Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Wie endlich auch ein Pfarrer das Maul braucht.

Am andern Morgen war ich viel zahmer geworden, und als mein Weibchen mir sagte, gestern sei ich ein Uwirsche gsi, widerredete ich mit keinem Wörtlein, sondern nahm das Urteil in Demut an. Aber etwas stach mich doch, nämlich der Gwunder, was der Pfarrer dazu sagen werde, wenn er vernehme, daß ein neues Schulhaus gebaut werden solle, ohne daß er daran gestüpft.

Ich nahm daher nach der Schule den Schulrodel unter dm Arm und wanderte dem Pfarrer zu, unter dem Vorwand, ihm denselben zur Einsicht zu bringen.

Die Magd sagte mir, als ich bescheidentlich geklopft hatte: es sei neuer bei ihm; ich werde wohl warten müssen; es sei kein Herr und kein Bauer; auf den verstang sie sich afe nüt, setzte sie redselig hinzu, nach Art der Pfarrersmägde, die Stundenlang mit einem Zaunstecken klappern können, wenn sie keinen Menschen bei der Hand haben.

Ganz verwundert war ich, als sie mich sogleich hereinrief, aber noch verwunderter sah ich beim Pfarrer am Kamin mit einer großen Pfeife in der Hand sitzen keinen andern Menschen, als meinen Bekannten, Bendicht Wehrdi, der wunderliche Jäger. Ich vergaß den Gruß vor Erstaunen, daß e sellige beim Pfarrer sei, und muß allerdings eine kuriose Postur gemacht haben; denn beide fingen an zu lachen und Wehrdi sagte: Gellet, Schuelmeisterli, da habt ihr mich nicht geglaubt anzutreffen, so einen, von dem ihr so halb und halb glaubt, es sei des Teufels Bundsbruder oder wenigstens sein Bruderssohn. Der Pfarrer bemerkte mir im Vorbeigehen, er habe ihn auf der Jagd kennen lernen, und statt über einander schalus zu werden nach Jägerweise, seien sie mit einander bekannt geworden und hätten schon manche vergnügte Stunde mit einander zugebracht. Somit schob er mir den Tabaktopf zu, und erst nachdem ich meine Pfeife gestopft und eine glühende Kohle aus dem Kamin geholt mit den Fingern, und unter vielen Grimassen sie auf meine Pfeife gebracht zu ihrem großen Spaß, fragte mich der Pfarrer: was mich Gutes hergebracht?

Ich gab ihm den Schulrodel und klagte über den Unfleiß einiger Kinder.

Das sei ein Elend damit, sagte der Pfarrer. Die Leute hätten keinen Begriff von einem ordentlichen Schulbesuch; sage mau ihnen nichts, so bleibe es im alten; sage man etwas, so werde es noch schlimmer. Am Chorgericht sage niemand etwas, als der Pfarrer; schicke man sie ins Schloß, so könne es geschehen, wenn sie zu lügen verstünden, daß das Chorgericht oder die Gemeinde einen tüchtigen Putzer erhielten, so daß die Verleideten trotziger würden als nie und ihre Kinder noch weniger schickten.

Man sollte den Leuten den Nutzen einer Schule deutlicher zu zeigen vermögen durch die Leistungen der Schule, sagte Wehrdi. So wie es jetzt in den meisten zugehe, bekenne er frei, könne er die Leute nicht tadeln, wenn sie ihre Kinder lieber zu Hause hätten und wenn sie immer mit ihrem Sprüchlein kämen: was nützt es, was trägt es ab?

»Ihr habt vollkommen recht,« sagte der Pfarrer. »Aber auf der andern Seite kann der Schulmeister sagen: Sendet mir die Kinder vor allem aus; gebt mir Platz, daß ich mich rühren kann mit den Kindern, und einen Lohn, daß ich mich rühren mag. So wehrt sich das gegen einander und kein Teil thut die ersten Schritte.« Ja, sagte Wehrdi, und wenn mancher Schulmeister alles bekäme, was er wollte, so würde er doch nicht nützliche Schule halten, und alles, was die Kinder in der Schule lernten, wäre eitel Mundwerk, das weder ihren Verstand noch ihr Herz berühre und mit dem sie so wenig zu machen wüßten, als ein hungeriger Länder mit einem Kratten voll Austern.

»Mag sein diesen Augenblick,« sagte der Pfarrer, »aber laßt nur einmal auf dem Lande das Bedürfnis erwachen, und es wird erwachen, so wird das einander schon erlesen. Besser wäre es allerdings, man sorgte zu rechter Zeit dafür, daß man dem erwachten Bedürfnis befriedigend entgegenkommen könnte. Allem das geschieht nun einmal nicht. Ja, man zwingt den Landmann, daß er dieses Bedürfnis erhält, spottet dann dieses Bedürfnisses und sucht es wieder niederzuhalten.«

