Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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13.

Vater und Sohn.

Die Bewohner von Schloß Wendelsheim hatten indessen eine ziemlich traurige Zeit verlebt und verlebten sie eigentlich noch, denn des jungen Baron Benno Zustand war in den letzten Wochen nicht allein nicht besser, sondern eher bedenklicher geworden. Der Blutsturz wiederholte sich allerdings nicht, aber ein solcher Grad von Schwäche trat ein, daß er selten und dann nur auf kurze Zeit das Bett verlassen konnte.

Bruno kam jetzt häufiger heraus als früher, und saß manche Stunde bei seinem Bruder, um ihm die Zeit zu vertreiben – aber über was konnte er mit ihm reden? Musik trieb Benno nicht, seine Nerven hatten es von Kindheit an nicht vertragen, und sonst wußte Bruno eigentlich – Pferde und Dienstsachen ausgenommen – über nichts mit ihm zu sprechen.

Benno's liebste Unterhaltung oder vielmehr Gesellschaft blieb deshalb auch jenes junge Mädchen, Kathinka, die, wo es nur immer ihre Zeit erlaubte, bei ihm sitzen und ihm kleine Geschichtchen und Märchen erzählen mußte. Sie behandelte ihn dabei wie ein krankes Kind, strich ihm die Haare aus dem Gesicht oder glättete ihm das Kopfkissen, zankte ihn aus, wenn er nicht ruhig liegen oder die Medicin nicht nehmen wolle, brachte ihm Blumen aus dem Garten und flocht ihm kleine Sträuße oder Kränze daraus, die sie am Tage über sein Bett hing, und pflegte ihn mit einer Sorge und Liebe, daß sie selbst das Herz der »steinernen Tante« erweichte und diese etwas freundlicher oder doch weniger hart gegen sie gestimmt machte.

Am glücklichsten aber war Benno, wenn ihn Fritz Baumann einmal besuchen konnte; denn mit diesem lebte und webte er in seinen Arbeiten und Plänen – und was für Pläne hatte er sich nicht schon wieder ausgedacht, seit er so still und ruhig liegen mußte, und wie sehnte er die Zeit herbei, wo er selber wieder mit Hand anlegen konnte, um sie thätig in's Werk zu setzen!

Kathinka seufzte freilich wohl heimlich auf, wenn sie ihn so reden hörte, denn ob auch selber noch jung, fühlte und sah sie doch recht gut, daß sein Leiden viel schwerer und ernster sei, als er selbst es glaubte; aber sie sagte nie ein Wort dagegen, und wenn sie manchmal allein mitsammen waren und er ihr wieder von all' den Maschinen erzählte, die er bauen wollte, und nächstens ein Wasserrad in Angriff zu nehmen versprach, das ihnen aus dem großen Teiche das Wasser über alle Blumenbeete führen sollte, dann freute sie sich selber mit ihm und gab ihm die Plätze an, wo sie es vorzugsweise hinleiten wollten, und rief oft ein Lächeln auf seinen bleichen Wangen hervor und machte seine Augen leuchten und blitzen.

Der alte Baron kam jetzt oft herüber, setzte sich still in eine Ecke und hörte den Beiden zu; aber die letzte Zeit hatte auch ihn sehr verändert, denn je näher der Termin der Erbschaft rückte, der sich jetzt schon nach Tagen zählen ließ, desto düsterer und in sich gekehrter wurde er, und doch hätte man gerade glauben sollen, daß er die Zeit herbeisehnte, wo er wenigstens von allen Geldsorgen befreit wurde und dann einmal wieder nach langer schwerer Zeit frei aufathmen konnte. War es die Sorge um den zweiten Sohn? Er hätte Ursache dazu gehabt, denn ihm konnte dessen hoffnungsloser Zustand kein Geheimniß sein – war es ein anderer Kummer, der ihm am Herzen nagte? Aber er sprach mit Niemandem darüber, am wenigsten mit seiner Schwester, ja mied diese, wo er nur irgend konnte, und hatte es denn auch geschehen lassen, daß sie jetzt das ganze Hauswesen dermaßen in Händen hielt, um als unumschränkte Herrin darin zu herrschen. Er selber war nichts weiter mehr im Schlosse wie ein gewöhnlicher Kostgänger, und fragte ihn ein Diener um die einfachsten, ja ihn selber betreffenden Anordnungen, so wies er ihn jedesmal an Fräulein von Wendelsheim, die schon das Nöthige darüber bestimmen würde.

