Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Wie eine Frau mit einem Mann thut, wenn er von einer Gräbd heimkömmt.

Ich kam lustig und guter Dinge heim. Die Erben hatten mir einen Zwänzger in die Hand gedrückt; für eine Halbe, die ich Mädeli kramte, wollte der Wirt nichts, und ein Stück weißes Brot, das ich nicht mehr essen mochte, war in meine Tasche gekommen, ich wußte nicht wie. Mit vielen Künsten war es mir durch manche Wendung gelungen, die Flasche ganz zu bewahren, während ich und mein Chorrichter ziemlich hart mit mancher Ladenwand und manchem Zaunstecken zusammentrafen. Wenn der Chorrichter mit seinem ganzen Gewicht zärtlichst an mich fiel, daß wir beide einer Wand zutaumelten, so wich ich schnell zurück und ließ ihm die Ehre, anzubütschen mit derselben. Ich dachte, ein Chorrichter möchte die Mosen besser erleiden als eine Flasche.

Mädeli hatte mir immer zwei Dinge z'weg, wenn ich heimkam und selbst spät von einer Gräbd: ein freundlich Gesicht und etwas Warmes, meist ein Kaffee. Auch diesmal fehlte es nicht. Nachdem ich noch nach den Kindern gezündet hatte, die bereits schliefen und die mich nie hübscher dünkten als im ersten Schlafe, setzte ich mich an mein Kaffee gar guter Dinge, und Mädeli stellte das Rad neben den Tisch, zog die Kunkel an sich und ließ den feinen Faden schnell und lustig auf den Spuhlen gehen.

»Ja, Fraueli, ich weiß etwas; wenn du es auch wüßtest!« begann ich. – »He, was dann, es wird öppe es neus Hochzeit sein?« – »Nein, Fraueli, öppis ganz anders.« – »Oder es haben etwa zwei Weiber einander geprügelt?« – »Nein, Fraueli, ganz öppis anders.« Und Mädeli ward des Spiels nicht müde und schnurrte mich nie an. Wie beim Schlüsselklopflis wußte ich aber durch Bezeichnungen es näher und näher zu ziehen der großen Neuigkeit, daß es so ungesinnet ein neues Schulhaus geben solle.

Nachdem die erste Freude verrauscht war und ich auf so Fragen: wie dann das ein Haus werden solle, ob es auf den gleichen Platz komme? etc. keine Antwort wußte, fragte mein Weibchen: wie die Bauren zu diesem Entschluß kämen? Ich erzählte, daß sie dem Pfarrer zum Trutz bauen wollten, um ihm zu zeigen, daß sie es so gut vermöchten als andere, und weil sie ihn im Verdacht hätten, er begehre nicht, daß sie viel lernten und daß er meine, es sei gleich alles gut genug für sie. Es geschehe dem Pfarrer recht, meinte ich, und es freue mich, daß die Bauren gescheuter seien als der Pfarrer; ich. hätte das nicht geglaubt. Da ich zuletzt bei den Bauren gewesen und die stattlichen Männer so stattlich reden gehört z. T. auch über Dinge, von denen ich gar nichts wußte, so hielt ich es natürlich mit ihnen, war überzeugt, sie hätten Recht, und hatte sicher dem Pfarrer ein halb schadenfrohes, ein halb saures Gesicht gemacht, wenn ich ihn jetzt angetroffen hätte.

