Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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7.

Rebekka.

Das Haus war von der Vorderseite, wenn auch massiv gebaut, doch unscheinbar genug, denn den ganzen unteren Theil nahm der gewölbte Laden ein, während die oberen Räume zu Speichern und Waarenläden benutzt wurden und nicht einmal Fenster, sondern braune Läden zeigten. Eben so schmal war der Hof; aber von dem Hintergebäude an erweiterte sich das Grundstück, das hinter diesem einen wohl von Mauern eingeschlossenen, aber doch freundlichen und auch nicht ganz kleinen Garten besaß. Auf der Treppe herrschte allerdings kein Dämmerlicht, und es erforderte einige Geschicklichkeit, sich hinauf zu finden; oben aber verrieth eine sauber angestrichene Glasthür die behäbigere Wohnung, und das Licht fiel hier durch ein Fenster von dickem Glase schräg auf den Vorsaal hinab, in den sich drei Thüren öffneten.

Wendelsheim zog die Klingel; drinnen wurde der Vorhang etwas zurückgeschoben, und er hörte die Stimme der Mutter.

»Gott der Gerechte, der Herr Baron – Rebekkchen, der Herr Baron kommt!«

Zugleich wurde der Schlüssel umgedreht und die Kette zurückgeschlagen, und die alte Frau begrüßte den jungen Officier mit einem tiefen Knix.

»Und darf ich eintreten, liebe Frau Salomon?«

»Mit dem größten Vergnügen, wenn Sie uns die Ehre anthun wollen.«

Die Frau war wirklich die Höflichkeit selber, denn erstens wirkte der Name eines Barons doch immer auf sie ein, und dann hatte sie den jungen Mann, der sich früher in ihrem Hause eingeführt und manche Stunde dort in harmloser, geselliger Weise verbracht hatte, in der That lieb gewonnen.

Bruno schritt der Thür zu, wo er Rebekka wußte, und als er dort anklopfte und ein leises, kaum hörbares Herein! vernahm, sah er sich plötzlich dem Mädchen gegenüber, das schon seinen Namen draußen gehört hatte und jetzt, ihn erwartend, mitten in der Stube stand. Aber auf der Schwelle blieb er wie gefesselt stehen, denn mehr einer überirdischen Erscheinung als einem menschlichen Wesen glich das schöne Mädchen.

Ein langes weißes Gewand, nur in der Mitte durch einen blitzenden Gürtel gehalten, umhüllte ihre schlanke Gestalt. In vollen, üppigen Locken fiel ihr das rabenschwarze Haar auf den Nacken nieder, und aus dem jetzt nur durch die Erregung bleichen Antlitz sahen ihn ein Paar große, seelenvolle Augen an – und diese Augen, dieser Blick, der ihn traf!

»Rebekka,« sagte der junge Officier, wirklich überrascht von dem Anblick, denn so schön – so ungewöhnlich schön hatte er das Mädchen noch nie gesehen – »wie freue ich mich, Sie wieder begrüßen zu dürfen!«

»Thun Sie das wirklich?« fragte sie mit leiser, zitternder Stimme. »Wenn ich das glauben dürfte!«

Er schritt auf sie zu und faßte ihre Hand – sie war kalt und bebte in der seinigen; er hatte sie sonst nur auf diese Weise begrüßt, heute hob er unwillkürlich die feinen Finger an seine Lippen und preßte einen heißen Kuß darauf.

