Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters – Zweiter Teil
Jeremias Gotthelf

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Neunzehntes Kapitel.

Von den Leuten im allgemeinen und von einer weisen Frau insbesondere.

Wir hatten uns bis dahin von den Leuten nicht fern gehalten, aber doch auch niemand zum Vertrauten unserer Haushaltung gemacht.

Lieb und Leid hatten wir zusammen getragen und niemand zwischen uns eingelassen. Keines von uns schwatzte aus, die Geheimnisse unserer Liebe oder unserer Kümmernisse; keines klagte über das andere, und meine Frau hatte nicht Lust, den andern Weibern zu erzählen meine Gewohnheiten, meine Schwächen, meine Härten; und mir fiel auch nicht bei, andere Weiber zu fragen, wieviel sie in ihren Haushaltungen brauchen, und über meine Frau zu klagen, wieviel sie brauche, wie verthünlich sie sei und wie wenig sie dagegen verdiene. Klagt einmal ein Mann also einem Weibe so ist er meist verloren; denn er wird selten ein Weib antreffen, die ihm nicht recht gibt, die nicht mehr verdienen und weniger wird brauchen wollen.

Unsere Haushaltung, unser Verhältnis war also wie ein verschlossenes Druckli, in welches gar viele Weiber gar zu gerne ihre Gwundernasen gesteckt hätten. Nicht weit von uns wohnte eine Frau, welche die längste, nämlich Gwundernase, hatte. Sie hatte ein bedeutendes Talent, allen Leuten die Würmer aus der Nase zu ziehen unter dem Schein der größten Teilnahme und Gutmütigkeit. Männer, Weiber, alle mußten ihre Geheimnisse beichten, und es gab Weiber, welche den Morgen kaum erwarten warten mochten, um zu ihr zu laufen und ihr zu erzählen, was in der Nacht sich zugetragen. Und wo sie eine Dienstmagd von weitem roch, da streckte sie ihr schon von weitem die Hand dar und sagte: »Wie geit's dr o? es het mi nüsti scho lang Wunger gno, wi d's o da mache chast.« Und jedem Babi sagte sie Bäbeli und jedem Trini Trineli, und wußte gar schön und süß zu klütterlen jedem Tschudi.

Aber bei dem Gwunder blieb es nicht. Sie wollte auch allenthalben die Hand im Spiel haben, wollte regieren, und das, wie sie meinte, mit Recht, denn sie bildete sich ein, eine besondere Weisheit zu besitzen und gescheuter zu sein, als alle andere Menschen. Sie teilte daher allenthalben Räte aus, und sagte immer: »He lue, das muesch so mache; myn Kraft, das verstohst nit; so chunt's grad z'Gunträri; wart ume, folg du mir; i will dr scho z'weg helfe.« – Und dann wußte sie eine Menge Geschichten, wie sie hier und dort die Leute glücklich gemacht mit ihren Räten. Es wunderte freilich hie und da Leute, warum die gute Frau ihre Weisheit nicht für sich selbsten brauche, da sie dieselbe denn doch am nötigsten hätte.

Die Frau war zwar sehr reich; aber ihre Kinder mißrieten ihr doch, ließen sie wenigstens im Stich und ein jedes that was es wollte. Sie wollte zwar immer darstellen, daß alles gerade so gehe, wie ihre Weisheit es ersonnen habe; andere Leute waren aber nicht ganz so dumm wie sie glaubte und sahen auch unter die Decke. Nun – wollte sie ihre Weisheit nicht für sich selbsten brauchen, so ging das niemand etwas an, obgleich mancher meinte, ihre Haushaltung ginge ihn doch gerade so viel an, als sie die seinige, und so gut sie in die seine rede oder darüber aburteile, so gut habe auch er das Recht in die ihrige zu reden und über dir zu urteilen. Aber bei diesem Raten geschah ein doppeltes, was dieses Raten und Einmischen nicht immer heilsam machte. Sie redete zwar immer von ihrem guten Herzen und ihrer Gutmütigkeit, und der Schein davon war da; aber an gar manchem Ort ist der Schein von Gutmütigkeit, und hinter diesem Schein sitzt Eitelkeit und Eigennutz. Eine gute Frau zu scheinen, ist schön, und nicht nur schön, sondern manchmal trägt es noch was ein. Aber wenn sie wahrhaft gutmütig gewesen wäre, so hätte sie nicht so viel aufgewiesen, nicht diesen aufgehetzt gegen seinen Nachbar und hätte dann dem Nachbar gesagt: »Lue, vor dem chasch di in Acht näh, dä ment's nit guet mit dr: er isch e Grüsel, wenn-r abchunt.« Und sie hätte nicht manchmal diese Weise zu Intriguen benutzt, um jemand zu verkürzen, einem andern die Fische in die Bähre zu jagen.