Im Zimmer des kranken Kindes schien es ihm noch am wohlsten; aber selbst das verließ er manchmal, wenn sein armer Knabe zu freundliche Luftschlösser baute und von dem sprach, was er in kommenden Jahren schaffen wolle. Dann stand er still und schweigend auf, und die großen hellen Thränen liefen dem alten Mann in den Schnurrbart hinein – aber er ging hinaus, daß sie der Sohn nicht sehen sollte.

Bruno war nach der Zeit, wo er das Geld von dem Vater erbat und unverrichteter Sache wieder heimreiten mußte, in Wendelsheim gewesen, hatte aber nie mehr, und zwar sehr zum Erstaunen des Vaters, ein Wort von Geld oder neuem Bedarf erwähnt, und der alte Baron hütete sich wohl, selber davon anzufangen.

Heute kam er wieder – er ritt seinen alten Schimmel – und ging, wie immer, zuerst in Benno's Zimmer hinauf, um zu sehen, wie es ihm gehe. Er fand ihn kränker aussehend, als das letzte Mal, aber ein freundliches Lächeln glitt über die Züge des Leidenden, als er dem Bruder die Hand reichte.

»Wie geht es Dir, Benno?« fragte dieser herzlich. »Du siehst recht blaß aus.«

»Oh, gut heute, recht gut,« sagte der Knabe. »Kathinka hat mir eine so wunderschöne Geschichte von einem kranken Königssohn erzählt, den eine gütige Fee geheilt und vollkommen gesund gemacht hat, und der ist dann nachher so glücklich geworden und hat sein Volk noch viele Jahre regiert – ach, wenn es doch auch bei uns noch solche gute Feen gäbe! Aber, Bruno, Du thust mir ja weh, sieh einmal, Du hast mir die Hand ganz roth gedrückt.«

»Und kannst Du nicht ein wenig aufstehen und in den Garten oder nur an's offene Fenster treten, Benno? Die Luft ist so wundervoll und mild; es würde Dir gewiß gut thun.«

»Es will doch nicht recht gehen, Bruno,« sagte der Knabe; »wenn ich aufstehe, sticht es mich immer so hier, und der Doctor hat es mir heute Morgen streng verboten. Hast Du nichts von dem jungen Baumann gesehen, Bruno? Er wollte mich heute besuchen – er hat es mir fest versprochen – und mir etwas Neues mitbringen.«

»Nein, Benno, ich bin nicht den Fußweg geritten; er ist vielleicht schon unterwegs. Aber regt Dich das nicht zu sehr auf, wenn Du über solche Sachen nachgrübelst und Dir den Kopf über Räder, Hebel und Schrauben zerbrichst?«

»Ach nein, Bruno,« lächelte der kranke Knabe. »In der Zeit, wo ich mich damit beschäftigen kann, fühle ich gar nicht, daß mir etwas fehlt, und mir wird dann so wohl und leicht zu Muthe. Baumann leidet auch nicht, daß ich selber mit anfasse. Er zeigt mir nur Alles, und wir besprechen dann, wie wir es machen wollen. Er ist so geschickt und so freundlich immer. Ich wollte, er wohnte nicht so weit entfernt von uns.«

»Wo ist der Vater, Kathinka?«

»Ich glaube, unten im Garten, Herr Baron. Er war vorhin hier oben, und ich sah ihn später dort drüben unter den Linden auf und ab gehen.«

»Ich werde ihn aufsuchen; ich komme dann noch einmal zu Dir herauf, Benno, ehe ich wieder fortreite.«

»Ja, Bruno, und wenn Du Baumann sehen solltest, sage ihm doch, daß ich so auf ihn warte.«

»Ich schicke ihn Dir gewiß gleich, verlaß Dich drauf.«

Als Bruno mit schwerem Herzen den Bruder verließ und hinunter und durch den Gartensaal ging, fand er dort seine Tante, die, ihre mageren Arme fest zusammengelegt, auf und ab ging.

