Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Von allerlei Gedanken und wie ich um mein Erbe komme.

Als ich mein Gesicht von ihm wegkehrte, da fing es an im Herzen sich zu regen und zu bewegen. Das geschieht wohl jedermann, daß, wenn jemand von ihm sich wendet, er das Echo dessen, was jener zu ihm gesprochen oder auf ihn gewirkt, im Herzen empfindet, und aus den durcheinander wogenden Tönen macht sich einer vorzüglich geltend, übertönt die andern und hallet alleine wieder und immer wieder. Was war wohl jetzt der Accord, der bei mir anschwoll, alles andere in sich auflösend? War es das Schulwesen, war es die Person des Jägers oder seine Reisen? Nein, es war der Tod meiner Mutter. Und zu meiner Schande muß ich bekennen, waren die Töne in meinem Herzen nicht Trauerklänge, sondern sie tönten wie Aufatmen einer erleichterten Brust, wie das Lächeln aufkeimender Hoffnung. Wenn meine Mutter starb, wie viel besser hatten wir nicht? Dann war der Streit zu Ende, in unserer Wohnung wieder Friede, außer dem Hause keine Klatschereien mehr u. s. w. An das alles dachte ich, und daß es meiner Mutter selbst nicht böse gehe damit, daß sie auf Erden nichts verliere und froh sein solle, ihren Beschwerden los zu werden. Ich freute mich, diese Botschaft meiner Frau bringen zu können, und dachte, sie werde sich sicher auch freuen mit mir, denn ihr ging es am besten. Ich traf sie in der Küche alleine und mit Thränen in den Augen; denn wahrscheinlich hatte die Mutter ihr noch allerlei gesagt. Ich brachte ihr nun vor, daß die Mutter sicher noch vor dem Neujahr sterben werde, und brachte es zwar mit ernsthaftem, fast betrübtem Gesicht und mit gedämpfter Stimme vor, die fast klang wie der Trommelschlag bei militärischen Leichen. Denn die Menschen erlauben es wohl, daß man sich im Herzen über den Tod eines Menschen freue; aber das wollen sie, daß man doch dazu ein betrübt Gesicht mache und auf seine Stimme einen eigenen Dämpfer setze. Jeder halbweg erwachsene Mensch weiß dieses und übt sich, Gesicht und Herz von einander unabhängig zu machen, und kann er's, so heißt er wohl erzogen.

Mein Weibchen fragte mich aber nicht bloß mit weinerlich sein sollendem Gesicht: »Es wird öppe nit sy; wer het's gseyt?« sondern fing wirklich bitterlich zu weinen an, hielt die Schürze vor das Gesicht und lehnte sich an den Kachelbank, der in solchen Fällen gar oft ihr Vertrauter war. Ich war ganz kaput und wußte nicht, warum Mädeli weine: etwa darum, daß die Mutter noch nicht gestorben, oder aus Rückerinnerung aller der Leiden, die sie ihm verursacht. Denn es gibt Weiber, die im stande sind, bei einem Glücksfall nicht nur zu weinen, sondern zu wüten, daß derselbe nicht vor zehn Jahren sich zugetragen habe. Ich frug hin und her, bald von der linken, bald von der rechten Seite, und vernahm erst nach langem den Stoßseufzer: »Ach, die armi Mueter, u-n-i bi so mängisch höhn über se gsy!«

Ich tröstete nun wieder von der Linken zur Rechten und stellte dar, daß es doch für die Mutter ein Glück wäre, sterben zu können; sie habe doch nichts gutes mehr auf der Welt. »Ach, u mir hei ere's nit besser gäh!« seufzte mein Weib wieder. Da tröstete ich wieder, wie wir gegeben hätten, was wir vermocht, uns dabei noch manches versagt hätten, und ging dann, als das nichts half, in Anspielungen über auf die Vorteile alle, die ihr Tod uns und besonders meiner Frau bringen werde. Gerade heraus sagte ich es natürlich nicht.