Das andere Unglück war das, daß ihr ganzes Wesen samt ihren Räten durchaus nicht auf Religiosität und Sittlichkeit beruhte; sondern Eigennutz, Eitelkeit und Schlauheit regierten abwechselnd und ein bedeutender Grad von Selbstbeherrschung kam ihr zu Hülfe. Sie konnte die freundlichsten Mienen machen, wenn es ihr ums Augenauskratzen gewesen wäre, und konnte lachen, wenn es ihr schwer auf dem Herzen lag, von irgend etwas so schwer als ob sie voller Schulden gewesen wäre statt voller Gülten. Klagte ihr ein Weib über die allzugroße Zärtlichkeit ihres Mannes, oder sie fürchte, ihr Sohn könne sich nicht halten, so würde sie einer Vertrauten den Rat gegeben haben: sie solle bestandene Jungfrauen halten oder etwa eine, deren Mann nicht weit da dänne sei. Oder wenn jene über den Mann das Umgekehrte geklagt hätte, so hätte sie auch das Umgekehrte geraten und hätte gesagt: »Eh, Stüdi, du bisch doch e Göhl; wenn-i no eis wär, wie du, das miech mr afe ke Chummer, i wett ere scho gnue übercho u-n-er müeßt nadisch bott nüt merke. Mi mueß de nit so dumm sy, me mueß das de öppe-n-e wenig listig afa.« Und wenn Stüdi dann etwas von nicht recht, nicht brav, gesagt hätte, so hätte sie gesagt: »He, du Göhl, du witt doch nit öppe eleni sövli exakt sy. Das nimmt me nit halb so exakt meh. Dr Pfarrer mueß predige, daß es nit z'wüesch gang, aber wer wett's halte? Me mueß ume öppe luege, daß es niemer merkt u daß me de Lüte nit öppe i dMüler chömi; das isch z'schüche. We du wüßtisch alles was geyt, du wärisch nit halb so eigelich. I chönnt dr Wyber säge, du meinst, was das für bravi syge u wäger di halbe Ching si nit vom Ma.« Und die gleiche Frau, die solche Räte gab, konnte handkehrum über Weiber und Männer, die nicht in ihrem Krättli waren, furchtbar schimpfen und sagen: sie seien schlechte Leute, wegen nicht halb so schlechten Sachen, als zu denen sie selbst geraten hatte.

