchtete vielleicht auch, seinem lieben Kinde, der Hochschule, das in vollen Zügen an seinen Brüsten sog und, nach Art gieriger unartiger Kinder nicht selten in dieselben biß, die Milch zu entziehen. Das Departement meinte vielleicht, durch Geld mache es die übermütige Rasse nur noch übermütiger, aufgeregter, meinte, durch Hunger und die Aussicht, daß in des Departementes Händen Stoff liege, die, welche zahm und gedemütigt herbeikröchen, nach freiem, gutem Willen zu sättigen und zu füttern, würden am schnellsten die Widerspenstigen gebändigt und zum Gehorsam gebracht. Gewiß ist's, daß Es dabei etwas meinte; aber ich will nicht behaupten, daß es das obige war; es kann eben so gut etwas anderes gemeint haben. Es kann ebensogut mit späterm zusammengehangen haben; aber ich will es auch nicht behaupten, denn äußerlich wurde kein Zusammenhang sichtbar; des Departements Erlasse kamen uns auf dem Lande vor, wie einzelne Posaunenstöße, wie Ausbrüche des Vesuvs, prächtig anzuschauen, besonders von ferne, wie schöne Einfälle in schönen Nachten. Sein Wollen umzog ein geheimnisvoller Dunkel als den Tempel zu Delphi. Aber, o Herr! Wie ward uns, als vor allem aus der Entwurf der großen Schulkommisston beseitigt wurde; als von Seite des Departements erklärt wurde, sie hätte ohne Sorgfalt gearbeitet; nachmittags zurückgenommen, was sie am Morgen erkannt, als kein Mitglied des Großen Rates, selbst Vater Fellenberg nicht, dieses für eine unbesonnene und ungerechte Mißhandlung erklärte, kein Mitglied das Verhältnis der Kommission zum Präsidium insbesonders und zum Departement im allgemeinen auseinandersetzte; als alle ihre selbstgewählte Kommission so schnöde beseitigen ließen! Ja, als selten ein Mitglied des Großen Rates eine Einrede wagte, weil jedem, der es that, abgeputzt wurde; als einer Menge eingegangener Einwürfe gegen den Entwurf nicht gedacht wurde; als unser Einkommen auf keine Weise verbessert wurde; als nur das Erziehungs-Departement Geld erhielt, freilich zu Gnadenspenden für uns; als erkannt wurde, teilweise Erhöhung des Einkommens gebe das Recht, eine Stelle ledig zu erklären; als uns Schule das ganze Jahr durch auferlegt wurde, aber den Gemeinden keine Verbindlichkeit, uns dafür zu entschädigen; als uns noch eine Menge Dinge auferlegt wurden und dagegen keine Vergütung, keine Erleichterung uns zukam; als der Primarschule gar noch nach dem Gesetz, von dem man bald sagte, es werde eine lange Reihe von Jahren durch dauren, bald wiederum es transitorisch nannte, eilf Fächer zugewiesen wurden, und niemand so recht ergreifend und aus dem Herzen dagegen und für uns eintrat; als alle Hoffnungen in Trümmern gingen und manche neue Last aufging! Da zog der Jammer ein in manches Schulmeisterherz, da umzog Jammer, düster und schwarz wie eine Gemitterwolke, manche Haushaltung!

Da durchschnitt manchen von uns die Ahnung, daß wir eigentlich in der allgemeinen Wertung ganz anders stünden, als man uns vorgespiegelt hatte; daß die einen nur den Stand so hoch gepriesen, den gegenwärtigen Personen aber abgeneigt geworden, allerdings zum Teil durch unsere Schuld; daß die andern nns nur deswegen so hoch erhoben, um die Pfaffen, deren Einfluß auf das Volk man fürchtete, desto tiefer herunter zu machen, verdächtigen, ihnen zur Last legen zu können, am gegenwärtigen Zustand allein schuld zu sein und nicht Gott der Herr; daß eine Menge, wie Gänse ihrem Führer, diesem Geschrei beigestimmt, ohne zu wissen, was sie schrieen, ohne zu denken, daß dem Geschrei auch etwas Anderes folgen solle, ohne von ferne sich einfallen zu lassen, daß dieses Geschrei sie etwas kosten könne, nämlich eine Erhöhung unserer Besoldungen.

Ja, es kam noch eine andere Ahnung über uns und zwar die, daß die Väter des Landes die Primarschulen nur noch so halb am Herzen hätten und sie eigentlich gar nicht mehr als ihre Schulen betrachteten, d. h. als die Schulen, welche ihre Kinder zu besuchen hätten; sondern daß sie nur noch ein mitleidiges Auge auf sie würfen, so ungefähr wie ein Spießbürger von Burgdorf auf die Hintersäßenschule.

