Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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17.

Neben der Werkstätte.

Neben der Werkstätte des Schlossers Baumann befand sich das kleine, aber ganz behaglich eingerichtete Wohnzimmer der Familie, und zwar nicht etwa behaglich durch elegante Möbel oder sonstigen Zierath, sondern weit mehr durch die wirklich auffallende Sauberkeit, die dort herrschte, so daß Baumann selber oft lachte, wenn er mit seinem rußgeschwärzten Gesicht und eben solchen bloßen Armen zum Frühstück oder sonst einmal hereinkam und dann meinte, er passe da eigentlich gar nicht hin und müsse immer vorher an der Thür »abgetreten« werden. Er paßte aber und gehörte trotzdem da ganz besonders hinein, denn seinem unermüdlichen Fleiß sowohl als seiner Geschicklichkeit verdankte die Familie gerade diese Behaglichkeit, die nur die Frau noch durch ihr ewig thätiges Schaffen und Sorgen zu erhöhen und zu erhalten wußte.

Baumann hätte sich auch in der That keine bessere Frau wünschen und sie auf der weiten Welt finden können; eine sorgsamere für ihn und seine Bequemlichkeit gewiß nicht, denn was sie ihm an den Augen absehen konnte, das that sie. Dabei war in den langen Jahren ihrer Verheirathung auch noch nicht ein einziger Zank zwischen ihnen vorgekommen, und nur manchmal neckte sie der alte Schlosser mit dem »Stückchen Hochmuthsteufel«, der in ihr stecke, und meinte dann wohl, es sei jammerschade, daß sie keine Gräfin geworden wäre und in Sammet und Seide und mit langen Schleppkleidern hätte umhergehen können, das würde ihr außerordentlich gut gestanden haben. Aber das war immer nur im Scherz und wurde so gesagt und aufgenommen.

Heute saß sie allein in der Stube an ihrem Nähtisch und arbeitete ein Kleid für ihr kleines Töchterchen, das seit acht Tagen zum ersten Mal in die Schule geschickt war und nun doch Manches brauchte, um anständig zwischen den übrigen Kindern zu erscheinen. Wenn es auch blos Kattunröckchen tragen durfte, denn der Vater litt das nicht anders, konnten die doch wenigstens sauber und nett gemacht sein, und darin, wie überhaupt in allen Dingen, besaß sie eine besonders geschickte Hand.

Draußen wetterte es gerade, was vom Himmel herunter wollte; der Blitz zischte, der Donner rollte und die ersten schweren Tropfen fingen an zu fallen. Die Leute auf der Straße liefen, was sie laufen konnten, um irgend ein schützendes Obdach zu erreichen, und ein Paar vorüberfahrende Droschkenkutscher hieben mit ganz ungewohnter Energie auf ihre Pferde ein.

Die Frau Baumann warf einen besorgten Blick auf die Straße und nach dem Himmel hinauf – aber ihre Else saß jetzt schon lange sicher in der Schule, und bis die aus war, hatte sich das Wetter auch gewiß wieder verzogen. Nur die Schmiede ängstigte sie etwas; dort lag so viel Eisen, und sie fürchtete immer, daß der Blitz einmal da einschlagen könnte, hatte auch ihren Mann oft und oft gebeten, nur doch wenigstens so lange mit Arbeiten aufzuhören, als ein Gewitter dauere. Der aber lachte dazu und meinte, der Blitz, wenn er einmal einschlagen wolle, könne ihn überall treffen, jedenfalls eben so leicht in der Stube, wie in der Werkstätte, und der liebe Gott sei aller Orten. Die Arbeit dürfte aber nicht rasten, und nur wenn einmal ein Gewitter an einem Sonntag käme, verspräche er ihr, nicht dabei am Ambos zu stehen, was er überhaupt nicht am Sonntag that. Es war mit dem Manne eben nichts anzufangen.