»Ach, Peter, hast du o selligs sinne? weisch doch nit wie gern d'Mueter lebt u wie st vom Tod nüt ghöre mah?« sagte meine Frau. Und ich Thor begriff die Reinheit von meines Weibes Herz nicht, das sich nie eine rauhe Antwort erlaubt hatte, aber innere unterdrückte Bewegungen sich zur Schuld anrechnete, unsern Aufwand für die Mutter nicht rechnete, sondern nur das, was wir nicht thun konnten; die an uns nicht dachte, unsere Erleichterung, sondern nur an die Wünsche einer Mutter, die ihr doch nie eine Mutter war.

»Bis doch nit e Göhl,« sagte ich, »u thue so eifalt;was dr lieb Gott schickt, darein muß man sich ja schicken, sagst du immer.« Man sieht, ich war stark in den Anwendungen. Aber mein Weibchen hatte eine große Tugend, nämlich die, alle meine Dummheiten nicht zu hören, auf alle Falle nicht darauf zu antworten. Es ging in die Stube, um der Mutter etwas zu bringen, und von der wurde es wieder angefahren: was es doch immer zu plären habe, es sei doch der wert, gerade so einen Lärm anzufangen und es werde sie bei mir verklagt haben; aber das sei ihr gleich. Es wäre aber Zeit, daß es anfinge zu thun, wie es sich einem rechten Söhniswyb ziemte. Mädeli fagte nichts dazu, sondern sah sie so weichmütig, herzleidig an, daß mir beinahe das Herz übergelaufen wäre. Von da an diente es der Mutter mit doppelter Sorgfalt und machte das Unmögliche, ihr ihre Lage zu erleichtern. Aber die Mutter erkannte das nicht; bald nannte sie das Betragen Heuchelei, bald sagte sie, es scheine zu glauben, sie müsse bald sterben und wolle jetzt machen, daß es vor Gott weniger zu verantworten hätte; allein es könne jetzt machen, was es wolle; gfcheh syg gscheh, und auf das Sterben könnte es sich auch umsonst freuen.

Unterdessen wurde sie immer schwächer, ihre Nächte immer ängstlicher. Sie hustete manchmal fast ganze Nächte hindurch, konnte nicht mehr im Bette bleiben und ihre Beine fingen an, mehr und mehr aufzulaufen.

Es war ein trauriger Winteranfang und ein traurig Schulhalten in Sorgen ums tägliche Brot, in Kämpfen mit dem Schlaf, der nach schlaflosen Nächten in der Schule auf mich eindrang mit aller Pein des boshaftesten Feindes. Unsere Stube war der Sammelplatz aller Freundinnen meiner Mutter, deren Sperberaugen keiner unserer Mangel entging, vor denen die Mutter zeigen wollte, daß sie mich und das Söhniswyb nicht fürchte. Sie spielte denn doch nebenbei die Märtyrerin. Und alle Freundinnen wollten es zeigen, daß sie es mit der Mutter hielten, und machten uns saure Augen und gaben spitzige Worte. Viel Kram bekam die Großmutter allerdings: weiße Brötchen, Zucker, Kaffee, Wein etc., und da sie immer weniger Platz hätte, wie sie sagte, und um das Herz alles voll sei, so kriegte ein gar bedeutender Teil davon unser Bübel ab. Der ward immer meisterlosiger, so daß fast nicht mehr mit ihm auszukommen war. Und wenn wir ihm nur das geringste sagten, so klagte vor ihm die Großmutter: »Ach, du arms Buebli, wie wird's dr afe ga, we-n-i nimme da bi; du wirsch mr de bald nache müeße; si dole di de niene meh.« Die andern Kinder sahen ihn allerlei naschen, von dem sie nichts erhielten; das setzte Weinen ab. Und wenn der Bruder ihnen auch zuweilen etwas von seinen Herrlichkeiten abgab, denn ein böses Herz hatte er nicht, so nahm es ihnen die Großmutter wieder, oder sie sagte dem Knaben: »Warum gisch-ne vo dy'r Sach? bhäb du's; si gabte dir o nüt, we si hätte, u we d'ne geng gäh witt, so gib i dr o nüt meh.« Solche Predigten hielt sie, von immer heftiger werdendem Husten unterbrochen, der den nahenden Tod verkündete. Und der Knabe, der immer bei ihr sein sollte, strebte immer mehr von ihr weg; wenn er hatte, was er wollte, so machte ihr Husten ihm Langeweile. Dann äkte sie mit ihm und jetzt lief er erst von ihr fort; dann gab sie uns Schuld, wir wiesen den Knaben gegen sie auf und das sei doch leids von uns, daß wir ihr die einzige Freude nicht einmal gönnten: wir werden ihn einst noch genug haben können. Ist doch ein Großkind oft das einzige Spielzeug des Alters. Und wie das Kind oft nicht anders kann, als fein liebstes Spielzeug verstümmeln, zerstören, so haben es eben auch viele Alten mit ihren Großkindern.

