Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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11.

Die beiden Verbündeten.

Der alte Major von Halsen war, als er an dem Morgen zum Rath Frühbach kam, wie schon gesagt, gar nicht etwa gewillt gewesen, ihn zum Vertrauten in der Erbschafts-Angelegenheit zu machen; aber Umstände verändern manchmal die Sache, und der Wagen schüttelte ihn nach und nach in eine andere Ansicht hinein.

»Der verdammte Kasten hat, glaub' ich, gar keine Federn,« sagte er, als sie eine Weile auf einem Feldweg hingerasselt waren; »er stößt Einem ja die Seele aus dem Leib.«

»Aber Sie glauben gar nicht,« erwiderte der Rath, »wie wohlthätig das Schütteln auf die Verdauung wirkt, und ich spüre den segensreichen Einfluß jedesmal. Sie wissen, ich leide daran. Da fuhr ich einmal in Schwerin – –«

»Hören Sie einmal, Rath,« sagte der Major, der nicht mit Unrecht fürchtete, auf dem ganzen Wege Erzählungen dulden zu müssen, »ich will Ihnen etwas sagen. Wissen Sie, weshalb ich heute nach Vollmers fahre?«

»Sie? Nun, um den Aepfelwein einmal an der Quelle zu trinken. Ich habe Sie ja lange genug darum gebeten, mich einmal zu begleiten.«

»Der Teufel soll Ihren Aepfelwein holen,« knurrte der alte Soldat, »er liegt mir noch wie blanker Essig im Magen! Nein, ich habe einen andern Zweck, und da Sie doch einmal ein Rath sind, so sollen Sie mir nun auch einen Rath in einer Sache geben. Aber ich muß ein bischen vorsichtig sprechen, sonst beißt man sich, weiß es Gott, auf dem verfluchten Marterfuhrwerk einmal aus Versehen die Zunge ab.«

»Da fällt mir eine Geschichte ein,« sagte der Rath.

»Jetzt will ich Ihnen erst einmal eine erzählen,« sagte aber der Major, fest entschlossen, den Rath nicht so schnell wieder zum Wort kommen zu lassen. »Sie haben mir versichert, der Kutscher hört schwer.«

»Er ist halb taub. Sie müssen schreien, wenn Sie mit ihm reden wollen, und das greift Einem die Lunge an.«

»Desto besser, denn er braucht auch gar nicht zu hören, um was es sich hier handelt. Sie können doch verstehen, was ich sage?«

»Jedes Wort. Ich habe ein Ohr wie ein Luchs. Da kam einmal in Schwerin . . .«

»Bitte, lassen Sie mich erst aussprechen,« fiel ihm der Major in die Rede, »und Sie zu gleicher Zeit ersuchen, das, was ich Ihnen jetzt unter vier Augen sage, vor der Hand noch als Geheimniß zu behandeln.«

»Ein Geheimniß, he?« sagte der Rath und zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Es wird hoffentlich nicht mehr lange ein Geheimniß bleiben,« fuhr der Major fort; »aber vor der Hand und so lange wir nicht fest und entschieden auftreten können, muß es jedenfalls als ein solches betrachtet werden. Sie geben mir auch gewiß Recht, wenn Sie erfahren, um was es sich handelt – aber jetzt hören Sie.«

Und nun erzählte er dem allerdings genau aufhorchenden Rath zuerst mit kurzen Umrissen den Stand der Familien-Angelegenheit des Wendelsheim'schen Hauses, den Frühbach aber auch schon ziemlich kannte, und dann den Verdacht, den er selber gefaßt habe und jetzt, ja in diesem Augenblick, bis zur Quelle verfolgte.

Frühbach unterbrach ihn dabei mit keinem Wort, so erstaunt war er über eine Erzählung, die wirklich eine Pointe bot und zu dem Interessantesten gehörte, was er in seinem ganzen Leben erlebt hatte. Nur »Hm!« und »Es ist die Möglichkeit!« oder andere kurze Ausrufe ließ er manchmal hören und schüttelte dabei, wie über etwas Unglaubliches, den Kopf. Endlich, wie der Major geendet hatte, warf er selber einige Fragen ein, die sich aber merkwürdiger Weise auf den Gegenstand bezogen, und schien jetzt von der Wahrheit des Gehörten durchdrungen, daß er darüber ordentlich in Ekstase gerieth.