»Und wie lange sind Sie ausgeblieben,« flüsterte Rebekka mit einem leisen, aber doch so freundlichen Vorwurf im Tone; »wie hatte ich mich darauf gefreut, daß Sie Ihr Versprechen halten und mit mir die Noten durchgehen würden, die Sie mir geschickt.«

»Ich bekenne mich schuldig, mein Fräulein,« sagte der junge Mann, indem er ihr voll in die klaren Augen schaute, während die ganze duftige Gestalt des Mädchens vom Sonnenlicht wie übergossen schien; »aber ich fürchte fast, daß ich trotzdem noch – zu oft gekommen bin.«

»Was Sie für häßliche Wortspiele machen,« lächelte Rebekka, leicht erröthend. »Wie kann man dahin, wo man gern gesehen ist, zu oft kommen? Das verstehe ich nicht.«

»Und wenn es nun zu oft für mich wäre?«

»Das verstehe ich wieder nicht: wenn Sie gern kommen, und ich – hätte das doch so gern geglaubt –«

»Sie sind so lieb und gut, Rebekka,« sagte der junge Mann, »daß Ihnen die Welt nur immer, wohin Sie schauen, Ihr eigenes Spiegelbild zurückwirft. Oh, bleiben Sie so – ich kann Ihnen nichts Weiteres wünschen!«

»Sie sprechen heute wirklich in lauter Räthseln,« sagte kopfschüttelnd das junge Mädchen. »Aber wollen Sie nicht ablegen? Sie stehen da so mitten in der Stube – oder – war das nur ein Besuch, den Sie im Vorübergehen abmachen wollen, um vielleicht eine alte Verpflichtung einzulösen?«

»Es wäre möglich, daß es – ein Abschiedsbesuch sein sollte,« erwiderte Wendelsheim, aber wie scheu und halb abgewandt.

»Ein Abschiedsbesuch?« rief Rebekka erschreckt. »Sie wollen fort?«

»Ich – muß vielleicht – doch diese kurze Stunde wollen wir uns nicht verbittern; kommen Sie zum Instrument – wo haben Sie Ihre Lieder? – daß ich noch einmal Ihre liebe Stimme höre!«

»Ich werde nicht singen können, Herr Baron.«

»Es wird schon gehen; wie Sie Musik hören, können Sie doch nicht widerstehen.«

»Ich will es versuchen,« hauchte das Mädchen leise und schritt zum Flügel, den sie öffnete und einen Band mit Liedern vornahm, der obenauf in ihrem Pult lag. Sie hatte sie ja täglich durchgespielt.

Bruno war ganz tüchtig auf dem Instrument und begleitete besonders vortrefflich, und das Mädchen sang dazu mit einer so vollen und so glockenreinen Stimme und dabei einem so weichen, schmelzenden Ausdruck in den Tönen, daß es dem jungen Mann wirklich bis in alle Herzensfasern drang und er genau aufpassen mußte, um nicht selber aus dem Tact zu kommen.

Die Mutter stand dabei, die Hände gefaltet, und war glücklich. Plötzlich sprang Wendelsheim in die Höhe.

»Rebekka,« sagte er, »Ihre Töne dringen durch Mark und Bein, und es ist manchmal, als ob sie Einem das Herz aus der Brust reißen könnten. Mädchen, wo haben Sie die wunderbare Stimme her?«

»Ach, ich mußte mich heute so zusammennehmen,« sagte Rebekka schüchtern, »ich hatte solche Angst!«

»Angst – und wozu Angst?« sagte die Mutter. »Der Herr Baron weiß, wie Du singst, und Du brauchst Dich vor ihm nicht zu geniren – und vor keinem Menschen. Aber glauben Sie, Herr Baron, daß Sie der Einzige sind, vor dem sie überhaupt den Mund aufthut, ihren Vater und mich ausgenommen? Wenn Besuch da ist und wir bitten sie noch so schön, da macht sie bald die, bald jene Ausrede, und wenn wir sie lange quälen, geht sie ganz weg und kommt nicht wieder.«

»Weil ich mich nicht selbst begleiten kann, Mutter,« sagte das junge Mädchen tief erröthend.

