Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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12.

Frau Müller.

Die beiden Verbündeten traten in den Garten, den sie auf das Fleißigste gehalten und gepflegt fanden, und Keiner von ihnen dachte wohl daran, daß sie in diesem Augenblick gerade im Begriff standen, ihr Möglichstes zu thun, diesen Frieden zu stören und die glückliche Besitzerin desselben in das Zuchthaus zu liefern. Dem Rath war die Sache auch noch viel zu neu, und er hatte sie sich, mit dem Reiz des Abenteuerlichen, der sie umgab, noch gar nicht ordentlich zurechtlegen können, und der Major, nur das Ziel vor Augen, dem er entgegenarbeitete, schien Alles, was sich ihm in den Weg stellen wollte, gerade wie ein wilder steeple-chaser, als gar kein Hinderniß zu betrachten. Hier galt, wie er sich die langen Jahre hindurch fest eingeredet, nur das Recht, und einzig und allein das Recht, und der alte Baron, den er von Grund seiner Seele aus haßte, mußte für verübtes Unrecht bestraft werden. Daß er damit dann nachher Alle, die ihm dabei geholfen, mit hineinzog, daran dachte der Major gar nicht, oder wenn er daran dachte, war es ihm vollkommen gleichgültig. Vorwärts! Der Rath hatte ganz Recht; das war das einzige Wort, das jetzt für sie galt, und mit festen, entschlossenen Schritten ging er auf die grüngemalte Thür zu, die ihn noch von seiner Beute trennte.

Diese fanden die beiden Herren aber nicht offen, doch war ebenfalls ein Klingelzug dort angebracht, und ohne auch nur noch einen Augenblick durch unnützes Zögern zu verlieren, zog der Rath daran.

Drinnen im Hause ging gleich darauf eine Thür, und es dauerte nicht lange, so wurde innen ein Riegel zurückgeschoben und die Pforte geöffnet, wobei sie sich einer ziemlich robusten Dame »in den besten Jahren« gegenüber sahen.

Die Dame trug ein dunkelrothes Kattunkleid mit engen Aermeln, dazu eine schneeweiße Haube und ebensolchen Halskragen und sah überhaupt recht sauber und adrett aus. Aber ihr Gesicht gefiel dem Major nicht; um den Mund, auf dessen Oberlippe ein kleiner Anlauf zu einem Schnurrbart sichtbar wurde, lag ein Zug, der etwa ausdrückte: »Ich habe etwas durchgesetzt in meinem Leben und kümmere mich den Henker um die Welt!« Die ziemlich starken Augenbrauen waren ihr über der Nasenwurzel zusammengewachsen und ein Paar große blaue Augen sahen mehr forschend als freundlich darunter vor. Aber nicht gerade unfreundlich sagte sie, als sie die Fremden in ihrem Garten sah: »Mit was kann ich den Herren dienen?«

»Sie entschuldigen, verehrte Frau,« nahm hier der Rath das Wort, »wie ich gehört habe, befindet sich gerade ein alter Bekannter von mir, Herr Melker, bei Ihnen?«

»Das thut mir leid,« sagte die Frau, »mein Schwiegersohn ist eben fortgefahren; meine Tochter war auf Besuch bei mir, und die hat er wieder abgeholt.«

»Oh, das bedauere ich doch wirklich sehr,« sagte Rath Frühbach, indem er sich die Stirn mit einem riesigen seidenen Taschentuche abwischte, »ich hätte ihn so gern gesprochen! Können Sie uns nicht vielleicht sagen, wann er zurückkehren wird?«

»Thut mir leid, weiß ich aber nicht« entgegnete ruhig die Frau.

»Sie sind auch vielleicht nicht im Stande, uns zu sagen, wann er seine Arbeiten dort beendet haben wird?« fuhr Frühbach unverdrossen fort. »Ich habe selber ein Gut – warten Sie, wo ist denn gleich die Liste . . .« – Und er nahm dabei sein Taschenbuch heraus.

»Wollen denn aber die Herren nicht näher treten?« sagte Frau Müller, die jetzt nichts Anderes vermuthen konnte, als daß es sich um einen neuen Auftrag und Verdienst für ihren Schwiegersohn handle. »Sie stehen hier so draußen auf dem Flur . . .«

»Wenn wir Sie nicht stören, verehrte Frau . . .«

»Bitte, ganz und gar nicht. Seien Sie so gut und kommen einen Augenblick mit hier herein; ich bin ganz allein, und wenn ich Ihnen irgend eine Auskunft geben kann . . .«

Die Herren ließen sich natürlich nicht lange nöthigen. Rath Frühbach ging mit seinem gewinnendsten Lächeln voran und der Major folgte ihm dicht auf dem Fuße.

Das Zimmer sah außerordentlich sauber aus; es war allerdings sehr einfach möblirt, aber doch mit Geschmack, und die vielen Blumen besonders, der frisch gestreute Sand und die Sonne, welche auf dem Ganzen lag, gaben ihm etwas unendlich Freundliches. Die Frau selber benahm sich dabei mit vielem Anstand; man sah es ihr an, daß sie sich häufig in gebildeten Kreisen bewegt haben mußte, und die Art, wie sie sich selber wieder auf ihren Stuhl niederließ und den beiden Herren winkte, auf zwei anderen Sesseln Platz zu nehmen, hatte wirklich etwas Vornehmes.

