Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Neuntes Kapitel.

Der Hochzeittag.

Frühmorgens brachen wir auf und fanden uns außer dem Dorfe zusammen, damit man uns nicht etwa aufhalte mit Seilen oder Stangen, um Lösgeld zu erhaschen. Am östlichen Himmel schickte die Sonne den Tag herauf; dem schläferigen Tage sandte sie Strahlen nach, welche rosenrot thronten auf den schneeigsten Firnen, und den Thälern das Kommen der Königin des Tages verkündeten. Majestätisch und feierlich stieg sie über der Erde Rand empor. Da schien sie mir stille zu stehen und verwundert mein Bräutchen anzuschauen, mit besonderer Huld und besonderm Glanz dasselbe anzustrahlen und, nur dasselbe in ihrem Lichte verklärend, zu vergessen die übrige Erde. Aber dessen wunderte ich mich nicht. Was konnte wohl die Sonne an diesem Morgen lieblicheres sehen als eben mein Bräutchen? Und die Sonne weiß wohl, was schön und lieblich ist, und vielleicht hatte ihr auch der Mond gesagt, sie solle diesen Morgen aufpassen. Mein Bräutchen glänzte so blank und weiß, so niedlich und nett, wurde so freundlich rot, wenn es mich ansah, und seine Augen funkelten so träumerisch und bodenlos in die strahlende Sonne hinein, daß mich nicht gewundert hätte, wenn die Sonne den ganzen Tag stehen geblieben wäre um meines Meitschis willen. Aber die Sonne darf nicht lange säumen; es ist noch einer ob ihr, der sie nicht stille stehen läßt.

Wir sprachen nicht viel mit einander; aber daß unsere Herzen voll waren, gaben unsere gegenseitigen Fragen kund. »Mädeli, hescht mi de eigetli o recht lieb u nimmsch mi gern?« So frug ich. »Peter, bisch di nüt reuig u hättisch nit lieber e Rycheri u-n-e Hübscheri?« So frug Mädeli. Und dann gaben wir uns tröstende und liebende Versicherungen mit Mund und Hand, bald wieder schweigend, sinnend und ernst. Denn es ist ein ernster Morgen, der Hochzeitmorgen, und ein ernster Gang, dem Kirchlein entgegen, wo aus zweien eins gemacht wird, die dann auf immer vereint des Lebens Last und Hitze tragen, Lieb und Leid teilen, gleichen Schrittes den Weg durchs Leben dem Ziele zugehen sollen. Wie die Hälfte zur Hälfte passe, mag eine fühlende Brust immer banger bewegen, je näher die verhängnisvolle Stunde kömmt.

Glockentöne klangen von ferne zu uns her. Wir hörten sie nicht nur, wir fühlten sie bis ins tieftste Mark hinein und gaben uns schweigend die Hände. Es war das erste Zeichen zum Gottesdienst. Die Glockentöne vermehrten sich, schienen rings uns zu umweben; ein Kirchlein antwortete dem andern und verkündete den Menschenkindern, daß es sich öffne, die Gelübde für den Vater zu empfangen und den Trost des Vaters zu spenden den leidenden Herzen.

Zusammen gingen wir zum Pfarrer, uns zur Kopulation zu melden. Es war ein würdiger alter Mann, der das Band schon manchmal geknüpft haben mochte, dem aber die Handlung denn doch nicht gemein geworden war, so daß sie ihn gleichgültig ließ und er sie handwerkmäßig verrichtete. Er richtete ernste, bedeutungsvolle Worte an uns, an mich als Schulmeister, der wissen solle, was ein guter Ehemann sei und welchen Segen eine Ehe bedürfe, und dann auch an Mädeli: wie schwer es sei, eine gute Hausmutter und eine würdige Schulmeistersfrau zu sein, nicht andern zum Ärgernis und zur Last, sondern zum Muster und zum Segen.