Überhaupt hatte die Frau etwas Freigeisterisches und sagte oft: »O, me mueß nit alles glaube; me seyt gar mengs, es ifch nit e so.« Und die gleiche Frau klagte am gleichen Tage doch wieder: es sei doch allbets nit so gsi; dWelt werd geng schlechter; es sei sich aber auch nicht zu verwungere, we me gsey, wie dLüt ke Glaube meh heige. So konnte die Frau kalt und warm aus einem Munde blasen. So blies sie aber nicht etwa bloß den Personen, die sie vor sich hatte, einem jeden in sein Horn. Sie that es zwar hie und da auch; aber der Hauptgrund lag an einem andern Orte. Sie war im alten Glauben erzogen worden, und ihre weibliche Natur hielt einen Teil davon samt einer Portion Aberglauben fest. Dann aber war ihre Blütenzeit in die Helvetik gefallen; ihr Mann hatte in derselben etwas zu bedeuten gehabt. Dieser Mann hatte geglaubt, um sich aufzuschwingen, müsse er sich federleicht machen und allen Ballast über Bord werfen und vor allem die Religion. Es ist wirklich merkwürdig, welcher Leichtsinn, welche Liederlichkeit damals von Frankreich eingeschwemmt und hier absichtlich und sorgfältig verbreitet wurden. Man kann diese Zeit der Frivolität zu Stadt und Land noch manchem Manne aufgeprägt sehen, der zur damaligen Zeit seine Bildung empfing, entweder in den Hörsälen oder den Ratssälen, den Municipalitäten oder den Kneipen, welche beiden letztern oft zusammenfielen. Am traurigsten waren natürlich die daran, die nur Brocken der damaligen Weisheit und des damaligen Unglaubens auffingen. Diese Brocken trugen sie nun beständig zur Schau, hängten sie heraus und stolzierten damit herum, wie ein armes Meitschi, das kein Gloschli hat und kein ganzes Hemde, wenn es einmal zu einem Mänteli und Händschlene gekommen, sich mit Mänteli und Händschlene brüstet. Händschli und Mänteli tragen gar nichts ab, als daß sie die übrige Armut und Elendigkeit noch mehr zur Schau stellen, und doch meint das arme Meitschi, es sei der ganzen Welt genommen und ihm gegeben, und sieht jede Baurentochter verächtlich von der Seite an, die kein Mänteli trägt, sondern ein feines, reines, ganzes, flächsiges Hemde und keine Händschli, wohl aber ein schön geblümtes Gloschli mit einer handbreiten roten Blegi. Gerade so gebehrdeten sich jene Männer mit ihrer Afterweisheit und ihrem Unglauben, wie dieses arme Meitschi, und es gibt einzelne, die noch jetzt so thun; aber sie werden seltener und beginnen auszusehen wie ergrauende Denkmale einer vergangenen, wüsten Zeit. Gerade ein solcher war auch der Mann unserer Frau gewesen. Und da die Frau damals mit ihrem Manne sich gemeint, sich vielleicht eingebildet hatte, durch ihn Frau Staatsrätin oder Frau Direktorin zu werden, so hatte sie auch gemeint: er wisse nun alles und könne alles. Sein Glaube ward daher auch der ihre; seine Brocken schnappte sie auf; sie ward auch eine gute Helvözlerin. Der neue Glaube war der Frau in vielen Dingen gar bequem und nach ihm erweiterte sie ihr Gewissen, daß es dehnbar und groß wurde, wie Hals und Schnabel einer Löffelgans. Damit war aber der alte Glaube nicht fort; Neues und Altes lag da untereinander und übereinander, wie an einer Geltstagssteigerung. Anfangs natürlich lag das Neue obenauf und war allein sichtbar; die Zeit rüttelte aber beides und Altes kam herauf und Neues herunter, und so lag es bunt und lustig durcheinander. Bald hörte man ein strenges Urteil, bald einen leichtfertigen Rat; bald stolperte man über eine Äußerung des Unglaubens, bald drang einem ein andächtiger Seufzer in die Ohren. Und die gute Frau hatte in all ihren Händeln, und weil sie rings herum so vieles wissen mußte und zu sorgen hatte, nie Zeit aufzuräumen in sich, sie ließ das getrost unter einander liegen und war wohl dabei.