An Frühbach, während es dem Major imponirte, ging das aber vollständig verloren; er nahm mit seinem wohlwollendsten Lächeln Platz und begann dann auch eine längere Erzählung (während er noch immer in seiner Brieftasche herumsuchte), die sich einzig und allein um sein Rittergut und die dort vorhandene Nothwendigkeit drehte, die Zusammenlegung der Felder so rasch als irgend möglich in Angriff zu nehmen. Dadurch aber gewann der Major Zeit, um seinen Schlachtplan zu entwerfen, und wie Frühbach einmal, was aber nicht so bald geschah, eine Pause machte, nahm er selber das Gespräch aus und sagte:

»Nicht wahr, Madame, Sie waren früher auch einmal – es sind jetzt freilich schon lange Jahre her – in dem Hause meines Vetters, des Freiherrn von Wendelsheim?«

»Ei gewiß,« erwiderte Frau Müller, die, wie sich bald herausstellte, trotz ihres etwas absprechenden Wesens eine Unterhaltung liebte; sie mußte nur erst einmal warm werden. »Also das ist ein Herr Vetter von Ihnen? Ein lieber, braver Herr! – Ja wohl, ich war Amme dort im Hause, gleich nachdem mir mein Töchterchen, die Martha, geboren war, und mein Mann wollte es damals eigentlich nicht zugeben, aber lieber Gott, was konnten wir machen – die Frau Baronin war so leidend, auch immer so gut mit uns gewesen, da mußten wir ja zuletzt nachgeben, und meine kleine Martha wurde unterdessen zu Hause mit Milch großgezogen. Das Kind ist auch wohl dadurch ein bischen schwächlich und zart geblieben, aber doch, Gott sei Dank, gesund und kräftig, und ich habe mir später keine Vorwürfe zu machen gebraucht.«

»Die beiden Kinder sind also wohl so ziemlich in einem Alter?« fragte der Major.

»Ja, gewiß,« sagte Frau Müller, »kaum achtundvierzig Stunden auseinander – ja, und es kam mir damals schwer genug an, den armen kleinen Wurm allein zu lassen, aber der Herr Baron schickte seinen eigenen Wagen, eine große Glaskutsche, und es half nichts, ich mußte hinein.«

»Mein Vetter,« sagte der Major, der jetzt glaubte, von einer andern Seite angreifen zu müssen, »war eigentlich bei seinen Leuten nicht besonders beliebt. Seine Frau soll ein Engel gewesen sein und sie hat auch, wie ich Ursache habe zu vermuthen, viel ertragen; aber er selber hatte immer etwas entsetzlich Stolzes und Hartes, und seine Familie kann davon besonders erzählen.«

»Wie es mit der Familie gewesen ist, weiß ich nicht,« sagte die Frau; »gegen mich und die Leute war er immer sehr gut, besonders gegen mich und den kleinen Baron – Du lieber Gott, er wußte gar nicht vor Seligkeit, was er mit dem Kind Alles anfangen sollte! Ordentlich mit Gewalt haben wir's ihm manchmal wegnehmen müssen, so sprang und tanzte er damit herum und wollte sich gar nicht zufrieden geben, so daß die gnädige Frau Tante oft mit ihm zankte und böse wurde.«

»Die gnädige Frau Tante?«

»Nun, dem gnädigen Herrn seine Schwester, ein Fräulein von Wendelsheim, die auch, glaub' ich, jetzt noch immer im Hause ist. Das war aber ein bitterböses Frauenzimmer, wir nannten sie nur immer den Beißzahn, und wenn sie damals schon wie ein Beißzahn auftrat, so gnade Gott jetzt den armen Dienstboten, die unter ihr stehen!«

»Das gnädige Fräulein führte wohl den Oberbefehl im Hause?« warf der Rath eine Frage ein.

»Ja, und führt ihn wahrscheinlich noch,« nickte Frau Müller; »denn sie sah mir nicht danach aus, als ob sie sich irgend 'was aus den Händen winden ließe. Sie biß eher.«

»Aber mit dem Kinde war sie gut?«

»Ich weiß es nicht,« sagte achselzuckend die Frau; »manchmal, ja. Dann aber betrachtete sie es auch wieder mit finsteren Blicken und konnte oft Stunden lang kein freundliches Wort – was überdies selten genug aus ihrem Munde kam – mit irgend einer Seele reden.«

Der Rath warf dem Major einen bedeutungsvollen Blick zu; dieser aber, ohne ihm zu begegnen, wenn er ihn auch gemerkt hatte, fuhr langsam fort:

»Es ist sonderbar, aber es wurde damals viel über das Kind gesprochen; die Leute hörten nicht auf, sich die verschiedensten Sachen zu erzählen . . .«

»Natürlich,« nickte die Frau, »weil mit dessen Geburt eine große Erbschaft in Aussicht stand. Lieber Himmel, über was reden die Leute nicht, und ich bin damals auch oft gefragt und drangsalirt worden, habe ihnen aber heimgeleuchtet, bis sie mich zufrieden ließen – Pack das!«

Die Erinnerung oder vielmehr Erwähnung jener mißglückten Versuche schien gerade nicht ermuthigend auf den Major zu wirken. »Der zweite Sohn ist jetzt recht leidend,« sagte er nach einer kleinen Pause, »man glaubt kaum, daß er noch lange leben wird.«

»Na, dem Beißfräulein gönne ich das,« meinte Frau Müller, »denn sie soll den zweiten Sohn fast vor Liebe aufgefressen haben, während sie sich um den ersten wenig oder gar nicht bekümmerte – und was für ein draller, derber Junge war das! Aber um den Vater sollte mir's leid thun. Lieber Gott, die Mutter liegt ja schon so lange in ihrem kalten Grabe!«

»Und haben Sie den Aeltesten kürzlich einmal gesehen? Er ist, wie Sie wissen, Officier.«