Baumann hämmerte denn auch, mit seinem zweiten Sohn, einem anderen Gesellen und dem Lehrjungen an seiner Seite, wacker drauf los, daß die Funken nach allen Seiten hinausstoben, und warf nur einen schmunzelnden Blick nach der Thür, als der Regen plötzlich mit voller Wucht einsetzte und niederschlug. Wie die Menschen draußen sprangen, um unter Dach zu kommen – aber er stand ganz trocken, und lustig schlug er wieder auf das rothglühende Eisen ein.

Da fuhr plötzlich ein Schirm in die weitgeöffnete Thür, und als er den Kopf dorthin wandte, tauchte sein ältester Sohn Fritz darunter auf und rief ihm lachend einen Guten Morgen zu.

»Na nu?« sagte der Alte, indem er den Hammer ruhen ließ und ihn erstaunt betrachtete. »Wo kommst Du bei dem Wetter her, und noch dazu in Sonntagskleidern? Du – trägst wohl wieder ausgebesserte Arbeiten aus, mein Junge, he?«

»Nein, Vater,« rief Fritz, aber doch ein wenig verlegen, denn er wußte recht gut, auf was der alte Mann anspielte, »wegzutragen habe ich heute nichts; aber ich wollte nur einmal zu Dir und Mutter kommen, um etwas mit Euch zu reden.«

»In Sonntagskleidern?«

»Ich habe überhaupt noch einen Besuch zu machen – Professor Anders, der Astronom, hat mich gebeten, wegen einer größeren Arbeit zu ihm zu kommen, und da – mochte ich doch nicht in meinen Arbeitskleidern gehen. Uebrigens erwischte mich das Wetter, und ich bin nur eben noch glücklich vor Thorschluß hier eingefahren. Ist die Mutter zu Hause?«

»Ja, sie sitzt drinnen – geh nur hinein; wenn ich hier mit dem Schlüssel fertig bin, komme ich gleich nach, denn in dem Aufzug kannst Du mir doch nichts helfen – Donnerwetter, Glacéhandschuh' – na, und das Alles, um einem Professor einen Besuch zu machen. Ich gehe bei solchen Wegen allerdings auch in Leder, aber mit meinem Schurzfell. Junge, Junge, Du wirst mir verdammt fein und geschniegelt, und ich habe es bis jetzt gar nicht geglaubt, daß zwischen einem Schlosser und einem Mechanikus solch ein Unterschied wäre. Du, Karl, mach' einmal Deinem Herrn Bruder die Thür auf, daß er sich die Glacéhandschuh nicht an der vielleicht rußigen Klinke schmutzig reibt.«

»Danke, Vater, danke,« lachte Fritz, indem er der Thür zusprang, »so gefährlich ist's denn doch noch nicht, das kann ich allein besorgen.«

Der Vater sah ihm, das Eisen in der Hand und den Hammer noch auf dem Ambos ruhend, in einer etwas gebückten Stellung nach, so lange er ihm mit den Augen folgen konnte, und ein leises, aber nicht unfreundliches Lächeln flog über seine ehrlichen Züge. Dann schüttelte er still vor sich hin den Kopf, und wieder hob sich der schwere Hammer, als ob es eine Feder gewesen wäre, und kam wuchtig auf das sprühende Eisen nieder.

Fritz, der seinen Schirm in der Werkstätte abgestellt hatte, denn auf dem Boden dort mochte er triefen, wie er wollte, trat zur Mutter in's Zimmer und setzte sich zu ihr, und die Beiden sprachen lange und angelegentlich mit einander – ja, eine so wichtige Sache mußten sie wohl verhandeln, daß die Mutter sogar ihre Arbeit ruhen ließ und die Hände im Schooß faltete, bis der Vater zu ihnen hereinkam.

