Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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37.

Eine Scheidung.

Drei Tage waren nach den oben beschriebenen Vorgängen verflossen, als der Schlossermeister Baumann Morgens zu dem Staatsanwalt Witte kam und ihn dringend bat, die Scheidung mit seiner Frau zu betreiben, da er willens sei, Alburg zu verlassen, und nicht mit dem Gefühl fortgehen möge, noch eine Frau da zu haben. Er hätte mit seiner Frau, wie er sagte, gesprochen, und sie füge sich in Alles; nur an Einem Punkt hänge es, an dem jüngsten Kind, das noch nicht ganz sieben Jahre alt sei und das die Mutter nicht hergeben wolle. Mit dem siebenten Jahre, das wisse er wohl, gehöre es ihm; aber er könne und wolle nicht so lange warten, und bäte deshalb den Staatsanwalt, das zu vermitteln.

»Sie sind ein alter Starrkopf, Baumann,« sagte Witte ernst. »Hat die arme Frau nicht schon genug ertragen und ausgestanden, und wollen Sie ihr auch noch den letzten Schmerz hinzufügen?«

»Ich kann das Kind nicht zurücklassen, Herr Staatsanwalt,« sagte der Schlossermeister, »es ist meine ganze Seele; und die Mutter – es wird nicht so schlimm sein, als sie jetzt es denkt. Hat sie sich von dem ersten Kind, an dem jede Mutter mit ihrem ganzen, vollen Herzen hängt und lieber den letzten Blutstropfen hergäbe, ehe sie es missen möchte, trennen können, so wird es ihr bei dem letzten auch nicht schwer werden. Sie soll auch keine Noth leiden; ich lasse ihr das Haus und Alles, was ich an Vermögen habe, nur die Reisekosten abgerechnet. Ich will mit meinen Jungen nach Amerika; der Bruno geht auch mit und heirathet des alten Salomon Tochter. Mir ist's auch recht, denn ich kenne den alten Salomon als eine treue, ehrliche Seele, die mehr christliches Gefühl für ihre Mitmenschen hat, als mancher Christ. Von dem, was ihr bleibt, kann sie also recht gut leben, wenn sie das Kind nicht mit zu versorgen hat, und deshalb wär' es nur vernünftig, daß sie sich fügte.«

»Also sie weigert sich, das Kind herauszugeben?«

»Sie weigert sich gerade nicht,« sagte der Mann finster, »aber sie weint und jammert den ganzen Tag, daß ich ihr doch nur das Eine lassen möchte, wenn ich ihr alles Andere wegnehme, und zwingen möcht' ich sie gerade nicht, kann aber auch das Kind nicht missen.«

»Und was soll ich dabei thun?«

»Ihr zureden, Herr Staatsanwalt,« sagte der Schlossermeister. »Ich kann nicht reden – entweder werde ich zornig oder weichmäulig, und das paßt Beides nicht. Sie verstehen das aber besser, es ist ja auch Ihr Amt und Geschäft. Sie können ihr die Sache auseinander setzen und ihr klar machen, daß die Kinder zum Vater gehören; mir glaubt sie's nicht, und bringt dann so hochstylige Redensarten hinein, daß ich gar nicht weiß, was ich ihr darauf erwidern soll – und das paßt mir nicht.«

»Gut,« sagte Witte, »dann bringen Sie Ihre Frau mit her. Sie wollen doch nur, was recht ist, nicht wahr?«

»Gott soll mich behüten, daß ich je was Anderes wollte!«

»Schön, dann hoffe ich Alles in Ordnung zu bringen. Ihre Frau ist ja auch vernünftig und sonst gut und brav.«

»Das ist sie,« nickte der Schlosser, »und war es mir die langen Jahre hindurch bis auf den Einen Tag, die Eine Stunde, die unser Aller Glück zerstört und zum Fenster hinausgeworfen hat.«

