Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Fünftes Kapitel.

Von den Verhandlungen über Hochzeittag und Ehesteuer.

Wir hatten gar nichts davon geredet, wann Hochzeit gehalten werden solle. Schon am nächsten Sonntag wollte ich verkünden lassen. Mit beiden Beinen hätte ich gerne auch diese Zwischenzeit übersprungen. Mir und Mädeli gab ich ganz ehrlich als Grund an, daß ich in vier oder fünf Wochen längstens wieder müsse waschen lassen, und wer mir dann waschen solle, wenn ich noch keine Frau hätte? Zu jenem Wäscherweib werde ich doch nicht mehr sollen? Aber der Alte und Mädeli waren nicht dieser Meinung. Über Mädelis ganzes Wesen zuckte freilich ein Strahl glühender Freude, als es sah, wie ernst es mir sei; denn vor lauter Freude hatte es noch immer gezagt und gezweifelt wie Thomas; aber es überlief es doch ganz heiß, sich in vier Wochen schon als Frau zu denken. Gar viel hätte es noch, z'weg zu machen, meinte es, so daß es bis zu jener Zeit unmöglich fertig sein könne. Und der Alte schüttelte noch mehr den Kopf ob solchem Pressieren. Er vermöge zwar seinem Meitschi nichts mitzugeben, und aparti neue Kleider könne er ihm auch nicht machen lassen; die, welche er ihm habe machen lassen, wo es vom Herrn gekommen sei, seien aber noch wie neu und thäten es sauft. Aber öppe ein oder zwei Hemder, ein Paar Schuhe und ein Paar Strümpfe, das wolle er doch sehen zu machen; aber dazu brauche es mehr Zeit als vier Wochen. Wenn er zu uns komme, so bringe er allweg noch etwas Hausrat mit, und das werde mir auch komod kommen.

Daß ich keine Ehesteuer erhielt, und Mädeli zum Trossel nicht mehr als ein neues Hemd oder zwei, erschreckte mich gar nicht, hätte ich es doch eben so lieb auch ohne das genommen. O ich hatte jetzt in dieser Beziehung gar hundsgemeine Gedanken und wirklich die Hoffnung, von der Liebe leben zu können, die ich jetzt eigentlich zum erstenmal zu einer bestimmten Persönlichkeit recht fühlte, obgleich ich von Jugend auf die Meitscheni gerne gesehen und bereits zwei Liebesgeschichten gehabt hatte. Hätte ich vornehmere Gesinnungen gehabt, so hätte ich da mit meinem Schwiegerpapa zu märten angefangen; denn einen Bruder oder Vater hatte ich nicht, dem ich des Anstands wegen den Handel auftragen konnte, wie man es da thut, wo man ein besonders feines Gefühl für Anstand besitzt. Da märtet man dann zusammen bis aufs Blut schriftlich und mündlich, und gibt sich auf die feinste Weise die unverschämtesten Dinge zu verstehen, und bricht den Handel doch nicht ab. Und wenn man recht vornehm ist, so handelt man nicht um einige Dublonen, sondern um 100 000 Pfund oder Franken. Bringt man mit tausend Mühen und Betteleien bei allen Großmamas und Tantes etwas mehr zusammen, etwa 104 000 £., so hält man sich für geborgen, kann leben comme il faut und stellt wenigstens ein Schoßhündchen, einen Pipo an, wenn auch kein Pferd. Hat man aber weniger zusammen gebracht, so zuckt die Welt die Achsel, redet verblümt von Erdäpfel-Mariage. Die Leutchen fühlen sich selbst gedrückt; eine Art Verschämtheit sieht man ihnen von weitem an, und man glaubt alle Augenblicke aus ihrem wehmütig verzogenen Munde zu hören, was einst ein ehrlicher Hans Ulli sagte: Rych sy mr nümme, aber doch no geng fürnehm. Und mit bedenklichem Mitleiden wird von den armen Leutchen, ces pauvres gens, gesprochen und den großen Entbehrungen, denen sie sich unterziehen müßten. Imaginez-vous, ma chère, sagt Tante Marianne, pas seulement, es dritts Plättli mag's-ne zieh, nit emal geng a-me-n-e Sunntig; c'est donc bien fâcheux. Freilich bestunden der guten Tante Marianne ihre dritten Plättli oder das sogenannte Entremets gewöhnlich entweder aus Apfelschnitzen oder Haberbrei oder einem Erdäpfelstock, die man aber mit gar schönen Namen getauft hatte. Solche Armut ist oder war aber verdammt komod, um zu Pöstleins zu kommen. Denn diesem Elend, in dem man freilich ein Salon hatte, aber kein drittes Plättli, und im Salon nur alle Winter einmal die Societät und höchstens drei Soirées, mußte doch abgeholfen werden. Es geschieht aber doch auch, daß ein solcher Handel sich zerschlägt, rumpiert, weil man bei genauerem Nachrechnen fand, daß das Ding sich dennoch nicht standesgemäß gebe. Da ist's nun wirklich bewunderungswürdig, mit welcher Naivität die Leute das sich gestehen und mit welcher christlichen Resignation sie aus einander gehen, sich gegenseitig kaltblütig sagen: Adieu ma chère! Adieu mon cher! Da steht man den wahren bon ton; da zeigt sich, was feine Lebensart heißt; da steht man die wahre Abgeschliffenheit. O so eine Abgeschliffenheit ist ein gar köstlich Ding, und nicht zu verwundern ist's, wie viele Menschen sich viel darauf einbilden, ihr alles darein setzen, alle Leute mit einer tiefen honte ansehen, die nicht abgeschliffen sind wie sie. So ein Abgeschliffener (verkürzt Schliffel) zu sein, ist ein komod Ding; denn diese Abgeschliffenheit ist das Vorrecht und zu gleicher Zeit das erste Kennzeichen des Vornehmseins. Es kostet aber viel, vornehm zu werden, liebe Leute; das Reiben und Ribeln geht nicht umsonst. Es kostet euch ungefähr das, was es einen reichen Kadetten kostet, bis er Offizier ist. Der muß sich auslachen lassen, der muß zu essen und zu trinken geben, muß im Spiel sich ausziehen, durch Anliehen ausbeuteln und zu dem allem Spaß mit sich treiben lassen; der muß sein, was ehedem der Fuchs unter den Studenten war, wo es hieß: Fuchs stopf mir die Pfeife, Fuchs bezahl, Fuchs binde mir die Schuhe; nur mit dem Unterschied, daß das Studenten-Fuchsentum nur ein halb Jahr oder höchstens eines dauerte, jenes aber anderhalb bis drittehalb Generationen. Enfin wer seine Haut dick genug dazu glaubt und auch seinem Geldseckel traut, daß sie beide das Schleifen ertragen mögen, der versuche es.