»Major,« rief er und drückte das Knie des neben ihm Sitzenden, »einen besseren Gehülfen, als mich, hätten Sie sich zu Ihrer Expedition nicht aussuchen können – das ist gerade mein Fach, und jetzt sollen Sie einmal sehen, wie geschwind wir der Geschichte auf den Grund kommen; der Madame wollen wir auf die Hacken treten!«

»Lieber Rath, wir werden ungemein vorsichtig zu Werk gehen müssen, da wir eigentlich noch gar keine wirklichen Beweise in den Händen haben, sondern nur einen, wenn auch sehr stark begründeten Verdacht.«

»Eigentlich hätten wir uns gleich einen Polizeidiener mitnehmen sollen,« sagte der Rath, der indessen nur seinen eigenen Gedanken gefolgt war.

»Daß der Alles gleich von vornherein verdorben hätte, nicht wahr?« rief der Major. »Wir können doch die Frau nicht arretiren!«

»Gott bewahre!« schüttelte Frühbach mit dem Kopf; »denken nicht daran. Aber Sie glauben gar nicht, welchen Eindruck eine Uniform macht. Ich bin mir doch wahrhaftig nichts Böses bewußt, aber wenn selbst zu mir ein Polizeidiener in's Zimmer tritt, fährt's mir immer gleich in die Kniekehlen. Denken Sie sich, da sitz' ich einmal in Schwerin . . .«

»Sind Sie denn in Vollmers bekannt und wissen Sie, wo jene Frau Müller wohnt?«

»Ja, lieber Major,« sagte der Rath, »ich kenne zwei verschiedene Müller in Vollmers. Erstlich heißt unser Wirth so, von dem ich den Apfelwein beziehe, und dann giebt's auch noch einen Butter- und Käsehändler Müller im Ort, von dem sich meine Frau immer Handkäse bringen läßt.«

»Aber der Müller ist lange todt.«

»Der Käsehändler? Nein, er war noch vorige Woche bei uns.«

»Nein, ich meine den Mann von dieser Müller; sie ist ja Wittwe.«

»Ja so, von der – nun, die wird auch aufzutreiben sein; Vollmers ist nicht so groß. Wenn Sie nur wenigstens wüßten, wie der Mann ihrer Tochter heißt; an einem solchen Namen hängt manchmal viel. Da lebte bei uns in Schwerin . . .«

Rath Frühbach hatte heute mit seinen Erzählungen Unglück. In dem nämlichen Augenblick, wo er wieder begann, that das Pferd einen Ruck, wurde scheu und fing an zu galoppiren.

»Na, das fehlte uns auch noch,« rief Frühbach, sich erschreckt festhaltend, »daß der alte, halbblinde Gaul mit uns durchgeht! Auf der einen Seite sieht er nicht einmal die Gräben.«

Der Kutscher, der wohl ein wenig eingenickt war, griff aber die Zügel auf, zog dem alten Gaul ein paar mit der Peitsche über und brachte ihn bald wieder zu einem Verständniß seiner Lage, das er auch wohl kaum aus den Augen verloren. Er hatte sich nur einmal in Bewegung setzen wollen, oder auch vielleicht die schon ganz nahen Häuser von Vollmers entdeckt, wo er den Stall und dessen Futter kannte.

