Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreißigstes Kapitel.

Wie es mir geht, als auch ich die Schule doktern will.

Ich fing nun an, meine Aufgabe an die Hand zu nehmen, die Kleinen mehr zu beschäftigen dadurch, daß ich ältere Kinder zu ihnen stellte oder ihnen geschriebene Buchstaben an die schwarze Tafel machte, die ich aus meinem eigenen Gelde hatte anschaffen müssen, da die Gemeinde mir sie abgeschlagen oder vielmehr verdreht hatte. Wir mußten deshalb eine alte Pfanne nochmals plätzen lassen, statt eine neue kaufen zu können. Die Buchstaben sollten sie einstweilen bloß kennen lernen; denn ich hatte noch nicht gewagt zu sagen, daß die kleinsten Kinder Täfelchen bringen sollten. Ich hatte einigen sogenannten Lesern gesagt, die aus dem Fragenbuch in die Kinderbibel kamen, d. h. die als Lesebuch nicht mehr das Fragenbuch, sondern die Kinderbibel hatten (ist's nicht bedauerlich, daß noch in sehr vielen Schulen Fragenbuch und Kinderbibel die einzigen eigentlichen Lesebücher sind, und daß nichts Ernstliches geschieht, um diesem traurigen Unwesen ein Ende zu machen? daß gar nichts geschieht für die armen kleinen Kinder und die Benutzung ihrer ersten, so kostbaren Jahre?), die nun hätten auswendig lernen sollen: der Pfarrer wolle, daß das daheim geschehe und daß sie dafür Täfelchen bringen und schreiben und rechnen könnten. Sie brachten mir den Bescheid zurück: der Vater hätte gesagt, er kaufe keine Täfelchen; das Gchribel trag so jung, wo me ke Vrstang drvo heyg, nüt ab; si sölle lere wie's dr Bruch syg; er frag dem Pfarrer nüt nah, dä zahl nüt am Schumeister; we-n-er de öppis drwider heyg, su soll er-ne bschicke; er well dem de dMeinig säge. Ein anderer begehrte auf, daß die Kinder Gschribnigs lerte, ehe sie das Druckte chönnte; das chömm nit guet, das gäb es Ghürsch u syg allbets nit so gsi. Einer aber kam, ein Händler, und sagte mir: er wolle nicht mehr, daß sein Bube die Fragen auswendig lerne; das Gstürm trage nichts ab; er wolle den Knaben bald ins Weltschland thun; dort trügen ihm die Fragen auch nichts ab; es früge kein Mensch darnach. Das gefalle ihm, daß ich auch viel auf Schreiben und Rechnen halte; das sei doch die Hauptsache; mit allem andern hätte man nicht gfresse.

Die Leute hatten sich vorhin kaum um die Schule im allgemeinen bekümmert, geschweige denn um ihr Inwendiges. Wenn nur der Schulmeister Fleiß hatte, d, h. wenn er immer zu rechter Zeit in der Schule war und die Kinder zuweilen zu Hause sagten: es heyg hüt dem Schumeister o afe warm gmacht, er heyg o müeße dChutte-n-abzieh; und wenn nur das älteste Kind einen Examenzettel machen konnte, auf dem Buchstaben, einen halben Zoll lang, waren, und, wenn es hieß: »Bueb, bet oder lies!« dieser mit einer mißtönenden Kopfstimme das Ding herbrüllte, daß die Kunkelstecken wackelten und die Katze unter dem Ofen hervorkam und zur Thüre aus wollte; – wenn es nur also geschah, so waren die Leute zufrieden und sagten: »DCHing lere brav; mr hei e Schumeister, me mueß-ne rüehme.«