»Ob Du nicht kannst,« rief aber die Mutter, mit dem Kopf nickend, »ob Du nicht kannst, wenn Du willst! Sie sollten sie nur hören, Herr Baron, wenn sie ganz allein ist, wie sie da spielt und dazu singt, daß mir alten Frau manchmal die Thränen aus den Augen laufen.«

»Du lieber Himmel,« sagte Rebekka seufzend, »wir leben hier gar so einsam in unserer kleinen, abgeschlossenen Welt. Die Musik ist da ja das Einzige, das uns Ersatz bieten kann, und wie der Vogel draußen auf den Zweigen sein Lied unbekümmert zwitschert, gut oder schlecht, wie es gerade herauskommt, so singe ich auch – aber nicht besser, Mütterchen, gewiß nicht besser.«

Bruno hatte sich in seinem ganzen Leben noch nicht so befangen gefühlt. Er war sich bewußt, was ihn heute eigentlich hierher geführt – in welche gedrückte, peinliche Lage ihn sein Leichtsinn gebracht; aber er wäre nicht im Stande gewesen, zu dem Mädchen heute von Geld zu sprechen, und ihr Fürwort bei dem Vater zu erbitten. Alles, was gut und edel in ihm war und vielleicht lange da geschlummert hatte, oder auch durch das schale Garnisonleben, seine Umgebung und tägliche Gesellschaft betäubt und unterdrückt gehalten worden, erwachte heute mit voller und vielleicht nie geahnter Stärke, und gute, ernstgemeinte Vorsätze für sein künftiges Leben keimten in seinem Herzen frisch und gewaltig empor. Er nahm Rebekka's Hand und sagte leise: »Dann muß ich Ihnen um so viel dankbarer sein, Rebekka, daß Sie gerade in meiner Gegenwart die Scheu ablegen. Sie haben mich recht glücklich damit gemacht, und die Erinnerung an diese Zeit wird immer – so lange ich noch lebe – mir die schönste und liebste sein.«

»So lange Sie noch leben – Gott der Gerechte!« lächelte die Frau. »Sollte man nicht glauben, wenn man Sie hörte, Sie wären ein Mann von achtundachtzig Jahren, mit grauen Haaren und mit einem Stocke? So lange Sie noch leben – Sie fangen ja erst an, und der liebe Gott wird Ihnen schon ein langes und freudiges Leben schenken. Wir werden uns wieder sprechen.«

Die beiden jungen Leute schwiegen, Jedes mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und die Mutter sah Eins nach dem Andern verwundert an.

»Nun, wie haißt?« lächelte sie endlich. »Keine Musik? Keine Unterhaltung? Wo bleibt da die Gesellschaft? Was hast Du nur, Bekkchen? Hab' ich doch geglaubt, das Kind wäre nur so still und schweigsam, wenn sie allein wär'; jetzt macht sie's in der Gesellschaft gerade so.«

»Ich dachte eben, – Mutter – der Herr Baron hat vorhin angedeutet, daß er nur hergekommen wäre, um Abschied von uns zu nehmen.«

»Abschied? Gott soll's verhüten, und wozu? Wollen Sie verreisen?«

»Wahrscheinlich – auf einige Zeit wenigstens,« sagte der Lieutenant verlegen; »es sind Geschäfte, die mich dazu zwingen.«

»Aber Sie kommen hierher zurück?« fragte Rebekka, und ihr Auge hing forschend an den Zügen des jungen Mannes.

»Was für a Frag!« sagte die Mutter. »Hat der Herr Baron sein großes, schönes Gut hier, und die Familie; wird er nicht zurückkommen!«

Rebekka sah ihn angstvoll an, als ob sie die Bestätigung dieses Ausspruches in seinen Blicken lesen wolle; aber er wandte sich ab, schritt zum Fenster und sah hinaus.