Fräulein von Wendelsheim war nie, selbst nicht in ihren jungen Jahren, hübsch gewesen; denn eine scharfe Nase, sehr dünne Lippen und schlechte Zähne gaben ihren Zügen etwas Schroffes, Abstoßendes.

Mit Bruno, dem ältesten Sohne, stand sie, wie schon erwähnt, auf keinem guten Fuße, obgleich der alte Pommer, der Kutscher, der Einzige, der noch aus jener Zeit seine Stellung behalten hatte, behauptete, als kleines Kind habe sie den Knaben sehr gern gehabt und ihn besonders verzogen. Nach der Geburt des zweiten Sohnes änderte sich das aber, und Bruno selber erinnerte sich nicht, so lange er wenigstens denken konnte, ein freundliches Wort von ihr gehört oder eine Liebkosung von ihr empfangen zu haben. Als Kind fühlte er das natürlich nicht so schwer; als er aber nach dem Tode der Mutter heranwuchs und sich vom Vater vernachlässigt, von der Tante zurückgesetzt, ja oft ungerecht mißhandelt sah, da ging er oft still hinunter in den Park, setzte sich dort auf eine Bank in dichtes Gebüsch hinein und weinte sich recht herzlich aus. Aber er gedieh trotzdem und vielleicht gerade dadurch so viel besser, daß sich Niemand viel um ihn bekümmerte, und als er an Jahren reifte und zu begreifen begann, daß er gerade, der Erbe des ganzen Besitzthums, des ganzen Vermögens der Wendelsheim, eigentlich wie ein Ausgestoßener oder doch nur Geduldeter im Hause behandelt würde, fing er an, rauhe Worte mit gleichen zu vergelten. Er und die Tante hatten da manchen Strauß, bis sich zuletzt ein recht gesunder Haß zwischen Beiden entwickelte, den Keiner vor dem Andern zu verbergen sich große Mühe gab.

Sonderbarer Weise hatte dabei der herangewachsene Mann unter all' den unfreundlichen Worten, die er als Kind und Knabe ertragen mußte, eins im Herzen bewahrt und nicht wieder vergessen können – eins, das er als Knabe von etwa elf Jahren gehört, und das ihm wahrscheinlich nur deshalb unter all' den tausend anderen in der Erinnerung blieb, weil er es nicht begriff und damals schon oft und bitter darüber nachgrübelte. Es war gewesen, als er es zum ersten Male wagte, der Tante offen entgegen zu treten. Er hatte irgend eins der zahllosen ihm gestellten Verbote übertreten oder einem Befehl nicht gehorcht – die Ursache war seinem Gedächtniß entschwunden, aber die Folgen blieben um so deutlicher darin, wie es ja oft geschieht, daß uns einzelne, oft unbedeutende Scenen der Kinderzeit, manchmal bis in die ersten Jahre zurück, unvergessen bleiben, während andere, viel wichtigere, gänzlich sich verwischen.

Er sah noch den Blick voll Haß und Zorn vor sich, mit welchem ihn die Tante ansah, als er ihr sagte, daß sie von den Leuten im Hause Beißzahn genannt würde, er sich aber nicht mehr von ihr beißen lassen wolle.

»Und wer bist Du denn?« hatte sie damals zu ihm gesagt. »Was wärst Du denn, wenn ich Dich nicht dazu gemacht hätte?« – Er erinnerte sich auch, sie damals um die Erklärung der Worte gefragt zu haben, ohne aber eine Antwort darauf zu erhalten; sie schlug nur nach ihm, und als er ein auf dem Tische liegendes Messer ergriff, schrie sie um Hülfe, und der Vater gab ihm nachher drei Tage strengen Arrest bei Wasser und Brod auf seiner Stube mit so viel lateinischen Strafarbeiten, daß er sie kaum in der Zeit bewältigen konnte.