Es war Weihnacht; kalt und schneeig war es draußen. An selbem Tag hatten wir kein Fleisch gegessen; ein Kaffee machte unser Mittagbrot aus. Der Bube hatte Lebkuchen erhalten von der Großmutter, die ihm das Weihnachtkindli gebracht hätte, wie sie ihm sagte. Wir saßen auf dem Ofentritt zwischen Tag und Nacht, und zwischen Tag und Nacht war es auch in unserm Gemüte. Unsere Armut und Not dunkelte vor unsern Augen auf und wob Finsternis um uns her, und wie es finsterte in jedem, sagte keins dem andern, und wie es jedem unheimlich ward in der Finsternis, auch nicht. Als ich an das nächste Jahr dachte, fiel mir ein, daß der Pfarrer gesagt hatte heute in der Predigt: die Sonne entferne sich von uns nach und nach, weit und immer weiter; aber ihre Entfernung hätte immer ihre Grenzen; bis hieher, sage ihr der Herr, und nicht weiter; dann kehre sie um und komme, immer wärmer und glänzender werdend, wieder zurück. So gehe es auch im Menschenleben und im Völkerleben. Da schwinde auch die Sonne des Heils und des Glückes, aber der Mensch solle nur auf Gott vertrauen; auch hier spreche der Herr: bis hieher und nicht weiter. Der Pfarrer wendete das auf Christus an, wie er auch erschienen sei zur Zeit, in welcher das Menschengeschlecht am meisten versunken schien in Nohheit, in den Schlamm einer fürchterlichen Sinnlichkeit, in das Nichts eines trostlosen Unglaubens; und dann wies er auf viele Beispiele hin, wo Gott sich am nächsten gezeigt, wenn die Not am größten gewesen. So zeigte ich freundlich und leise Mädeli das Lämpchen, das mir schien in die Finsternis. Und Mädeli sprach: »Lue doch, Peter, wie mr e guete warme-n-Ofe hei, u dWärmi het mr so wohl tha, wo-n-i yche cho bi vom Brunne. U da ha-n-i a dMueter vo üsem Heiland müeße denke, die syg doch die best vo nalle Wybere gsi u het doch kei warme-n-Ofe gha i ihrem chalte Stall u kes Nett für seye u nit emal e Chorb für ihres lieb Ching. U du ha-n-i müeße denke, wie-n i doch das alles no heig u no alle Tag warmi Spys u de no kei Herodis, der na üse Chinge längi, und doch war i nüt gege dMueter Maria u sündigeti geng no so viel. Da isch es mir ganz ling wor-de-n-ums Herz, daß mr's doch eigetlich no so guet heige, we mr de recht luege, u meine doch geng, mr heige's so bös. U da ha-n-is du am liebe Gott abbete, daß mr geng so z'unnutz chlagi, u ha-n-ihm's gseyt, er soll nume mache, wie er well, mr welle mit allem z'fride sy. Es het mi düecht, i chönn ihm's nit gnue säge, nue-wi well z'fride sy u-n-ihm alles vertraue; u da isch mir ganz wohl worde, u doch mußte ich immer denke: o die armi, armi Frau i-n-ihrem chatte Stall, u we-n-i ere ume-n-e wenig vo üser guete Wärmi hätt chöne gäh!«

