Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Sechstes Kapitel.

Wie die Leute uns in die Mäuler nehmen.

Daß ich zerstreut in der Schule war, wird man begreiflich finden, und eben so begreiflich, daß mein abendliches Visitenmachen bei Schuhmachers den Leuten auffiel. Wäre ich alle Nächte hin zu Kilt gegangen, so hätten die Leute ganz einfach gesagt: >Dr Schumeister geit zu Schuehmachers Mädeli,< und wären vielleicht nur darüber uneinig gewesen, ob ich es nehmen werde oder nicht. Daß ich aber um 6 Uhr abends hin ging und um zehn Uhr heim kam, das fiel gewaltig auf. Da wurde gewaltig viel geredet von denen, die sich die Mühe nahmen, um uns sich zu bekümmern. Es kamen viele Leute mit verlöcherten Schuhen des Abends hin, nur um zu sehen, was wir da mit einander trieben, und der Schuhmacher hatte lange nicht so viel zu thun gehabt. Obgleich nun die Leute gar nichts Böses sahen, höchstens daß ich gerne so nahe als möglich bei Mädeli saß und in seine Augen sah, so fanden sie denn doch Ursache genug, uns recht unehrliche Dinge nachzureden, behauptend, wenn ich etwas ehrliches mit dem Meitschi wollte, so würde ich zu ihm gehen, wenn andere Buben auch zu ihren Meitschene, d. h. zu ihnen die Nacht durch in ihr Kämmerlein und Bett, und würde nicht so da bei ihm hocke in der ungeraden Zeit, wo es kein ehrlicher Mensch thue, d. h. beim Licht und in der Gegenwart des Vaters. So viel vermag Sitte und Vorurteil. Daß sie aber Mädeli eben deswegen zu meinem Mensch machen wollten, erfuhren wir lange nicht.

Der Pfarrer sagte mir einmal, als ich mich bei ihm verabscheidete, es sei ihm leid, daß er allerlei Gerede von mir vernehmen müsse. Er glaube zwar nicht daran, aber ich solle mich doch in acht nehmen. Nach einigem Verwundern und Erörtern vernahm ich, daß die Leute mir nachsagten, ich wolle oder hätte Mädeli zu meiner Hure gemacht. Ich bekannte dem Pfarrer, daß wir Brautleute seien, nach Ostern verkünden lassen wollen, und daß wir gemeint hätten, es sei für einen Schulmeister anständiger, wenn wir so zusammen kämen statt wie die andern; ich sehe es aber wohl, es sei doch besser und anständiger, es zu machen wie andere Leute. Der Pfarrer aber brannte auf, daß mir so was jetzt nur in Sinn stiege, nachdem ich mich so brav benommen bis dahin. Im Gegenteil werde er am Sonntag eine Predigt darüber halten und den Leuten sagen, was sie seien und wie sie nicht einmal wollten, daß andere besser würden. Ich hielt ihm gar hart an, daß er das doch nicht thun solle; aber erst auf das Versprechen, daß ich nicht zu Kilt gehen wollte, entsprach er auch mir. Wir beide gingen aber brummend auseinander. Jeder glaubte dem andern allzuviel nachgegeben zu haben. Er glaubte eine wichtige Gelegenheit versäumt, einen krebsartigen Mißbrauch abzustellen, und um ein in die Hände gekriegtes Musterbild andere zu versammeln. Ich meinte um des Eigensinns des Pfarrers willen noch länger dem Tadel mich preisgeben zu müssen; ich meinte, das klügste wäre, zu thun wie andere Leute; das sei doch das anständigste, und alle früher gemachten Erfahrungen waren ordentlich wieder vergessen. O, es ist gar schwer, Erfahrungen nicht nur zu machen, sondern sie auch zu behalten, nicht irre zu werden an ihnen.