Von da ab war der Bruch mit der Tante vollständig ausgesprochen, hatte aber doch ein Gutes gehabt, denn sie wagte von dem Tag an nie wieder die Hand gegen ihn zu erheben, und nur in dem Hirn des Knaben arbeitete der Gedanke fort: »Weshalb hat mich die Tante zu dem gemacht, was ich bin? Was soll das heißen?« Er hatte aber Niemanden, gegen den er sich darüber aussprechen konnte – seinen Vater wagte er nicht zu fragen, sein Bruder war noch zu klein, sein Hofmeister ein strenger, finsterer Pedant, der, wie leider nur zu viele Pädagogen, nichts auf der Gotteswelt in seinem ganzen Leben gelernt hatte als Griechisch und Lateinisch, und für welchen deshalb auch weiter nichts existirte. Und die Tante selber? Es lag ihm oft in ihrer Gegenwart auf der Zunge, aber er war viel zu stolz und trotzig, um sie ahnen zu lassen, daß er sich etwas zu Herzen genommen, was über ihre Lippen gekommen. Er haßte sie, wie nur ein mißhandeltes Kind ein Wesen hassen kann, dem es keine Rechte über sich zugesteht und von dem es sich ungerecht und schlecht behandelt weiß. Und was hatte er ihr je gethan, das zu verdienen? Nichts, das er sich denken konnte. So blieb denn die Erinnerung an jenen Morgen fest in seinem jungen Herzen verschlossen, und wie viele Jahre auch mit ihren frischeren Eindrücken darüber hingingen, aus allen hervor wuchsen immer wieder die da gehörten Worte: »Wer wärest Du, wenn ich Dich nicht dazu gemacht hätte?«

Jetzt war er ein Mann geworden und man hätte denken sollen, die Tante würde sich, mit der Gewißheit, daß er bald als Herr eines bedeutenden Vermögens dastehen mußte, freundlicher gegen ihn gezeigt und gesucht haben, die alten Erinnerungen aus der Jugendzeit zu verwischen. Es schien auch wirklich, als ob sie sich Mühe dazu gäbe; aber es gelang ihr trotzdem nicht. Selbst manchmal zwischen gleichgültigen Worten traf ihn ein Blick aus ihren kleinen, blitzenden Augen so giftig, so voll Haß und Zorn, daß er sie dann oft staunend ansah. Er wußte sich aber die Sache nicht zu erklären, denn lange schon war kein böses Wort mehr zwischen ihnen gewechselt worden. Sie gingen nur einander aus dem Wege, wo sie konnten – und weshalb dann noch dieser unauslöschliche Haß?

Als Bruno unten im Gartensaal die Tante traf und an ihrem ganzen Wesen bemerkte, daß sie nicht in besonderer Laune schien – überdies ein sehr seltener Fall – wollte er auch mit einem kurzen Gruß vorübergehen.

»Guten Morgen, Tante!« sagte er nur und schritt der Gartenthür zu.

»Und wen suchst Du?« fragte Fräulein von Wendelsheim, ohne selbst den Gruß zu erwidern.

»Den Vater. Weshalb?«

»Du warst bei Benno oben?«

»Ja, Tante; er sieht heute recht krank und elend aus.«

»Und Du regst ihn mir immer noch mehr auf.«

»Ich rege ihn auf, Tante? Aber womit? Ich habe ihm nur ›guten Tag‹ gesagt und bin dann gleich wieder fortgegangen. Er verlangt nach dem jungen Baumann.«

»Wenn der oben ist, kann er reden und erzählen und wenn ich zu ihm komme, legt er sich hin und dreht das Gesicht der Wand zu.«

»Er bekommt manchmal plötzliche Schmerzen. Ich fürchte, seine Krankheit ist gefährlicher, als wir ahnen.«

»Du fürchtest das?« sagte die Tante, und wieder traf ihn ein böser Blick aus ihren Augen.