Die Frau schwieg, und wieder sah der Rath den Major an, diesmal aber zog er die Augenbrauen hoch in die Höhe. Endlich erwiderte die Frau, die indessen still vor sich niedersehen:

»Lange nicht, seit langer, langer Zeit. Du lieber Himmel, aus Kindern werden Herren, und wenn die vornehm sind, was kümmert sie nachher eine arme alte Frau, die sie früher mit ihren eigenen Säften genährt! Sie denken nicht mehr daran. Wenn der Herr Baron gewollt hätte, wäre er schon lange einmal zu mir herausgekommen, denn daß ich wieder hier wohne, muß er doch wohl wissen; aber er kümmert sich nicht mehr um seine alte Amme, die Mutterstelle an ihm vertrat, und wenn er's aushalten kann – na, ich kann's auch.«

»Da scheint Ihr eigenes Kind mehr an Ihnen zu hängen,« sagte der Rath, der auch nach dieser Seite hin anzuklopfen wünschte.

»Nun,« fragte die Frau und sah ihn verwundert an, »soll sie denn das auch nicht? Hatte sie denn, bis sie sich vor Kurzem verheirathete, irgend Jemanden sonst in der weiten Welt, der für sie sorgte und mühte, als mich? Alle Ursache für sie, daß sie an mir hängt, und es wäre unnatürlich, wenn sie anders sein wollte.«

»Ach, wenn Sie in jener Zeit in Schloß Wendelsheim waren,« bemerkte der Major, »dann kennen Sie auch wohl eine Frau Heßberger, die damals dort aus und ein ging?«

Die Frau Müller sah den alten Herrn etwas erstaunt an. Es mochte ihr jetzt vielleicht zum ersten Mal auffallen, daß überhaupt so viele Fragen an sie gerichtet wurden, während Rath Frühbach, der diese Antwort mit der gespanntesten Aufmerksamkeit erwartete, um sich mit keinem Blick zu verrathen, seine Dose hervornahm und der alten Dame eine Prise offerirte.

Wenn diese gewußt hätte, daß Rath Frühbach immer Morgens, ehe sein Zimmer gereinigt wurde, den über Tag beim Schnupfen auf die Matte gefallenen Schnupftabak wieder sorgfältig zusammenschob und zurück in die Dose that, so würde sie die Prise wohl verweigert haben. Der Major wußte es wenigstens und schnupfte deshalb nie mit ihm. So aber nahm sie dankend eine Prise an und sagte nach kleiner Weile:

»Die Heßberger? Gewiß kenne ich die – die schlechte Person! Aber weshalb fragen Sie mich das? Wie kommen Sie überhaupt jetzt auf die Heßberger?«

»Lieber Gott,« sagte der Major, doch halb verlegen, »da wir gerade so von alten Zeiten sprachen, fiel mir die Person wieder ein, weil sie ja damals just so viel im Hause ein und aus ging und die stolze Frau Baronin sie trotzdem nicht leiden konnte; das hab' ich wenigstens oft und oft gehört.«

»Das ist auch wahr,« nickte die Frau, »weil sie mit dem gnädigen Fräulein immer durchsteckte, und der alte Baron mußte wohl thun, was die Beiden wollten. An mich durfte sie sich freilich nicht wagen, weil ich das Kind hatte, und mit dem verstand der alte Baron keinen Spaß; aber die Anderen hat sie in der kurzen Zeit genug geschuhriegelt, und sie haben's ihr auch gedacht. Aber was macht die sich daraus!«

»Die Heßberger hat sich damals ein schön Stück Geld verdient,« sagte der Major.

»Was geht's uns an,« brach jedoch die Frau, jedenfalls mißtrauisch werdend, kurz ab; »ich rede nicht gern über die Zeiten, und mit fremden Leuten gar nicht. Sie suchten ja aber vorhin ein Papier in Ihrer Brieftasche, Herr – ich weiß noch nicht einmal Ihren Namen . . .«

»Frühbach, verehrte Frau – Rath Frühbach,« sagte der also Angeredete, der seine Tasche schon lange wieder zurückgeschoben hatte, indem er jetzt rasch und doch etwas verlegen danach griff. »Aber das hat Zeit, bis ich den Herrn Melker einmal selbst sprechen kann. Wir haben uns hier angenehm unterhalten – ich sage Ihnen, die Zeit ist mir nur so dahingeflogen, und Sie wohnen auch hier wie in einem kleinen Paradies.«

»Ja, die Wohnung ist allerdings recht hübsch,« nickte die Frau, »nur eigentlich fast ein bischen zu groß für eine alleinstehende Wittwe; aber, lieber Gott, es ist doch ein eigenes Haus, und man kann es sich darin bequem machen.«

»Merkwürdig, daß es mir noch nicht aufgefallen ist,« meinte Frühbach, »und ich komme doch so oft nach Vollmers heraus – ich trinke den Aepfelwein so gern, er ist auch für meinen Körper zum Bedürfniß geworden, ich könnte ihn gar nicht mehr entbehren. Leider scheint dieser Jahrgang nicht so ausgefallen zu sein wie der vorige; der Wein säuert ein wenig, ist aber auch dafür, glaube ich, um so viel gesünder als der vorjährige. Das war aber in der That etwas Wunderbares, und ich denke jetzt noch mit Schmerzen daran, daß er vorüber ist.«

»Nun,« lächelte die Frau, freundlicher als bisher, »wenn Sie denn so für unsern vorjährigen Aepfelwein schwärmen, dann kann ich Ihnen die Erinnerung daran vielleicht wieder auffrischen. Gästen sollte man doch eigentlich etwas vorsetzen, und das ist gerade das Einzige, was ich im Hause habe. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«

