Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Fünfzehntes Kapitel.

Wie die Leute den lieben Gott kennen!

Als es Morgen ward, kamen Weiber zu uns, die gehört hatten, unser Kind werde sterben. Sie brachten allerlei mit, dem Kind und der Mutter zur Labung; denn in solchen Fällen reut ein weiß Brötchen oder eine Zupfe oder ein halb Pfund Kaffee eine Bäurin nicht.

»Du hast doch recht,» sagte eins der Weiber zu meiner Frau, »thust du nicht so wüst und nötli, wie menge Göhl. Dem Kind ist es wohl gegangen; es ist manchem ab.» – »Ja,» sagte eine andere mit bedenklichem Gesichte, »wenn es nur wegen dem wäre, so hättist recht; aber es ist noch wegen etwas anderem. Wenn es nur getauft gewesen wäre, so wollte ich nichts sagen; aber so ungetauft kann mich das Kind doch erbarmen; denn kein Mensch weiß jetzt, wie es ihm geht,» – »Ja, du hast recht,» sagte die erste, »an das habe ich gar nicht gsinnet. Es sind mir auch vier Kinder gestorben, Gottlob! aber Gottlob keins vor der Taufe. Ich glaube, ich hätte mich hintersinnet. Em liebe Gott ma me se wohl gönne, aber em Tüfel ne nadisch Bott nit; vor dem gruset's mr, u we-n-i zweu Doze Ching müeßt bhalte. Mi seyt zwar, sie chöme nit i di hingeristi Höll; aber es wird vornache o no heiß gnue sy. Die arme Tröpf!»

Das stieg mir gewaltig zu Gemüte. Diesen Glauben, der noch allgemein aus der alten Katholizität her verbreitet ist, daß alle Kinder, welche nicht getauft stürben, verdammt würden, kannte ich gar wohl; ich hatte aber nie darüber nachgedacht. Ich hatte wohl einmal gelesen, daß der weichherzige bekannte Stilling sich ihrer angenommen hätte, indem er in seinen Geistererscheinungen die Jungfrau Maria unter diese Kinder als Lehrgotte versetzte, um sie auf den Himmel gehörig vorzubereiten. Als es nun aber mein eigen Kind betraf, da ging es mir tief zu Herzen. Ich bebte vor dem Gedanken, daß ein holdselig Wesen in des Teufels Gewalt gekommen sein sollte; aber Widerlegung mußte ich keine. Es war so angenommen, und nach Gründen frägt man bei angenommenen Dingen nicht. Ich lief die Stube auf und nieder und fühlte eine Beklemmung zum Schreien; aber mein Weib im Bette blieb ruhig. Als endlich die Weiber fort waren mit ihren sonderbaren Tröstungen, beugte ich das Haupt auf meines Weibes Bett nieder und begann zu schluchzen wie ein Kind. Mein Weib streichelte mir die Haare und wollte mich trösten, daß ja das Kind in seine Heimat gegangen und nur hergesandt worden sei, uns in unserm Glauben zu prüfen und zu befestigen. Ich konnte lange nicht antworten. Endlich rangen mir sich die Worte auf: »Aber wie cha is de es Ching Gott zuefüehre, we's selber ds Tüfels isch, wil's nit isch tauft worde?« Da richtete sich mein Weibchen im Bette auf und sagte mir: »Wie chast doch das glaube-n-u denke! Ich bin kein Schulmeister,« fuhr es fort, »ich weiß nicht, warum die Weiber so was sagten, und warum dieser Glaube ist. Allein ich habe das ganze N. Testament durchlesen und kein Sterbenswörtchen darin gefunden, daß ungetaufte Kinder nicht selig würden. Ich habe aber gefunden, daß Jesus sagte: man solle die Kinder nur zu ihm kommen lassen, denn ihnen gehöre das Himmelreich. Nun glaube ich der Bibel, und mit dem, was die Bibel nicht sagt, können die Leute mich nicht erschrecken. Und, Peter,« sagte Mädeli und nahm mich bei der Hand, »und wie kannst du glauben, daß unser Kind des Teufels sein sollte? Hast du es recht angesehen und seine lieben treuen Augen? Hast du gehört, was ich dir erzählt, wie ich diese Nacht gerungen und wie mir der liebe Gott so nahe gekommen, daß ich glaubte, ich sei a-n-ihm a, und daß es mir ist, als ob ich ihn noch jetzt im Herzen hätte? Nein, Peter, glaube doch solche Dinge nicht; ich empfinde in meinem Herzen, daß sie nicht wahr sind; ich habe in mir ein Zeugnis dagegen, das ich für göttlich achte, so gut als die Stimme meines Gewissens. Darum, mein liebes Mannli, weine nicht; tröste dich und freue dich, daß unser Kind bei Gott ist. Denn das ist es. Und laß uns trachten, daß wir nie weiter von Gott kommen, als dieses Kind ist, dann, glaube mir, fehlt uns die Seligkeit nicht. Nun gehe nur zum Pfarrer, es ihm anzugeben zur Begräbnis; mir ist fast so wohl, als es unserem Kinde ist; denn ich habe es in des Heilands Armen gesehen, und wo mein Fleisch und Blut ist, dahin glaube ich auch zu kommen.«