»Ja! aber da könnten doch die Pfarrer viel machen.«

Da lachte der Pfarrer und meinte: ob er auch einer von denen sei, welche die Pfarrer zu Sündenböcken für aller Welt Sünden machen wollen? Die Pfarrer könnten allerdings viel machen, aber den Weltgang doch nicht; den mache Gott. Er führe die Menschen den Entwicklungsgang, den seine Weisheit abgemessen. Im Strome der Zeit schwimmen die Pfarrer mit, wie alle Sterblichen. Nicht am Ufer des Stromes stünden sie, nicht über ihm schwebten sie. Wohl schwimmen immer einige voran; zu Märtyreren oder Reformatoren würden diese; viele seien es aber nie durch Gottes Ordnung. Bald komme die Masse nachgeschwommen. Was die Reformatoren zuerst erblickt, das gehe vor allen Augen auf, werde Gemeingut aller. In dieser Masse Ordnung zu erhalten und zu sorgen, daß ihre Augen nicht zufielen, dafür brauche Gott die Pfarrer als Werkzeuge; aber unmöglich könnten sie den Leuten Dinge zeigen, die sie selbst noch nicht sehen; unmöglich könnten sie dieselben zwingen, etwas zu erblicken, was außer dem Gesichtskreis sterblicher Augen liege. »Wenn es näher kömmt, dann sollen sie deuten darauf, es erklären und weise die Benutzung lehren. Während man auf der einen Seite ihnen Schuld geben möchte, daß die Eva in den Apfel gebissen, weil sie es nicht gethan hätte, wenn sie recht unterwiesen gewesen wäre, lähmt man den Einfluß der Pfarrer von allen Seiten, zieht sich von denselben zurück und sondert sie ab, so viel möglich. Man wird auch wieder sagen, das sei Schuld der Pfarrer. Nein, das ist ein Zeugnis für viele, das dem ganzen Stande zu gut kömmt. Man fühlt schnellere Strömung der Zeit, man fühlt ein Zwitzern hellern Lichtes in den Augen; es wird gar vielen bange dabei und sie möchten bannen des Stromes Lauf, und Herrn und Bauren möchten gar aufwärts schwimmen. Diese wähnen auch, die Pfarrer seien Schuld, daß abwärts der Strom fließe, daß er sie fortreiße abwärts, einem neuen Zustande, neuen Ufern entgegen. Sie wähnen dieses, weil die Pfarrer, wenn auch nicht voranschwimmen, doch vom Lauf der Zeiten reden und verkünden, es müsse besser werden, so könne es nicht bleiben. Die einen freilich verkünden nur, der alte Mensch müsse ein neuer werden, andere wohl zeugen davon, daß, wie der Mensch sich erneuere, auch mit ihm die Zustände sich neu gestalten müssen. Aber alle reden von Veränderung; darum drängt man sie bei Seite, damit ihren Ruf wenige hören; drängt sie an den Schwanz der Gesellschaft zurück, um ihnen dann vorzuwerfen, daß sie nicht voranschwimmen, um einen Vorwand zu suchen, sie zu versenken in des Stromes Tiefen. Wenn einmal das Neue deutlicher ans Licht trittet, dann werden die gleichen, welche jetzt die Pfarrer zurückdrängen, den wütendsten Lärm gegen sie erheben und die Versenkung versuchen, unter dem Vorwande: die Pfarrer seien Schuld, daß sie nicht vorangeschwommen, daß der Strom nicht schneller fortgebraust, daß die neuen Ufer nicht vor tausend Jahren aus dem Ocean der Zeit aufgetaucht seien. So, lieber Wehrdi, ist's, wenn man die Stellung des ganzen Standes betrachtet; von einzelnen rede ich nicht. Man wird mich vielleicht später auch verketzern, mir Trägheit, Finstersinn und weiß Gott was alles, vorwerfen, daß meine Gytiwyler nicht lauter Engel Gabriels seien, und doch weiß ich diesen Augenblick nichts anders zu machen, als im Stillen und unbemerkt Samen auszustreuen, der in einer bessern Zeit aufgehen wird, mich scheinbar ganz leidend zu verhalten und der Zeit die bestimmtere äußere Entwicklung zu überlassen. Mein Vorfahr war ein rüstiger Schwimmer; aber er sah jedes Irrlicht für die Sonne selbst an und verkündigte dasselbe mit lauter Stimme und wollte den aufgefangenen Schein in alle Häuser tragen. Wer immer Feuer schreit bei jeder Abendröte, jedem Mondes-Wiederschein, jedem brennenden Dingelhaufen, dem glaubt man am Ende nichts mehr, lacht über sein Geschrei, auch wenn er über wirkliches Feuer »Feuer!« schreien sollte. Und wenn ein anderer Wächter kömmt, so hört man auch auf dessen Ruf nicht. Eine Gemeinde ist kein Spital, in denen die Ärzte ihre neuen Mittel probieren; ein Pfarrer muß sich vor Experimenten hüten; ein fehlgeschlagenes kann ihm auf immer das Vertrauen rauben. So will manche Frau mit ihrem Mann nie mehr fahren, weil er sie einmal umgeworfen. – So bin ich daran, und ich brauchte meinen Leuten nur etwas vorzuschlagen, so machen sie das Gegenteil davon. Jetzt gerade wegen eurem Hause, Schulmeister, Ich brauchte nur zu sagen, sie sollten bauen, so würden sie es expreß nicht thun, und müßten ihre halben Kinder vor der Thüre bleiben. Ich habe auch letzthin dem Statthalter gesagt, es sei mir leid, daß sie das Bauen nicht vermöchten, und habe dazu ein recht ernsthaft Gesicht gemacht, so daß er es nicht als Spott aufnehmen konnte. Nun nimmt mich Wunder, ob ihm das nicht yne gange ist?«

»Aber, Herr Pfarrer, habt ihr das nicht im Ernst gesagt und gemeint, die Gytiwyler seien nicht Vermöglich?«

»Aber, Schulmeister, glaubt ihr mich denn auch dumm? meint ihr, ich habe keine Augen, sehe die Misthaufen zu Gytiwyl nicht? habe keine Ohren, vernehme nicht, wie große Kapitalstöcke da und dort seien? Aber habt ihr gehört, was ich gesagt? hat es der Statthalter brichtet?«

»He nun, Herr Pfarrer, das hat bschosse; sie wollen nicht die sein, welche nicht vermögen ein Schulhaus zu bauen so gut als die Lättikofer, oder noch viel besser. Gestern an der Gräbd haben sie dem Kilchmeier den Auftrag gegeben, mit einem Zimmermeister zu reden.

Da sprang B. Wehrdi auf, schlug seine Pfeife in eine Ecke und fluchte ganz malebarisch: ob dann das eine solche Nation sei, daß' sie aus Dummheit bauten und nicht aus Einsicht?