Es war eine wunderliche Scenerie, die sich hier dem Blicke zeigte, und so pittoresk wie bunt gemischt. Unten vor dem Fenster lag der kleine freundliche Garten, gegen die Umgebung von der Mauer scharf abgegrenzt und selbst unnahbar; denn daß man der Nachbarschaft nicht besonders traute, bewiesen die auf dem oberen Rand des Steinwalles eingekitteten, spitz und gefährlich hervorragenden Glassplitter, die ein Hinüberklettern ganz unmöglich machten. Unter dem Schutz derselben blühte und grünte aber auch da unten eine kleine, vollkommen für sich abgeschlossene Welt, ein Rosenflor zum Beispiel, wie er nicht weiter in der Stadt vorkam, und die Beete dabei so sorgfältig gepflegt, die schmalen Wege so rein und sauber gehalten, der kleine Springbrunnen in der Mitte, sein Wasser so rein und frisch und ruhig emporplätschernd. Und was für ein lauschiges Plätzchen hatte der alte Salomon da unten seinem Kinde gebaut! Dicht hinter dem Springbrunnen, kühl und zugleich geschützt und versteckt, lag eine kleine Laube, deren Dach ein einziger ausrankender Rosenbusch zu bilden schien; aber blühende Granat- und Orangenbäume, gemischt mit Vanille und hochstämmigen Fuchsien, bildeten die Wände, und mildes Dämmerlicht lag in dem kleinen, zauberisch schönen Raum. Hob sich aber der Blick, dann traf er gleich darüberhin auf einen so schroffen, trostlosen Gegensatz, daß er ordentlich staunend wieder zurück zu jenem kleinen Paradiese flog, um sich zu überzeugen, daß er recht gesehen und wirklich zwei Bilder so unmittelbar neben einander stehen könnten, die das eine dem Himmel, das andere der Hölle glichen.

Dort, gleich rechts über der Mauer nämlich und nur durch wenige Gärten oder offene Hofplätze davon getrennt, erhoben sich die Hintergebäude der eigentlichen Judengasse, spitz und phantastisch genug, es ist wahr, mit hohen Giebeln und rauchgeschwärzten Dächern; aber ordentlich Gespenstern glichen die schmalen, fest in einander gedrängten Häuser mit den leeren, düsteren Augen, die überall hinausstarrten. Da war kein einziges fast mit ganzem Rahmen oder Glas, keine weiße Gardine zeigte auch nur an einem Punkte, daß dort gesittete Menschen hausten – schmutzige Lappen und Tücher, alte, wüst aussehende Kleidungsstücke hingen überall heraus, der Luft, als einziger Reinigung, ausgesetzt, und an jeder Wand zeigten die Spuren niedergegossenen Wassers und Unraths den Zustand, der im Innern herrschen mußte.

Der junge Baron von Wendelsheim hatte auch früher wohl oft staunend und kopfschüttelnd zu jenen Höhlen hinübergeschaut, die ja doch ebenfalls das umschlossen, was der Mensch seine Heimath nennt und wo er sich wohl und glücklich fühlen soll, und dann immer nicht begriffen, wie Menschen gerade dort freiwillig existiren konnten. Heute schweifte sein Blick glanzlos, ohne das Paradies, ohne die Hölle dahinter auch nur zu sehen, über die Blumen, über die rauchgeschwärzten Häuser wie über eine Leere hin.

Sein Ehrenwort! – er hatte es leichtsinnig, gedankenlos gegeben – es war den Leuten gegenüber, die ihn bei dem Kauf umstanden, mehr eine Prahlerei gewesen und die Folgen der Nichterfüllung konnte er noch nicht übersehen. Aber selbst das lag ihm jetzt weniger auf dem Herzen, als die Trennung von dem Mädchen, das heute, erregt wie er war, einen nie geahnten Einfluß auf ihn ausgeübt. Und was durfte sie ihm je sein? Sie, die Tochter des alten Salomon, eine Jüdin – er, der Sohn eines der adelsstolzesten Häuser im ganzen Reiche! Und konnte ihm das eine Rücksicht auferlegen? Hatte ihn nicht gerade dieser Vater, so lange er denken konnte, rauh und abstoßend behandelt? – Er faßte die fieberheiße Stirn mit den Händen. Die Gedanken, die ihm wild und toll durch das Hirn zuckten, machten ihn fast schwindeln.