Sündigte diese Frau oder riet sie jemand zum Sündigen, so tröstete sie sich damit: es hätte es niemand gesehen; es gehe niemand etwas an, was sie mache, oder: es schade doch niemand ec; es sei nur für das dumme Volk verboten, die Witzigern könnten es machen wie sie wollten. Beleidigte aber jemand sie, so tröstete sie sich damit, es werde wohl ein gerechter Gott im Himmel sein, der werde es ihm reisen. Glaubte sie jemand undankbar, so sagte sie: es sei gut, daß es doch Gott gesehen habe, was sie dem gethan; der werde ihr schon daran denken. Starb einer ihrer Feinde, so sagte sie triumphierend: da heig jetzt dr Tüfel aber dr recht, u es sött allne e so gah, die-n-ere's so mache, wie dä-n-ere's gmacht heyg. War sie aber krank, so nahm sie ein altes Betbuch, betete bis sie schwitzte und meinte dann, sich die Tropfen abwischend: »We das nit bschüße sött, so wüßt si de z'bott nit, was helfe wett; aber sie wüßt wohl, dr lieb Gott werd se wohl agseh wie-n-e angere arme Mönsch, wenn-ere nit öppe da dolders Predikant z'böst red.« Diese Frau hatte nun einen bedeutenden Einfluß, und den Schaden, den sie auf diese Weise stiftete, die Unsittlichkeiten, zu denen sie riet, möchte ich nicht gut zu machen haben. Und da sie auch nie zur Überwindung, zu sittlichen Kraftanstrengungen, sondern zu Listen und Ränken, zum Verschlirggen, zu Deckmänteln riet, so möchte ich die Leute, die sie verdreht, nicht gerade zu machen haben. Diese Frau hatte es schon lange geärgert, daß sie nicht an uns kommen, ihre Nase nicht mitten unter uns haben, unsere Haushaltung nicht leiten konnte mit ihrer Weisheit. Nun ist's aber merkwürdig, wie so zwei klatschsüchtige Weiber sich zusammen finden; es ist wahrlich, als ob sie sich röchen wie die Katzen im Hornig.

Die Bekanntschaft zwischen meiner Mutter und dieser Frau war angeknüpft, wir wußten nicht wie. Dort fand sie dann noch andere Weiber, mit welchen sie ferners bekannt wurde, so daß sie nun ganze, halbe Tage verschwand. Anfangs freute uns dieses für die Mutter. Wir hofften, die kürzere Zeit, die sie hätte, würde sie auch besser gelaunt machen. Und ich muß es bekennen, wir atmeten allemal recht frisch auf, wenn sie fort war; es war fast, als ob eine ganz andere Luft im Hause sei. Unsere Gesichter wurden wieder fröhlich, und die Worte, die wir nun nicht auf der Goldwage abzuwägen hatten und dann nicht noch siebenmal drehen mußten, gingen uns wieder frisch vom Munde. Aber die Mutter wurde, wenn sie zu Hause war, seit ihren Besuchen immer handlicher und immer unzufriedener. Sie balgete über alles, sogar darüber, daß sie mit uns und den Kindern in der gleichen Stube schlafen müßte. Sie hätte nicht geglaubt, sagte sie, daß sie in ihrem Alter noch ganze Nächte das Kindergeschrei haben müßte.

Am meisten aber war sie mit dem Essen unzufrieden und trieb meinem Weibchen deshalb fast die Seele aus. Erdäpfel, wenigstens geschwellte, aß sie keine, oder wenn sie je einen aß, so mußten wir eine ganze Woche lang bei jedem Husten hören von dem Erdapfel, den sie hätte essen müssen. Wir mußten aber doch Erdäpfel essen und es war meiner Frau fast nicht möglich, immer etwas Apartes für die Mutter zu haben, und doch that sie es soviel möglich. Aber dann war ihr das Brot nicht recht. Es sei doch schrecklich, meinte sie oft, daß so eine alte Frau mit so bösen Zähnen altes Brot essen solle; das könne einem doch niemand zumuten als ein Söhniswyb. Und hatte sie frisches Brot, so klagte sie: es sei doch schrecklich, daß eine so alte Frau so schwarzes Brot essen solle; ehedem, wo die Leute noch was geglaubt, da hätte man in jedem Hause ein weißes Brötlein für die alten Leute gehabt. Der Kaffee war ihr auch nie recht. Den Schigore möge sie nicht erleiden, sagte sie; er mache ihr das Wasserbrennen. So stark geröstet habe sie ihn nie; sie habe immer gehört, es mache kurzen Athem. Die Milch war zu blau und Mädeli wurde zugemutet, es blase sie ab für sich und gebe nur den dünnern Teil auf den Tisch. Und Mädeli machte gerade das Gegenteil. Mädeli, in der besten Meinung, that alles mögliche, hatte aber nie Dank davon, sondern statt dessen Vorwürfe oder Sticheleien. Ich sah oft, wie es seine Erdäpfel und seinen Kaffee mit Thränen hinunterwürgte, nur damit beides mir nicht vor Ohren nnd Augen käme. Es wollte keine Jammerbüchse sein, aus der, statt wie aus einer Elektrisierbüchse oder Flasche blitzende Elektricität, klöhnende Jammertöne strömen, denen man aber eben deswegen ordentlich aus dem Wege geht, um nicht eine Ladung zu erhalten. Mädeli wollte bei mir nicht über meine Mutter klagen, sondern sie ertragen aus Liebe zu mir, da es mich mehr liebte als sich selbst. Gar viele lieben meinetwegen wohl ihren Mann, aber daß sie seinetwegen etwas ertrügen, ohne es ihn entgelten oder merken zu lassen und nachzurechnen – selb nicht. Aber deswegen hatte ich um so mehr Mitleid mit ihm. Es ist da auch gerade wie bei Kranknen. Je mehr ein Krankner jammert und klagt und ungeduldig sich gebärdet, desto weniger Mitleiden hat man mit ihm, desto ungeduldiger wird man über ihn, desto mehr läuft man von seinem Bette weg.