An eine weitere Unterhaltung war aber schon deshalb für die beiden Passagiere nicht mehr zu denken, weil hier das Pflaster begann und selbst der gegen Derartiges sonst ziemlich unempfindliche Rath beide Hände auf den Sitz stemmte, um sich gegen allzu hartes Stoßen zu sichern. Der Major aber memorirte laut seine sämmtlichen Flüche, die er auswendig konnte – und es waren deren nicht gerade wenig –, bis sie endlich vor dem niedern, mit rothen Ziegeln gedeckten Wirthshause hielten und ein riesiges blaues Schild über sich sahen, auf dem ein feuerrother Engel abgemalt war, der eine rothe Trompete in der rechten und ein rothes Bierkrügel in der linken Hand hielt. Welcher Götterlehre er angehörte, ließ sich nicht bestimmen.

Rath Frühbach schien hier übrigens ein alter Stammgast zu sein, wenigstens wurde er so von dem Wirth empfangen, der mit dem freundlichsten Gesicht von der Welt, sein Käppchen in der Hand, unter der Thür stand und Hausknecht, Kellner und Stubenmädchen augenblicklich herbeirief, um den Herren beim Aussteigen zu helfen und Mäntel oder sonstiges Reisegepäck in das Haus zu tragen.

»Nun, Herr Müller, wie gehen die Zeiten?« sagte Rath Frühbach, als er glücklich ausgestiegen war und dem Major, der mit seinem Bein nicht so recht fort konnte, ebenfalls vom Wagen herunter geholfen hatte. »Haben doch 'was Ordentliches zu essen heute?« – Er schien auf eine besondere Beantwortung der ersten Frage zu verzichten.

»Nun, danke bestens, Herr Rath,« sagte der gewissenhafte Gastgeber, »es geht ja immer so lala; meine Alte will nicht so recht fort – hat immer mit ihrem Magen zu thun.«

»Daran ist der verdammte Aepfelwein schuld!« sagte der Major, eben nicht in bester Laune.

»Ein guter Freund von mir,« stellte ihn der Rath vor, »Herr Major von Halsen.«

»Sehr angenehm, Herr Major – sollen bestens bedient werden. Wann befehlen die Herren zu speisen?«

»Was haben Sie denn? Das versprochene Wildpret fehlt doch nicht etwa?«

»Nein, gewiß nicht, Herr Rath; habe es Ihnen ja besonders hineinsagen lassen. Werde Ihnen doch keine Unwahrheit berichten. Aber die Speisekarte liegt drinnen auf dem Tisch.«

Der Rath nickte nur, denn eine weitere Unterhaltung war für den Augenblick, wo Wichtigeres ihnen bevorstand, unnöthig geworden, und die beiden Herren begaben sich in das untere Local, wo in einer der Ecken ein Tisch schon gedeckt stand; denn wenn auch Vollmers an keiner Poststraße lag, kamen doch eine Menge von Fuhrleuten vorüber und kehrten da ein, und Niemand lebt besser unterwegs, als ein Frachtfuhrmann.

Der Major hätte sich nun gern selber nach der verwittweten Müller im Ort erkundigt; aber bei ihm, als vollkommen Fremdem, würde das gleich von vornherein zu sehr aufgefallen sein, und er bat deshalb den Rath, das für ihn zu besorgen, und dazu war Frühbach auch der rechte Mann. Er fragte überhaupt ununterbrochen, und in seiner cordialen Weise (es hätte eigentlich auch einen anderen Namen dafür gegeben, denn er behandelte die Leute gewöhnlich anscheinend freundlich, aber immer von oben herunter) fand er mit leichter Mühe einen Anknüpfungspunkt.

»Hören Sie einmal, Herr Müller,« sagte Frühbach, als der Wirth, mit der Serviette unterm Arm, hinter ihnen am Tisch stand, »ist denn der Müller, der hier in Vollmers Butter und Käse verkauft, mit Ihnen verwandt? Er schreibt sich wenigstens ebenso.«

»Bitte um Verzeihung, Herr Rath,« sagte der Wirth mit Würde, »jener Müller stammt gar nicht aus unserer Gegend; er ist aus dem Mecklenburgischen hierher eingewandert.«

»Ih, sehen Sie einmal an,« rief Frühbach, »da sind wir ja Landsleute. Waren Sie schon einmal in Mecklenburg, Herr Müller?«

»Nein, bedaure sehr,« sagte der Wirth.