»Und weshalb sollte ich es weniger fürchten, weniger fühlen, Tante, als Ihr?« sagte Bruno erstaunt. »Glaubst Du, daß ich Benno weniger lieb habe als Ihr – wenn Ihr ihn auch mehr geliebt habt als mich?«

»Ich sagte das nicht,« erwiderte finster die Tante und wandte sich von ihm ab; »Du drehst Einem die Worte im Munde herum. Ich glaube gar nicht, daß er so krank ist, sondern nur schwach und angegriffen, das meinte ich – aber da kommt der Vater.«

Und damit ließ sie ihn stehen, verließ den Saal und warf die Thür hinter sich in's Schloß.

Bruno war stehen geblieben und sah ihr nach und wieder tauchten jene geheimnißvollen Worte in ihm auf, die sie damals gesprochen; aber ein anderer Gegenstand beschäftigte seinen Geist – was kümmerte ihn auch die Tante!

Draußen durch die Glasthür sah er seinen Vater kommen, und etwa zwei Schritt hinter ihm folgte der junge Baumann, der eine kleine, wunderlich geformte Maschine in der Hand trug. Der alte Herr hatte sich aber auf keine Unterhaltung mit dem »Handwerker« eingelassen; er wußte allerdings, daß Benno mit großer Liebe an dem jungen Mann hing, und Benno's wegen duldete er den Besuch, aber er sah ihn nicht gern und machte auch nicht viel Umstände mit ihm.

»Gehen Sie hinauf,« sagte er, als sie die Thür des Gartensaales erreichten; »Sie wissen den Weg. Benno ist oben und hat mich schon heute Morgen nach Ihnen gefragt, aber bleiben Sie nicht zu lange. Sein Kopf glüht jedesmal, wenn Sie ihn verlassen haben; der Arzt hat jede Aufregung streng untersagt.«

»Sehr wohl, Herr Baron,« sagte der junge Mann ruhig; »ich wäre auch gar nicht herausgekommen, wenn ich nicht geglaubt hätte, dem Kranken eine Freude zu machen. Er hat mich gestern selber darum bitten lassen, und ich sagte es deshalb zu.«

»Es ist gut,« nickte ihm der Baron vornehm zu, und Baumann wollte mit einem kurzen Gruß an Bruno vorüber der Verbindungsthür zuschreiten, als dieser die Hand gegen ihn ausstreckte.

»Herr Baumann,« sagte er dabei, »ich habe Sie noch um Entschuldigung zu bitten, daß ich Sie neulich mit dem Pferd anritt; aber ich konnte wirklich nichts dafür. Der Weg war so eng und der Fuchs so ungezogen, daß ich nicht einmal im Stande war, ihn nachher einzuzügeln; er ging förmlich mit mir durch.«

»Herr Lieutenant,« sagte Baumann freundlich, »ich sah, daß das Pferd wild war, und habe später erfahren, wie gegründete Ursache Sie hatten, sich unterwegs nicht aufzuhalten. Ich erschrak allerdings im ersten Augenblick; das aber war auch das ganze Unglück, das Sie angerichtet haben. Reden wir nicht weiter davon.« – Und ihn grüßend, schritt er den wohlbekannten Weg durch den Gartensaal dem Gange zu und die Treppe hinauf nach Benno's Zimmer.

»Guten Tag, Vater!« sagte der Officier, als der junge Handwerker das Zimmer verlassen hatte. »Ich wollte Dich eben aufsuchen, um ein paar Worte mit Dir zu reden.«

»Und was steht zu Diensten, wenn ich fragen darf?«

»Hast Du kein freundlicheres Wort für mich. Vater?«

»Du wirst wieder Geld haben wollen,« sagte der Baron mürrisch, »und Du weißt, daß ich nicht mehr im Stande bin, es Dir zu geben. Die Tausende und Tausende, die ich die langen Jahre für Dich ausgelegt, haben meine Mittel erschöpft, und es wird Zeit, daß Du zurückzahlst, was Du mich gekostet, aber nicht mehr verlangst.«