»Und doch wollen Sie sich von ihr scheiden lassen?«

»Ich habe es einmal gesagt, und jetzt muß es sein – es geht nicht anders!«

»Gut. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und meine Pflicht wohl, Ihnen abzurathen, aber zwingen kann ich Sie nicht; also bringen Sie mir die Frau. Aber noch Eins, auch das kleine Mädchen muß dabei sein, damit gleich Alles abgemacht wird.«

»Das Kind – die Else?«

»Gewiß.«

»Lieber wär's mir, sie hörte gerade nicht, was wir mitsammen verhandeln.«

»Schämen Sie sich vor dem Kind?«

»Schämen? Zum Teufel, nein; ich brauche mich vor keinem Menschen zu schämen, am wenigsten vor meinem eigenen Kind!«

»Nun gut, dann bleibt es dabei. Wann wollen Sie kommen?«

»Je eher die Geschichte abgemacht ist, desto besser,« sagte der Mann, »denn ich halt's so nicht mehr lange aus, und selbst der Karl fängt mir an zu flennen – da muß ein Ende dran. Ich hol' sie auf dem Fleck, wenn's Ihnen recht ist.«

»Mir ist's recht, Baumann, ich werde zu Hause sein. Also sonst haben Sie sich über Alles mit ihr geeinigt?«

»Ueber Alles; es war auch nicht schwer. Sie hat kein Wort dazu gesagt und war mit Allem einverstanden. Es liegt auch nicht in ihrer Natur, zu widersprechen.«

»Schön, dann holen Sie Ihre Frau und das Kind; ich hoffe, daß wir rasch damit in Ordnung kommen.«

»Gott gebe es!« flüsterte der Mann und schritt starr und eisern aus der Thür hinaus und seiner eigenen Wohnung zu.

Witte ging indessen in seine eigene Wohnung hinüber, um dort ein wenig zu frühstücken. Als er das Zimmer seiner Frau betrat, stand diese am Fenster und sah aus die Straße hinaus.

»War nicht eben der alte Baumann bei Dir?«

»Ja, mein Schatz.«

»Was wollte er denn?«

»Sich scheiden lassen von seiner Frau,« lautete die kurze Antwort.

»Von seiner Frau – wegen der Geschichte?«

»Allerdings.«

»Da hat er Recht,« sagte die Frau Staatsanwalt mit Emphase, »das verdient sie nicht besser!«

»So?« sagte Witte und blickte Ottilie, die mit einer Arbeit beschäftigt am Fenster saß, scharf an. Das Mädchen sah abgehärmt und niedergeschlagen aus; aber desto mehr blühte dafür die Mutter und hatte sich mit Bändern, Schleifen und Locken ordentlich herausgeputzt. »So?« wiederholte Witte noch einmal. »Und was hat die Frau denn eigentlich gethan, wenn ich fragen darf?«

»Was sie gethan hat?« rief im höchsten Erstaunen und sich rasch nach ihm umwendend die Frau Staatsanwalt. »Nun, das nehme mir aber kein Mensch übel – und das fragst Du mich? Weiß nicht die ganze Stadt, daß sie ihr eigenes Kind hergegeben hat, um es vornehm und adelig zu machen, und hätte sie für eine solche Unnatürlichkeit nicht eigentlich das Zuchthaus verdient?«

»Und was hast Du gethan, Therese?« sagte Witte, indem er ihr recht ernst und fast wehmüthig in's Auge sah. »Hast Du Dein Kind nicht auch hergeben wollen, um es recht vornehm und adelig zu machen?«

»Aber, Witte!«

»Hast Du ihr nicht schon seit Jahren mit Deinen albernen Reden, wie vornehm sie sei und was weiß ich Alles, und was für eine gute Partie sie einmal machen müßte, das Ohr und Herz vergiftet, daß ich, wenn ich beschwichtigen und dämpfen wollte, nur immer hinter dem Rücken ausgelacht und verspottet wurde? Dein Vergehen war allerdings nicht criminalrechtlicher Art; Du thatest nur, was tausend andere unvernünftige Mütter ebenfalls thun – Du pflanztest einen Span von dem Sparren, den Du selber im Kopfe trägst, in Deiner Tochter Herz, und jetzt hast Du die erste Strafe dafür – und sie auch; aber ich fürchte fast, die Lection wird noch nicht scharf genug gewesen sein.«

»Du phantasirst wohl heute Morgen?« sagte seine Frau, den Kopf verächtlich zurückwerfend.