»Sitzet ume wieder,« sagte der Pfarrer, »und laßt mir meine Gytiwyler in Ruhe, die kann man doch noch an einem Ort anpacken; aber da ist alles verloren, wo man die Leute gar nirgends mehr nehmen kann; wo sie sind, wie irgend ein fauler Gegenstand. Löcher in denselben stupsen könnt ihr, daß er doppelt stinkt und ihr die Schuhe voll kriegt, aber vorwärts stupsen könnt ihr ihn nicht. Meine Gytiwyler lasse ich mir nicht schelten, das sind mir noch kräftige Leute, die in Bewegung kommen und zu Entschlüssen, die es auch noch im Guten recht weit bringen können.«

Er könne den Herrn Pfarrer gar nicht begreifen, sagte Wehrdi, daß er da etwas Gutes sehe; da sei doch nichts Gutes, wo man etwas aus lauter Hochmut und Trotz thue. »Mein lieber Mann,« sagte der Pfarrer, »haben wir nicht vorhin gesagt, daß es ein großes Unglück sei, daß Bauren und Schulmeister so gegen einander versperren und von keiner Seite ein Wank gethan werden will? Kömmt es nicht alles darauf an, daß ein Teil in Bewegung gerate, und teilt diese Bewegung sich nicht unwillkührlich auch dem andern Teil mit; ist nicht der erste Schritt der erste von vielleicht vielen taufenden? Nun haben diesen ersten Schritt meine Bauren gethan; ist das nicht lobenswert?«

»Herr Pfarrer, zürnet nüt, aber noch eines muß ich fragen,« sagte Wehrdi: »Ist's denn eigentlich auch recht, die Fehler der Menschen anzuspannen und durch Verstellung sie zu reizen zu irgend etwas?«

Da sah der Pfarrer ins Feuer und sagte endlich: er wisse nicht, ob wir ihn begreifen werden; wenn wir das nicht thäten, so würden wir ihn gar wunderlich beurteilen; doch wolle er versuchen, sich näher zu erklären. »Habt ihr dann nie bemerkt die furchtbare Ironie der Vorsehung, die alle bösen Kräfte im Menschen also regiert, daß sie das Gute schaffen, die Bausteine zu ihrem Gefängnis selbst herbeischleppen müssen? Das ist, was das Fragenbuch sagt, daß die Sünden durch Gottes Fürsehung regiert werden, siehe Grempel an Joseph und seinen Kindern, an Christus und den Juden. Wie stünde es wohl mit der Welt, wenn nicht wider Willen die Leidenschaften das schaffen müßten, was Gott gefällt? Wäre das nicht, wir hätten kein Christentum; nie wäre die Reformation zu den Völkern gedrungen. In gar wenigen Menschen wohnt der reine Sinn, der das Gute um des Guten willen thut, wohnet die Weisheit, die im Gutesthun das wahre Glück sieht. In den meisten Menschen regieren schlimmere Kräfte, herrscht Finsternis oder trübes Dämmerlicht. Der schlaue Betrüger, der gibt seinen Betrug nicht offen dar; er spürt eben in seinen Nächsten die regierenden Kräfte auf und sucht diese zu seinen Zwecken in Bewegung zu setzen, zu seinen Dienern zu machen. Der bessere Mensch, der unverhohlen mit dem Bessern hervortrittet, den Leuten es anpreiset, zu Erreichung desselben sie in Thätigkeit setzen will, der findet keine Augen, die sehen, keine Ohren, die hörn, keine Kräfte, die zu seinem Zwecke sich zur Verfügung stallen; er findet keinen Sinn dafür, wird nicht begriffen, ausgelacht, verfolgt, totgeschlagen. Er findet wohl Eigennutz, Hochmut, Eitelkeit, Ehrgeiz, Neid und dergleichen, aber eben die schreien ihn an: Kreuzige, kreuzige ihn! Warum versucht es der bessere Mensch nicht auch, die einmal herrschenden bösen Kräfte anzuspannen für das Gute? Sagt das Sprüchwort nicht: man müsse mit den Steinen mauren, welche man habe? Nur gebe man wohl Acht, was für Steine man zu Ecksteinen nehme in Staat, Kirche und Schule; von ihnen hängt die Festigkeit des Baues ab. Wer Staat, Kirche, Schule auf religionslose, unsittliche Menschen, auf Menschen, welche treulos sind in alten und neuen Eiden, bauen wollte, der brächte den Fluch in den Staat, in die Kirche oder in die Schule.Was denkt wohl Zürich, zu was der Convertit Scherer ihm werbe: zum Fluch ober zum Segen? was er ihm sei: eine Zierde oder ein Makel seines schönen Geländes? Warum versucht er es nicht, gerade durch sie das Gute da zu vollbringen, wo er weiß, daß der Sinn dafür fehlt? Man verwechsle das durchaus nicht mit der Sünde, schlechte, unerlaubte Mittel zu brauchen zu gutem Zwecke, wie der h. Crispin Leder stahl und armen Leuten Schuhe daraus machte. Auch mochte ich durch kein unerlaubt Mittel, durch keine Lüge, keine Verleumdung, keine falsche Verheißung diese Kräfte erregen, wie es allerdings nur zu oft geschieht; aber mein Mittel war ein erlaubtes: es war die Ironie; es war die gleiche Redweise, die Christus brauchte, als er sagte zu den Pharisäern: die Gesunden brauchen den Arzt nicht, sondern die Kranknen. An andern Orten wurden Schulhäuser erzwungen dadurch, daß man durch vorzügliche Schulen den Beweis leistete, was eine Schule nützen könne, an andern Orten durch Furcht. Beides hätte hier nicht angeschlagen; darum brauchte ich dieses Mittel, mit dem ich aber an andern Orten, z. B. im Seeland, nicht weit gekommen wäre. Es gibt aber noch viele erlaubte Mittel zu diesem Zweck. So habe ich nun den Hochmut aufgestiefelt, der muß ein Schulhaus bauen; der hat den Eigennutz diesmal überwunden und muß damit an seinem eigenen Grabe graben; denn was wird wohl eine größere Feindin des aufgeblasenen Hochmutes, als ein Schulhaus, in welchem eine tüchtige Schule ist, welche aus jedem Leibe die Menschenwürde herauszuwickeln versteht? Aber gebet Acht, der Eigennutz wird diesen Sieg dem Hochmut nicht verzeihn, wird bald wieder zu reden anfangen, wird auch zum Bauen reden und später dann etwas von der Schule wollen, einen Nutzen, den er in Batzen und Kronen zählen kann. Ihr könnet euch nur verfaßt machen, Schulmeister, auf die Forderungen die dann an euch gemacht werden. Wenn ihr nicht in der halben Zeit die Kinder noch einmal so geschickt macht, so wird es bald heißen: We's nit besser geyt, su hätte mr no ke's neus Schuelhus brucht, das alte hätti's no lang tha; mr hei gmeint, wie es de gah soll.« Das sei gerade, was mir Kummer mache, sagte ich; die Bauren halten mir schon darauf hingedeutet, daß sie für sich viel geschicktere Kinder wollten. Nun erzählte ich, wie die Vorgesetzten den Kopf hätten hängen lassen, wie sie durch die neue Ordnung in vielfachen Schaden und Verlegenheit kämen und keiner von ihnen mehr sicher sei, daß man ihn nicht von hundert Jahren her in Verantwortung ziehe. Ich stellte am Ende auch dar, wie der alte Bauer eine Aussicht eröffnet habe, daß ein Gring soviel wert werden könne als ein Baurenhof, besonders im Weltsche hinger, und wie der Statthalter willens scheine, einem seiner Buben zu diesem Glück zu verhelfen. Die aber, welche ihre Kinder nicht ins Weltschland schicken wollen, werden nun meinen, ich solle die Gringe ihrer Kinder so abträglich machen, und wenn ich es nicht thäte, so ginge es übel an. Aber wenn ich das könnte, so finge ich bei meinem Kopf an; ich hätte es am nötigsten.