»So jung bist du noch, Meitschi,« sagte er »hast du auch alles recht überdacht? überdacht, was es heißt, einen Schulmeister zu heiraten, was du da zu ertragen übernimmst: böse Leute, manchmal einen übellaunigen Mann und meist Not und Mangel; und was du doch schuldig bleibst: deinen Mann zu beglücken, die Leute zu versöhnen, aus deinem Milchkrüglein der Witwe Ölkrüglein zu machen, ein fromm und froh Gesicht in allen Tagen und vor Gott und Menschen und vor dem Mann insbesondere?«

Mädeli antwortete nicht; aber zwei große schwere Tropfen rollten ihm über die Backen und fielen hörbar auf sein galanteriertes Fürtuch. Ich wurde ärgerlich über sein Schweigen, fürchtend, der Pfarrer möchte glauben, es sei ein Stock, und wollte ihm später Vorwürfe darüber machen; aber es sagte, daß ihm gewesen wäre, als ob eine eiserne Hand den Hals ihm zuschnüre. Für all Geld in der Welt hätte es nicht Atem zu einem Worte gefunden. Der Pfarrer muß es besser begriffen haben als ich, denn er sagte: »Nu, nu, Meitschi, ich will dir nicht Angst machen; aber sagen wollte ich dir, was deiner wartet in Bürde und Pflicht. Wohl dir, wenn du es fühlst, und Gott gebe dir Kraft zu bestehen.« Darauf sagte uns der Pfarrer, es werde bald läuten; ob wir z'weg seien? Da packte Mädeli ein Wartsäckli aus und fing in einer Ecke an, seine Strumpfbändel aufzulösen, und als es einen Strumpf am schönen Beinchen heruntergestrichen hatte, um ihn dann mit einem weißeren zu vertauschen, wies uns der Pfarrer in eine andere Stube, wo die Köchin Herr und Meister schien an den Kuchifürtechen an, die herumlagen auf dein Bett und am Boden, schwarz und klebrig. Dort machte ich zum erstenmal in meinem Leben den Kammerdiener, zog die Kappenschnüre aus dem Tschöpli hervor und half aus die Kappe das Kränzlein festmachen. Das stand Mädeli ganz besonders wohl; es gab ihm etwas vornehmes oder vielmehr nobles und das Köpflein schien sich noch einmal so stolz unter dem Kränzlein zu heben. Das Köpflein wußte wohl, daß das Kränzlein ein wohlverdientes sei und daß das Kränzlein sich selbsten meine und brüste, einmal auf eines wirklichen Mädchens Kappe zu thronen als zierlicher Jungfernkranz; darum hob das Köpfchen das Kränzchen so hoch und stolz. Ich habe manchmal gedacht, was doch auch so ein Ding, nicht Frau nicht Mädchen, das die Hände nicht mehr über dem Kopf zusammenbringen kann ohne Leibschneiden und seine Schuhe nicht mehr sehen kann vor dem in der Mitte sich antürmenden Vorgebirge, was doch so ein Ding denke, habe ich gedacht, wenn es sich ein Kränzchen aufsteckt, oder bei bereits eingetretenem Unvermögen aufstecken läßt; wenn es so in der Angst, die Hebamme nötig zu haben, ehe der Pfarrer kömmt, in die Kirche pfoselt mit seinen geschwollenen Füßen und wunderlichen Empfindungen aller Art tief unter feinem Kränzchen? Was so eins gedacht habe, habe ich nie vernommen; ich aber habe gedacht, daß so eins wahrhaftig ein schamlos Mensch sein müsse; daß es verdienete, man würde vor ihm her bis zur Kirche Spreuer säen und Spreuersäcke schwenken hinter ihm und vor ihm.

»Vergiß nicht,« sagte Mädeli, ehe wir das Stübchen verließen, »daß wir während der Kopulation uns fest aneinander drücken müssen, damit der Teufel nicht zwischen uns kommen könne. Der Vater hat es mir noch aus dem Bette nachgerufen, als ich schon unter der Thüre war.« Ich kannte diesen Glauben wohl und glaubte daran, daß, sobald der Teufel während der Trauung zwischen den zu trauenden eine Lücke sehe, er zwischen einfahre und sie trenne auf immer. Aber daß in diesem Glauben für junge Eheleute bildlich und einfältig aber kräftig die Wahrheit ausgesprochen sei: Haltet fest und unzertrennlich zusammen, laßt nichts zwischen euch hineinkommen, weder einen Freund noch einen Feind, weder ein Glück noch ein Unglück, weder Leidenschaft noch Gleichgültigkeit, sondern bleibet eins für und für, das begriff ich nicht. Das begreifen noch viele nicht, die trotz allem Zusammendrängen während der Trauung immer etwas zwischen sich und den Gatten zu ziehen haben, Leute zum aufweisen, Leute um klagen zu können, Leute um zu lieben oder zu hassen, unerfüllbare Wünsche, unerträgliche Eigenheiten, giftiges Mißtrauen, oder gar alles vergiftende Eifersucht. In gar mancher ländlichen Sitte, manchem sogenannten Aberglauben ist ein tiefer inniger Sinn; aber man versteht den Sinn nicht mehr, während man noch lange am Gebrauche hangt.