Mein Weib redete mir da wunderlicher als ein Pfarrer, und seine innige Überzeugung überwältigte mich auch; denn wahre Überzeugung, so recht von Herzensgrund ausgesprochen, überwältiget immer, und sehr oft auch der Schein davon.

Ich band ein schwarz Halstuch um und wanderte hin zum Pfarrer. Auf dem Wege stiegen mir meine eigenen Gedanken wieder auf und der alte Glaube fing wieder an zu streiten gegen meines Weibes übernächtigen Glauben, machte meinen Glauben unsicher, brachte mich dahin, zu glauben, meinem Weibe sei nicht recht im Kopfe; sonst hätte es ja den Heiland nicht gesehen, und die Weiber hätten doch recht. Von neuem kam die Angst in meine Seele und ich brachte sie recht groß zum Pfarrer, der mich um meinen Verlust bedauerte. »Ach,« sagte ich, »ich wollte mich darein ergeben, wenn es nur getauft worden wäre.« – »Warum?« sagte der Pfarrer. – »Ach, wenn es öppe jetzt nicht selig werden sollte!« »Glaubet ihr das auch?« fragte er. – »Aparti nit, aber die Weiber haben meiner Frau gar große Angst gemacht,« antwortete ich; mich schämend für mich, stieß ich mein Weib hinein; wie es übrigens noch mancher macht; die Weiber schieben auch häufig die Sachen auf ihre Mannen. Und wenn ein Weib sagt: My Ma wott's, my Ma het's gseit, my Ma het bifohle, so kann man darauf zählen, daß unter hundert wenigstens sechzigmal die Frau dahinter steckt. Der Pfarrer sagte: er könne doch nicht begreifen, daß die Leute so fest an einem alten Vorurteil hingen, das durchaus keinen Grund habe. Ich fragte: wie es dann möglich sei, daß so ein Vorurteil ohne Grund entstehen könne? Ich würde es gerne zum Trost meinem Weibe sagen. »Schulmeister,« sagte der Pfarrer, »die' Sach ist die. Die Juden glaubten daran, daß alle Heiden von bösen Geistern besessen seien; daher, wenn sie Heiden zu Proselyten machten, ließen sie dieselben untertauchen im Wasser, gleichsam als wenn die bösen Geister dadurch ersäuft würden. Jesus hatte nicht lange die Taufe als Sinnbild der innern immer fortdaurenden Reinigung befohlen, als der Glaube, der Mensch sei vor der Taufe vom Teufel besessen, sich einschlich, und weil bei seiner Taufe Jesus vom h. Geiste bewillkommt wurde, so glaubte man, es sei der heilige Geist, der ins Wasser komme, den Teufel eigentlich austreibe, das Inwendige des Menschen ganz rein mache, so daß er in diesem Augenblick ohne Sünde sei. Um dieses Glaubens willen ließen manche Leute sich nicht taufen bis zu ihrem Ende, um dann gleichsam frisch gewaschen ohne alle Sünde in den Himmel zu kommen und so den Himmel gewiß zu haben, während bei einer früheren Taufe spätere Sünden den Zugang leicht verschließen können. Aber man konnte unerwartet sterben ohne Taufe und blieb dann dem Teufel