Wehrdi wollte sich ausschütten vor Lachen über das Güegt, das auf einmal in die Bauren gefahren; es nehme ihn nur Wunder, ob sie dann diese Gringe nicht auch z'Märit führten oder trieben, wie Kabisköpfe oder Güstern?

Der Pfarrer aber lachte nicht, sondern schaute sehr ernst drein und sagte; die Sache sei von weit ernsterer Bedeutung, als sie das Aussehen hätte. Wenn man die Gräbdgespräche aufmerksam betrachte, so finde man hier die Elemente beisammen, aus denen ein neuer Zustand im Kanton hervorgehen, und auch die Kräfte, welche ihn mehr oder weniger herbeiführen werden; ja man finde da bereits einen Grund und noch dazu einen breiten und festen gelegt zu demselben.

Wehrdi sagte, das könne er nicht einsehen. Was ein Dutzend halbvolle Bauren verrücktes schwatzten, dem sei doch nicht bedeutende Wichtigkeit beizulegen?

»Warum nicht?« entgegnete der Pfarrer. »Reden sie in diesem Zustand nicht am offensten, vernimmt man in diesen Reden nicht am deutlichsten, was in ihnen sich regt? und ist dieses Reden nicht so bedeutungsvoll?«

Da rege sich in den Gytiwylern der Hochmut und die Habsucht und die Furcht, nicht mehr hochmütig sein zu dürfen, die Furcht, um ihr Eigentum zu kommen, die Hoffnung, auf neue Weise reich zu werden; aber das sei doch eben nichts Neues und hätte für den Kanton wenig zu bedeuten, entgegnete Wehrdi.

»Das, was ihr bei den Gytiwylern seht,« sagte der Pfarrer, »ist aber nicht bei ihnen alleine, sondern in der Mehrzahl der Gemeinden ist eine ähnliche Bewegung oder Störung in den Gemütern, und gerade diese Störung wird das Neue gebären.« Eigennutz und Hochmut seien allerdings die Hauptkräfte bei seinen Leuten. Wie er den Hochmut gestört und dadurch zu einem Schulhausbau aufgejagt habe, so scheinen ihm beide, Hochmut und Eigennutz, aufgestöbert zu sein zu einem höheren Ziele; angespannt worden zu sein, wieder etwas Gutes zu schaffen wider Willen.

Wehrdi sagte, er kenne den Zustand im Kanton zu wenig, um das begreifen zu können, was der Pfarrer sage; aber er wollte es sich gar gerne erklären lassen.

Es sei gegenwärtig schwer über solche Dinge zu reden. Da könne man wohl sagen, die Wände hätten Ohren und die Wälder Augen, sagte der Pfarrer und warf einen bedenklichen Seitenblick auf mich. Doch, fuhr er fort, hoffe er von mir, was ich hier höre, werde ich nicht mißbrauchen, sondern wieder vergessen, wenn ich die Stube hinter mir hätte.

Natürlich versprach ich alles Liebs und Guts. Eigentlich hätte ich gehen sollen, denn meinen Schulrodel hatte ich abgegeben; aber es nahm mich doch Wunder, was da der Pfarrer aus meinen Bauren Tiefes herausgrübeln werde und wie er aus einer Laus einen Elephanten werde machen können; was Pfarrer nicht selten gut verstehen sollen.

»Im Kanton Bern regieren also die Patrizier,« begann ber Pfarrer, »betrachten den Kanton so ziemlich als ihr Familiengut oder ihre Familienkiste, deren Verwaltung und Benutzung ihnen ausschließlich zukomme. Wie sie zu diesem ausschließlichen Recht gekommen, könnte niemand begreifen, wenn man nicht wüßte, was Anmaßung auf der einen und Gleichgültigkeit oder Feigheit auf der andern Seite auszurichten vermögen. Denn das neue Patriziat ist nicht mehr das alte, das glorreiche Thaten und die Ehrwürdigkeit des Alters für sich hatte. Das neue Patriziat besteht, mit wenigen Ausnahmen, aus ganz ehrlichen Bürgersleuten, die akurat das gleiche Blut haben, wie es in allen menschlichen Adern im Kanton Bern stießt. Es waren Barbiere, Leinwandhändler, adelige Knechte, Gerber, Metzger, Färber, Schneider, Rebleute und endlich auch Kaminfeger. In dieser Partei sind hochgesinnte patriotische Männer; aber diese Partei trägt als Fahne den Hochmut vor sich und in sich Eigennutz, und beide zusammen wirken ihre Ausschließungssucht; sie wollen die ersten sein im Lande und die einzigen, welche sich teilen können in das Fett des Landes; nur den Abfall lassen sie aus Gnaden andern zukommen: Weibel- und Sigristendienste in der Stadt, Zöllner- und Statthalter-Ämtlein auf dem Lande.