»Fehlt Ihnen etwas, Herr Baron?« sagte eine weiche Stimme an seiner Seite. »Soll ich Ihnen vielleicht ein Glas Wasser holen?«

»Ja, Kind, mit ein Paar Tropfen Rum hinein, von dem guten, den der Vater neulich auf der Auction gekauft hat.«

»Ich danke Ihnen, Rebekka,« sagte der junge Mann freundlich: »es war nur – ein heftiger Schmerz, der mir durch die Schläfe zuckte – es ist schon vorüber.«

»Aber ich hole es doch, damit es nicht wiederkehrt,« lächelte das junge Mädchen – »Sie dürfen es mir nicht abschlagen, nicht wahr? Und dann spielen Sie mir noch einige von den Mendelssohn'schen Liedern; es giebt für mich nichts Schönerem auf der Welt. Das wird Sie auch ein wenig zerstreuen,« setzte sie leiser hinzu und huschte dann aus dem Zimmer.

»Armes Kind,« sagte die Mutter, die ihr nachsah und langsam dazu mit dem Kopfe nickte – »jetzt ist sie noch so jung und heiter und kennt keine Sorgen und Schmerzen; und wie bald wird die Zeit kommen, wo sie an die Thür klopfen und dann nicht mehr weggehen, man mag thun und machen, was man will!«

»Gott möge sie ewig fern von ihr halten!« sagte Bruno viel weicher, als er sonst wohl dachte und fühlte, denn unwillkürlich traf ihn der Gedanke, daß er selber die Ursache sein könnte, welche die erste Thräne in des Mädchens Augen rief, den ersten wehen Schmerz in ihre Brust einziehen ließ.

Rebekka kehrte bald in's Zimmer zurück.

»Und nun trinken Sie,« sagte sie, ihm Glas und Flaschen hinschiebend; es wird Ihnen gut thun und der Kopf Ihnen wieder klar werden.«

»Aber nur auf so lange, Rebekka, bis ich Ihnen wieder in die Augen sehe.«

Das Mädchen wurde ernst, »Das ist nicht recht, Herr Baron,« sagte sie. »Erinnern Sie sich noch, als Sie das erste Mal bei uns waren und mir so viele Schmeicheleien sagten, wie sie wohl draußen bei Ihnen Sitte sind? Damals bat ich Sie so herzlich, das nicht mit mir zu thun, und Sie versprachen es mir und haben Ihr Wort ehrlich gehalten. Wollen Sie es jetzt brechen?«

»Nein, Rebekka – nein, wahrlich nicht,« seufzte der junge Mann recht aus tiefster Brust; »es sollte auch bei Gott keine fade Schmeichelei sein, es war ehrlich gemeint! Aber – Sie haben Recht,« brach er kurz ab, »wir wollen wieder musiciren – kommen Sie.«

»Und wollen Sie nicht erst trinken? Das Wasser ist so frisch.«

Bruno folgte der Einladung; er goß sich reichlich Rum hinzu und stürzte das Glas hinunter. Dann trat er zum Instrument und griff einzelne Accorde.

Während Rebekka zu ihm ging und die Mutter sich auf einem der nächsten Stühle niederließ, wurde nebenan leise und geräuschlos die Thür geöffnet, und der alte Salomon trat ein, wie er aber die Musik hörte, warf er erst einen Blick durch den Vorhang, der die beiden Zimmer schied, hinein, glitt dann still zu dem nächsten Kanapee und ließ sich darauf nieder. Er regte sich dabei nicht und sah nur still und unverwandt ein Bild an, das ihm gegenüber hing – das seiner verstorbenen Mutter.

Der junge Officier präludirte eine Weile, aber nicht lange: er ging bald in eine etwas schwermüthige Phantasie über, der er sich hingab und darüber seine Zuhörer fast vergaß.