Als das größte Heil des Landes, als die Pflanzschule künftiger ländlicher Gelehrten und Staatsmänner war, um ihre Dekretierung durchzudrücken, bei den aus einem richtigen Instinkt widerstrebenden Landleuten die Hochschule angepriesen worden. Die Landleute meinten halt, man fange ein Haus unten an zu bauen und nicht oben; aber das Departement meinte es halt anders, und die guten Landleute sind halt gewohnt zu stimmen, wie man sie in Bern oder von Bern aus brichtet. Sie sind halt jetzt von einigen Zeitungsschreibern unterjocht geistig, ehedem von Aristokraten leiblich. Es war also ganz natürlich, daß jeder, der sie beschließen half, dachte, das sei gut für seine Kinder, die müßten auch da sitzen, wo er sitze, oder vielmehr noch höher oben; da gehe es ringer, Geld zu verdienen, als daheim beim Stöcken, und da trage wirklich eine Stelle, die man mit dem Gring versehen könne am Schatten, mehr ein als ein schöner Baurenhof Sonnseite. Und zudem dachte er noch, es sei eigentlich nichts als billig, daß seine Kinder vor allen andern auch dahin kämen, wo er sei, da er auch anfangs hier gesessen vor andern und noch viel gewagt habe, hier zu sitzen, wenn einst die Aristokraten wieder obenauf kommen sollten.

Nun wußten diese Mannlein alle so viel von der Sache, daß sie wußten, man lerne auf einer Hochschule nicht buchstabieren und einen Brief schreiben, sondern das müsse man an einem andern Ort lernen. Aber sie dachten, das müsse, um auf die Hochschule zu kommen, auf eine ganz andere Weise gelernt sein, und das könne nicht in der Schule gelernt werden, wo auch gemeine Kinder lesen und schreiben auf gemeine Weise lernten, von wo aus sie bösdings ins Weltschland könnten, aber nicht auf die Hochschule. Sie dachten vielleicht auch, es schicke sich nicht mehr recht, wenn Kinder der Landesväter so mit Crethi und Plethi bschulet würden und da vielleicht auch einen Tätsch aufs H... bekämen wie gemeiner Leute Kind. Diese apartigen Schulen waren schon lange da und waren von Leuten gestiftet worden, die wirklich das Bedürfnis fühlten, ihre Kinder besser unterrichten zu lassen, als es in den Dorfschulen geschah. Diese Schulen waren besonders da, wo Industrie sich regte. Auch in sie kamen aber böse Elemente, Neid und Hochmut, und als böse Folge die Vernachlässigung der Primarschulen an selbigem Orte. Denn die, welche eine apartige Schule hatten, waren gewöhnlich die Regenten der Ortschaft, und diese bekümmerten sich dann meist um die Primarschulen nicht mehr, wenn nur ihre Kinder etwas lernten; und je minder die andern lernten, desto wohlfeilere Knechte behielt man. Diese Leute hieß man bei uns freisinnig; denn obgleich wir Schweizer sind, geht es doch bei uns noch mitunter polnisch zu. Diese Schulen nannte man ehedem Privatschulen; allein seitdem die Pädagöglein ihnen ihre Aufmerksamkeit schenkten, gaben sie ihnen flugs einen andern Namen und nannten sie hochklingend Sekundarschulen. Diese Sekundarschulen, glaubte man nun, führten in die Hochschule, so wie die Hochschule in die Regierung, soweit sie etwas eintrage. Weiter wußte man von den Sekundarschulen nichts, als daß man dort noch Weltsch lerne. Und nach diesen Sekundarschulen schrie man nun Zettermordio, wohlverstanden, daß der Staat sie einrichte. Man wollte durch sie reich werden; aber sie sollten einen nichts oder doch gerade nur so viel kosten, daß sie dem Armen zu teuer seien. Auch hörte ich einen, der etwas mehr merken mochte als andere, nach Gymnasien schreien. Da er die Gabe nicht hatte, sich recht deutlich auszudrücken, so ward mir seine Meinung nicht ganz klar, vielleicht daß er selbst keine klare hatte. Er schien zu meinen, daß zur Erleichterung des Landmanns, der auch gelehrt zu werden das Recht habe, der Staat wenigstens an jedem Ort, wo ein Wochenmarkt sei, ein Gymnasium mit der gehörigen Lehrerzahl zu errichten habe. Dieses Geschrei nach Sekundarschulen war freilich zum Teil aus dem Bedürfnis hervorgegangen, aber zum großen Teil doch aus den Vorspieglungen, die man bei Stiftung der Hochschule gemacht hatte; wo man viel geredet hatte von einem vollständigen, vaterländischen, umfassend ineinander greifenden Organismus der sämtlichen Unterrichtsanstalten; wo man beständig auf die Sekundarschulen verwies, wenn man Ungläubigen den Nutzen der Hochschule verständlich machen wollte. Dieses Geschrei hatte aber die Mächtigen des Landes für die Primarschulen erkältet; ihre stiefmütterliche Behandlung ließen sie unbeachtet. Je weniger man für die Primarschulen brauche, desto mehr habe man für die Sekundarschulen, und brauche man für die Primarschulen das Nötige, so habe man für die Sekundarschulen nicht das Hinlängliche, und doch seien diese die Hauptsache, denn sie seien für die achtbare Klasse, jene nur für die Leute, die eigentlich nichts zu wissen brauchten, wenn sie nicht etwas Religion haben müßten, damit andere Leute sicher seien vor ihnen. Ob beide Arten von Schulen in einem Zusammenhang stünden oder stehen sollten, darüber machte man sich keinen Begriff; man dachte nur, die Sekundarschulen seien halt die bessern als die andern. Darum rührte sich auch kein Bein für uns; man hatte nicht einmal teilnehmende Gesichter bei unserer Klage; ja man hatte nicht einmal Zeit, uns einen Augenblick klagen zu hören.