»Die Phantasie ist dann ziemlich realistisch. Fritz Baumann, ein braver, tüchtiger und anständiger Mann, der Ottilie liebte, wurde mit Hohn und Verachtung abgewiesen, weil sich die Frau Mutter einbildete, der Erbe von Wendelsheim bewerbe sich um sie. Die Sache hat sich jetzt gewandt; aus dem Fritz Baumann ist der Erbe von Wendelsheim geworden und . . .«

»Wenn sie den haben wollte,« sagte die Frau Staatsanwalt, »könnte sie ihn noch alle Tage kriegen.«

»Und hat sich neulich,« fuhr Witte ruhig fort, »mit jener armen Waise auf dem Schlosse, Kathinka von Stromsee, verlobt.«

»Verlobt?«

»Allerdings, während der frühere Lieutenant von Wendelsheim, jetzt Bruno Baumann, die wunderschöne Tochter des alten Salomon heirathet und mit ihm und den Seinigen nach Amerika geht.«

»Nun, und was interessirt das uns?« fragte die Mutter.

»Sieh Deine Tochter an und frage sie, ob es sie interessirt,« sagte Witte finster. »Mit bescheidenen Ansprüchen ist es vielleicht möglich, daß sie noch ein treues Herz, wie es ihr Fritz Baumann brachte, findet, um ihr Schicksal zu theilen, aber mit Deinem jetzigen Wahnsinn nicht; und wer die Schuld daran trägt, wenn sie einmal allein und freudlos durch's Leben gehen muß, das warst Du mit genau demselben Hochmuth, der jene arme Frau zum Kindertausch trieb.«

»Du bist unausstehlich heute, Witte!«

Der Staatsanwalt seufzte recht aus tiefster Brust und sagte kein Wort weiter. Eher hätte sich seine Frau, das wußte er gut genug, die Zunge abgebissen, ehe sie eingestand, daß sie Unrecht gehabt; aber möglich ja doch, daß die Warnung Wurzel in dem Herzen der Tochter schlug. Er konnte nichts weiter dabei thun und ging wieder in sein Arbeitszimmer hinüber, um dort die Familie Baumann zu erwarten.

Baumann war auch schon unterwegs. Er selber ging voran, die Frau hinter ihm her und hatte fast krampfhaft das Handgelenk der Kleinen mit ihren dünnen Fingern umschlossen. Sie trug ein einfach dunkelblaues Kattunkleid ohne Crinoline, ein weißes Tuch um den Hals und eine weiße Haube auf, und ging mit niedergeschlagenen Augen den ganzen Weg. Sie wußte ja recht gut, daß sie von allen Menschen angesehen wurde, wußte auch, weshalb, und Scham und Schmerz drückten sie fast zu Boden nieder.

Jetzt hatten sie das Haus des Staatsanwalts erreicht, ohne unterwegs auch nur eine Silbe mit einander zu sprechen. Der Mann ging vorauf, langsam und finster, die Frau folgte ihm mit dem Kinde; aber sie hatte es auf und in den Arm genommen und bedeckte es hinter dem Rücken des Gatten mit ihren Küssen – es waren vielleicht die letzten, die sie ihm ja im Leben gab. An der Thür klopfte er an und trat ein; die Frau schritt hinter ihm her, als ob sie zur Richtbank geführt würde.

»So, Herr Staatsanwalt,« sagte Baumann, als sie durch die Schreiberstube hindurch das hintere Zimmer betreten hatten, »hier ist die Frau, und die Else haben wir auch mitgebracht; und nun seien Sie so gut und reden Sie mit ihr, daß wir mit der Geschichte zu Stande kommen – ich habe das ewige Hin- und Herzerren satt.«

Der Mann sah mürrisch aus, die Frau still und ergeben in Alles, was man über sie verfügen würde.