Je geduldiger aber ein Krankner ist, desto mehr Mitleid hat man mit ihm, desto mehr Mühe gibt man sich mit ihm. So hatte ich es mit Mädeli. Wenn ich sah, wie es seine Erdäpfel hinunterwürgte, mit dem Kaffee noch allerlei anderes schluckte und doch freundliche Augen und milde Worte beizubehalten suchte, so schwoll mir eben deswegen das Herz und ich fing an der Mutter zuzusprechen und ihr zu zeigen, daß wir thäten, was wir vermöchten, daß sie es immer besser hätte als wir, und sie zu bitten, mein Weibchen nicht so zu plagen; sie sehe doch, in welchen Umständen es sei und daß es thue, was ihm möglich sei. Das nahm aber dann meine Mutter übel und sagte: sie sei auch manchmal in solchen Umständen gewesen und es hätte sich auch niemand ihrer geachtet. Es sei auch nicht bravs von mir, daß ich es nie mit ihr halte, und sie hätte auch vernommen, wieviel besser Mädelis Vater es gehabt und was Mädeli dem alles angehängt hätte. Mädeli bat mich oft recht dringend, doch gar nichts mehr zu sagen; wir wollten es mit Geduld annehmen; wir wüßten ja nicht, womit wir das versündigt hätten und was wir darob verdienen könnten. Die Sache kam aber immer ärger; die Mutter wurde immer mißvergnügter und wußte alle Tage mehr zu klagen. Wir begriffen nicht, woher das kommen möchte, bis eines Tages die weise Frau, wie zufällig, beim Garten stehen blieb, wo Mädeli eben mit dem Kraut focht. »Bist du auch einmal an der Sonne?« frug die Frau; »es ist recht, me mueß si o fürelah u nit geng ume-n-am Schatte hocke-n-u öppis nirpe. Wo habt ihr das Mutterli? » fragte sie ferner; »es ist mir gar lieb; habt mir einmal recht Sorge zu ihm und gebt ihm auch recht zu essen und gönnet es ihm.« Meine Frau war ganz verdutzt über diese Ermahnungen, die gar gutmütig ausgesprochen wurden. Sie entschuldigte sich auf das Beste und sagte: die Mutter sei uns recht lieb, sie hätte es besser als wir selbst.

Ja, ja, man meine es manchmal, man habe die Leute lieb, man gebe es ihnen gut, und doch plage man sie und lasse sie Mangel leiden. Man sollte doch immer nachdenken, was man selber gerne hätte, und wenn man nur denken wollte, so würde man vieles anders machen können und es würde nicht mehr kosten. Auf das alles verstummte Mädeli und konnte gar nicht begreifen, was das zu bedeuten habe. Endlich sagte die Frau noch: »Ja, Fraueli, du mußt gewiß anders werden; so ist's nanis bott nicht recht, und du wirst verbrüllet im ganzen Land. Sinn doch ein wenig nach und denk, was deine Pflicht wär. Ds Mueterli kann mich dauern und so gstieng's Niemere us. Adie u säg's em Ma o, er soll e wenig vrnünftiger sy, es würd a-mem-e Schumeister wohl astah.«