Damit war sie aufgestanden und verließ das Zimmer, während ihr der Major kopfschüttelnd nachsah. »Mein lieber Rath,« sagte er, als sie hinaus war, aber mit etwas unterdrückter Stimme, »ich fürchte, ich fürchte, ich habe heute meine letzte Hoffnung zu Grabe getragen. Aus der Frau bekommen wir auf die Weise heilig nichts heraus.«

»Lieber, bester Freund,« rief Frühbach, der nur einen Augenblick gewartet hatte, bis sie von der Thür weg sein konnte, indem er den Arm des Majors ergriff und heftig drückte, »kriegen wir nichts heraus, meinen Sie? Wir haben sie!«

»Haben – wen?«

»Die Frau! Ist Ihnen denn entgangen, wie sie zusammenfuhr, als wir den Namen der Heßberger nannten? Sie erschrak sichtlich – und jetzt klopfen wir nicht mehr auf den Busch, jetzt schlagen wir drauf!«

»Begehen Sie um Gottes willen keine Unvorsichtigkeit! Ich möchte hier nicht in Unannehmlichkeiten gerathen, die, wenn sie nachher bekannt würden, ohne daß wir etwas erreicht hätten . . .«

»Sehen Sie das Bild dort?« fragte der Rath, mit dem Arm auf ein nicht ganz schlechtes Oelgemälde deutend, das gegenüber an der Wand hing und ein junges, sehr hübsches Mädchen darstellte. »Wollen Sie noch einen Beweis?« fuhr der Rath ganz in Eifer fort. »Ist das nicht ein entschieden vornehm adeliges Gesicht, und hat es auch nur die Spur von der Frau Müller? Nein – aber dem Baron von Wendelsheim sieht es ähnlich, wie aus den Augen geschnitten!«

»Aber das Bild ist vielleicht aus der Wendelsheim'schen Familie,« sagte der Major, es jetzt ebenfalls aufmerksam betrachtend. »Aehnlichkeit liegt allerdings darin, aber wir wissen ja gar nicht, ob sie das Bild nicht einmal von der seligen Frau geschenkt bekommen oder auf irgend einer Auction erstanden hat.«

»Das wollen wir bald herausbekommen,« sagte Frühbach entschlossen; »jetzt aber lassen Sie mich nur machen. Ich habe Ihnen meine Hülfe zugesagt, und Sie sollen sich mir nicht umsonst anvertraut haben. Die Frau hat kein gutes Gewissen, darauf möchte ich meine Schnupftabaksdose verwetten, und daß sie jetzt den Aepfelwein holt, geschieht nur, um uns mit guter Manier los zu werden. Aber ich will nicht Frühbach heißen, wenn ich sie nicht fasse, und zwar, ehe sie eine Ahnung davon hat, ganz unvorbereitet, und Sie sollen erleben, wie sie bleich wird und zu Kreuze kriecht!«

»Aber wir können ihr ein Verbrechen, für das wir noch gar keine directen Beweise haben, doch nicht auf den Kopf zusagen.«

»Auf den Kopf!« erwiderte Rath Frühbach mit der Miene eines Mannes, der zum Aeußersten entschlossen ist. Aber es blieb dem Major keine Zeit zu weiteren Bemerkungen oder irgend einer Widerrede oder Abmahnung, denn in demselben Augenblick wurde die Thürklinke wieder aufgedrückt, und während sie schon das Klirren der Gläser hörten, erschien Frau Müller wieder mit einem irdenen Krug in der Hand und einem kleinen Präsentirteller, auf dem drei Gläser standen.

»So, meine Herren,« sagte sie freundlich, indem sie die Sachen auf den Tisch stellte und dann zu einem kleinen Eckschrank trat, aus dem sie Brod und frische Butter nahm. »Langen Sie zu; es ist Alles, was das Haus bietet, aber ein Gericht Gerngesehen, und daran darf man eben keine großen Ansprüche machen. Und nun kosten Sie einmal den Aepfelwein, Herr Rath, und sagen Sie mir, ob Sie schon irgendwo in Ihrem Leben besseren getrunken haben.«

Während Frau Müller sprach, schenkte sie die Gläser voll; Frühbach, der sie indessen über die Brille betrachtet hatte, schmunzelte unwillkürlich, als ihm der wohlbekannte und geliebte Duft in die Nase stieg. Er konnte es sich auch nicht versagen, das Glas an die Lippen zu heben und zu kosten; »famos!« sagte er, »unübertroffen!« und leerte es schon im nächsten Augenblick auf einen Zug.

Der Major nahm das Glas nur ungern; es war ihm ein eben nicht angenehmes Gefühl, von der Frau, hinter deren Rücken sie eben noch ihren Plan geschmiedet, gastlich behandelt zu werden. Sie durften auch jetzt nicht weiter in sie dringen, und da er die Einladung, doch auch ein Glas zu kosten, nicht gut ablehnen konnte, hob er es an die Lippen und nippte daran. Der Aepfelwein war allerdings süßer als der bei Frühbach getrunkene, immer doch aber nur ein sehr zweifelhaftes Gebräu, dem indeß der Rath mit voller Hingebung zusprach, ja sich sogar, trotzdem daß sie eben vom Mittagessen kamen, noch ein tüchtiges Stück Brod abschnitt und es mit Butter bestrich, um es dazu zu verzehren.