»Na, da haben Sie gar nichts zu bedauern,« meinte trocken der Major, »wenn Ihnen weiter kein Unglück begegnet ist.«

»Hm!« sagte der Rath aber, der, ganz aus seiner sonstigen Sphäre, wo er nur im Allgemeinen wie ein Fisch im Ocean herumschwamm, heute einmal auf ein besonderes Ziel lossteuerte. »Ich dächte aber doch, Sie hätten mir einmal von Verwandten von Ihnen erzählt, die hier noch im Orte leben.«

»Wüßte wirklich nicht, wer das sein sollte,« sagte Herr Müller achselzuckend. »Es sind allerdings noch zwei meines Namens hier im Ort: der Bäcker heißt Müller, und dann lebt hier eine verwittwete Müller, die lange in England war; sie wollte einmal nach Amerika, aber das Schiff wollte nicht, wie sie hier sagen – doch ich bin mit allen Beiden nicht im Entferntesten verwandt. Lieber Gott, der Name kommt ja so häufig vor!«

»Ja, da haben Sie Recht,« nickte der Rath. »Hören Sie, Herr Müller, der Hirschbraten ist wirklich delicat; ich habe lange nichts Zarteres gegessen.«

»Freut mich, wenn es Ihnen schmeckt, Herr Rath.«

»Und noch eine Flasche Aepfelwein, bitte. Aber Sie trinken ja gar nicht, Major.«

»Danke, habe mir ein Glas Bier bestellt und verzichte auf den Aepfelwein – kann das Zeug nicht vertragen.«

»Es ist die reine Muttermilch,« sagte der Rath; »aber was ich gleich fragen wollte: also die Frau war so lange in England?«

»Die Müller? Ja wohl – sie spricht auch das Engländische, und wenn sie sich mit ihrer Tochter manchmal unterhält, kann sie kein Mensch verstehen. Das ist eine verflixte Sprache, und so geschwind geht's – aber man muß es auch können.«

»Ach ja, ich dächte, davon hätte ich gehört,« fuhr der Rath, heftig dabei kauend, fort. »Ist die Tochter nicht an einen gewissen Becker, einen Telegraphen-Beamten, verheirathet?«

»Nein, Herr Rath, doch nicht; an einen sogenannten Geodäten, einen Herrn Melker, der jetzt in Rübhausen stationirt ist, um dort die Zusammenlegung der Felder zu bewerkstelligen.«

»Ach ja, das ist recht, Melker hieß er – wie komm' ich denn nur auf Becker? Aber es klingt ähnlich. Da war einmal in Schwe – –«

»Ich dächte, einen Geodät Melker hätte ich auch einmal gekannt,« fiel hier der Major ein, denn der Rath ging wieder durch. »Kommt er manchmal hier herüber?«

»Ach, habe ihn erst heute Morgen gesehen,« sagte der Wirth – »ich glaube, er kam herüber, um seine Frau abzuholen, die hier ein paar Tage bei ihrer Mutter zu Besuch war.«

»In der That?« sagte der Rath, dadurch wieder zur Gegenwart zurückgerufen, da er sonst nur eigentlich in der Vergangenheit lebte. »Da könnten wir ja einmal nach dem Essen hinübergehen, Major, denn einen Verdauungs-Spaziergang müssen wir doch machen. Wohnt sie weit von hier?«

»Nein, gleich dort hinter dem Garten, Herr Rath. Wenn Sie um die Ecke vom Zaun herumbiegen, sehen Sie das kleine hübsche Häuschen gleich vor sich. Die Müller hat eigentlich das hübscheste Häuschen im ganzen Ort.«

»So? Na, da wollen wir nachher einmal da vorbeischlendern und es uns ansehen – also ein hübsches Häuschen. Sie ist da wohl reich?«