»Na,« sagte er, als er sie da so sitzen sah, »eine Hand kann ich Dir heute nicht geben, mein Junge; Du bist mir zu fein, und zum Waschen hab' ich keine Zeit, denn ich muß gleich wieder hinaus. Also was hast Du zu sagen, und was ist denn überhaupt mich Euch Beiden? Ihr seht mir ja alle Zwei so feierlich aus! Hör' einmal, Junge, ich glaube, Du willst doch wieder eine fertige Arbeit austragen, he?«

»Eine Arbeit gerade nicht, Vater,« lächelte Fritz, doch etwas verlegen; »aber weit vom Ziel hast Du allerdings nicht vorbeigeschossen.«

»Auf den Knopf getroffen,« lachte der Alte, »he? Dem Jungen steckt ein Frauenzimmer im Kopfe!«

»Er will heirathen, Gottfried,« nickte die Mutter, während ein freundliches Lächeln über ihre Züge flog.

»Ob ich's mir nicht gedacht habe!«

»Und so ein sauberes Mädchen hat er sich ausgesucht!«

»Na, er wird keine Schmiergans nehmen,« lachte der Alte. »Und wie heißt sie? Alles natürlich schon fix und fertig gemacht, und jetzt nur noch eine nachträgliche Anmeldung bei den Eltern, die weiter nichts nöthig haben, als den üblichen Segen dazu zu geben. Ist mir auch recht; habe doch schon genug zu thun und könnte mich mit derlei nicht mehr auf meine alten Tage befassen.«

»Nein, Vater,« sagte Fritz, »fertig gemacht ist noch gar nichts, ich bin im Gegentheil eben im Begriff, den allerersten Schritt dazu zu thun.«

»So–o?« sagte der Vater, etwas erstaunt; »das ist ja merkwürdig. Na, hat die Sache etwa einen Haken?«

»Nein, Gottfried,« sagte die Frau, »ganz und gar nicht; es ist Alles glatt und recht und wie sich's gehört, und der Fritz ist ein braver Junge, der uns nur bei einer so wichtigen Sache vorher um Rath fragen wollte.«

»Bah, Alte, laß Dir nichts weis machen,« lachte der Schlossermeister – »um Rath fragen. Sieht der aus, als ob er erst noch um Rath fragen wollte, und steckt schon bis über die Ohren in seinen Sonntagskleidern drin? Nur hören will er, daß wir sagen: Ei, mein lieber Sohn, das hast Du brav gemacht – geh doch geschwind hin und hol' Deinen Schatz! Und dann läuft er von selber.«

»Aber, Gottfried . . .«

»Na, mach' keine langen Geschichten. Also wie heißt sie und wer ist's? daß ich wieder hinaus an meine Arbeit komme.«

»Ich bin vielleicht in meinen Ansprüchen etwas keck gewesen, Vater,« sagte Fritz, aber jetzt schon lange nicht mehr so zuversichtlich, als vorher; »aber ich – ich glaube glücklich zu werden.«

»Hm, das glauben wir gewöhnlich Alle,« lächelte der Schlossermeister gutmüthig; »na, aber nun schlag' einmal los, das Eisen wird sonst kalt – wer ist's denn?«

»Ottilie Witte, Vater.«

»Die Tochter des Staatsanwalts?«

»Ja, Vater.«

Der alte Mann war stehen geblieben und sah ihn ernst und forschend an. Aber er erwiderte lange kein Wort, gab auch kein Zeichen des Beifalls oder Mißfallens; endlich fragte er langsam: »Und will sie Dich haben?«

»Ich weiß es nicht, Vater, aber ich glaube es,« sagte Fritz herzlich; »sie war immer so gut und lieb mit mir, und wir haben ja schon als Kinder Braut und Bräutigam mitsammen gespielt.«

»Ich will Dir 'was sagen, mein Junge,« nickte der Alte, »die Sache gefällt mir nicht.«

»Gefällt Dir nicht, Gottfried?« rief die Frau. »Und hätte er sich ein netteres, hübscheres Mädchen in der ganzen Stadt aussuchen können?«