Jetzt aber war alles wie eine aufgeguselte Wespern. Jeder wollte befehlen, und was dem einen recht war, wollte der andere nicht. Es war fast nicht dabei zu sein. Ich klagte einmal dein Wehrdi diese Not. Der erklärte mir, dieses Einmischen sei ganz natürlich; ich solle mich dessen nur nicht viel achten. Es habe jeder Bauer extra für das Schulhaus tellen müssen und Holz dazu führen; er betrachte es nun auch als sein Haus, und wie er in seinem Hause befehle, so meine er auch hier regieren zu dürfen, wenn es ihn ankomme. Aber wie in seinem Hause er gewöhnlich nicht selbst regiere, sondern jemand anders, er möge befehlen wie er wolle, so müsse man ihn auch da befehlen lassen nach Belieben, nichts dagegen sagen, aber dann auch Schul halten nach Belieben. Zudem sei es etwas neues, was ich da gemacht habe, und etwas solches sei ihnen immer zuwider und gusle sie auf, so wie ein alter Bauer selten eine neue Kutte anziehe, ohne wochenlang darüber zu schimpfen und sich zu verfluchen: die Schneider könnten alle nichts mehr; sie seien allbets viel besser gewesen. Am Ende werde aber die neue Kutte auch eine alte und ihnen so lieb, als irgend eine frühere alte.

»Disputiert nur nicht mit ihnen, Schulmeister,« sagte Wehrdi, »da hört niemand auf eure Gründe. Weil eure Gytiwyler auf 10 Pfund hinaus eine ganze Kuh, auf 7 Pfund ihr Unschlitt, auf 4 Pfund hinaus die Haut zu schätzen wissen und genau angeben können, wie manches Kalb sie gehabt und ob ihre Hörner abgeschabt und zugestutzt worden seien, was ihr alles nicht könnt, so glaubt jeder Gytiwyler zehnmal gescheuter zu sein, als ihr, in allen Dingen. Er hat keinen Begriff davon, daß er in allen den Dingen kreuzdumm ist, die nicht von Rossen oder Kühen etc. handeln. Ist er der schlimmste aus dem Kühmärit, so meint er auch der listigeste zu sein in eurem Fache; er zäpfelt und lächelt alle Leute aus oder weiß sie zu verdächtigen, wenn er sie nicht zum besten haben kann. Wenn ich so oft ein Bäuerlein, das nicht zwanzig zählen könnte, ohne von neunzehn auf zwanzig immer zu verirren, mich auszäpfeln sah und auf seinem Gesicht ellenlang geschrieben stand und die Mund- und Augenwinkel es vierfach aussprachen: »Red ume, du bisch ume-n-e Löhl,« so juckte es mich in allen Mundmuskeln, ihm zu sagen: er sei ein zweyeter Esel und solche, wie er sei, brauche man in Batavia für nichts anders, als für die Affen das Reden zu lehren. Dann dachte ich, das sei ja Menschen-Art, daß, je dümmer sie seien, d. h. je weniger sie begriffen, was sie nicht wüßten, was sie alles nicht könnten, desto mehr zu glauben, alles das zu sein, zu wissen, zu können, was sie nicht wären, nicht wüßten, nicht könnten.

Ich sagte nicht viel dazu; aber ganz dieser Meinung war ich doch nicht. Mir schien es, die Bauren hätten in etwas recht. Des Pfarrers Meinung hatte mir so viel auferlegt; ich fühlte mich gar nicht heimisch, in diesem Gange recht unbehagich, weil ich vielem nicht vorzukommen wußte. Ich mußte so viel darüber hören, daß diese unangenehmen Dinge unangenehme Gefühle in mir erzeugten. Ich durfte aber nichts sagen; doch fragte ich den Pfarrer, wie es denn mit des Händlers Bub solle gehalten werden, der nicht mehr die Fragen lernen wolle? und was ich mit denen machen solle, die keine Täfeli bringen wollten? Mit diesen letztern, sagte der Pfarrer, sei nichts zu machen, als daß man sie nach und nach in der Liebe dazu zu bringen suche; für ernstere Maßregeln fände man nirgends Unterstützung (auch jetzt kaum).