Meine Frau war aber nicht gleicher Meinung. »Ich kann nicht begreifen, Peter,« sagte sie, »wie du glauben kannst, der Pfarrer wolle nicht, daß man etwas lerne. Ich habe noch nie mit ihm geredet; aber seine Predigten gefallen mir bsunderbar wohl. Und gerade in diesen Predigten redet er immer von Erkenntnis, daß diese das Fundament des Glaubens sei, und daß. Jesus gelehrt habe, ehe er gestorben sei; so müsse man auch die Lehre kennen und angenommen haben, ehe man zu Gnaden kommen könne«. – »Ja,« sagte ich, »öppis Wunderlichs von der Religion brichtet er; aber daß er so den rechten Glauben habe, meine ich nicht; er will es den Bauren nur schwer machen und ihnen zu verstehen geben, es kämen ihrer wenige in den Himmel.« – »Eh aber!« erwiederte Mädeli, »sagt er doch nicht immer, die Ärmsten könnten in den Himmel kommen; es käme vor Gott nicht auf das Kleid an; und er redet dann von der Würde des Menschen, der ein Kind Gottes sein könne, wenn er sich mit der Sünde nicht gemein mache, und das wolle viel mehr heißen als König sein oder Schultheiß.« – »Ja,« sagte ich, »das ist's eben, er hält es auch mit den Armen gegen die Reichen und reiset die auf und mag den Bauren es nicht gönnen, daß sie es so gut haben, und vernütiget sie, wo er kann, und glaubt sich zu vornehm, sich mit ihnen abzugeben.«

»Los, Peter,« sagte meine Frau, »man merkt wohl, daß du an einer Gräbd und bei wem du zuletzt gewesen bist; du würdest sonst nicht so reden. Es ist den Bauren Keiner recht; der frühere lief ihnen zu viel nach, der jetzige zu wenig; der frühere wollte ein Schulhaus, aber die Bauren wollten keines; der jetzige wollte keines, nun wollen die Bauren eines; deinetwegen und der Kinder wegen wird also nicht gebaut. Der Pfarrer reiset die Armen nicht auf, aber er sagt: es komme vor Gott auf Reichtum nicht an – so sollte es auch auf Erden sein, und hat er da nicht recht? Weißt du, daß, was er in den Predigten sagt, mich viel an das gemahnt hat, was letzthin der schwarze Jäger sagte; aber zürn mir doch recht nit. Ich habe letzthin in dem Testament und in der Bergpredigt gelesen und habe da Dinge gefunden, die ich in der Unterweisung und in der Schule nie gehört habe. Und eine Menge Sachen kommen mir nach und nach in Sinn, die ich gerne wissen möchte und über die mich niemand brichtet hat. Das sagte ja auch der Jäger und darauf deutet der Pfarrer auch immer hin, daß das Wort Gottes Geist und Leben sei und den Unmündigen verständlich gemacht werden könne und müsse. Das, dünkt mich, aber zürn mir doch recht nicht, fehle wirklich in der Schule: die Meisten geben nicht Achtung und die andern guggen dem Schulmeister die Antworten ab und meinen, damit sei alles gemacht. Aber ich kann es nicht recht sagen, wie ich es meine und denke.«

»Einmal ich,« sagte ich, »verstehe dich nicht, und ich möchte sehen, ob die, welche nur immer über den Schulmeister ausfahren, es besser machen. Man kann die Kinder in der Schule nicht alles lehren, und wenn man das Fragenbuch erklärt, so möchte ich doch wissen, was sie dann noch mehr lernen sollten? Die, welche das Fragcnbuch gemacht haben, werden auch Leute gewesen sein und gewußt haben, was darein gehöre und was nicht, besser als du und unser Pfarrer, der nicht einmal merkt, daß unsere Bauren die reichsten weit und breit sind und sieben Schulhäuser vermöchten statt nur eins.«

Mein Weibchen kannte mich durch und durch und merkte, daß der Weingeist in mir aufsteigen wollte; diesen Geist wußte es nun vortrefflich dadurch zu bändigen, daß es ihm aus dem Wege ging, statt wie manche Frau zu meinen, man müsse sich nicht fürchten und, wenn man recht habe oder recht zu haben glaube, nie weichen. »Aber Kummer macht es mir,« sagte es, »was wir in das neue Haus thun wollen. Wenn wir eine Stube mehr erhalten, so müssen wir etwas darein anschaffen, und woher das Geld nehmen?«