»Ich bin nicht um Geld gekommen, Vater,« sagte der junge Officier ruhig, »ich brauche keins und hoffe mich bis zu dem Tage, wo die Erbschaft ausgezahlt wird, selber durchzubringen. Nachher magst Du von mir Ersatz für das ›Ausgelegte‹ verlangen.«

»Und wie hast Du Dein Ehrenwort damals eingelöst? Wo hast Du das Geld aufgetrieben? – wahrscheinlich die doppelte Summe dafür gezeichnet?«

»Ich habe es zu fünf Procent bekommen.«

»Zu fünf Procent?« rief der alte Mann, ihn mit einem ungläubigen Kopfschütteln von der Seite ansehend.

Bruno aber, darauf nicht achtend, fuhr langsam fort: »Allerdings bin ich dafür, wenn auch vollkommen freiwillig, eine Verbindlichkeit eingegangen, und um darüber mit Dir zu sprechen, heute hier herausgekommen.«

»Thu mir den Gefallen und rede nicht in Räthseln und Bildern,« sagte der alte Herr mürrisch; »ich habe den Kopf schon ohnedies zu voll, um ihn mir noch damit zu zerbrechen.«

»Ich werde sehr deutlich sein, Vater,« erwiderte Bruno, indem er sich in einen Stuhl warf und den Kopf auf dessen Lehne in die Hände stützte; »es bedarf auch dabei nicht der Umschweife, denn es betrifft nur eine einfache Mittheilung, keine Frage oder Bitte.«

»Und die wäre?«

»Ich werde heirathen.«

»In der That?« sagte der Vater, doch etwas erstaunt, »so bist Du endlich vernünftig geworden. Aber wen, wenn ich fragen darf, da es, wie Du sagst, doch blos eine Mitteilung sein soll?«

»Und trage ich die Schuld, Vater, daß es so weit zwischen uns gekommen? Was habe ich gethan, was verschuldet, daß ich, so lange ich denken kann, nur wie ein Fremder, Ueberlästiger zwischen Euch herumgehe?«

»Ich verstehe Dich nicht!«

»Du hast mich nie verstanden,« sagte Bruno bitter, »mich nie verstehen wollen!«

Der alte Baron warf einen scheuen Blick auf seinen Sohn; denn so wenig er daran gedacht haben würde, etwas Aehnliches gegen ihn einzugestehen, im Herzen fühlte er die Wahrheit des Vorwurfs und war auch deshalb nicht im Stande, ihn gleich und entschieden von sich abzuwälzen.

»Du machst eine lange Vorrede,« sagte er endlich; »ich hoffe doch nicht, daß Du eine Wahl getroffen, deren Du – deren ich mich zu schämen brauchte. Aber ich glaube fast, der Verdacht ist unberechtigt,« setzte er rasch hinzu, »denn Du kannst und mußt wissen, daß ich Alles mein langes Leben hindurch gethan habe, um die Ehre unseres Hauses aufrecht zu erhalten.«

»Die Ehre unseres Hauses,« wiederholte Bruno düster – »das heißt den äußern matten Glanz, den Anstrich – wie aber war es indeß im Innern? Die Ehre des Hauses – und wie stand es indessen mit dem Glück, dem Frieden des Hauses, Vater? Ich höre und lese draußen manchmal von dem Segen der eigenen Familie, dem Glück der Heimath. Was habe ich gethan, daß mir das Alles gestohlen wurde?«

»Was hast Du nur heute?« sagte der Vater, unruhig werdend, indem er den Sohn groß ansah. »Wie bist Du so sonderbar und was sollen diese vollkommen unbegründeten Anklagen? Wenn Du Dich nicht wohl in unserem Hause fühltest, wer trug denn die Schuld, wir oder Du, der seine Zeit draußen in wüsten Gelagen verbrachte und sich und mich dadurch in Schulden stürzte?«