»Aber so ernst?« sagte Rebekka endlich leise.

»Sie haben Recht, mein Fräulein – ich muß . . .« er horchte – die Uhr hob zum Schlagen aus – er zählte: es schlug fünf Uhr – »ich muß Ihnen etwas Heiteres spielen, denn Sie sollen nicht sagen, daß ich mit einem Trauermarsch von Ihnen geschieden bin.« – Und jetzt spielte er einen der wildesten Strauß'schen Walzer von Anfang bis zu Ende durch, »Nun,« sagte er dann, »klang der besser?«

»Der klang fast noch trauriger als das erste Stück,« sagte das junge Mädchen ernst und wandte sich dabei halb scheu zur Seite.

»Aber ich weiß nicht, was Du willst, Kind,« rief die Mutter – »'was Lustigeres kann es ja doch gar nicht geben, – zuckt es doch sogar mir alten Frau, die das Tanzen lange abgeschworen hat, in den Füßen.«

Bruno erwiderte nichts; wieder griff er einige Accorde, die sich aber fast von selber zu einer Melodie gestalteten, und ohne daß er es vielleicht wußte, klangen sie plötzlich zu Mendelssohn's: »Es ist bestimmt in Gottes Rath,« zusammen. Er spielte es durch, beide Verse, die letzten Töne so leise, daß sie kaum hörbar durch das Zimmer klangen; dann stand er langsam auf und griff nach seiner Dienstmütze, die oben auf dem Instrument lag.

Rebekka stand ihm stumm und regungslos gegenüber; ihr Gesicht war marmorbleich geworden, daß sich die rabenschwarzen, langen Wimpern der niedergeschlagenen Augen deutlich und scharf in einem dunkeln Bogen auf den Wangen abzeichneten. Jetzt schlug sie den Blick zu ihm auf; er war mit Thränen gefüllt und schwamm darin wie zwei dunkle Diamanten, und – wie zauberschön und lieblich sie war!

»Rebekka!« rief der junge Officier, seiner Sinne kaum mehr mächtig – »und Dich, Mädchen, Dich soll ich nie wiedersehen? Aber es muß sein – die Zeit verfliegt, ich kann nicht länger säumen! Leb' wohl, und wenn Du . . .«

Er vermochte nicht weiter zu reden, Thränen erstickten seine Stimme; und die Jungfrau an sich ziehend, preßte er einen heftigen Kuß auf ihre Lippen. In demselben Augenblick fühlte er sich aber auch von Rebekka's Armen in wilder Leidenschaft umschlungen.

»Bruno,« flüsterte sie, indem sie ihn fest an sich preßte, »wenn Du mich verläßt, sterbe ich.«

»Gott der Gerechte!« rief die Mutter, die ebenfalls aufgesprungen war und vor Verwunderung die Hände zusammenschlug.

»Herr Lieutenant,« sagte da die kalte, ruhige Stimme Salomon's, »es wird Zeit, daß Sie aufbrechen; es ist halb sechs Uhr vorüber, und wir haben noch unten ein kleines Geschäft mit einander abzumachen.«

»Salomon,« hauchte der junge Mann, sich verstört, wie aus einem Traum emporrichtend – »zürnen Sie mir nicht . . .«

»Ich habe gehört,« fuhr der alte Mann ruhig, aber doch mit bewegter Stimme fort, »was die Rebekka gesagt hat, und habe gehört, was Sie gesagt haben. Ich hatte anfangs geglaubt, Sie wollten über 'was Anderes mit dem Mädel sprechen. Es hätt' Ihnen nichts geholfen, Herr Baron; aber – nehmen Sie mir den Verdacht nicht übel – Sie sind ein Ehrenmann, und ich hoffe, Sie werden nicht abreisen und das gegebene Ehrenwort derweil auf mich übertragen.«