Freilich hätte der Handel nur um noch ein Hemd, ein Gloschli und höchstens um einen Kittel gehen können und nicht um 30- oder 60tausend Pfund; aber am Ende ist Handel doch Handel. Dieser Handel wird allerwärts getrieben, aber doch, je vornehmer man sich glaubt, um so offener und naiver treibt man ihn. Wahrscheinlich aus dem Grunde, weil ein Vornehmer glaubt, alles was er thue, sei auch vornehm und niemand habe da von ferne (das Recht wollte ich sagen; o nein, das Recht zu kritisieren spricht einem nur ein Großrat ab) den Verstand, ihn zu kritisieren. Ist noch niemand aufgefallen, welch bedeutender Unterschied man macht zwischen vornehm und nobel? Noblesse hat dann schon wieder die höhere Bedeutung von nobel verloren und ist bloß das Hauptwort von vornehm.

Wenn also nicht vornehm, so hoffe ich doch nobel gehandelt zu haben, als wir ohne Märten zusammentraten und jedes nur in der Liebe des andern seine Rechnung fand. Diese Rechnung legte uns freilich viel Entbehrungen auf, brachte uns in manche Not; aber wir versanken doch nicht in der Not; die Not erzog uns, rief Kräfte in uns auf; die Not gab Erfahrungen, die Erfahrungen brachten Läuterungen, von denen ich sonst keinen Begriff erhalten hätte.

Solche Erfahrungen und Läuterungen machen das wahre Fuchsentum dieser Welt aus, das eine obere Hand geordnet hat und leitet und das die darin Bestehenden nobel macht. Darum, Leute, sucht es nicht mutwillig, aber scheut es auch nicht feige. Macht es euch auch nicht vornehm, so macht es euch doch nobel. Und seid ihr schon vornehm, so thut einmal eure Augen auf und seht, wie herrlich und imponierend einer aussieht, wenn er vornehm und nobel auf einmal aussieht, und wie lächerlich manchmal und andermal traurig einer aussteht, wenn er imponieren will und nicht nobel drein sieht, weil er nicht nobel ist. Am traurigsten und am lächerlichsten sind denn doch die, welche weder vornehm noch nobel aussehen und es nicht sind und doch imponieren wollen. Das sind wirklich wahre Spektakelleute, und mich wundert, daß ihnen nicht die Gassenjungen nachlaufen. Man sieht solche zu Stadt und Land.

Doch, wo gerate ich hin! Von meinem alten Schwiegerätti, der ehrlichen Pechhaut, weg, mit der ich nicht märtete um sein Meitschi, auf alte und neue Junker, die imponieren wollen und nicht können, die um alles handeln und märten, um ihre Meitscheni und um andere, um ihre eigenen Sachen und um andere Sachen, Nehmt es nicht für ungut, alt und neue Herren; aber eben das Pech, an dem so viel kleben bleibt und wo man, was einmal klebt, nicht mehr losbringen kann, brachte mich von meinem Schwiegerätti weg in eine so vermessene Gedankenreihe.

Bei meinem Schwiegerpapa war aber leider nichts kleben geblieben als gerade das Pech selbst und einige Erinnerungen aus seinen Wanderungen hinter Murten; daher preßten ihm auch seine geringen Versprechen schwere Seufzer aus. Ich wollte mich dadurch nicht abschrecken lassen, wollte versprechen, alles Nötige selbst anzuschaffen; er solle gar keine Kosten haben. Aber er fragte mich, ob ich dann so viel Geld hätte, und ob ich nicht daran gedacht hätte, daß noch viel andere Dinge anzuschaffen seien, und ob es nicht für einen Schulmeister gescheuter sei, mit dem Heiraten zu warten, bis die Schule zu Ende sei, wo man dann Zeit habe, dem Zug nahz'sinne u nahz'laufe, und wo noch sein Lohn fällig sei. Nach langem Hin- und Herreden mußte ich endlich einwilligen zu warten bis nach dem Examen, mußte am Ende wieder heim in mein Bett, ungeachtet der Alte schalt, während ich schmollte, brummte, anhielt.


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