Jetzt glaubten wir das Ärgste erfahren zu haben, – fürchterlich getäuschte Hoffnungen. Wir versanken wieder in die alte Apathie und fingen an um so emsiger zu weben, zu schustern, zu tischmachern, um das an so vielen Versammlungen unnütz verbrauchte Geld, um die verlorne Zeit wieder einzubringen. Da rüttelte uns eine noch fürchterlichere Nachricht auf einmal wieder auf, die Nachricht, alle Primarlehrer sollten examiniert werden.

Das Departement hatte dieses Examen wirklich erkannt und über uns verhängt. Es war ein sehr kluger Schritt von dem Erziehungs-Departement und ein sehr wohlthätiger für uns, ungefähr was ein Brechmittel bei einer Magenüberladung. Klug war der Schritt, weil in diesem Schritt eine Rechtfertigung des Departementes lag, daß dasselbe nicht mehr für uns gethan. Wir durften nach abgehaltenem Examen viel weniger mehr aufbegehren; gar mancher wurde ab hohem Roß zum beschämten Schweigen gebracht. Und endlich kam dadurch das tit. Departement zun einer gründlichen Kenntnis sämtlicher schulmeisterlichen Kapacitäten, wenn nämlich das Examen auf eine Weise abgehalten wurde, daß ein vernünftiges Resultat daraus entsprang, und wenn die darüber geführten Tabellen auf eine Weise abgefaßt wurden, daß dieses Resultat in die Augen sprang.

Potz tausend, wie wir da wieder aufsprangen und zusammen; wie da die Rädelsführer wieder schönes Spiel bekamen, und die Männerchen, an denen ein weites Maul und sonst nichts war, dieses Maul brauchten, daß man hätte meinen sollen, in demselben stecken lausend Donnerwolken und hintendran die Donnerkeile! Wie wir da aufredeten, uns zusammenballten zu Brüderschaften und hofften, die ganze Republik werde aufstehen gerade wegen uns, und meinten: der von uns, der gesagt hatte, er brauche nur zu pfeifen da über die Berge hinein, so kämen die da von den Bergen hernider schwallsweise, der sollte jetzt einmal pfeifen über die Berge hinein, es wäre an der Zeit. Ob er gepfiffen hat oder nicht, weiß ich nicht; aber das weiß ich: die im ebenen Lande nahmen es kaltblütig, die auf den Bergen noch kaltblütiger, und viele auf dem Lande und in den Städten am verflüchtigst kaltblütigsten; sie gönnten es uns und – Aufstand gab es keinen.

Wir waren freilich, da mit jeder Schulerledigung ein Examen verbunden ist, mehr oder weniger gewohnt an Examen. Allein es waren doch solche unter uns, die so wohl saßen, daß sie keines mehr zu machen dachten, und da es ein General-Examen werden sollte, so dachten wir, es werde auch durch eine Art von Generalen abgehalten werden und nicht nur durch gemeine Schulkommissäre, die oft ebenso gut in Verlegenheit waren, was sie fragen, als wir, was wir antworten sollten. Wir (d. h. wenn ich wir sage, so verstehe ich immer die Partei, zu der ich gehörte, die natürlich auch aus Selbstlautern und Mitlautern bestund; ein Teil der Schulmeister hing, wenigstens öffentlich, dem Erziehungs-Departemente und seinen Verfügungen an, oder unterwarf sich ihm wenigstens) sperzten so lange wir konnten, protestierten so lange wir konnten, und als nichts mehr zu machen war, fügten wir uns, bis auf wenige, die eben nicht besondern Nachteil von ihrem Weigern fühlten bis dahin.