unabänderlich und unwiderruflich: am Schlagfluß z. B., wo viele Leute bei jedem Aussprechen des Wortes Schlagfluß hinzusetzen: Gott bhüet is drvor. Daher fing man an, früher zu taufen, so früh als möglich; denn der Gefahr des Sterbens war man vom ersten Tage an ausgesetzt. Man taufte also junge Kinder und das konnte man recht gut, ward ja im A. Testament auch die Beschneidung am achten Tage verrichtet und sagte Christus kein Wort, wie früh oder spät man taufen solle. Nach langem Streit wurde der neue Gebrauch allgemein; aber der alte Glaube, daß Ungetaufte des Teufels seien, blieb, blieb nicht nur unterm Volk, sondern ward auch Kirchenglauben, obgleich er durchaus keinen Grund in der Bibel hatte. So war z.B. in der Stadt Büren in der dortigen Kirche ein Muttergottesbild, von dem man behauptete, alle ungetauft gestorbenen Kinder würden in dessen Armen auf so lange wieder lebendig, daß ihnen das Sakrament der Taufe könne gegeben werden. Man kann denken, wie unendlich viele Kinder zu demselben gebracht wurden und wie viele Eltern weinten, als man es bei der Reformation verbrannte. Denn obgleich das Bild verbrannt wurde, blieb doch der alte Glauben. Es ist sonderbar, wie mancher Aberglauben der Vorzeit so fest den Leuten in den Köpfen sitzt, während so manche alte schöne Wahrheit nie in die Köpfe will. Habt ihr nie bemerkt, Schulmeister, daß, wenn euch eines Tages Kinder unrichtig antworten und ihr verbessert die Antwort, stellt das Rechte dar und ihr kommt morgen wieder und fragtet: was ihr gestern gehabt? die Kinder euch das Unrichtige repetieren als verhandelte Wahrheit und von der wirklichen nichts mehr wissen? Wenn man übrigens den Glauben der Menschen untersuchen würde, den Glauben, der auf ihr Leben eigentlich Einfluß hat, man würde da wunderliches Zeug finden; man würde finden, daß an diesem Glauben die Bibel den wenigsten Anteil hat. Dieser eigentliche kursierende Volksglauben wechselt etwas im Laufe der Zeiten, aber langsam, und wenn derselbe einmal mit dem Bibelglauben zusammentrifft, dann ist's gut; aber leider sind wir noch nicht da. Nein,« schloß der Pfarrer, »geht nur und sagt eurem Weibe: der Heiland, der sagte: Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich, der Heiland, dem alle Gewalt gegeben ist auf Erden und im Himmel, der wird nicht Kinder lassen geboren werden und sterben, um sie dem Teufel in seine Klauen zu befördern. Ein solcher Glaube ist eigentlich Unsinn und Gotteslästerung, und wenn ich eure Frau sehe, so will ich ihr eins abkapiteln.«

Da bat ich, er solle ihr doch recht nicht sagen, daß ich ihm gesagt, sie glaube so etwas; sie würde es ungern haben; ich wolle sie jetzt schon trösten und ihr sagen, woher dieser Glaube käme.