»Das ist recht, Vater,« lachte Bruno bitter, »mach' Du mir noch Vorwürfe, daß ich die Gesellschaft fremder Menschen suchen mußte, weil ich im eigenen Hause kein freundliches Gesicht zu sehen bekam und sogar auf ewigem Kriegsfuß mit der Tante lebte. Doch genug – übergenug davon! Die Zeit liegt Gott sei Dank hinter mir, und von dem Augenblick an, wo ich die Erbschaft habe, denke ich mir meinen eigenen Herd zu gründen – aber nicht hier in Wendelsheim, denn keine freundliche Erinnerung zieht mich hierher zurück.«

»Nicht hier in Wendelsheim?« rief der Vater rasch und erstaunt, ja fast erschreckt. »Und wohin sonst willst Du ziehen?«

»Fort von hier, Vater; ich habe meinen Abschied schon eingereicht und die Versicherung erhalten, daß er mir bewilligt wird.«

»Und wer ist die Dame, die Du Dir zur künftigen Gattin ausersehen?« sagte der Vater mit fast tonloser Stimme; denn zum ersten Mal fühlte er, daß der Sohn die ihm bisher auferlegten Fesseln wirklich abgestreift habe und entschlossen sei, seine vollständige Unabhängigkeit zu wahren. »Ich bin so fremd in Deinen Bekanntschaften, daß ich nicht einmal auf irgend Jemand rathen kann.«

»Und doch hast Du gerade mir den Weg in die Familie gebahnt, Vater,« sagte Bruno, während ein eigenes trotziges, aber doch düsteres Lächeln über seine Züge flog. »Ich liebe die Tochter des alten Salomon.«

»Bruno,« schrie der Baron emporfahrend, indem er wirklich bleich vor Schreck wurde, »bist Du wahnsinnig geworden oder treibst Du Deinen Spott mit mir? Die Tochter des alten Juden?«

»Die Tochter des alten Juden,« wiederholte Bruno scharf und langsam; »ich bin nicht wahnsinnig, Vater, und treibe auch meinen Spott nicht mit Dir – habe es nie gethan.«

»Und meinen Namen willst Du beschimpfen?«

»Ist es nicht auch der meine? Ich sehe keinen Schimpf darin, ein braves Mädchen zum Altar zu führen.«

»Bruno,« rief der alte Baron außer sich, »Du weißt nicht, was Du thust! Unser Geschlecht ist bis jetzt rein und unbefleckt erhalten – der alte Stamm wenigstens –, und Du hast keine Ahnung, welche Opfer Einzelnen von uns auferlegt wurden, um das durchzuführen. Willst Du gerade der Erste sein, der einen schwarzen Strich durch unser Wappen zieht? Es kann, es darf nicht sein, und ich werde es nie und nimmer dulden!«

»Du kannst es nicht hindern, Vater,« sagte Bruno ernst und kalt; »Du hast Dir das Recht vergeben, über mein Thun und Handeln zu bestimmen. Du hast keine Liebe in meinem Herzen gesäet, Du kannst nicht erwarten, dort Liebe zu ernten – kannst mir aber auch nicht verdenken, daß ich sie dort suchte, wo sie mir von ganzer Seele entgegengebracht wurde. Du kennst auch Rebekka nicht,« fuhr er etwas weicher fort, als der alte Mann wie gebrochen in einen Stuhl sank und sein Gesicht mit den Händen deckte; »hättest Du nur ein einziges Mal in ihr liebes, engelschönes Antlitz geschaut, hättest Du gesehen, wie lieb und gut sie mit mir ist, Du würdest begreifen, daß ich das vergaß, was mir noch nie ein Segen, nur ein Zwang gewesen.«

»Das kann, das darf nicht sein!« rief der alte Baron, wieder von seinem Stuhl emporspringend; »die Erbschaft war von jenem alten Manne nur deshalb unserem Hause zugewendet, um den Glanz des Namens aufrecht zu erhalten, das Geschlecht nicht aussterben zu lassen.«

»Die Erbschaft lautet auf Deinen ältesten Sohn nach Zurücklegung von dessen vierundzwanzigstem Lebensjahre; die Bedingung ist in wenigen Wochen erfüllt,« erwiderte Bruno ruhig.