»Nein – sie ist mir zu nett,« erwiderte der Schlossermeister. »Wärst Du zu mir gekommen und hättest gesagt: Vater, ich habe mir die Tochter vom Schneidermeister So und So oder vom Schuster So und So zur Frau ausersehen und will sie heirathen, so würde ich geantwortet haben: Bravo, mein Sohn, thu das, und Gott gebe seinen Segen dazu – meinen hast Du. Aber die vornehme Tochter des Staatsanwalts, die große Gesellschaften mit lauter Adeligen geben – das thut kein gut.«

»Aber, Vater, Ottilie ist so einfach erzogen – so wirthschaftlich!«

»Und bist Du wirklich überzeugt, daß sie Dich gern hat – nein, nicht so,« fuhr er rasch fort, als Fritz darauf erwidern wollte – »und was wir so gewöhnlich darunter verstehen – ich meine, ob Du überzeugt bist, daß sie Dich so gern hat, um Dich wirklich zu heirathen und dem Handwerker vor allen übrigen, vornehmen Bewerbern die Hand zu reichen?«

»Wenn ich es nicht fest glaubte, würde ich sie nicht darum fragen, Vater!«

»Ja,« nickte dieser, »denn ein richtiger Korb muß eine verflucht unangenehme Geschichte sein – möchte mir gerade keinen holen. Aber mir ist die Sache doch nicht recht – werde freilich nicht viel darum gefragt werden. Aber Du paßt in die Familie nicht hinein, und wir gar nicht, und ich glaube selbst nicht einmal, daß sich die Eltern – die Mutter wenigstens – besonders erfreut darüber zeigen würden.«

»Aber, Gottfried, ich weiß gar nicht, was Du immer für Bedenken hast!«

»Keine andern als solche, für die ich auch einen Grund hätte. Wenn sie wirklich an so etwas dächten, weshalb haben sie denn da den Fritz neulich nicht zu ihrem Ball geladen, wie? Wenn er ihnen gut genug zum Schwiegersohn wäre, müßte er es doch ganz gewiß erst recht als Gast sein. Es hat aber Niemand von ihnen daran gedacht, während es von adeligen Lieutenants nur so geschwärmt haben soll.«

»Aber was Du auch nicht Alles heraussuchst!«

»Ich suche gar nichts heraus, Alte, als was einmal drin liegt, und so viel ist sicher« – er mußte einen Augenblick mit Reden aufhören, denn so furchtbar dröhnte der Donner, daß die Worte lautlos verhallten – »so viel ist sicher,« fuhr er dann fort, ohne sich weiter irre machen zu lassen, »daß die Familie, meiner Meinung nach, mit ihrer Tochter weiter oder höher hinaus will, als sie einem Handwerker zu geben!«

»Aber ein Mechanikus ist doch kein Handwerker, Gottfried!«

»Nenne es, wie Du willst, es bleibt immer dasselbe,« beharrte störrisch der Alte. »Und haben wir nicht neulich schon einmal davon gesprochen, wo ich dazu kam, wie ihr einer von den Lieutenants – ich glaube, es war der Wendelsheim – so zärtlich die Hand küßte? Und wie freute sie sich darüber! Das gäb' nicht einmal eine Frau für Dich, wenn sie Dich selber wollte.«

»Aber, Vater, Ottilie ist gewiß nicht koquett.«

»Gerade ist sie's, und recht sehr,« sagte der Alte; »Du siehst es nur nicht, weil die Liebe, wie gewöhnlich, blind ist. Richtig koquett ist sie, und ihre Mutter hat sie dazu angelernt. Allen Respect vor dem Vater. Der alte Witte gilt in der ganzen Stadt für einen schlichten und dazu braven und rechtlichen Mann; aber der Frau steckt der Hochmuthsteufel noch viel ärger im Kopfe als Dir, Alte, – die möchte mit der Nase die Decke abreiben, und über Unsereinen guckt sie nur immer so hoch hinweg, als ob man seinen Kopf auf einer Stange trüge. Geh mir mit der; ich hab' früher ein paar Mal mit ihr zu thun gehabt und sie auch einmal bei einer Gelegenheit recht tüchtig ablaufen lassen. Nachher ist sie etwas artiger oder herablassender geworden.«