Das Examen lief recht ordentlich ab. Die Herren General-Examinatoren waren manierliche Leute, die niemand zu hängen oder zu köpfen begehrten. Es waren auch besonders kluge Männer, die nicht lange zu fragen brauchten, was mit einem sei; sie sahen es schon an von weitem; man brauchte kaum den Mund zu öffnen, so machten sie schon Zeichen in ihre Kalender. Es waren auch verschwiegene Leute; auch nicht mit einer Silbe verrieten sie, was das Examen für Folgen haben werde. Wir waren im ganzen mit uns und ihnen recht wohl zufrieden; aber böse wurden wir und räsonnierten über unsere ehemaligen Lehrer, daß die uns nicht in allen Stücken die Antworten gelehrt hatten, die auf der Examinatoren Fragen gepaßt hätten. Wir wußten nicht recht, war dieses geschehen aus Bosheit oder Dummheit. In den Fächern des § 16, nämlich Linearzeichnung, Geschichte, Erdbeschreibung, Naturgeschichte, Naturlehre, Verfassungslehre, Buchhaltung, Haushaltungskunst und Landwirtschaft, hatten in unserer Gegend sich wenige examinieren lassen. Aus dreien Gründen. Aufgestiefelt durch einige, die in diesen Fächern sich bloßzugeben fürchteten, traf man allgemeine Verabredungen, in diesen Fächern sich nicht examinieren zu lassen; ferner trauten sich allerdings viele nicht, ein Examen in Fächern zu bestehen, über die sie höchstens etwas von weitem läuten gehört; man wußte nicht, wie leicht oder wie schwer diese Examen sich gestalten würden. Drittens endlich glaubten andere, den Grundsatz festhalten zu müssen, daß diese Fächer gar nicht in ein Gesetz, welches doch nur ein vorübergehendes sein solle, hätten aufgenommen werden sollen, indem sie in den meisten Primarschulen, bei dem lässigen Schulbesuch, bei der allseitigen Nichthandhabung des Gesetzes, durchaus nicht eingeführt werden könnten vernünftigerweise! Freilich, als man dann sah, wie lugg die Examen über diese Fächer meistens waren, so war später mancher reuig, sie wenigstens nicht versucht zu haben, obgleich keinem von weitem beifiel, daß dieses Machen oder Nichtmachen irgend einen Einfluß auf seine spätere Stellung hätte. Ich aber, der einem Examen in einem andern Amtsbezirk beigewohnt hatte, ließ in einigen Fächern mich examinieren.

Unterdessen war auch der Entwurf eines Sekundarschulgesetzes ins Publikum gekommen, aber nur spärlich, gleichsam verstohlen. Das Departement hatte bis dahin so viel Widerspruch zu erfahren geglaubt, daß es zu der Meinung zu kommen schien, es sei das Klügste, seine Projekte hinter dem Umhang zu halten, bis sie Gesetzeskraft erhalten; dann könnte man in Gottesnamen schreien, würde es doch in seinen Plänen und Absichten nicht mehr unangenehm unterbrochen. Aus diesem Entwurf ging aber gar nicht hervor, was das Erziehungs-Departement unter einer Sekundarschule verstand; fast hätte man auch eine Kleinkinderschule so nennen können, auf jeden Fall manche Primarschule, und alle sogenannten Aristokratenschulen wären Sekundarschulen geworden, sobald nämlich das Departement günstig zu stimmen gewesen wäre dafür. Zu gleicher Zeit aber war dem Lande auch gar nichts versprochen Bestimmtes, Rundes. Man sah darin allerdings den vernünftigen Grundsatz, daß das Departement dem Bedürfnis nicht vorgreifen wollte; aber man sah nirgends, wie da, wo das Bedürfnis da sei, die Sache sich gestalten, was der Staat thun müsse, nur was er thun könne. Es entstund der Glaube, man sei bei Errichtung der Hochschule betrogen worden. Nun, da man die Hochschule habe, frage man allem Übrigen wenig nach und habe kein Geld dafür. Kein Geld zu Schulen für das Land, damit die auf dem Lande auch zu Pöstlein in der Stadt kommen könnten, wo jetzt Bekannte sich so wohl sein ließen. Oder höchstens Geld für die Orte, wo die in die Stadt Gezogenen Verwandte hinterlassen hätten, denen sie auch einige Bröcklein gönnten. Einen sehr unangenehmen Eindruck machte daher dieser Gesetzesentwurf, aber diesmal nicht bei den Schulmeistern, sondern bei den Magnaten. Diese Magnaten redeten nun ein solch Wörtlein zu der Sache, daß der Entwurf durchfiel vor Großem Rate. Ungeachtet auf eine denkwürdige Weise damals dem Großen Rate angeworfen wurde: wenn er sich unterstehe, solche Entwürfe zu kritisieren, so solle er selbsten bessere machen.


 << zurück weiter >>