»Salomon!«

»Bitte, kommen Sie herunter, es liegt Alles bereit, und Tinte und Feder steht daneben; wir brauchen keine zwei Minuten damit zu versäumen. Sie wissen doch um sechs Uhr.«

»Und er kehrt zurück, Vater?«

»Wird er zurückkehren, wenn er sein Wort hält, und ich glaube, er thut's – meinetwegen – und vielleicht auch Deinetwegen.«

»Salomon, wie soll ich Euch danken!«

»Ein Kunststück,« lachte der alte Mann still vor sich hin, »das wär' leicht genug – aber wir vertrödeln die kostbare Zeit. Er kommt wieder, Rebekka, ich versprech' Dir's, und Du weißt, ich halte mein Wort.«

»Und ich auch, Salomon, so wahr sich ein Himmel über uns wölbt!« rief der junge Officier leidenschaftlich, indem er das schöne Mädchen noch einmal an sich preßte und einen leisen Kuß auf ihre Stirn drückte. Der alte Salomon seufzte tief auf, aber er sprach nichts mehr hinein, und den jungen Mann nur bei der Hand nehmend, führte er ihn aus der Stube hinaus, die etwas dunkle Treppe hinab in das Gewölbe.

Die Läden waren schon geschlossen; es brannte nur ein Licht auf dem Tisch. Dort blieb der Mann stehen.

»Der alte Salomon hat sich zum ersten Mal in seinem Leben verrechnet,« sagte er. »Wie ich Ihnen das Geld verweigerte und Sie mich fragten, ob Sie zu der Rebekka hinaufgehen dürften, glaubte ich, daß Sie das Mädel um das Geld drängen würden – ich hatt' es gehofft, denn leider hab' ich schon lange fühlen müssen, daß sie mehr an Ihnen hing, als ihr und mir gut war. Das aber hätt' sie curirt und es wär' aus und vorbei gewesen mit dem Baron und der Tochter des alten Juden. – Es ist anders gekommen. Die Liebe ist aufgeschlagen wie eine Flamme aus lodernder Scheune – und ob das ein himmlisches oder ein verderbliches Feuer wird – die Zeit muß es lehren.«

»Salomon – haltet Ihr mich für einen ehrlichen Mann?«

»Lieber Gott,« sagte der Jude, »wie haißt – Sie sind ein Baron und von altem Adel, und wie es einmal werden soll, der Herr da oben weiß es – doch es wird spät. Hier, Herr Baron,« fuhr er fort, indem er mit langsamen Zügen einen Wechsel ausfüllte, »Geld habe ich nicht so viel im Haus – besonders kein Gold – aber das Papier hier, mit dem Namen vom alten Salomon darunter, ist in der ganzen Stadt so gut wie Gold. So, und hier auf den Zettel schreiben Sie: »von Isaak Salomon 200 Lujedor – schreibe zweihundert Lujedor mit fünf Procent Zinsen geborgt erhalten zu haben, bescheinigt« – und Ihren Namen darunter.«

»Salomon . . .«

»Es wird gleich sechs Uhr schlagen – wozu das viele Reden – wo ich mein eigenes Kind riskire – was liegt an dem Geld!«

»Ich werde Euch das nie vergessen!«

»Wär' mir auch nicht lieb,« nickte der Alte, indem er den rasch geschriebenen Schein gegen das Licht hielt und dann wegschloß. »Und jetzt leben Sie wohl! Warten Sie, ich lasse Sie gleich durch den Hof auf die Straße, vorn ist zu.«

»Mein lieber, braver Salomon!«

»Auf Wiedersehen, Herr Baron, auf Wiedersehen!«

Und der alte Mann drängte ihn selber hinaus auf die Straße; dann ging er zurück in den Laden, schloß den Geldschrank und schob den Schlüssel in die Tasche, löschte das Licht aus, kniete neben dem Stuhl, an dem er stand, nieder und betete da im Dunkeln, allein mit seinem Gort, heiß und brünstig.



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