»O, das ist mein kleinster Kummer,« sagte ich, zum Widerspruch gereizt, »laß du mich kummern; wenn denn ein neues Schulhaus da ist, so wird jeder Bauer glauben, ich solle aus seinem Kinde einen Gelehrten machen; und die minderen werden es auch verlangen; und wie ich dann werde kommen mögen, das weiß ich nicht. Wegem Kennen, da macht es mir nichts. Bhüet-is, in der Lehr fürchte ich keinen; aber z'ringsetum z'cho es Tags meh als einisch oder zwuri, das ist schwer; und wenn man dreißig oder vierzig Kindern auf einmal das Rechnen und Schreiben soll zeigen, so weiß ich nicht, wie es einer macht; wenn eins hier brüllet und das andere dert: Schumeister, isch das recht? Schumeister, isch das guet? Schumeister, my Federe dolgget mr! Die Bauren meinen aber auch, man sei nur für sie da, und wegen dem Sch..löhnli, welches sie einem geben, glauben sie, sie könnten von einem fordern, was sie wollten. Es nimmt mich nur wunder, daß der Schulmeister ihnen nicht noch in der Kehri muß gah dHaar abhaue-n-u dNägel, u dr Bart mache. Was hat heut der Peterli gemacht? Einen gescheuteren Buben gibt es in der ganzen Gemeinde nicht. Ich kann ihn schon recht gut brauchen in der Schule; er kommandiert dir da wie ein General oder gar wie ein Preuß. Und wenn es dann losgehen muß im neuen Schulhaus und jeder Baurensohn mit der Federen fechten will, so muß er mir helfen; er kann mir fast die halbe Schule abnehmen. Was hat er heute gemacht?«

»Er war gar uwatlig,« sagte Mädeli, »er wollte mir gar nicht gehorchen, regierte die andern, und wenn sie nicht alles machen wollten, was er befahl, so überschoß und kläpfte er sie. Ich wehrte ihm ab, so gut ich konnte; allein er that gar nicht, als ob er es höre; da redete ich endlich lauter mit ihm, und weißt du, was er mir zur Antwort gab? Es habe ihm niemand etwas zu befehlen als der Vater. Da mußte ich nichts bessers zu machen, als ihn ins Gaden zu sperren bis zum Nachtessen. Aber glaubst du, daß er mir ein gut Wort gegeben oder gute Nacht gewünscht hätte?« »Du wirst geng mit ihm gchäret ha, wie es die Weiber machen; so müssen die Kinder uwatlig werden, wenn alles nicht recht ist, was sie machen.«

»Nein, liebs Mannli, kein Wort habe ich ihm gesagt, bis ich sah, wie er mit seinen Geschwistern umging; aber seitdem du ihn in der Schule brauchst und nur ihn allein, und er über andere regieren kann, du ihn immer rühmst, ist gar nichts mehr mit ihm anzufangen. Und hast du nie acht gegeben, wie trotzig und puckt er dir selbst antwortet? Es hat mich schon manchmal duret, wenn du so alles von ihm annimmst, an ihm nicht nur nichts stehst, sondern auch nichts hörst.«

»Ja, ich habe schon manchmal gemerkt, daß du ihn auf der Mugge hast,« antwortete ich, »und an ihm nichts leiden kannst, weil ich ihn lieb habe. Die Kleinen können machen, was sie wollen, das ist dir recht; und eben darum willst du nicht, daß Peterli, der witziger ist als sie, sie in der Ordnung halte.«

Mädeli öffnete den Mund, schloß ihn wieder, fuhr mit der Hand im Gesicht herum, ich glaube über die Augen, und fragte mich: »Mannli, wie isch's dr grate mit der Leichenrede? Haben die Leute sie zu Herzen genommen? Und was haben die, welche sie noch nie gehört haben, dir darüber gesagt?«

Da erzählte ich, wie es mir gegangen, wie die Katze und das Salome sich gebärdet; wir machten allerlei Mutmaßungen über das Katzengeschrei, bis wir endlich fanden, das Gescheuteste wäre, wir giengen zu Bette.


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