Nun war uns die Lösung des Rätsels leicht. Wenn eine Frau gefragt wird in recht gutmütigem Tone: »Go grüeß di, mys Fraueli, wie geit's o geng? i ha wäger mängist a di däncht u ha däycht, wies dr o gang; gell, o so, wie's cha u ma?« so werden nicht die halben Weiber sich der Klagen enthalten können. Der Ton, in dem sie angesprochen worden sind, hat ihnen die Versicherung gegeben, daß sie da Bedauren und Teilnahme finden werden; und wenn eine Frau sich nicht kann beneiden lassen, so möchte sie doch gerne bedauert sein. Nun fängt sie an zu klagen, und Klagen findet jeder Mensch, wenn er sie sucht, und je mehr sie bedauert wird, desto mehr klagt sie, bis sie endlich in dem Haufen von aufgetürmten Klagen fast erstickt und ordentlich elend wird. Die ersinneten, hervorgelockten Klagen werden am Ende auch von der Klagenden für wahr gehalten; sie nimmt den Ärger darüber mit nach Hause und hat sie z. B. über schlechten Kaffee geklagt und ist darüber bedauert worden, so wird sie den Kaffee daheim schlecht finden, darüber die Nase rümpfen, und wenn er auf Extrapost aus der Levante gekommen wäre.

Auf solche Weise ist schon manches Herz künstlich unglücklich gemacht, mancher Hausfriede zerstört, manche Ehe zertrümmert worden. So war meine Mutter bedauert worden; dadurch wurden ihre Leiden vergrößert; sie wurde immer bitterer; ihre Klagen wurden immer größer und wir unter den Leuten immer mehr verbrüllet. Denn da wir nichts sagten, keine Partei suchten, so nahmen alle der Mutter Partei und urteilten, was wir doch für wüste Leute seien. Man sehe es uns nicht einmal an, meinten die einen; die andern behaupteten aber, schon lange nicht nur Pulver gerochen, sondern auch gesagt zu haben, das komme am Ende dann so. Man riet ab, wer uns etwas darüber sagen solle; denn das könne man doch nicht so gehen lassen. Da sagte die weise Frau: »Löht mi nume mache, i will's dem Fraueli scho säge; es müeßt öppe bös sy, we me ere sellige nüt säge dörft, u er isch ume so-n-e Gali u mueß mache, was sys Räf will. So jungi Wyber meine de nadisch, si chönni mit üsereim umgah, wie si welle, aber me mueß-ne dr Verstang mache: von-ne selber hei si ne nit.«

So kam es, daß Mädeli am Gartenzaun ein solch Kapitel erhielt. Als es antworten wollte, war die Frau schon weiter gewatschelt, mit übereinander gelegten Händen.

Was in meines Weibchens Herz vorging, weiß ich nicht, weiß nicht, ob nicht ein schwerer Kampf in demselben statt gefunden; denn, als ich es vor Augen kriegte, sah ich nur noch verweinte, aber nicht wilde oder böse Augen. Auf meine Fragen vernahm ich den Vorfall und wir machten es uns beide deutlich, woher er enstanden: daß die Mutter über uns klage allenthalben, und alle Weiber im Dorfe gegen uns Partei nehmen, weil wir niemand klagten, keine Vertrauten suchten. Ich wollte nun mit der Mutter aufbegehren und ihr ihr Geläufe abstellen. Aber meine Frau wollte nicht; sie behauptete, das mache das Übel nur ärger; sie klage dann nur desto mehr, und anbinden könne man sie doch nicht. Ein Mittel brauste mir durch den Kopf: den Leuten nämlich auch zu sagen, wie es stehe, zu sagen, was wir thäten und wie die Mutter eine sei. Damit hätten wir sicher wenigstens die halben Leute auf unsere Seite gezogen und wären bei ihnen wieder in guten Geruch gekommen. Allein mein Weibchen sagte: »Möchtest du das, Peter? soll ich anfangen über deine Mutter zu lästern? was könnten dann erst die Leute mit Recht von mir denken, wenn ich einer so alten Frau ihre Fehler aufdeckte und zweglegte? Nein, Peter, da ist nichts zu machen, wir müssen das in Gottes Namen tragen; es wird schon wieder besser kommen.«