Der Wirth zuckte mit den Achseln. »Wer kann's wissen?« sagte er. »Sie zeigt's wenigstens Niemandem und lebt einfach und zurückgezogen genug – hat aber auch, das muß wahr sein, keinen Pfennig Schulden im Ort. Man bekommt sie jedoch wenig zu sehen. Sie sitzt fast immer im Hause und näht, oder liest auch wohl in einem Buche; aber wahrhaftig,« unterbrach er sich rasch, als ein Wagen draußen vorbeirollte, »da kommt gerade die Tochter mit ihrem Manne an. Die fahren jetzt wieder nach Rübhausen zurück. Nun haben Sie ihn verpaßt. Na, ein ander Mal trifft sich's vielleicht besser.«

Der Major war aufgesprungen und an's Fenster getreten. Ein leichter, hübscher Korbwagen, vortrefflich in Federn hängend, rasselte vorüber. Ein sehr anständig gekleideter Herr von vielleicht zweiunddreißig Jahren fuhr, und neben ihm saß, ebenfalls städtisch, aber sehr einfach gekleidet, ein junges, allerliebstes Frauchen und lachte und plauderte mit ihm.

»Also das ist die Tochter?« nickte der Major, sich wieder abwendend, denn der Wagen bog in dem Augenblick um die Ecke. »Sie sieht ja beinahe aus wie eine Dame.«

»Ja,« nickte der Wirth, »ein sehr hübsches Weibsen ist es und eine gute, tüchtige Frau dabei. Die Mutter hat sich's aber auch was kosten lassen, um sie zu erziehen, das muß wahr sein, und der Herr Melker das große Loos dabei gezogen.«

Der Rath stieß den Major heimlich an, blinzelte ihm über die Brille zu, flüsterte: »'s ist Alles in Richtigkeit!« und setzte sich dann wieder zu seinem Wildbraten nieder, um noch einmal von vorn zu beginnen. Er rühmte sich nicht mit Unrecht, daß er für drei Mann essen und trinken könne. Dem Major brannte aber jetzt der Boden unter den Füßen, und wenn ihn auch ein eigenes unbehagliches Gefühl beschlich, sobald er daran dachte, daß die Entscheidung seines lange gehegten Zieles – denn dies war seine letzte Hoffnung – so nahe sei und er zu dem Zweck einer vollkommen fremden Person in das Haus rücken solle, so war er doch nicht der Mann, von der einmal begonnenen Sache nun zurückzuschrecken. Je eher sie abgemacht wurde, desto besser. Es dauerte freilich noch eine Weile, bis er den Rath hinter dem Tisch vorbrachte, aber es gelang doch endlich, und die Beiden schritten jetzt langsam erst eine Strecke durch den Ort hinauf, um ihr Ziel nicht gleich zu verrathen, und dann der bezeichneten Richtung zu, wo sie das kleine Haus auch bald in Sicht bekamen.

Es war in der That ein freundliches Plätzchen, klein und beschränkt freilich – wenigstens dem äußern Anschein nach – aber außerordentlich sauber gehalten, ordentlich beworfen und licht bemalt, sowie mit grünen Jalousien versehen; auch schien das daranstoßende Gärtchen sorgsam gepflegt, und selbst über die Hecke herüber schauten blühende Rosenbüsche. Das Ganze war in der That wie ein kleines Idyll, und man dachte sich unwillkürlich ein reizendes, zartes Wesen, das jetzt dort hinter den Blumen am Fenster an einer Stickerei arbeiten und vielleicht einmal mit dem Lockenkopf hinausschauen müsse.

Hinter den Blumen am Fenster war aber nichts als eine große weiße Haube zu erkennen, die sich auch gar nicht regte, als die beiden Fremden vorübergingen.

»Wollen wir hinein?« fragte der Major.