»Daß sie nicht eigennützig seien, wollen sie zwar immer aus dem Sammeln von Schätzen beweisen, die sie doch hätten verthun können: dieser Beweis gibt den besten Begriff, wie weit sie es in der Logik gebracht und von ihrer Einsicht in gemeiner Leute Verstand. Sie haben allerdings Schätze gesammelt als kluge Haushalter, haben nicht thorrecht alles verthan in unsinniger Verschwendung, wie in andern aristokratischen Kantonen; aber dies war eben die berühmte bernerische Klugheit, die Klugheit des Hausvaters, der nicht alles verthut, aber nicht deswegen, um das Ersparte dem Gesamtwohl zukommen zu lassen, sondern um sich mehr Gewicht zu geben, günstige Zeiten günstig anwenden, böse Zeiten mit Geld unschädlich machen zu können. Als sie die Staatseinkünfte verteilt hatten, bis es jeder wohl und standesgemäß erleiden mochte, da verschwendeten sie das übrige nicht, sondern legten es zurück, aber wohlverstanden nicht als Landesschatz, sondern als Familienschatz, um ihr Regiment aufrecht zu erhalten. Sie wußten wohl, was man mit Geld machen kann, ja sie meinten, mit Geld alles machen zu können. Darin irrten sie sich. Als ihren Familienschatz die Franzosen genommen, als sie im Jahr 1814 nicht viel mehr vorfanden, da war ihr denkwürdigstes Unternehmen: mit dem Burgergut von Bern das Fundament ihres Familienschatzes zu legen; denn einen solchen glaubten sie sich unentbehrlich, wie sie es ehrlich selbst bekannten. Es gelang ihnen nicht ganz, sondern nur insoweit, dieses Burgergut zu Pöstlein für ihre hungerigen Leute, die im Staatsdienst nicht angestellt werden konnten, zu verwenden, und die Verwaltung so in ihre Hände zu kriegen, daß sie im Fall der Not doch alles mögliche mit dem Vurgergut für ihre Zwecke machen konnten, der Bürger aber nichts, als höchstens um die Bannwartenstelle sich zu bewerben.

»Während diese nun auf solche Weise sich konstituierten, thaten es alle Ortschaften auf gleiche Weise. Der Kanton Bern glich einem zerschlagenen Kristall; die Stücke waren wohl größer und kleiner, aber alle hatten die Kristallbildung. In jedem Örtchen war eine Aristokratie; manchmal freilich bestund sie nur aus einem, und der eine oder die vielen nahmen den Hochmut und den Eigennutz der höhern Aristokratie an auf die lustigste Weise; denn der Geist von oben flieht nieder auf das Volk. So konnte das Söhnlein eines solchen einem Knecht, der einen verbotenen Weg nicht fahren wollte, zurufen: »Fahr du ume zue, i bi guet drfür, es seyt niemer nüt, my Vater ist dr Napoleon z'E. Diese kleinen Aristokratien wurden von der großen anerkannt, geschont und gehätschelt. Es gehen Sagen durchs Land, daß Mitglieder der Landesaristokratieen meinen gnädigen Herren den Strich verzinseten, d. h. von Verbrechen, die mit dem Tode bestraft worden, sich losgekauft, daß Untersuchungen absichtlich fruchtlos gemacht wurden. Ja, man sah Beispiele, daß Landvögte, welche die reiche untere Aristokratie drücken wollten, tüchtig von oben zurecht gewiesen wurden. Diese untere Aristokratie wurde in der Helvetik ausgelassen, in der Mediation befestigt und während der Restauration, nachdem sie mit Rekruten vermehrt worden war, einige Zeit freundlich behandelt; denn sie ist es, welche dem Patriziat gegen die übrigen Bürgerschaften des Landes seine Kraft gibt, nebst dem Gelde, das es sich sammelt.

»Früher lebte die hohe Aristokratie auch auf dem Lande und ließ während dieser Zeit sich zum Volk herab, zog die Angesehnsten zu Tische, oder jagte mit ihnen einen Hasen, oder half dem einen oder dem andern zu Gelde x. Nun wird dieses nach und nach ganz anders. Der Grundbesitz der Aristokratie geht in andere Hände über, weil sie die Zeit, wo man nicht mehr mit der Faust, sondern mit dem Kopf erwirbt, nicht begreifen; ihre Personen werden fremder und immer fremder in dem Lande; ihre Namen verklingen immer mehr außerhalb den Mauren der Stadt. Zu gleicher Zeit drängt sich eine geheimnisvolle Macht an die Landesaristokratieen, untergräbt, zersprengt sie, fordert sie vor das Gesetz, straft sie unerbittlich. Ihr Hochmut wird gebeugt; andere freier gewählte Gemeindräte treten ihnen an die Seite, erheben sich über sie: ihr Eigennutz wird aufgeregt, alte Rechnungen werden untersucht und in Zukunft schnelle und getreue Ablage, eine eigene Verantwortlichkeit gefordert. »Während so die Dorfaristokratie aufgestöbert und erbittert wird, verfolgt die gleiche Macht die Repräsentanten der Stadtaristokratie, die aus dem Land sind. Die Landvögte erhalten ganze Stöße Wischer. Einer hat eine große Schublade anstellen müssen und manchen wirft er uneröffnet hinein. So züchtigt man die Oberamtmänner; aber man läßt sie doch auf dem Lande; man sendet nicht tüchtigere Männer; man sorgt nicht, daß bessere nachwachsen. Bloß wenn einer gar zu dumm ist, sendet man ihn nach Göttingen. Nicht damit er studiere, denn darum bekümmert sich niemand, sondern damit es heiße, er habe studiert. Davor hat man in Bern gewaltig Respekt. So stellen sie sich immer mehr in gewaltiger Blöße dar und die Leute verlieren allen Respekt oder wenigstens alle Furcht vor denen, welche sie so oft zurechtgewiesen sehen.

»Ich konnte lange dieses Thun nicht begreifen, konnte nicht begreifen, wie man in Bern so verblendet sein könne, sich selbst den Sitz unter dem H. wegzustoßen und sich alle Tage in seiner Schwäche und Unfähigkeit zu zeigen; denn eine Aristokratie muß sehr konsequent sein, so gut als der Papst; sonst ist ihr die Gewalt entflogen, sie weiß nicht wie. Eine dämonische Gewalt, sah ich endlich, hat sich der Aristokratie bemächtigt und treibt sie ihrem Sturze zu.