»Oh, daß ich so – daß ich so hart gestraft werden sollte,« rief der Baron die Hände ringend, indem er in dem großen Saal rasch auf und ab schritt – »so hart gestraft!«

»Wofür, Vater?«

Der alte Mann war zur Glasthür getreten, lehnte seine Stirn an eine der Scheiben und starrte in den Garten hinaus; aber er beantwortete die Frage nicht. Bruno fühlte sich beängstigt: er war auf Vorwürfe und Zornesworte gefaßt und entschlossen gewesen, denen kalt und entschieden zu begegnen – so weich, so gebrochen hatte er den Vater nicht zu finden geglaubt – so hatte er ihn nie gesehen. Langsam ging er auf ihn zu, und die Hand auf seine Schulter legend, sagte er, freundlicher, als er bis jetzt gesprochen:

»Und was ist es denn weiter, Vater, daß Du es Dir so arg zu Herzen nehmen solltest? Der alte Salomon ist ein braver, rechtlicher Mann und hat den Ruf in der ganzen Stadt; und was mich betrifft, ich ziehe fort von hier, auf Jahre vielleicht, und wenn ich zurückkehre, ist die Sache längst vergessen und begraben. Hier bei Euch,« fuhr er fort, als der alte Mann ihm nichts darauf erwiderte und regungslos in seiner Stellung blieb, »könnte ich ja auch nicht einmal bleiben, denn ich möchte meine Frau, und wenn sie einem der edelsten Geschlechter angehörte, nicht unter ein Dach mit Tante Aurelia bringen – Du weißt selber recht gut, daß Haß und Unfrieden im Hause die nächsten Folgen davon wären.«

»Gottes Strafe – Gottes Gericht!« flüsterte der Baron.

»Aber von was redest Du, Vater?« rief Bruno ordentlich erschreckt. »Wofür Gottes Strafe, wenn Du das eine Strafe nennst, daß Dein Kind endlich das Glück findet, das es so lange gesucht und – leider im Vaterhause nicht finden konnte?«

»Geh,« sagte der alte Mann, indem er ihn mit der Hand langsam von sich schob, ohne ihm aber sein Auge zuzuwenden, »geh, Du bist mündig und bald Dein eigener Herr. Was kümmert Dich auch der Name unseres Hauses, auf das Du Schmach und Schande häufst? Ich will Dir nicht fluchen – ich darf es nicht; aber – verlange nie meinen Segen zu einer Verbindung mit der Judentochter – er würde Dir auch nichts nützen,« – setzte er heiser hinzu – »er würde selber nur zum Fluche werden!«

Die Worte des alten Mannes waren für den Sohn räthselhaft; er begriff nicht, welche mögliche Deutung er ihnen geben konnte. Ehe er aber im Stande war, eine weitere Frage an ihn zu richten, öffnete sich die Thür, und Tante Aurelia, deren scharfer Blick, selber staunend, die Gruppe überflog, stand auf der Schwelle.

»Was ist da vorgegangen?« sagte sie finster. »Was hast Du wieder mit dem Vater gehabt, Bruno? Das weiß doch der Himmel, daß Du das Haus nie betrittst, ohne einen Verdruß zu bereiten!«

»In der That, Tante?« sagte Bruno, der ihr gegenüber ganz wieder den alten Groll erwachen fühlte und sich auch wenig deshalb sorgte, die ihm verhaßte Verwandte zu schonen.

»In der That,« lautete ihre Antwort, »ich erwarte es gar nicht anders.«

»Dann möchten heute Ihre Erwartungen vielleicht noch übertroffen werden – guten Morgen, Tante!«

Staunend sah sie ihm nach; aber Bruno kümmerte sich nicht weiter um sie. Ohne selbst noch einmal zu dem Zimmer des Bruders hinauf zu gehen, schritt er nach dem Stall hinüber, sattelte sich selber sein Pferd und ritt dann in die Stadt zurück.



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