Beim Kauen überlegte er sich seinen Feldzugsplan, dessen Ziel in nichts Geringerem bestand, als die Festung, die nicht durch List bezwungen werden konnte, zu überrumpeln und mit Sturm zu nehmen.

»Werthe Frau Müller,« sagte er deshalb, wie er nur den letzten Bissen verschluckt und ein Glas Aepfelwein hintennach geschickt hatte, indem er sich den Mund mit dem sehr oft gebrauchten Taschentuch wischte, dieses dann immer kleiner zusammendrückte und zuletzt zurück in die Tasche schob (dabei nahm er wieder die Dose heraus), »allen Respect vor Ihrem Aepfelwein, er ist wirklich vortrefflich, und ich habe in meinem Leben keinen besseren getrunken. Unser voriges Gespräch schien Ihnen vorhin nicht angenehm zu sein, was ich bedauere, aber ich muß doch noch einmal darauf zurückkommen. Sie wissen nämlich nicht, daß, wenn die Erbschaft – durch irgend eine gebrauchte List – in falsche Hände geräth . . . – Vielleicht noch eine Prise gefällig?«

»Ich danke,« sagte die Frau, ärgerlich mit dem Kopf schüttelnd. »Was geht mich die Erbschaft an? Ich kriege doch nichts davon! Ueberhaupt will ich von der ganzen Wendelsheim'schen Geschichte gar nichts wissen!«

»Bitte, lassen Sie mich ausreden,« sagte der Rath, »denn als Frau können Sie keine Kenntniß von den in dieser Hinsicht furchtbar strengen Gesetzen haben – daß also dann die, welche mit dazu beigetragen haben, einen Betrug zu unterstützen, den schwersten, jedenfalls Leibes- und vielleicht gar Lebensstrafen ausgesetzt sind.«

»Lieber Rath,« sagte der Major, dem nicht ganz wohl bei der Einleitung wurde, »das Gesetz wird ja . . .«

»Bitte, lieber Major,« entgegnete Frühbach, »erlauben Sie mir, daß ich der Dame, die uns so freundlich aufgenommen hat, den Standpunkt vollkommen klar mache; wir werden dann mit der größten Leichtigkeit zu einem Verständniß kommen.«

Die Frau Müller hatte ihn staunend angesehen, denn sie schien entweder gar nicht zu begreifen, worauf hinaus der Rath arbeitete, oder wollte es nicht; der Major, welcher sie mißtrauisch von der Seite beobachtete, wurde wenigstens nicht klug daraus. Frühbach aber, die linke Hand, in der er die Dose hielt, auf den Rücken legend, mit der Rechten, zwischen deren Fingern er noch eine Prise hielt, gesticulirend, fuhr, immer über die Brille weg, fort:

»Daß Sie vollkommen gut verstehen, worauf ich hindeute, verehrte Frau, davon bin ich überzeugt. Die Welt hat sich eben nicht täuschen lassen, denn zu Viele wußten um das Geheimniß. Bis jetzt aber, wo es eben nicht darauf ankam, ließ man die Sachen gehen; nun jedoch, da der Termin der Erbschaft abgelaufen ist, wird es unmöglich, die damalige Täuschung länger durchzuführen. Seien Sie also vernünftig und gestehen Sie, was Sie wissen – Sie sind unter Freunden . . .«

»Ich soll gestehen?« sagte die Frau, die sich von ihrem Erstaunen noch immer nicht erholen konnte, denn Frühbach brachte das Alles mit hoher Salbung an. »Aber was denn um Gottes willen?«

»Gut,« rief jetzt der Rath, wie erbittert über so viel Störrigkeit, »wessen Bild ist das, was da an jener Wand hängt? Das dort mein' ich!«

»Das dort? das Bild meiner Tochter – und was haben Sie denn?«

»Nein,« rief der Rath mit erhobener Stimme, »das ist nicht wahr! Wissen Sie, wessen Bild das ist? Wissen Sie, was die Frau Heßberger in der Stadt schon gestanden und gebeichtet hat?«

Die Frau war todtenbleich geworden und trat einen Schritt zurück, und der Major selber erschrak über die plötzliche Veränderung in ihren Zügen – die Augen starrten den Redenden stier und entsetzt an, der Mund war halb geöffnet, die eine Hand vorgestreckt. Rath Frühbach aber, dem das ebenfalls nicht entging, fuhr, seinen Sieg verfolgend, triumphirend fort:

»Das ist das Bild der Tochter des Barons von Wendelsheim, dem Sie dafür den Sohn untergeschoben haben, und wenn Sie jetzt, wo Sie noch unter Freunden sind, Alles gestehen, so kann ich Ihnen die Versicherung . . .«

Weiter kam er nicht. Alles Blut, das zuerst das Antlitz der Frau verlassen hatte, schoß dahin zurück, so daß es jetzt eine fast kupferrothe Färbung annahm, und die Arme in die Seite stemmend, rief sie mit vor Wuth fast erstickter Stimme:

»Sie – Sie alter grauhaariger Esel, Sie wollen ein Rath sein?«

»Frau Müller!« rief Rath Frühbach entsetzt.

»Und deshalb ist das Lumpengesindel in mein Haus gekommen?« schrie die Frau, die jetzt erst ihre Zunge wieder zu finden schien. »Nach meinem Schwiegersohn erkundigen sie sich, weil sie wissen, daß er nicht da ist, und heimlich hinten herum kommen sie und fragen und bohren und thun schön und unschuldig, um eine arme Frau in's Unglück zu stürzen!«

»Aber, beste Frau Müller!« fiel auch jetzt der Major ein, der aus all' seinen Himmeln herausstürzte und nur allein den aufkochenden Zorn der Gereizten zu besänftigen wünschte.