»Nun, versteht sich von selbst,« entgegnete der Rath; »wir sind einmal da und müssen nun auch durch. Wie wollen Sie aber anfangen? Wir müssen doch gewissermaßen eine Introduktion haben, nachher macht sich dann Alles von selber. Könnten wir zum Beispiel nicht nach Herrn Melker fragen? Wir wissen jetzt genau, daß er nicht da ist.«

»Daran habe ich auch schon gedacht,« meinte der Major; »aber nachher?«

»Dann lassen Sie mich nur das Uebrige besorgen; ich knüpfe mit allen Menschen ein Gespräch an, wenn ich sie nur erst einmal fest habe, und eine Einleitung zu unseren Fragen ist ja auch dadurch gegeben, daß Sie mit der Familie Wendelsheim, in der sie selber früher gedient hat, verwandt sind. Fangen Sie zum Beispiel nachher einmal von der in der nächsten Zeit fälligen Erbschaft an, und wir sehen dann gleich, was sie dazu für ein Gesicht macht; ich werde sie indessen beobachten. Donnerwetter, Major, zwei alte Knaben, wie wir sind, und mit allen Hunden gehetzt, sollen es doch wohl in der Intelligenz mit einer alten Frau aufnehmen können!«

»Und wenn sie nichts gesteht?«

»Sie braucht nicht direct zu gestehen, lieber, bester Freund,« versicherte ihm der Rath, »und wird das auch auf keinen Fall, davon bin ich schon jetzt vollkommen überzeugt, ohne sie nur einmal gesehen zu haben. Ich verlange auch weiter nichts, als daß sie sich nur ein einziges Mal verschnappt, nur mit einer Silbe, daß sie sich nur einmal widerspricht; dann haben wir sie fest, und daß dann die Gerichte das Andere aus ihr herausbekommen, darauf können Sie sich fest verlassen. Sagen Sie mir nur um Gottes willen, weshalb Sie mit dem Allen erst jetzt herausrücken und nicht schon vor zwanzig Jahren, als die Sache noch warm war, ihr zu Leibe gegangen sind?«

»Lieber Freund,« entgegnete der Major, »das wäre allerdings besser gewesen; aber gerade in der Zeit, in der das Kind geboren wurde, befand ich mich in Rußland, und als ich nachher zurückkehrte, waren die Leute, die damals in Wendelsheim gedient, so in alle Welt zerstreut, daß meine Bemühungen vergeblich blieben. Erst jetzt, nachdem über dem Ganzen scheinbar Gras gewachsen, haben sie sich wieder eingefunden, und jetzt, ja, ich kann wohl sagen, eigentlich in den letzten Tagen und so recht vor Thorschluß, bin ich erst auf die richtige Fährte gekommen. Aber es ist selbst jetzt noch nichts versäumt.«

»Gott bewahre, Gott bewahre,« nickte der Rath; »ein Heidenglück nur, daß Sie wenigstens jetzt noch auf die Spur kamen, denn ein paar Wochen später hätten Sie einpacken und mit langer Nase abziehen können! Doch wir wollen umkehren – jetzt hilft's nichts. Also die Zähne zusammengebissen, Major, und fest vorwärts. Umbringen kann sie uns nicht, und im schlimmsten Fall sind wir immer unserer Zwei!«

Die beiden Verbündeten, die indessen eine Strecke auf der Straße hinausgegangen waren, so daß sie schon die Felder wieder vor sich sahen, drehten jetzt um und schritten direct auf das Haus der Wittwe Müller zu, dessen Pforte, da der Eingang durch den Garten führte, sie bald darauf erreichten. Draußen war auch eine Klingel angebracht; die Glocke hing inwendig am Pfosten, und der Rath streckte schon den Arm nach dem Griff aus, als Frühbach plötzlich sagte:

»Hören Sie, Major, wenn wir jetzt hier läuten, steckt sie am Ende den Kopf zum Fenster heraus und fertigt uns gleich auf der Straße ab. Das wäre Pech!«

»Vielleicht ist die Thür offen; fassen Sie einmal auf die Klinke.«

»Wahrhaftig,« sagte der Rath, indem er die Klinke probirte, »das war ein guter Gedanke. Die Zugbrücke ist nieder, nun laufen wir Sturm, he, Major? Also vorwärts marsch, ich sehe schon, ich muß die Leitung doch wohl übernehmen!«



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