Das sonderbare Übereinstimmen meiner Frau mit dem Pfarrer nahm mir die Angst, und andächtig brachte ich des andern Morgens früh die kleine Leiche, die wir vorher noch brünstig geküßt halten, dem Totengräber auf den Kirchhof. Derselbe hatte das kleine Gräbchen in der Dachtraufe gemacht und gar nicht tief. Ich frug ihn: warum er es gerade hier gemacht, wo es ihm mehr Mühe gegeben hätte. Er sah mich kurios an und sagte endlich: ich sei ja ein Schulmeister und werde das wohl wissen. Endlich, nachdem ich meine Unwissenheit augenscheinlich an Tag gelegt, dadurch aber nicht wenig an meinem Respekt eingebüßt hatte, sagte mir der weise Totengräber folgendes: je näher der Kirche man begraben werde, desto sicherer sei man vor den bösen Erdgeistern, und da ungetaufte Kinder nicht durch die Taufe vor ihnen geschützt würden, so thue man sie an die Kirche, um durch die Kirche selbst beschützt zu werden. Dann thue man sie ins Dachtrauf, damit sie noch hier getauft würden. Wenn nämlich der Pfarrer das Taufwasser bsegne, so werde alles Wasser in und an der Kirche zu Taufwasser (d. h. der h. Geist komme in dasselbe), so daß, wenn es einmal stark regne zu selber Zeit, so werde auch Regenwasser auf dem Dach Taufwasser, und wenn es nun Hinunterrinne und bis zu dem Kinde dringe, so werde das Kind im Boden so gut und gültig getauft, als das Kind in der Kirche.

Wie doch die Leute erfinderisch sind, dem Teufel die Menschen aus den Klauen zu reißen, wenn sie tot sind, und wie sorglos stürzen sie sich in seine Arme, so lange sie lebendig sind! Wie angst ist es ihnen um die Seligkeit anderer und wie schnöde spielen sie um die eigene! Freilich nicht mit Karten, wie jene berühmte Spielerin zu H., welche, als sie kein Geld mehr hatte, ihre Seligkeit einsetzte statt 6 Kreuzer und dieselbe auch richtig verlor; aber sie verganggeln sie mit Thaten und Worten gleichgültig und leichtsinnig. Wie angst ist es ihnen um ihre ungetauften Kinder und um ihre Seligkeit, und ihre getauften führen sie dann dem Teufel selbst zu durch Beispiel und Anreizung, durch Sorglosigkeit und Liederlichkeit! Sie blasen in ihnen das Böse eigenmäulig an und lachen dazu; »Es macht nüt, es macht nüt,« meinen sie, und wenn dann endlich die Flamme der Sünde über ihren Häuptern zusammenschlägt, so schreien sie Mordio: »Brönn nit, brönn nit!« Ihre toten Kinder soll der liebe Gott absolut haben; ihre lebendigen gehen ihn nichts an. Ihre toten Kinder sollen zunächst an die Kirche; ihre lebendigen halten sie schnöde und mutwillig davon zurück, fluchen dem Pfarrer, wenn er sie hineinbringen will, und sagen dem Schulmeister wüst, wenn er eine halbe Stunde länger Kinderlehre hat. So sind die Leute voll Widersprüche und woher kommen die wohl? Die kommen eben daher, daß der Aberglaube sie regiert und nicht der Glaube; daß Hirngespinste ihre Religion sind und die Wahrheit von ihnen ausgespuckt wird; daß sie alles glauben, nur nicht das, was von Gott kömmt. Und woher kömmt dieser verkehrte Sinn? Der kömmt daher, weil die Menschen thun wollen, was sie ankömmt, und nicht, was Gott will; weil sie beharren wollen im Ungehorsam und doch die Seligkeit nicht wollen fahren lassen. Sie wollen die Früchte von Jesu Leben und Tod; aber Früchte, die sich der Besserung geziemen, die wollen sie nicht bringen. Darum ersinnen sie so widersinniges und glauben so widersinniges. Aber was wird das einst für ein Erwachen sein aus solch selbstgemachtem Lug und Trug?


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