»Sie ist es, welche die Dorfaristokratieen zerstört und Hochmut und Eigennutz feindselig aufregt, die Stadtaristokratie vereinzelt und deswegen in desto grellerm Lichte erscheinen läßt. Während alle Verwaltungen öffentlich Rechnung geben müssen, ist die Verwaltung des Staatsgutes geheim und die des Berner Vurgergutes noch geheimer u. s. w. Ich kann gar nicht begreifen, wie unsere Herren in diese Falle treten konnten. Die möchte ich aber kennen, die den Herren mit der neuen Gesetzgebung den Lätsch an den Hals gelegt; denn das ist nicht von ungefähr geschehen, sondern dann liegt tiefe und feine Berechnung, gegründet auf solide Kenntnis des Menschen und des Landes. Seht! auch die haben eine böse regierende Kraft bei den Herren angeregt zum Guten, den Hochmut, der manchmal wie Großmut aussieht, oder, wenn ihr lieber wollt, ihre Eitelkeit, durch welche Mittel weiß ich freilich nicht. Dieser Hochmut regt wiederum rings auf dem Lande böse Kräfte an zum Guten; Hochmut wird den Hochmut bekämpfen und beide werden im Kampfe ihre schädlichen Kräfte verschwenden. Auch der Eigennutz wird ins Spiel gezogen und treibt den Landmann zu mehrerer Bildung, treibt ihn hinter die Gesetzbücher und da gibt sich ihm nach und nach die Fähigkeit, zu verstehen, was er liest. Und wenn, wie es scheint, auch die Einsicht zu ihm dringt und er sie besser zu würdigen weiß, als das Patriziat: daß man mit dem Kopfe etwas zu verdienen Vermöge, so wird es in unserm Lande nach und nach wunderlich zugehen und man wird am Ende nicht mehr wissen, wer Koch und wer Kellner ist. Es werden sich eine Menge Kräfte entwickeln, und was sie dann ausrichten und in welcher Richtung sie thätig werden, oder ob eine sich erhebende kräftige Hand von oben sie in Zaum und Zügel nehmen werde, wissen wir nicht.

»Das, meine lieben Leute,« sagte der Pfarrer, »scheint mir die Gräbdgeschwätze so wichtig zu machen; denn sie zeugen davon, daß eine beabsichtigte Revolution bereits begonnen ist; aber listigerweise hat man diese Revolution in so unendlich kleine Teile zerbröckelt, daß sich nicht nur niemand ihrer achtet, sondern daß sie noch manchen sorglosen Junker ergötzt, ja daß er selbsten zu diesem ergötzlichen Spiel mit der größten Luft die Hand bietet; denn diese Revolution geht von Dörflein zu Dörflein, und des Jammers der Dorfmagnaten lachen die Stadtmagnaten, bis der Jammer auch an sie kömmt.« Ich saß da mit offenem Munde und konnte ihn gar nicht zubringen, nachdem der Pfarrer schon lange schwieg. Was ich da gehört, waren mir lauter böhmische Dörfer, und der Pfarrer kam mir akurat wie ein Wassergschauer vor, der da im klaren Wasser Dinge zu erblicken wähnt, die kein vernünftiges Auge sehen kann.

Der Wehrdi aber schien davon mehr zu begreifen. »Nun begreife ich,« sagte er, »warum die Bauren so über die Regierung und die Gesetze schimpfen, besonders über das Tellgesetz, das sie doch zu erleichtern scheint; und warum sie zugleich nicht alle mit Steuren belegen, wie das Gesetz sie berechtigt, sondern die Steuren auf dem Lande behalten. Sie wollen die Handwerker nicht an die Gemeinde; die könnten mit den Schulden-Bäuerleins gemeine Sache machen, deswegen ziehen sie keine Gewerbssteuer, und die armen verschuldeten Bauren müssen desto mehr teilen, aber dem fragen die Reichen nichts nach. Aber glaubet ihr dann, Herr Pfarrer, daß die Sache wirklich so ernsthaft ist? Unsere Bauren sind keine Helden; gegen eine Regierung, die pfänden und köpfen kann, lassen sie sich nicht nicht so bald auf.«

»Sie sind allerdings nicht schützig, wie die Luzerner oder die Seebuben, aber sie sind auch nicht vergeßlich; wenn einmal die Erbitterung in ihnen ist, dann passen sie auf eine Gelegenheit, ihr Luft zu machen,« erwiederte der Pfarrer. Sie werden bald sehen, wie stark sie im Lande werden. Denn wenn die tausend Dorfaristokratieen einmal einig sind, was will die Stadtaristokratie dagegen? Kein Menschenkind aber wäre im Stande gewesen durch Reden von Liebe, Friede, Vaterland und Bruderschaft sie einig zu machen. Darum ist's ein Meisterstück der Klugheit, daß die Aristokratie verleitet wurde, durch Anregung schlimmer Kräfte diese Einigung, ihre größte Feindin, selbst zu bewirken; denn die gemeinschaftliche Erbitterung verbindet nun, ehe sie es selbst wissen, tausend Dorfschaften, die bis dahin durch Neid und altangestammten und weislich genährten Haß auf immer getrennt schienen.«

»Aber, Herr Pfarrer, gefällt's euch denn, wenn die Bauren Meister werden?« sagte Wehrdi. »Ich bin zwar selbst ein Bauer, aber ich will mich doch lieber von Herren regieren lassen, als von Bauren; ich weiß aus eigener Erfahrung, was die können, wenn sie das Heft in die Hände kriegen. Ich gebe zu, das Patriziat regiert mit Hochmut und Eigennutz, trotzend auf eingebildetes Recht; aber beim Bauren werden die gleichen Untugenden zum Vorschein kommen; denn gerade diese Eigenschaften sind es ja nur, welche, wie ihr sagt, das Patriziat in ihm erregt. Was aber Baurenhochmut ist und wie plump im allgemeinen sein Eigennutz einherplampet, das weiß jeder. Der wird dann nicht einmal sparen, sondern erst wird jeder für sich nehmen wollen, soviel er kann, und was er nicht erhalten kann, das wird er verthun wollen, nur damit ein anderer es nicht kriegt.«

»Auf eure Frage könnte ich euch Nein und Ja sagen,« entgegnete der Herr. »Ein Baurenregiment im gegenwärtigen Baurensinn, das müßte z. T, ein lächerliches, z, T. ein furchtbar lästiges werden. Es werden auch Gemeinden gut regiert; aber in den meisten herrscht eine solche Despotie oder dann eine solche Uneinigkeit, ein solcher Eigennutz, Knauserei oder Verschleuderung, daß, wenn der gleiche Sinn der Sinn einer Regierung würde, es nicht auszuhalten wäre unter derselben, sie sich aber auch nicht halten könnte.