Das Kirchlein war klein, düster das Licht in demselben, trübe die Fenster, in denen einige gemalte Scheiben glühten. In den Bänken waren noch drei hochzeitliche Paare, die des Pfarrers harrten, die Bräute mit frohen Gesichtern, daß sie es endlich so weit gebracht, und andächtigen Händen, die sie auf ihren hochaufgetriebenen Fürtüchern bequemlich und zusammengelegt ruhen ließen.

Endlich kam des Pfarrers ehrwürdige Erscheinung, und in klarem tiefdringendem Basse, würdig und langsam, las er die schöne Liturgie uns vor, welche durch die meisten Traureden nur verwässert wird. Ein feierliches Beben ergriff uns beide, als wir Hand in Hand an den heißen Stein traten, und als die kräftigen Mahnungsworte an uns ergingen: in Freud und Leid, in gesunden und kranken Tagen einander zu helfen und zu raten, in liebreicher Geduld je eines des andern Mängel und Schwachheiten zu ertragen. Es rannen Thränenströme über Mädelis Wangen nieder und mich fing es an zu stechen und zu brennen in den Augen. Unsere Hände legten wir so fest in einander, als ob es die Herzen selbst wären, die ewig nicht mehr auseinander gehen sollten. Aber das Ja, so freudig es das Herz heraufsandte, fand doch den Weg zum Munde nicht, sondern quoll im Halse und ließ sich ersetzen durch einen weit ausgreifenden Scharrfuß. Und als wir beten mußten zu unserm Herrgott um Segen zu unserm Bunde, um Segen im Leben, um Segen im Tode, eines betend für das andere, da versanken wir in die Andacht, die die Worte nicht mehr hört, die mit unaussprechlichen Seufzern uns bei Gott vertrittet.

Das nach einer Pause ausgesprochene Amen weckte uns wieder; wir sprachen es mit von ganzem Gemüte, aus voller Seele, und Amen, Amen klang es in uns fort und fort, bis wir, den andern Paaren nachwandelnd, ins Wirtshaus kamen. Dort nahm zur augenblicklichen Stärkung bis zum Mittagessen jedes was es wollte, wir nach alter Sitte ein gutes Weinwarm. Die jungen Weiber fingen nun an zu reden und zu rühmen und zu hecheln und zu fragen: was jeder ihren Brautstaat gekostet. Die drei Bräutigams frugen nach Karten, um mit einem Nams die Zeit bis zum Essen sich zu verkürzen. Mir ward die Zeit lang ob dem Hören und Sehen, und das beständige Sticheln, da ich nicht mitspielen wollte, trieb mich endlich hinaus. Wie ein Schmied von weitem in einem Dorfe die Schmiede wittert und ein Bäcker die Backstube, und denselben zusteuert, so ging's auch mir. Ich fand das Schulhaus bald und nicht weit davon den Schulmeister. Ein Wort gab das andere, und da wir die Tugend haben, daß es gerne einer besser macht als der andere, so mußte immer der andere, wenn einer erzählt hatte, wie er etwas mache, sagen: »U-n-i mache's so, u-n-es chunnt mr dä Weg gar guet, u-n-i weiß nit, wi's mr dr anger Weg chäm.« Über diesem verging eine lange Zeit; ich verklapperte mich ordentlich, und als ich wieder gegen das Wirtshaus kam, sah ich mein Weibchen ängstlich um dasselbe trippeln und in alle Ecken gucken. Das arme Kind hatte fast geweint, als die andern zu Tische saßen und ich nicht da war. Alleine sich hinsetzen durfte es nicht. Es suchte mich daher, fand mich nicht und war in der peinlichsten Angst, nicht begreifend, ob ich verunglückt, gestohlen worden, oder davon gelaufen sei. So einem stündigen Weibchen muß es seelenangst werden, wenn es auf einmal den Mann nicht mehr finden kann, man denke sich! Wie es sich freute, als es mich wohlbehalten die Straße auf kommen sah! Wie es doch so freundlich mir an den Arm sich hing und gar nicht mit mir branzte! Manch ander Weibchen hätte trotz der Freude Wetterwolken übers Gesicht gezogen und aufbegehrt nach Noten über mein Fortlaufen, oder hätte vielleicht den ganzen Tag mit mir gekupet, so daß es ausgesehen hätte, als wäre es gerade deswegen böse, daß ich wohlbehalten wieder gekommen. Es gibt Gemüter, die allen Dingen die böse Seite abgewinnen; es gibt Gemüter, die allen Dingen die gute Seite abgewinnen. Die erstern finden Stoff zu Klagen in jeder Freude, die andern Stoff zur Freude in jedem Jammer; die einen schütten Galle in jeden Hunghafen, die andern Balsam in jede Wunde; die einen nehmen jeden Zufall übel, die andern verzeihen jedes Wehthun; die einen sind gar unglückliche Gemüter, nassen Jahren vergleichbar, wo nichts wachsen will, während es noch um so lieber hagelt; die andern sind Gemüter wie Maiennächte, wo alles auferstehen möchte, alles grünt und duftet. Mädeli hatte der letztern Gemüter eins, und mit keinem sauren Blick versalzte es mir die Suppe, mit keinem bösen Worte verpfefferte es mir den Tag.