»Pfui Teufel!« rief aber die Frau Müller, die jetzt das Wort hatte und es sich nicht so leicht wieder nehmen ließ. »Indianer und Türken und Heiden, wenn sie mit einem andern Menschen gegessen und getrunken haben, üben weder Hinterlist noch offene Feindschaft gegen ihn aus, sondern behandeln sich als Brüder – aber das nennt sich Christen und ist ärger als Türken und Heiden!«

»Aber, Frau Müller, ich versichere Ihnen . . .« sagte der Major.

»Sie brauchen mir nichts zu versichern!« schrie die Frau, immer mehr in Zorn gerathend. »Was haben Sie überhaupt hier zu thun? Glauben Sie, daß ich mich in meinen eigenen vier Wänden ungestraft beleidigen lasse? Und die Frau Heßberger – was geht das mich an, was die gestanden hat, oder möchten Sie mir vielleicht damit drohen? Aber das wollen wir doch einmal sehen, ob noch Recht und Gesetz im Lande ist und hülflose, alleinstehende Frauen in ihrem Hause überfallen werden dürfen, das wollen wir doch einmal sehen! Den Augenblick gehe ich auf's Gericht und dann will ich wissen, ob das da das Bild meiner Tochter, meines eigenen Kindes ist oder nicht, und ob jeder hergelaufene Lump, der sich Rath nennt, herkommen und mich beschimpfen darf!«

»Aber, Frau Müller,« sagte Rath Frühbach, allerdings etwas bestürzt über die Wendung, die sein fein angelegter Plan, bei dem er sich schon einen Moment am glücklich erreichten Ziel geglaubt, plötzlich genommen, »Sie werden uns doch erlauben . . .«

»Gar nichts erlaube ich Ihnen,« rief die Frau, »gar nichts auf der Welt! Je eher Sie sich aus meinem Hause scheren, desto besser, und wenn Sie nicht gleich gutwillig gehen, dann rufe ich die Nachbarn zu Hülfe, daß die Ihnen Beine machen!«

Der Major hatte sich schon, aufs Aeußerste verlegen, während des letzten Gespräches der Thür zu gedrückt und eigentlich nur auf einen günstigen Moment gewartet, um hinaus zu fahren, denn die ganze Sache war ihm fürchterlich fatal; er mochte nur auch nicht geradezu fortlaufen. Jetzt aber fand er keine Veranlassung mehr, länger zu zögern; die Thür war ihnen deutlich genug, und ohne ein Mißverständniß möglich zu machen, gewiesen worden.

»Kommen Sie, Rath, das geht nicht länger,« sagte er, jetzt selber ärgerlich werdend, denn der Mann war nicht von der Stelle zu bringen. Er stand, aber jetzt ebenfalls mit einem dicken rothen Kopf, immer noch die Prise zwischen den Fingern, vor der Wüthenden und schien nur auf einen Moment zu passen, wo er wieder einfallen konnte. – »Nun gut denn, wenn Sie allein dableiben wollen, meinetwegen – ich gehe aber – guten Morgen, Madame!«

»Einen schönen guten Morgen, das weiß Gott!« rief die Frau. »An den Morgen will ich denken, aber ich will Sie begutenmorgen mit Ihrer Höflichkeit, oder mein Name ist nicht Barbara Müller! Vor Gericht sehen wir uns wieder, und dort soll sich dann einmal herausstellen, ob ich mich brauche in meinen vier Wänden überfallen und beschimpfen zu lassen, und dort sollen Sie beweisen, was Sie gesagt haben, Sie – Rath Sie, oder wir wollen einmal aufpassen, was geschieht!«

Frühbach hatte einen Blick nach dem Major geworfen, bemerkte aber kaum, daß dieser wirklich Ernst machte und schon halb aus der Thür war, als er es auch für gerathen fand, seinem Beispiel zu folgen. Etwas mußte er aber noch sagen, denn lautlos konnte er nicht abziehen.

»Schön, verehrte Dame,« nickte er, indem er sich die Brille festschob, wobei er die vergessene Prise fallen ließ und zugleich nach Stock und Hut griff, »wenn Sie es denn nicht anders wollen, mir kann's recht sein – empfehle mich Ihnen!« setzte er aber rasch hinzu, denn der Zorn der gereizten Frau war auf's Höchste gestiegen, und sie fing an gegen ihn vorzurücken; er wollte es nicht zum Aeußersten kommen lassen.

»Ihnen kann's recht sein, so? Sie alter Schafskopf, Sie!« schrie die Frau.

Frühbach wartete jedoch keine weiteren naturhistorischen Eigennamen ab, er war viel schneller, als er sich sonst gewöhnlich bewegte, aus der Thür hinaus, und gerade noch zur rechten Zeit, denn dieselbe wurde im nächsten Augenblick hinter ihm zugeschleudert, daß die Fenster im ganzen Hause zitterten. Die Stimme der gereizten Frau übertäubte dabei noch den Lärm. Der Major hielt sich auch gar nicht weiter auf, um seinen Freund und Leidensgefährten zu erwarten, sondern humpelte, so rasch es ihm sein obstinates Bein erlaubte, die Straße hinab, so daß der Rath tüchtig ausschreiten mußte, um ihn wieder einzuholen. Aber er that das mit Vergnügen, denn er verlängerte mit jedem Schritte die Entfernung zwischen sich und der schrecklichen Frauensperson, und hatte auch gar nichts dagegen, daß der Major rechts ab in eine Seitenstraße bog und nicht eher einhielt, bis er die dort daranstoßenden Kartoffelfelder erreichte. Da blieb er stehen und sagte, sich zum ersten Mal nach dem Rath umsehend:

»So, mein Herr Rath, da haben Sie uns mit Ihrem« – Maul hätte er am liebsten gesagt, aber das litt seine Höflichkeit nicht, darum ersetzte er es mit – »Hitzkopf in eine schöne Sackgasse hineingefahren.«

»Ich habe Sie hineingefahren, mein bester Major?« sagte der Mann, indem er stehen blieb und sich den Schweiß über der Brille wegtrocknete. »Das nehmen Sie mir nicht übel; was habe ich denn überhaupt von der ganzen Geschichte, ehe Sie mich hierher brachten, gewußt? Gar nichts – und wenn ich nur eine Ahnung gehabt hätte, daß sie auf so schwachen Füßen steht, ich würde den Teufel gethan haben, meine Nase hinein zu stecken!«

»Aber wer um Gottes willen hieß Sie auch so mit der Thür in's Haus fallen und die ganze Sache der Frau auf den Kopf zu sagen? Ich bat Sie doch, es nicht zu thun, und da konnten wir uns noch mit guter Manier aus der Schlinge ziehen und einen ehrenvollen Rückzug sichern – jetzt sind wir mit Schimpf und Schande abgezogen und haben uns auf das Lächerlichste blamirt.«

»Das weiß Gott,« stöhnte Frühbach, »an die Situation werde ich mein Leben lang denken! Wissen Sie aber, daß es mir früher schon beinah' einmal ähnlich gegangen ist. In Schwerin damals . . .«

»Und damit ist die Geschichte noch nicht aus,« unterbrach ihn der Major, dem die letzte Drohung der Frau nicht aus dem Kopf ging. »Passen Sie auf, das rabiate Weib geht am Ende noch vor Gericht, und wir können ihr nicht allein öffentlich Abbitte thun, sondern der ganze fatale Handel kommt auch in's Publikum und, das Allerschlimmste, dem alten Wendelsheim zu Ohren, der überhaupt keine Gelegenheit vorbeiläßt, um mir etwas anzuhängen. Heiliges Donnerwetter, wenn ich nicht mit meinem elenden Körper so an die Scholle gebannt wäre, ich setzte mich heut Abend noch auf die Bahn und führe nach Neapel oder Griechenland!«

»Hm,« sagte der Rath, der seinen Stock unter den Arm genommen hatte und an dem seidenen Taschentuche eine reine Stelle suchte, an der er seine Brille hätte abwischen können (er fand aber keine und rieb sie dann auf dem Aermel), »sie wäre es allerdings im Stande, aber sie wird sich hüten, Major; denn die Sache ist doch nicht ganz rein, sie hat einen faulen Fleck. Bemerkten Sie, wie blaß sie wurde, als ich nach dem Bilde fragte?«

»Ja gewiß, und ich dachte im ersten Augenblick ebenfalls, wir hätten sie; aber ich glaube jetzt, es war vor Wuth.«

»Mein lieber Major, lehren Sie mich die Menschen kennen, das war mehr als Wuth, das war ein schlechtes Gewissen, und der nachher ausbrechende Grimm nur ein Mantel, um es zu verdecken. Wir hätten uns nicht davon sollen einschüchtern lassen, es war Maske; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, nichts als Maske, und noch dazu plump durchgeführt. Ich wäre auch nicht sogleich abgegangen, das versichere ich Ihnen, aber Sie waren auf einmal zur Thür hinaus, und allein konnte ich da drinnen auch nichts ausrichten.«

»Ich hatte genug,« meinte der Major, »und es fiel mir gar nicht ein, mich länger als unumgänglich nöthig mit jenem alten Weib herum zu zanken.«

»Wenn ich nur meiner ersten Eingebung gefolgt wäre und mich ihr als Polizeirath vorgestellt hätte! Ich sage Ihnen, eines Tages in . . .«

»Weiter hätte nichts gefehlt,« rief der Major, »daß wir dann Beide in Teufels Küche gekommen und am Ende gar noch eingesteckt worden wären! Hören Sie, Rath, Sie haben gar keine Idee davon, welcher Gefahr Sie dadurch entgangen sind, daß Sie es nicht gethan.«

»Sie haben keine Courage, Major.«

»Allerdings nicht zu so faulem Kram, wo man sich den Rücken nicht gedeckt weiß. Ehrlich drauf, ja.«

»Na, ich dächte, weiß es Gott, ich wäre ehrlich draufgegangen,« sagte Rath Frühbach mit Selbstgefühl. »Und was wird nun? Denn hier auf dem Kartoffelacker können wir doch nicht gut stehen bleiben.«

»Haben Sie noch etwas im Ort zu besorgen?«

»Nichts als einige Flaschen Aepfelwein einzupacken. Hören Sie, Major, der Aepfelwein bei der Alten war wirklich famos! Schade, daß er von einem solchen Cerberus bewacht wird.«

»Ich wollte, wir hätten nichts davon getrunken,« sagte der Major mürrisch; »darin hatte die Alte Recht, es sah häßlich aus, ich nippte auch nur daran. Aber nun thun Sie mir den Gefallen und lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen. Ich habe genug von Vollmers, und hoffe, das Nest in meinem ganzen Leben nicht wieder zu sehen.«

»Für heute muß ich auch sagen,« bestätigte der Rath, »daß ich kein großes Verlangen trage, länger da zu bleiben, und ich möchte besonders der aufgeregten Dame nicht noch einmal begegnen. Aber kommen Sie, Major, wir brauchen ja nicht wieder an dem Haus vorbei zu gehen, sondern können hier geradeaus die Straße halten. Mit einem ganz unbedeutenden Umweg kommen wir dann zum Wirthshaus zurück.«

Der Major ließ sich nicht lange nöthigen, und die beiden Herren kreuzten bald darauf, mit einem scheuen Seitenblick nach links, ohne aber ein Wort weiter darüber zu erwähnen, die Straße, in welcher das Haus der Frau Müller so still und friedlich lag, als ob da nie ein Sturm gewüthet hätte.