»Aber wenn es etwas neues gibt, so wird die neue Regierung aus allen Kämpfern gegen die alte zusammengesetzt werden, aus Bürgern und Bauren, und vor allem aus denen, die den bereits begonnenen geheimen Krieg eingeleitet haben. Hier sind doch viele edle und reine Kräfte: Männer die weder der Eigennutz noch der Hochmut leitet, sondern die Liebe zum Lande, welches so schnöde in der Entwickelung seines Lebens gelähmt wird. Die alle werden aber von den Alten ihre Hauptsünde erben: die Ausschließungssucht. Wie frei sich sich auch gestalten werden, etwas wird ausgeschlossen werden müssen von der Teilnahme an der Staatsverwaltung und wahrscheinlich wir; denn uns können die Advokaten am wenigsten leiden, aus bekannten Ursachen. Dann kommen ländliche und städtische Interessen hintereinander, und die Bürger, als die Schwächern, wird man zu verdrängen suchen. Die Advokaten werden besonders gegen einzelne kämpfen, die nicht gleicher Meinung mit ihnen sind, sondern ihnen zu Widerreden wagen. Aber am Ende würden auch sie von der Bauersami verjagt werden, wenn dieser Kampf hoffentlich nicht so lange dauert, bis etwas neues unterdessen neue Kräfte zum Kampfe bringt, die am Ende doch siegen müssen. Ich meine nämlich eine allgemeinere tüchtigere Bildung. Freilich wird sich auch hier die eigene Erscheinung zeigen, daß die Kraft, welche zu ihr hingetrieben, ihr die Richtung wird geben wollen, bis sie auch dem Grundgesetz unterliegt: daß aus dem Bösen das Gute wird. Der Eigennutz vorzüglich treibt die meisten zur Bildung jetzt, wie die Bauren an der Gräbd trefflich es ausgesprochen. Vor Schaden wollen die einen sich oder ihre Kinder wahren. Gewinnen wollen die andern; die Gringe sollen Höfe wert werden. Hier zeigt sich als die erste Frucht des Eigennutzes ebenfalls die Ausschließungssucht. Die, welche die Gewalt haben, werden nur ihren Kindern zu diesem Gewinn helfen wollen. Ehedem konnte man in den gewöhnlichen Schulen dieses bequem machen. Das Patriziat sorgte dafür, daß in den Schulen überhaupt wenig gelehrt wurde, und die Dorfaristokratie sorgte dann dafür, daß das, was sie für das vornehmste in dieser Lehre hielt, nur ihren Kindern zukam. Das läßt sich jetzt schon schwerer machen, was man vielen Pfarrern zu verdanken hat, und wird später noch viel schwerer zu machen sein. Daher wird man die gewöhnlichen Schulen so schlecht als möglich erhalten; die reichern werden ihre Kinder denselben entziehen, in besondern Anstalten sie erziehen lassen oder eigentliche Dorfaristokratenschulen stiften, wie man deren jetzt bereits an manchem Orte sieht. Dann wird der Eigennutz nur das lernen wollen, mit dem etwas zu verdienen ist, vor allem nicht deutsch, sondern weltsch. Denn man meint, es seien im Weltschland eigentliche Goldberge und Demantengruben für die Deutschen; weltsch sei der Schlüssel zu allen Geldkasten; weltsch helfe zu reichen Weibern und reichen Männern; weltsch helfe zum gut leben und gut haben, und wenn ein Bursche weltsch könne, so sehe man nicht mehr, daß er ein Lümmel sei, und wenn ein Schlärpli als Schlärpli wieder aus dem Weltschland komme, so dürfe es niemand mehr als Schlärpli ansehen, sondern man müsse von ihm sagen: es sei eine gebildete Tochter.

»Es ist, unter uns gesagt, nichts lustiger, als so ein ehemaliges Schlärpli und nunmehrige Tochter lismend durch das Dorf stolpern zu sehen, das Klungeli im Fürtuchsack. Man gehe dann hinzu und sehe, wie schwarz der Strumpf aussieht; denn eine solche Tochter kömmt selten in Jahresfrist vom Vörtli bis zu der Ferseren. Noch lustiger ist es, wenn sie einmal mit Rechen und Gabel auf der einen Achsel und mit der andern Hand ein Parisöli haltend heuen geht.

»Ferners wird man in den Schulen alles für überflüssig halten, was nicht zu der Bildung führt, die Geld einträgt unmittelbar, oder mittelbar dadurch, daß sie in die Regierung führt oder zum Handeln, mit einem Wort: zu Geld. Ja, wer weiß, ob man in diesem krassen Eigennutz nicht dahin kömmt, dah man die Fächer ordentlich abschätzt und auf den Punkt genau in Batzen oder Franken zu sagen weiß, wieviel dieses oder jenes Unterrichtsfach wert sei. Man wird vielleicht sogar dahin kommen, daß man für eine wöchentliche Unterrichtsstunde in der Mathematik die Hälfte mehr bezahlt, als für eine in der Religion.

»Aber auch hier hält sicher das Böse nicht Stich. Allerdings werden die ersten Früchte der sich verbreitenden Bildung wurmstichig sein, wie die ersten Äpfel, die ersten Zwetschen; wie eigentlich deren schon lange im Lande sichtbar sind und der Aufklärung einen so übeln Namen zuwege gebracht haben: verdrehte Rechtsagenten, ungläubige Halbherren und aufgeblasene Gewerbsleute, die über alles in der Welt schimpfen und doch zu nichts zu gebrauchen sind.