Nach Wirtshausweise trug man etwas langsam auf, damit wir nach Landessitte Zeit hätten das Essen so recht z'weg zu legen, daß es sich setzen konnte und Platz für immer neues wurde. Das dauerte aber den drei Kumpanen zu lange; sie schoben das Tischtuch zurück und fingen wieder an zu spielen, obgleich ihre Weiber dagegen redeten und meinten, sie sollten doch zuerst genug essen. Sie hörten nicht darauf; sie sahen ihre Weiber nicht an, schenkten ihnen nicht ein. Sie spielten noch fort, als Mädeli und ich fortgingen. Sie spielten den ganzen Nachmittag fort. Sie achteten nicht darauf, wie einer nach dem andern von seinem Weibe gezupft und ans Heimgehen gemahnt wurde. Sie spielten den ganzen Abend fort, sahen die Schatten nicht länger werden, die Sonne nicht zu Bette gehen, achteten das Schelten ihrer Weiber nicht. Sie spielten in die Nacht hinein mit immer wütenderem Eifer, sahen den Zeiger der Uhr nicht der Mitternacht zueilen, hörten das Heulen ihrer Weiber nicht, die nun zum erstenmal am heutigen Tag so recht ergriffen waren, aber nicht von Ernst und Andacht, sondern von Wut und Elend.

Sie hörten nicht Mitternacht schlagen; aber nach Mitternacht schlugen sie einander selbst, wütend durch Wein und Verlust, und schlugen sich fürcherlich; und die Weiber heulten gräßlich dazwischen und wollten ihre Männer auseinander reißen und erhielten selbst Schläge, und eins flog hier aus, das andere dort aus. Und endlich that der Wirt seine Schuldigkeit und jagte das Gesindel zur Stube aus. Und als sie sich draußen noch sattsam geprügelt und geschimpft hatten, zog ein Paar hier aus, das andere dort aus, zerrissen, zerschlagen, fluchend und heulend. So zogen sie hinein in die Ehe. Wie mag die Ehe geworden, welche Ahnungen mögen in den Herzen der unglückseligen Weiber sich herausgewälzt haben in jener Nacht? Aber diese Nacht war nichts als eine Vergelterin mancher frühern. Statt golden und freudevoll war sie blutig und jammervoll, war die Vorhölle zur kommenden Hölle. Wir aber, Mädeli und ich, zogen schon früh nachmittags von der wüsten Gesellschaft weg. Wir hatten den Vater bestellt in ein Wirtshaus auf dem Wege, um ihm auch einen fröhlichen halben Tag zu machen. Wir wanderten gar fröhlichen Schrittes mit einander, mein neu Weibchen und ich. Das Gefühl, einander zu besitzen, that uns gar unbeschreiblich wohl, und machte so reizend mein Weibchen, so sinnig und wieder so schalkhaft und wieder so weich, daß ich es die ganze Zeit am Herzen hätte tragen mögen. Wir fanden den Vater schon vor und gar glücklich. Einigen Anwesenden erzählte er von seinen Wanderjahren hinter Murten und all den Wundern an Land und Leuten, die dort zu schauen seien. Und sie hörten ihm andächtig zu, was ihm selten mehr begegnete.

Von da brachen wir erst in der Dämmerung auf, um nicht tags heim zu kommen. Redselig war der Vater und merkte nicht, daß wir stumm neben ihm hergingen. Wir hatten Hand in Hand gelegt und zu denken genug, und je nachdem die Gedanken flogen, drückten die Hände fester sich.

So kamen wir heim, und mit einer Art von Ehrfurcht führte ich mein Weibchen über meine Schwelle, und mit bebender Hand schob ich den Riegel an der Thüre, und vor dieser Thüre bleibst du nun, mein lieber Leser.


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