»Aber der Fritz ist auch von guter Familie,« sagte die Frau, »und dazu ein stattlicher Bursche.«

»Nicht was derartige Leute eine »gute Familie« nennen, Mutter,« sagte der Schlossermeister; »das Wort ›gut‹ heißt bei denen nur immer sehr vornehm oder sehr reich, und wo möglich beides zusammen – das sind die besten – ein ehrlicher Handwerker wird nicht mit dazu gezählt.«

»Aber wenn sich die Herzen nun zusammenfinden, Vater?« sagte Fritz.

»Das sind Bücherideen,« rief der Alte; »denn wenn die Familien nachher nicht zusammenpassen, so giebt's Streit und Unfrieden, Haß und Eifersucht. Ich wollte, Du hättest Dir eine Schneiderstochter ausgesucht, Fritz, und noch viel tausendmal lieber eine von unserem Gewerke; nachher solltest Du einmal sehen, wie lustig und vergnügt ich noch auf Deiner Hochzeit tanzen würde; so aber ist's nichts, und wenn uns die Madame Witte wirklich einlüde, so müßten wir's uns noch zur Ehre schätzen und uns fein anständig und ehrbar betragen.«

Fritz Baumann's Mutter hatte still und schweigend vor sich nieder gesehen, aber kein Wort mehr gesagt, und Fritz wunderte sich eigentlich, daß sie nicht seine Partei stärker nahm; aber der Alte hatte auch Recht, denn sein Entschuß stand zu fest, um sich noch von seiner Liebe abwenden zu lassen. Ottilie war schon seit langen Jahren sein Ideal aller Weiblichkeit gewesen, und nur um sie zu gewinnen, hatte er sich mit beispiellosem Fleiße abgemüht, sein Ziel so bald zu erreichen. Jetzt stand er unabhängig da, nicht mit der Hoffnung, nein, mit der Gewißheit, sich sein Brod gut und reichlich verdienen zu können und eine Frau und Familie dabei zu ernähren. Er wollte keine Mitgift, er verlangte keine; was sie brauchten, konnte er selber beschaffen, und die Mutter hatte ihm schon versprochen, in der ersten Zeit, wenn sich die Ausgaben vielleicht unerwartet zu sehr häufen sollten, beizuspringen. Was brauchte er mehr? Er trat ja nicht als Bittender in Witte's Haus – wie er bat, wollte er auch bringen, der Tochter einen treuen Gatten, den Eltern einen wackern Sohn.

»Vater,« sagte er deshalb, »Du siehst die Sache zu schwarz. Ich gebe zu, daß es Ottiliens Mutter vielleicht lieber sähe, wenn ihre Tochter eine vornehmere Partie machte; es ist das ja natürlich. Aber sie wird auch nicht der Liebe derselben entgegentreten wollen, und ist mir Ottilie wirklich gut . . .«

»Was Du noch nicht einmal zu wissen scheinst.«

»Was ich aber von Herzen hoffe, – dann, glaub' ich, wird sie sich auch nicht sträuben, ihre Einwilligung zu geben. In unserer Stadt besteht noch die alte Achtung vor dem Bürgerstande, und dem gehören wir so gut an, wie der Staatsanwalt Witte. Er ist ebenso wenig adelig oder Baron, als wir, und wenn seine Frau wirklich daran dächte, ihr Kind Einem aus jenem Stande zu geben, so wäre der Sprung weit größer, als von uns zu ihr.«

»Ja,« sagte der Vater, »das klingt ganz vernünftig, ist aber nur einfach nicht wahr, weil Sitten und Gewohnheiten die ganze Geschichte gewöhnlich herumdrehen. Aber was kann's helfen – Du, als mein ächter Sohn, hast natürlich gerade einen solchen Dickschädel wie ich, und der muß erst ein paar Mal irgendwo gegenrennen, ehe er gescheidt wird – also lauf! Mit Vernunftgründen ist bei Dir doch nichts auszurichten, Du mußt durch Schaden klug werden.«