»Sobald aber einmal die Zeit der Reife naht, sobald man diese Bildung in ein förmlich System bringen will, dann sieht die Welt ihre Ungestalt, dann erschrickt man davor, dann siegt auch hier der gute Geist. Der erregte Hunger und Durst wird bessere Speise verlangen, die errichteten Anstalten werden mit einem andern Geiste erfüllt und wahrhaft geistige Bildung wird sich Bahn brechen in allen Ständen; denn der Bauer hat so gut Zeit, ein vernünftiger, denkender Mensch zu werden, als der größte Herr. Nur der Unterschied wird sich dann geben, daß der Herr viel weiß von der Kunst, und Gemälde und Bücher kritisch zu bereden weiß, der Bauer aber nichts davon weiß, hingegen viel von dem, was Gott schafft in und außer ihm. Und diese Bildung ist's, die dann mitten in den Kampf treten, der Ausschließungssucht ein Ende machen, den Kampf vermitteln, die Stände versöhnen und die Menschen vereinen wird. Denn der gute Geist ist immer stärker, als der böse; dieser ist nur des ersteren Diener, der beständig das Böse will und doch beständig das Gute schafft.«

»Herr Pfarrer, redet ihr da vom tausendjährigen Reich, wo der Löwe und das Lamm holdselig nebeneinander an der Quelle stehen? und glaubet ihr dann wirklich, daß es bald und auf diese Weise kommen werde?«

»Ihr seid ein Schalk, Wehrdi,« sagte der Pfarrer. »An das tausendjährige Reich, wie die Propheten es in Bildern darstellen, wie die Rabbinen es versinnlichen, wie die meisten Leute es sich denken, Jesus auf einem Schimmel reitend, glaube ich nicht. Aber an die Idee glaube ich. Au die Idee nämlich, daß die Welt nicht nur ein Narrensaal sei, an dessen Beschauung die Himmlischen sich ergötzen können, daß ein jeder einzelne nicht nur sei ein Eichhörnchen in der Trülle, das andern zum Vergnügen ringsum springen muß, bis es alle Viere von sich streckt. Ich glaube, daß der einzelne zu einem höhern Leben sich hier heranbilden soll. Ich glaube aber nicht nur das, sondern daß durch diese Erziehung des Einzeln die Geschlechter auf höhere Stufen steigen, daß die Zustände sich veredeln, daß es auf der Welt nach dem Plane Gottes besser werden soll und muß, daß, wenn eine weise Hand alles regiert, alle Kräfte, die wir in böse und gute abteilen, doch nur eines schaffen können, den Willen Gottes, der ein Ziel will. Dieses Ziel wird aber nicht mit einmal erreicht, fällt nicht mit einem Satz in die Welt, wie Ioggi vom Baum, sondern die Welt bildet sich ihm langsam entgegen. Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag. Dieses Ziel kenne ich nicht; aber dessen, was ich gesagt, redet der Weltgang mir Zeugnis. Wie früh oder wie spät das eintreffen wird, worüber ihr mich ausgelacht, das weiß ich nicht, aber daß diese Zustände sich nach und nach herausbilden werden, das zeuget in mir ein Geist, der nicht trügt; es ist ein Geist, man nennt ihn mit verschiedenen Namen. Es ist der Geist des Glaubens, der Offenbarung oder der Geschichte. Ich bin schon manchmal ausgelacht worden um Äußerungen, die diesem Geiste entflossen, und wann ich sagte: Habt nur Geduld, es kömmt schon besser, so schimpfte man mich aus. Aber diesen Glauben trübt man mir nicht, macht mir nicht weiß, er sei ein Traum. In ihm liegt mir der tiefe Trost in meinem Amte. Ich weiß, ich nütze etwas. Er bewahrt mich vor jeglichem Haß, denn ich weiß: wie jeder auch, allerdings auf seine Verantwortung hin, sich gebärden mag, – er muß doch dem gleichen Zwecke dienen.

»Ich weiß, es ist nicht meine Aufgabe, alles selbst zu machen, sondern auf alle mich umgebenden Kräfte wirken zu suchen im Sinne Gottes, daß sie eilen die Worte Gottes zu thun auch wider Willen. Ich weiß, von mir hängt es nicht ab, daß es gut geht; es ginge auch ohne mich; aber wenn ich nichts thäte, so wäre mein die Verantwortung, mein die Verantwortung, daß einzelne zurückbleiben auf ihrer Bahn. Ich weiß, das Lob gebühret Gott; darum vermag ich kein Schleiftrog zu sein für alles, was ich nicht selbst gedacht, selbst gesagt, selbst gemacht. Ich weiß, es geht vorwärts. Darum vermag ich, geduldig zu sein, vermeine nicht, meine Weisheit in einem Tage auskramen, alle meine Einfälle in einem Tage verwirklichen zu müssen; vermag mich zu orientieren, zu untersuchen, ob die Kräfte zu diesem oder jenem Werke in mir oder in andern liegen; vermag es, jene Kräfte bewegen zu suchen, ohne daß es einem Menschen einfällt, mir dafür zu danken oder mich zu rühmen. Ich weiß, ich bin keine Eintagsfliege und Gottes Plan keine Seifenblase; darum jaste ich nicht und zapple nicht, und was meine Bauren dazu sagen, weiß ich wohl. Sie sind böse darüber, daß ich ihnen nicht das Lustspiel eines zappelnden Pfarrers aufführen will, welches so viele ihnen geben und nicht nur ihnen, sondern auch den Herren z'Bern, die an solchen gar großen Spaß haben. Ich will nun einmal sehen, wie sie zappeln, und allemal, wenn sie verzappeln wollen, sollen sie mich in Liebe finden. Freilich weiß ich wohl, daß –«

»Herr Pfarrer, soll man euch die Suppe z'warme thun?« benggelte eine Stimme so unversehens zur Thüre hinein, daß wir ordentlich zusammen fuhren.

Wie aufs Kommaudo griffen wir alle drei nach unseren Uhren und fanden zu unserem Erstaunen, daß es schon weit über 9 Uhr war.

Wir protzten auf, gab wie der Pfarrer sagte, es pressiere nicht halb so.

Wehrdi sagte: er hätte noch gerne unsern Strauß wegen der Religion mit mir ausgefochten vor dem Herrn; das lasse sich aber dann ein andermal machen. Unterdessen danke er für viel Neues, das er gehört. Er wolle fortan die Augen besser aufthun und dem Herrn Pfarrer berichten, was er bemerkt, wenn er es erlaube.

Ich dankte auch, obgleich ich deswegen nicht viel mehr begriff, und schob mich mit dem andern fort, bezündet von dem Pfarrer bis vor die Hausthüre.

Draußen meinte ich: der Pfarrer könne auch noch reden, wenn er abkomme.

»Ja, Schulmeister,« sagte Wehrdi, »mache ume-n-o, daß du o so abcho chönnisch!« – »Gut Nacht!« sagten wir darauf einander und gingen von einander.


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