So wies mir auch Mädeli leise und freundlich das Lämpchen, das helle Lichtstrahlen geworfen hatte über den dunkeln Hintergrund ihrer Seele. Die Großmutter hatte gehustet und die Kinder gespielt. Da kam unser älteres Mädchen weinend gelaufen und das kleinere watschelte ihm nach, weinend, und das ältere dolmetschte ihren Schmerz: »Mueti, dr Peterli het Lebchueche u wott üs kene gäh. Großmueter seyt, ds Wiehnechtchingli heig ihm se brungen-u nit üs; we mr nit Ufläth wäre, es hätt is o brunge. Mueterli, mr st kene Ufläth u gang säg's em Wiehnechtchingli, mr syge kene Ufläth u es soll is o Lebchueche bringe. Mueti, gang doch recht gschwing u lauf u säg ihm's.« Das Müeti fühlte die Bitte im Herzen; aber in mütterlicher Besonnenheit nahm es die beiden Kinder auf die Kniee, wischte ihnen die Thränen ab und bat sie, doch zu schweigen. Bis sie das konnten, dauerte es etwas lange. Da konnten sie endlich vor lauter Schnupfen wieder sagen: »Müeti, mr schwyge jetz, aber lauf gschwing.« Da sagte ihnen das Müeti, ds Wiehnechtchingli syg jetz scho gar wyt weg, es u sys Eseli. Wo ds Eseli das Briegge-n-u Pläre ghört heig, heig es afa springe gar grusam; es mög mit weniger lyde als ds Briegge u jetz mög ds Müeti deni Eseli nimme nahspringe. Es müeß jetzt de Macht choche, u ds Chingli heig sicher jetz scho sy ganzi Ladig vrbrucht. – »Aber Mueti, warum het is de das Chingli nit grad afangs Lebchueche gäh, wo-n-es da gsi isch u wo-n-es no gha het; ds selbisch hei mr nit briegget?« Ds Wiehnechtchingli isch drum ume no einisch hie gsi u het nit gwüßt, daß dr o hie snt; es het ech ds selbisch. nit gseh u het drum du nüt für ech z'weg gmacht.« – »Aber Mueti, warum hesch ihm de nüt lah säge, u jetz hey mr kei Lebchueche, u Mueti du bisch dSchuld –« und das Weinen ging von vornen an.

»Schwyg, mys Meiti, schwyg,« sagte die Mutter, die keinen halben Batzen hatte, um den Lebkuchen nachzulaufen, »u we mys Meiteli schwygt, su will i ihm de öppis vom Wiehnechtchingli zelle u woher es chunt u wohi es geyt.«

Da schwiegen die Meitscheni, lehnten ihre Köpfchen an der Mutter Brust und sahen ihr lauschend ins Auge. Und die Mutter erzählte ihnen von einem frommen, frommen Kinde, das seinen Eltern nie Verdruß gemacht, nie mit seinen Geschwistern sich gezankt und gcbriegget habe um nüt u wieder nüt. Und alle Kinder habe das Kind gar lieb gehabt, und wenn es einem etwas zu Gefallen hätte thun können, so wäre dies seine größte Freude gewesen. Da hätte einmal eine böse Schlange sich um viele, viele Kinder glyret und hätte sie alle, alle fressen wollen. Da sei das Kind gerade von ferne dazu gekommen und hätte gesehen, wie die Schlange das Maul aufgethan und wie es wie Feuer aus ihren Augen gefahren sei. Da habe das fromme Kind gar es grusams Erbarmen mit den andern Kindern gehabt, und sei herzugesprungen und habe geschrieen: »Friß, Schlange, friß mi, aber lah die andere gah!« Da habe sich plötzlich die Schlange aufglyret, habe die andern laufen lassen, sei auf das Kind zugesprungen mit weit, weit offenem Maul und feurigen Augen, groß wie Pfluegsrädli. Und das Kindlein hätte die Hände gefaltet und gebetet das Walt Gott, und die Augen zugethan und geglaubt, die Schlange hätte es verschlungen in einem Schluck, und jetzt liefe sie davon oder fliege mit ihm durch die Lüfte. Da habe es endlich bei sich gedacht, es wolle doch die Augen aufthun und sehen, wie es im Bauche einer Schlange sei. Und da sei es heiter und hell um ihns gewesen und eine Sonne hätte geschienen, aber eine viel schönere als die, welche hier scheine, und auf den Armen eines Engels sei es gewesen, und der Engel hätte gar hold und freundlich ihns angelächelt und ihm gesagt: es solle sich ja nicht fürchten, er führe es an einen gar schönen und guten Ort, wo es Freude haben werde, wie noch nie, und wo keine böse Schlange sei.