»Nun, liebe Frau,« begann Witte – »bitte, nehmen Sie sich den Stuhl, denn Sie scheinen müde zu sein und wir werden vielleicht nicht sogleich fertig –, die Hauptsache ist, ob Sie in die Trennung von Ihrem Mann gewilligt haben, denn ich glaube, daß in diesem Fall das Gericht das von Ihnen verübte Vergehen als hinlänglichen Scheidungsgrund ansehen würde.«

»Ja,« sagte die Frau leise, ohne die Augen vom Boden zu nehmen, »mein Mann hat seit dem Unglückstag einen Haß auf mich geworfen, und er würde nie wieder glücklich mit mir leben können. Ich will nicht an seinem Unglück schuld sein; er ist gut und brav und muß für die Kinder sorgen.«

»Sie sind also auch mit dem zufrieden, was er Ihnen, wenn er fort geht, zu Ihrem Lebensunterhalt läßt?«

»Ich brauche es nicht Alles – ich werde sehr eingeschränkt leben – ich brauche für mich nur sehr wenig und gehe auch jedenfalls, wenn mich Jemand aufnehmen will, wieder in Dienst – vielleicht als Warte- oder Krankenfrau.«

Witte sah Baumann an; der Mann stand aufgerichtet, die Brauen fest zusammengezogen, die Zähne aufeinander gebissen, und starrte finster vor sich nieder.

»Also scheint ja so weit Alles geregelt,« meinte der Staatsanwalt, »und die Sache wird keine großen Schwierigkeiten haben. Nur sagt mir Ihr Mann, daß Sie ihm das jüngste Kind – die Kleine da ist's, nicht wahr?«

»Ja, Herr Staatsanwalt,« flüsterte die Frau, aber so leise, daß er die Worte kaum verstand.

»Daß Sie ihm also das Kind nicht überlassen wollen, und das Gesetz spricht dem Vater dasselbe allerdings erst im siebenten Jahre zu. Glauben Sie aber nicht, daß es für das Kind selber besser ist, wenn es unter der starken Leitung des Mannes erzogen wird?«

»Oh Du lieber Gott,« seufzte die Frau, »es ist noch so jung; es bedarf noch so der Pflege der Mutter und hängt so mit ganzer Seele an mir . . .!«

»Und an mir auch,« sagte Baumann düster; »nicht wahr, Else, Du hast Deinen Vater lieb?«

»Oh, so lieb!« flüsterte die Kleine, die bis jetzt scheu den Worten gelauscht hatte und wohl gar noch nicht recht verstand, um was es sich hier eigentlich handle.

»Wäre es denn da nicht besser, Baumann,« sagte Witte, »daß Sie wenigstens das halbe Jahr noch hier in Deutschland blieben? Das Kind ist dann so viel älter, und es könnte nachher gar keine weitere Uneinigkeit stattfinden.«

»Es geht nicht, Herr Staatsanwalt,« sagte der Schlossermeister, »es geht wahrhaftig nicht! Mir brennt der Boden hier unten den Füßen, denn kein Mensch hat mir je im Leben etwas nachsagen können; ich habe meine Pflicht und Schuldigkeit gethan wie ein Mann, und keine Seele übervortheilt und geschädigt, und trotzdem jetzt, wo ich mich irgendwo sehen lasse, bleiben die Leute stehen, deuten mit Fingern auf mich und sagen: Da, das ist der Schlosser, dessen Frau die Kinder vertauscht hat, und sein Sohn ist der Baron von Wendelsheim! – Das ertrag' ich nicht länger; es frißt mir das Herz ab, und ich komme mir immer so vor, als ob ich am Pranger stände.«

Die Frau hatte ihr Gesicht in den Händen geborgen und weinte still, und Else schmiegte sich furchtsam an sie.