Es ist auch gar schwer nicht nur für einen Schulmeister, sondern für Wissende und Gebietende dieser Erde, in jedem gegebenen Falle zu entscheiden, wo bei dem rechten Mann oder Christ die Accommodation anfangen und aufhören, der Widerstand beginnen und unterlassen werden soll: Accommodation und Widerstand gegen öffentliche Meinung und übliche Sitte. Offenbar liegt hier der Entscheidungsgrund nicht in Nutzen oder Schaden, überhaupt nicht in den Folgen, sondern er liegt in dem, was recht ist. Nun aber ist denn doch Vervollkommnung, Vernünftiger Fortschritt im Zwecke des Menschengeschlechts. Es ist aber klar, daß unbesonnenes, übereiltes Entgegentreten das Böse fördert, Gutes zerstört. Daher ist's schwer zu entscheiden, wann man das Unkraut aus dem Weizen nehmen, wann man es lassen soll bis zur Ernte. Aber traurig ist's, wenn man die Feigheit der Menschen sieht in dieser Beziehung. In aufgeregten Zeiten, wo die Meinung alles, die Sitte wenig gilt, da sieht man Menschen mit der niederträchtigsten Niederträchtigkeit Sklaven der öffentlichen Meinung werden und keine andere Meinung haben als die, welche gerade Trumpf ist und welche Leib und Leben schützen, ein Pöstlein bringen kann, während die gleichen Feiglinge die übliche Sitte auf die frechste Weise höhnen im einfältigen Glauben, nun sei einmal die Zeit gekommen, wo man nicht mehr achte auf Sitte und Zucht, wo im Gegenteil der der Größte auch unter den Menschen sei, welcher die größte Sau unter den Säuen wäre. Die Dummköpfe wissen nicht, daß es Zeiten gibt, wo man an Orten, z. B. in N . d . u, nichts hört als Frösche, Frösche und wieder Frösche. Wird daraus ein vernünftiger Mensch schließen, es seien nun keine Menschen mehr, sondern lauter Frösche, und für ihn die höchste Zeit, auch ein Frosch zu werden, um nicht einzig ein vernünftiger Mensch zu bleiben?

Können nun das die Höchsten nicht, so ist es Schulmeistern auch nicht zu verargen, wenn sie es nicht können, wenn sie z. B. in jedes dreckige Horn blasen, das man ihnen vor das Maul hält, und dann wieder Dinge sich erlauben, die weder im Alten noch im Neuen Testament erlaubt sind.

Mädeli weinte, als ich ihr sagte, was die Leute uns angedichtet hätten, und wir beschlossen nun, uns förmlich als Brautleute zu erklären, und nicht die Gemeinde erst mit dem Geheimnis von der Kanzel aus zu überraschen, wie es sonst auf dem Lande der Brauch ist. Da verhüllt man die Geschichte so lange sie zu verhüllen ist, sagt nichts vor den Leuten, bis man verkündet ist und läßt unter zehn Malen wenigstens sechse nicht verkünden, bis man muß.

Was nun die Leute für Augen machten, als sie das hörten, als sie sahen, daß ich einst ungescheut für Mädeli beim Krämer ein Nastuch und einen Fingerring kaufte, und ein andermal es zwang, selbst mit mir zum Krämer zu gehen, um sich Tschöplituch auszulesen, denn das ältere Tschöpli schien mir doch nicht gut genug zum Hochzeittschöpli.

Ich hätte dem Meitschi alles anhängen können, was ich gehabt, und alle Tage mußte es mir abwehren, nicht so narrochtig zu thun; wir würden das Geld sonst noch brauchen. Dann sang es mir gewöhnlich das bekannte Lied:

My Schatz, we du de z'Märit thuesch gah,
Su chrämerle nit geng so viel,
We du de dys Güetli verchrämerlet hesch,
Was soll i de mache mit dir?

Was nun aber das den Leuten zu reden gab, und wie sie an unsern Brautstand nicht glauben wollten und immer meinten, ich meine: ich sei ein Herr und müsse es machen wie ein Herr, d. h. ein Maitreßli haben und dieses mit Geschenken überhängen!

Die Weiber wiesen Mädeli auf. Sie litten das, der Tütschel soll sie hudeln, nicht, daß ich, wenn ich sie heiraten wolle, nicht bei ihr läge, und wäre ich der Schultheß z'Bern; da söll's eine mache wie dr anger; das wurd z'letzt süsch lustig gah, we me e-n-iedere mache ließ, wie är wett. Da chönnt ja eine, we-n-er z'Nacht nit bi syr Brut wär, bi-n-ere-n-iedere Huer sy, we's ihm gschmöckti. U de-n-es Schuelmeisterli syg de notti nüt z'fürnehm für z'Chilt z'gah. Und die Meitscheni führten mich aus, hießen mich zu ihnen zu Kilt kommen; ich könne ihrethalben Tags kommen, wenn ich mich des Nachts fürchte; sie wollten dann die Fellladen zuthun. Aber so einen Mann im Sack kaufen, so einen nehmen, der nie bei ihnen gelegen hätte, möchten sie nadisch doch nit, u we sie z'letsch gar kene überchämte.

Wir mochten nicht erwarten, bis wir durch das Verkünden unsern Ernst zeigen und die Leute etwas gschweigen konnten.


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