Weit, weit sei er mit ihm geflogen, immer der schönen Sonne zu, so daß das arme Kind vor lauter Glanz die Augen wieder habe zuthun müssen. Da habe der Engel es endlich abgestellt in einen gar herrlichen Garten, wo lauter Dinge gewesen, die es nie gesehen, und wo es Meye gseh heig, schön wie ds Morgerot und ds Aberot, und die wyt, wyt gschine heige, wie Sonnenschyn und Mondschyn z'säme. Und viele tausend Engelein seien ihm zugesprungen und hätten ihm ihre Hände gegeben und ihm gesungen so schön, so schön, daß es ihns dünkte, der lieb Gott müsse die selber ha lehre singe. Aber unter all denen Engelein sei keins der Kinder gewesen, die es hier von der Schlange gerettet, keins das es gekannt. Da habe es zu meinen angefangen und gejammert, es möchte doch zu seinen kleinen Kindern, sonst könnte ja vielleicht die Schlange sie doch noch fressen. Da habe eine Stimme, die nicht von hieher, nicht von dorther, sondern aus jeder Blume, aus Abendrot und Morgenrot, aus Sonnenglanz und Mondenschein, zu kommen schien und die klang, wie Sonnenglanz klingen muß, ihns gefragt: »Aber gefällt es dir hier dann nicht, es ist doch so schön hier?« –»Ja!« habe das Kind geantwortet, »mir gefällt es hier; aber ich muß doch zu meinen Brüdern und Schwestern und den andern Kindern; was sollen die anfangen, wenn sie mich nicht mehr haben? Aber wenn ich die mitbringen darf, dann will ich mit ihnen kommen und mich freuen hier; o wie schön wäre das! – Da hätte es vernommen: das könne noch nicht sein; und wieder hätte es gemeint, daß man die Hände unter ihm hätte waschen können. »Liebs Kind!« hätte darauf die Stimme gesagt, »briegg nicht; hier oben darf nit briegget werde; aber wenn du nimme briegge witt, so will der erlaube, daß du albe-n-einisch abe darfst zu den andern Kindern, und denen darfst du kramen Lebkuchen und andere gute Sachen, aber nur denen, die auch lieb sind, und alle die, denen du das Brieggen abgewöhnen kannst, die will ich dann auch hieher nehmen, und dann kannst du ja immer bei ihnen sein und alle sollt ihr mir lieb sein. Und die Stimme that dem Kinde so wohl, daß es nie mehr brieggete und schön ward, wie die andern Engelein. Dann zog es auf die Welt und kramete den Kindern und immer mehr nur denen, die nicht brieggeten; und eins Kind nach dem andern konnte hinauf zu ihm und wurde dann auch ein Engelein. Aber es gab immer wieder Kinder auf der Welt und immer mehr, und alle diese liebte es und wollte sie zu sich führen in seinen schönen, schönen Garten, der Himmel heißt. Da mußte es ein Eselein anstellen, um all den schönen Kram zu bringen, und weil es zu so vielen Kindern muß, so kann es nur einmal im Jahre zu einem kommen; aber wo es von weitem brieggen hört, da springt das Eselein mit ihm weiter, was gisch was hesch. Und allbe-n-einisch ma-nes allein nimme gcho an allen Orten, wenn es gar viele Kinder zu besuchen hat oder es viel Schnee ist, daß das Eseli nicht recht dure cha. Da nimmt es de von denen Kindern mit, die ihm die liebsten Engelein geworden sind, und gibt einem jeden ein Eselein und Kram dazu; und die gehen auch seinen Kindern nach und brichten es ihm, wo sie gute und wo sie böse Kinder angetroffen, und welche einst in seinen schönen Garten kommen werden. »Darum, liebe Meitleni! syt lieb, dann kommen die lieben Engeli auch zu euch, bringen euch Kram Jahr um Jahr und nehmen euch einst mit in den schönen Garten.«