»Aber Ihre Frau hat auch viel, recht viel ausgestanden die langen Jahre hindurch,« sagte Witte, »und eigentlich Strafe genug für ihr Vergehen erlitten. Wenn sie nun auch das letzte Kind hergeben soll . . .«

»Und wollen Sie, daß ich die Strafe dafür erleide?« beharrte der Mann. »Das Kind ist mein ganzes Leben; wenn ich den ganzen Tag schwer und hart gearbeitet habe, ist es meine einzige Erholung, daß ich die Kleine auf den Schooß nehme und mir von ihr vorplaudern lasse. Wenn ich das entbehren müßte, würd' ich verrückt – und die Else selbst, sie freut sich den ganzen Tag auf die Zeit.«

»Ja, liebe Frau,« sagte Witte, »wenn das Kind so an dem Vater hängt, würde ich Ihnen selber rathen, es ihm zu überlassen. Sie sind ja dann auch jeder Sorge für dasselbe überhoben, und ich weiß außerdem gar nicht, wie Sie es sich hier einrichten wollten, wenn Sie wieder in Dienst gehen, denn Sie müßten doch die Kleine in der Zeit sich selber überlassen.«

»Sie braucht nicht in Dienst zu gehen,« sagte finster der Mann, »sie hat so viel, daß sie davon, mit ein bischen Arbeit nebenbei, leben kann; und ich möchte auch nicht, daß sie wieder in Dienst ginge. Es paßt nicht, und sie – würde sich auch nicht glücklich darin fühlen.«

»Glücklich,« seufzte die Frau leise.

»Ja, Leutchen, damit kommen wir nicht zum Ziel,« sagte der Staatsanwalt, dem die arme Frau von Herzen leid that, der aber auch den Schlossermeister viel zu genau kannte, um ihm direct zu widersprechen; er hätte dadurch jedenfalls viel mehr verdorben, als gut gemacht. »Auf die Weise können wir noch eine Stunde hin und her reden und bleiben auf demselben Fleck. Ich will Euch deshalb einen Vorschlag machen. Das Kind, so jung es ist, hat doch auch eine Stimme; Sie, Baumann, behaupten, daß es mit voller Liebe an Ihnen hängt, ebenso die Mutter. Die Mutter hätte das Recht, die Kleine noch etwa ein halbes Jahr bei sich zu behalten, dann müßte sie es doch dem Vater übergeben, und wie schnell vergeht ein halbes Jahr. Wenn Ihr also meinem Rathe folgen wollt, so laßt das Kind selber entscheiden, bei wem es bleiben will, bei dem Vater oder der Mutter, und der andere Theil fügt sich dann geduldig in das nicht zu Aendernde. Sind Sie damit einverstanden, Frau Baumann?«

»Ich habe kein Recht mehr, mitzusprechen,« sagte die Frau leise und mit von Thränen fast erstickter Stimme; »ich darf auch vielleicht diese letzte Hoffnung nicht einmal annehmen. Ich habe meinem Mann ein so großes und schweres Herzeleid angethan, daß ich ihm kein weiteres zufügen darf. Wenn sein Herz so an dem Kinde hängt, daß er glaubt, er wird unglücklich, wenn er es missen soll – so mag er es nehmen – jetzt nehmen – heute noch. Ich habe jede Strafe verdient und will mich geduldig fügen.«

»Nein,« rief der Mann barsch, aber mit fest aufeinander gebissenen Zähnen – die Worte kamen ihm sehr schwer aus der Kehle – »der Staatsanwalt hat Recht – so will ich das Kind nicht. Die Else soll selber entscheiden, mit wem sie gehen will – mit mir oder mit der Mutter, und wenn sie dann . . .« Er schluckte ein paar Mal heftig und schwieg; endlich fuhr er fort: »So machen Sie's fertig, Staatsanwalt, ich halt's nicht mehr länger aus!«

»Gut; also komm einmal her, mein liebes Kind. Siehst Du, Dein Vater und Deine Mutter, die jetzt so lange zusammen gelebt und Dich beide so lieb haben, wollen sich nun trennen. Der Vater wird fort von hier ziehen und die Mutter dableiben. Sie möchten Dich beide gern haben, aber das geht doch nicht; also sollst Du jetzt sagen, ob Du, wenn beide von einander gehen, mit dem Vater ziehen oder bei der Mutter bleiben willst. Verstehst Du, was ich sage?«

»Ja,« flüsterte die Kleine, die halb erschreckt, aber die großen, klugen Augen weit geöffnet, zugehört und dabei bald den Vater, bald die Mutter angesehen hatte, als ob sie zwischen beiden wähle.