Ich begreife noch jetzt nicht recht, woher mein junges Weib die Kraft hernahm und das richtige Gefühl dessen, was christlich und nicht christlich sei. Es war ohne sogenannte Bildung; eine besondere Education war nicht mit ihm gemacht worden; auch im Weltschland war es nicht gewesen, und doch dachte es so sinnig, waltete so lieblich, trug so kräftig, daß man so was unter dem Kittel nicht vermutete, und, wenn man das Unerwartete fand, verwundert nach den Ursachen gefragt hätte und wo Mädeli erzogen und gebildet worden sei? Ich fragte das freilich nicht; aber ich dachte doch manchmal darüber nach, wenn ich durch dasselbe beschämt worden war. Ich konnte nichts anders denken, als daß das alles von der Liebe komme, welche Mädelis Verstand schärfe, ihre Kraft erhöhe, kurz die Trägerin, Nährerin, Leiterin aller Kräfte geworden. Für solche Liebe ist eigentlich das weibliche Gemüt geschaffen; ein Thron ist in demselben für sie aufgebaut, von dem herab soll sie regieren; eine Fülle von Kraft steht ihr zu Gebote; alle Empfindungen weiht und heiligt sie, und aus den Empfindungen, nicht aus den Gedanken, entspringt des Weibes ganzes Wesen. Aber leider wird dieser Thron anders besetzt schon frühe bei vielen. Selbstsucht thronet oben und zeigt sich bald als Eitelkeit, bald als Hoffart, bald als Sinnlichkeit, bald als Bequemlichkeit, kurz in vielfachen Gewändern nach Laune, Alter und Gelegenheit, bestimmt des Weibes Empfindungen und beherrscht somit sein ganzes Wesen. Und früh sorgen die Eltern dafür, daß es also geschehe, und verwöhnen das Kind und vergiften sein Empfinden, so daß, wenn dann auch einmal die Liebe zum Manne kömmt, sie nicht Herrscherin wird, sondern, eine Magd der Selbstsucht, und von ihr sich muß mißhandeln oder verabscheiden lassen nach Lust und Laune. Und doch hatte der liebe Gott so gut es dem Weibe ausgedacht. Eben weil das Weib vorzüglich empfindet mehr als denkt, hat er ihm die süßeste aller Empfindungen bereitet, hat dieser Empfindung die Macht, gegeben, dem ganzen Gemüte zu gebieten und die Eigenschaft ihm mitzuteilen, daß in der Berührung mit der Welt nicht Bitterkeit, nicht Leidenschaften entstehen, für deren Zähmnng, keine Gewalt da ist; hat also dem Weibe eine Kraft bereitet, welche der Welt den Stachel nimmt; einen Balsam, der alle Wunden heilet; eine Empfindung, die wahrnimmt, was kein Verstand der Verständigen sieht. Und das eben erkennt man nicht, mißkennt, was des Weibes Glück ausmacht, will an Platz des Empfindens das Erkennen, an Platz der Liebe den Verstand setzen oder gar das Gedächtnis; daher eine so rasende Menge unglücklicher Weiber, die eine so rasende Menge Männer rasend machen oder wenigstens halb. O Herrgott, unsere weiblichen und männlichen Pädagogen dann noch zu den Eltern! Mich wundert, wenn man nicht nächstens Schulen einrichtet, wo die Mädchen auf den Händen werden gehen müssen mit den Beinen zierlich in der Luft!

Das Herz meines Weibes, oder seine Empfindung, war durch nichts vergiftet worden; die Liebe fand den Thron noch leer und auf demselben wachte und waltete sie nun mit Meisterschaft, und wenn sie matt werden wollte, so trank sie aus dem Born der ewigen Liebe und ward wieder stark und weise.

Und was diese Liebe stark ist, glaubt man gar nicht. Für jemand, den man haßt, ein gut Wort zu geben oder einen Gang zu thun für ihn, ist Höllenpein; für jemand, den man liebt, sich zu opfern, ist Freude; einem hassenden Herzen wird alles schwer in der Welt, ausgenommen die Sünde; einem liebenden Herzen wird das schwerste leicht, ausgenommen die Sünde. Das fühlten wir auch zusammen, denn Mädelis Liebe trug auch mich empor.


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