Mit des Händlers Bueb sei es ein anderes. Auswendig müsse jeder lernen, wenn auch nicht gerade die Fragen, an denen hange er nicht, aber doch etwas anderes. Ehedem habe man in den Schulen nichts als auswendig gelernt, manchmal während die Kinder nur noch buchstabieren konnten; um das Verständnis habe keine Seele sich bekümmert. Das sei Unsinn gewesen. Aber das sei eben auch wieder Unsinn, die Kinder gar nichts mehr auswendig lernen lassen, oder es nur so vornehm über die Achsel ansehen zu wollen als etwas, das man noch dulden müsse, das aber wegzuschaffen wäre. Das Gedächtnis sei eine Seelenkraft wie andere, und eben nicht die entbehrlichste, und sie müsse geübt und gestärkt werden, wie jede andere Kraft, wenn sie zu jedem ihrer verschiedenartigen Dienste bereit sein solle. Und gerade die Kinder, welche am schwersten auswendig lernen, müßten am meisten dazu gehalten werden, statt daß man gewöhnlich aus dummem Mitleiden es ihnen schenke. Freilich müsse man es ihnen zu erleichtern suchen, wozu es verschiedene Mittel gebe. Und gar viele Kinder schienen ein schlecht Gedächtnis zu haben, hätten es aber nicht, sondern nur nicht das Vermögen, ihre Gedanken auf einen Punkt zu fixieren; und das sei eine Schwäche, die, wenn man nicht mit aller Gewalt dagegen arbeite, das Kind zu allen ernsteren Dingen unfähig mache. Man sei aber halt noch nicht dahin gekommen, eine Schule zu betrachten als eine Schleife für die verschiedenen Kräfte des Menschen, sondern man betrachte die Schulen nur als Nürenberger Trachter, durch welche man dem Kinde so viel einlasse, als hineinwolle; und wolle es oben aus, so nehme man einen Stämpfel und stungge das ganze tüchtig zusammen, damit man noch eine Melchteren voll hineinschütten könne.

»Man füttert das Kind halb tot und stumpft in der Schule ihm alle Kräfte ab. Stellt das daher dem Händler vor und brichtet ihn darüber,« sagte der Pfarrer.

Es dünke mich, meinte ich, der Pfarrer sollte die Leute vorbescheiden und ihnen ein Kapitel lesen und ihnen befehlen, was sie zu thun hätten. Wehrdi hätte auch gesagt, die Bauren seien zu dumm, als daß sie solche Dinge begriffen, und je dümmer einer sei, desto übermütiger und einbildischer sei er.

»Schulmeister, wenn ich die Leute sehe, will ich mit ihnen reden, das versteht sich. Aber mit ihnen aufbegehren, ihnen befehlen, was sie in die Schule bringen sollen, das kann ich nicht. Ich habe da keine Macht, meinen Befehlen Kraft zu geben, und das wissen meine Bauren so gut als ich. Übrigens lassen sich solche Dinge nicht erzwingen, sondern nur einschmuggeln mit Vorsicht und dadurch, daß die Kinder Liebe dazu gewinnen und die Sache zu Hause vertheidigen und das nötige dazu eräken.« Übrigens sei der Wehrdi gegen die Bauren viel zu erbost. Es habe jeder Stand seine Fehler und sein gutes, so auch der Baurenstand; man müsse aber jeden Stand einmal nehmen wie er sei. Ich solle nur hübscheli fahren, eins nach dem andern nehmen, nicht den Mut sinken lassen; es werde schon gut kommen.

Als ich mit dem Bescheid unzufrieden heimkam – denn es dünkte mich: habe mich der Pfarrer in den Schlamm gestoßen, so könnte er mich jetzt herausziehen – warteten mir wieder zwei Hausväter. Der eine klagte: ich versäume mich viel zu viel bei den Kleinen und versäume darüber die Größeren. Um mit ihnen mit Bohnen und Chestene zgvätterle (auf diese Weise wollte ich auf den Rat des Pfarrers das Zählen und Zahlensystem veranschaulichen aus Mangel eines bessern Apparats) brauche man keine teuren Schulmeister; das könnten die Kindemeitscheni daheim. Der andere begehrte auf: daß ich die Kleinern nicht selbst überhöre im Namenbuch. Schon drei Tage habe sein Hanseli mir nicht aufgesagt, hätte er geklagt, sondern nur ds Sigriste Bäbi, und dem seien die Läuse ganz Hampfele voll ume gramslet a sym strube Gring. Ich sei allbets ein guter Schulmeister gsi; aber seit man ein neues Schulhaus habe, well es neue nüt meh nutz gah, u doch heyg me gmeint, wie's de gah müeß.


 << zurück weiter >>