So sprach die Mutter zu den zwei Kindern, die an ihrer Brust lagen, und sah auf sie herab. Der Mond war aufgegangen und sein Licht bahnte sich einen Weg bis zu den zwei Kindern auf der Mutter Schöße, wo das kleinere entschlummert war ob der Mutter süßer Rede. Recht lieblich und heimelig ward es in der Stube, aber am lieblichsten doch die Mutter und ihre beiden Kinder, mit deren Locken die Mondesstrahlen spielten und sie verklärten, als ob die Kindlein schon im schönen Garten wären. Zwischen meine Kniee hatte sich der Knabe gestellt; auf ihn fiel des Mondes Licht nicht; aber der Mutter Rede war ihm ins Herz gegangen; er sagte: »Vatter, i will nimme pläre-n-u nimme bös sy u de-n-angere-n-o vo my'r Sach gäh.«

Wir hatten einen recht glücklichen Augenblick. Die Reden meines Weibchens waren gefallen wie Honigtau in mein Herz; es war so zauberisch heimelig im Stäbchen, und die Kinderchen schienen so hold; die ganze Armut war versteckt und nur unser Reichtum beleuchtet, daß manche Fürstin und mancher Prinz in ihren zum Tage erleuchteten goldenen und glänzenden Sälen viel ärmer waren ums Herz als wir, und vielleicht, trotz allen Ehren und allen Genüssen, keine so reiche Stunde halten ihr Leben lang, als wir. Man faselt viel von reich und arm und vergißt immer wieder, daß es das Herz allein ist, das reich macht oder arm. Wer will uns zürnen, daß wir in diesen Augenblicken die Großmutter vergaßen in ihrem Bette! Wir waren ihres Hustens so gewohnt, daß wir ihn wohl überhören konnten. Da kam aber ein Anfall, der gar nicht aufhören wollte, und Mädeli legte sorgsam die schlafende Kleine in ihr Bettlein und sprang der Mutter zu, hielt sie umfaßt und aufrecht, damit ihr Atem leichter sei und der Anfall schneller vorübergehe. Aber er ging nicht vorüber; er gewährte nur ganz kleine Ruhepunkte und der Atem wurde immer schwerer, die Mutter immer schwächer. Man mußte, trotz der Kälte, ein Fenster öffnen, mußte ihr aus dem Bette helfen und wieder hinein. Angst und Bangigkeit ließen sie nirgend lange weilen. Uns ward auch so angst dabei. Mir lief der Schweiß von der Stirne, trotz der Kälte. Meine Frau mußte die Thränen abwischen einisch um anderisch und that so zärtlich und liebreich um die Großmutter und war so ängstlich über ihr Übelsein, und freute sich so sichtlich allemal, wenn Linderung eintrat, daß die alte Frau doch endlich das Herz meines Weibes zu ahnen begann. Sie sprach nicht; aber ihre Augen folgten Mädeli überall hin, und wie mühsam es ihr ward, sie wendete ihr Haupt doch immer so, daß sie es betrachten konnte.