»Also bei wem willst Du bleiben, mein Herz?«

»Bei Beiden,« sagte die Kleine, während ihr volle Thränen in die Augen traten, indem sie zum Vater sprang und seine Hand ergriff; »Du darfst nicht fortgehen, Vater, oder Du mußt die Mutter mitnehmen. Ich will bei Euch Beiden bleiben und Euch immer recht, recht lieb haben und recht gut und brav sein, und dann wirst Du auch wieder lachen und die Mutter nicht mehr so viel weinen.«

»Baumann,« sagte Witte, dem selber die Thränen in die Augen traten, »hört Ihr das Kind? Hört Ihr, was es sagt? Eure Frau ist Euch sechsundzwanzig lange Jahre eine gute, treue Gattin gewesen; sie hat den einen Fehltritt begangen, ja, aber auch furchtbar dafür gebüßt. Der Gerichtshof hat ihr Vergehen nicht für so entsetzlich strafbar gefunden, der König selbst, in Betracht dessen, was sie sonst gelitten und welche Reue sie gezeigt, ihr die ganze Strafe geschenkt, und denen allen war sie nur eine fremde Frau! Wollt Ihr härter und unerbittlicher sein, als selbst der Richter und der König? Seht die Frau an – dreht Eure Augen nicht ab, denn Euer Herz zieht Euch doch hin –, seht sie an, wie der Gram und Kummer sie gebrochen hat, und für ihr ganzes Leben wollt Ihr die Frau dem Jammer, der Reue überlassen?«

»Geh nicht von der Mutter, Vater,« bat Else und hing sich an seinen Arm; »Du würdest nie wieder lachen und froh sein können und die arme Mutter immer, immer weinen!«

Der Mann drehte den Kopf noch nicht; er sah nur starr und wie mit gläsernen Augen auf sein Kind nieder, auf seine kleine Else. »Geh nicht von der Mutter, Vater!« bat sie – und jetzt drehte er das Antlitz ihr zu – die er die langen, langen Jahre geliebt und im Herzen getragen und die ihn so glücklich gemacht hatte, daß er sich gar kein Leben ohne sie denken konnte. Und als sein Auge sie traf, als er die in Demuth und Schmerz gebeugte Frau vor sich sah, mit keinem Wort des Widerspruchs, keinem Gedanken, als sich nur seinem ausgesprochenen Willen zu fügen, da brach plötzlich das Eis.

»Katharina,« sagte er, und das Wort rang sich ihm ordentlich von seiner Brust los – »wollen wir – bei einander aushalten?«

»Gottfried!« rief die Frau, ihrem Glück kaum trauend und die gefalteten Hände zu ihm erhebend.

»Die Else hat Recht,« fuhr Baumann fort, »es geht nicht; wir haben Beide schwer getragen, aber jetzt – Alles vergessen und vergeben!«

»Gottfried,« schrie die Frau, emporspringend, »Du wolltest . . .

»Bei Dir aushalten in Freud' und Leid, wie ich es Dir einst zugeschworen. Nach Amerika geh' ich, das ist bestimmt – aber Du gehst mit, und die Kinder alle mit einander, und der alte Gott – wird dort weiter helfen!«

Die Frau hing an seinem Halse, sie schluchzte und jauchzte, und die Schreiber drin in der Nebenstube unterbrachen ihre Arbeit und horchten nach den fremdartigen Tönen in der sonst so stillen und geschäftsmäßigen Stube hinüber; und als nachher die Schlossersleute heraus kamen, Arm in Arm, und der Mann das Kind trug, und der alte Staatsanwalt hinter ihnen die Augen selber voller Thränen hatte, da wußten sie erst recht nicht, was sie aus der Sache machen sollten.



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