Aber sie hatten damit, wie sie vielleicht wähnten, noch nicht Alles überstanden; als sie in die breite Chaussee einbogen, die nach dem Wirthshaus hinaufführte, stand vor demselben und unter dem Schild mit dem hellrothen Engel ein anderer, dunkelrother, in einer weißen Haube – der obere trug Locken – und gesticulirte eifrig mit dem achselzuckend vor ihr stehenden Wirth.

Beide Freunde blieben unwillkürlich mitten in der Straße stehen, als sie gleichzeitig die Dame erkannten. Das hatte keiner von ihnen erwartet und selbst der Rath fühlte sich bei diesem Anblick unbehaglich. Aber ob die Dame sie selber bemerkte und nicht wieder mit ihnen zusammentreffen wollte, oder ob sie beendet hatte, was sie hierher geführt, sie machte noch ein paar entschiedene Bewegungen mit dem rechten Arm – in der Entfernung konnten sie natürlich nicht hören, was sie sagte – und wandte sich dann die Straße hinab, wo sie bald darauf in eine Seitengasse einbog.

»Das Frauenzimmer ist zu Allem fähig,« stöhnte der Major, als sie wieder, Beide zugleich, ihren Weg verfolgten, denn das Hinderniß war beseitigt; »jetzt hat sie sich dort nach unseren Namen erkundigt.«

»Und der Esel von Wirth wird ihr auch die genaue Adresse gegeben haben,« ergänzte der Rath. »Es sieht ihm ähnlich.«

»Nun, versteht sich von selbst, und in den nächsten Tagen steht die Geschichte in der Zeitung. Mein lieber Rath, ich wollte, ich hätte das verdammte Vollmers in meinem ganzen Leben nicht gesehen.«

»Jetzt kann's nichts mehr helfen,« bemerkte Frühbach ganz richtig; »der Stein rollt und wir können ihn nicht mehr halten.«

»Ja, und Sie haben ihn in's Rollen gebracht.«

»Bitte,« sagte der Rath, »Sie haben mich darauf gestoßen, oder es wäre mir nicht eingefallen, diese Madame Müller aufzusuchen. Aber da ist der Hausknecht. Hören Sie, lieber Freund, sagen Sie doch dem Kutscher . . . Wo ist der Kutscher denn eigentlich?«

»Er sitzt drin in der Stube.« erwiderte der Angeredete. »Es ist ihm nicht recht wohl; er hat Leibschneiden.«

»Der verfluchte Aepfelwein!« bemerkte der Major.

»Sagen Sie ihm, daß er anspannen soll,« befahl der Rath, der sich über das Leibschneiden völlig hinwegsetzte, »wir wollen augenblicklich nach Alburg zurückfahren. Ah, lieber Herr Wirth, unsere Rechnung, wenn ich bitten darf!«

»Zu Befehl, Herr Rath,« erwiderte der höfliche Mann, sein Käppchen ziehend. »Aber sagen Sie mir nur,« setzte er dann mit unterdrückter Stimme hinzu, »was haben Sie denn um Gottes willen mit der Frau Müller gehabt? Die war eben da . . .«

»Wir? Gar nichts. Was sollen wir mit ihr gehabt haben?« fragte Frühbach mit der unschuldigsten Miene von der Welt.

»Na, dann weiß ich nicht, was die Alte wollte,« sagte der Wirth. »Aber sie fragte mich erst um die Namen der beiden Herren und schrieb sie sich auf einen Zettel« (der Major sah den Rath von der Seite an, seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich), »und dann hat sie geschimpft und raisonnirt, daß mir die Leute ordentlich zusammenliefen.«

»Aber über was denn?« fragte Frühbach.

»Ja, Gott weiß es! Von ihrer Tochter und dem Baron Wendelsheim und den Gerichten, und eine Menge anderes Zeug, ich bin gar nicht klug daraus geworden, und Ihnen gab sie erst Ehrentitel! Ja, die hat ein böses Mundwerk, wenn sie einmal losgelassen wird, und wer nicht muß, soll sich mit der ja nicht im Bösen einlassen. Sonst ist sie gut genug und legt keinem Menschen 'was in den Weg, aber wenn sie erst einmal anfängt und warm wird, dann hört sie auch gar nicht wieder auf.«

»Wir möchten gern bezahlen, lieber Freund,« sagte der Major, dem die Sache peinlich wurde; »dürfte ich Sie bitten, uns zu sagen, was wir schuldig sind?«

Das half. Der Wirth schob mit einer Verbeugung ab, und während ihm der alte Herr folgte und die Zeche berichtigte (inclusive zwölf Flaschen Aepfelwein, die im Sitzkasten waren, und der Rath ging indessen, seinen linken Arm auf den Rücken gelegt, draußen auf und ab), kam der Kutscher mit den Pferden heraus und schirrte ein. Er sah elend aus, aber Frühbach fühlte sich nicht in der Stimmung, Notiz von ihm zu nehmen, und wenige Minuten später rasselte das kleine Fuhrwerk durch den Ort auf der Straße nach Alburg hinaus.



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