Einmal glaubten wir, die geheimnisvolle Hülle, welche die Seele birgt, sei geborsten und die Seele habe ihre Schwingen entfaltet; unsere Thränen flossen häufiger und laut auf schluchzte mein Weib. Aber die Seele hatte den Ausgang noch nicht gefunden; sie sah noch einmal ans dem halb gebrochenen Auge heraus; sie sah unsere Trauer um ihr Scheiden. Da erglänzten noch einmal ihre Augen; aus ihnen leuchtete es wie Liebe und Weh; noch einmal bewegten ihre Lippen sich und ihr letzter Atem hauchte schwer vernehmlich die Worte: »Mädeli, ach, i ha dr Unrecht tha; vrgib mr, su vrgit mr Gott oh we's mügli isch, aber i bi-n-e große Sünder!« Da verstummte der Mund, die Augen schlossen sich; aber noch hörte sie die Beteurungen der Vergebung. Ein Zug des Friedens und der Freude legte sich über ihr blasses Gesicht; da reckte sie ihre Glieder und es schied die Seele. Gott wolle ihr gnädig sein, der armen Mutter; sie hatte ein bitter Leben gehabt und die letzten Tage sich verbittert in unglücklicher Verblendung; sie hat so schwer gelitten! Aber vor ihrem Ende gingen ihr doch noch die Augen auf, sie suchte Versöhnung; der Herr wolle sie jenseits ihr geben. Aber es schaudert einem, wenn man so viele Leute sieht in der Welt, die nie einen Gedanken der Versöhnung haben, im Leben nicht, im Tode nicht; nicht mit Gott, nicht mit der Welt, nicht mit Menschen: in Zwiespalt liegen sie mit allem bis zu Ende, Zwiespalt ist ihr Leben. Wie hoch war der Gedanke über alle Menschengedanken: die Welt mit Gott zu versöhnen und alle Menschen mit allem! Einer großen Menge ist der Gedanke zu groß, ihre kleinen Herzen können ihn nicht fassen. Ungesühnt wollen viele selig werden; ihrentwegen, meinen sie, werde der große Gott wohl eine kleine Ausnahme machen. Wohl aber gibt es auch welche, die selbst in den Schauren des Todes weder gesühnt werden noch glauben, daß Gott, wenn ein Gott sei, sich sühnen lassen werde. Es bricht da oft eine Verzweiflung, eine Hoffnungslosigkeit aus, die einen beben macht.

So lag eine Frau im Sterben und krümmte sich in heftigen Schmerzen. Eine wackere Frau wollte sie trösten: »Babi,« sagte sie, »du hast es bös im Leben gehabt; tröste dich nun, es wird dir dann im Himmel vergolten werden.« Da richtete sich Babi auf und sagte mit trockener, tonloser Stimme: »Nei, Frau, so wird das nit gah. Babi, wird unser Herrgott sagen, Babi, du hesch mr dys ganz Lebe düre nüt nah gfraget, jetz chasch mr o gah; i wott jetz o nüt vo dr!« War das wohl der Ausbruch eines prophetischen Bewußtseins, daß bloße Worte kein Leben sühnen können, sondern nur ein von Gott ergriffenes Gemüt?

Aber, großer Gott! wenn bloße Worte nicht sühnen können, Wie wird es Millionen gehen! So nahm mir Gott mein Erbe, meine Mutter. Sie war ein reiches Erbe. Durch sie erbten wir Geduld, Kraft zum Ausharren, die Probe treuer Liebe, goldener Treue; wir lehrten siebenmal siebenzigmal vergeben in einem Tage. Die Mutter machte uns, d. h. eigentlich meine Frau, reich; aber was die besaß, das enthielt sie mir nicht und ich verschmähte es nicht. Wenn doch die Menschen auch an den Gewinn der Seele dächten, wie mancher müßte sich da des reichsten Erbes rühmen, der jetzt schmäht, er hätte sein Lebtag keinen Kreuzer geerbt! Gott hat ihm Leute an die Seite gegeben, deren schroffe Seiten ihn reinigen sollten von aller Unreinigkeit. O Leute! thut einmal die Augen auf und zählet nach, was euch Gott hat erben lassen; dann schämet euch, denn viel werdet ihr finden. Aber ihr habt es nicht geachtet oder gar schmählich dagegen euch gesträubt, hättet das Erbe ausgeschlagen, wenn Gott im Amtsblatt sich abfertigen ließe.


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