»Vater . . .«

»Es ist nicht anders – aber das Wetter warte erst ab, sonst kommst Du wie eine gebadete Maus als Brautwerber, und naß sieht ein Fisch recht hübsch aus, aber kein Mensch – der Guß kann ja doch nicht ewig dauern. Jesus, wie das noch regnet; wie dicke Seile kommt's von oben herunter, und auf der Straße könnte man beinahe mit einem Boote fahren – Herein!«

Der Ausruf galt einem starken und ganz entschiedenen Klopfen an der Thür, die sich auch gleich darauf öffnete und das uns wohlbekannte Gesicht der Madame Müller zeigte.

»Guten Tag Alle mitsammen!« sagte sie, ihren Regenschirm vorsichtiger Weise draußen lassend. »Jemine, meine Güte, ist das ein Wetter, und bei dem wird man herausgejagt, wo man so ruhig zwischen seinen vier Pfählen sitzen könnte! Ich werde mir wohl den Tod an einem Schnupfen holen, denn aus den Schuhen hebt mich das Wasser heraus – bis an die Knöchel geht's Einem ja da draußen!«

»Madame Müller,« lachte Baumann, »so wahr ich lebe – na, Sie haben sich eine schöne Witterung zum Spazierengehen ausgesucht – aber kommen Sie doch nur herein! Sie wollen doch nicht in der Thür stehen bleiben?«

»Nein,« sagte Madame Müller mit einem Blick auf das reinliche Zimmer; »aber ich triefe nur so, und mein verwünschter blauer Kittel färbt ab – ich werde Ihnen einen blauen Streifen in's Zimmer bringen. So einen Regen hab' ich noch gar nicht erlebt; das ist ja ein wahrer Wolkenbruch!«

»Aber Sie sind doch nicht von Vollmers herein zu Fuß gegangen?« rief Frau Baumann, indem sie ihr behülflich war, das Tuch abzunehmen und aufzuhängen.

»Na, weiter fehlte mir nichts,« sagte die Dame; »aber ich hatte vorher noch einen Besuch zu machen, und jetzt bin ich hierher gekommen, Herr Baumann, um Sie in einer Sache um Rath zu fragen.«

»Mich?« lachte der Schlossermeister. »Da wären Sie wohl an der falschen Thür; ich bin doch kein Advocat!«

»Ja, eben einen guten, anständigen Advocaten will ich bei Ihnen erfragen,« sagte die Frau; »es giebt derlei Volk genug in der Stadt, alle drei Thüren weit klebt ein Schild, aber wer sich da nicht auskennt, ist auch gleich verrathen und verkauft.«

»Hm,« sagte Baumann, »und was haben Sie mit einem Advocaten zu thun? Wer die nicht sehr nothwendig hat, soll die Finger um Gottes willen davon lassen; mit denen ist nicht gut Kirschen essen.«

»Das weiß ich,« nickte Madame Müller entschieden mit dem Kopf, indem sie sich auf den ihr hingeschobenen Stuhl niederließ. »Ah, da ist ja auch der Fritz – alle Wetter, ist der groß und ein hübscher Junge geworden, Baumann! Der ist ja einen halben Kopf größer als Sie, und Sie gehören auch nicht zu den Kleinsten.«

»Ja, und jetzt Meister und selbstständig geworden,« nickte der Vater mit einem beifälligen Lächeln auf den Sohn; »er hat 'was gelernt, der Junge, das muß man ihm lassen, und wird sich schon durchhelfen in der Welt.«

»Dafür kann man Gott nicht genug danken,« nickte die Frau, »wenn man Freude an seinen Kindern erlebt, – aber was ich gleich sagen wollte, Meister, wissen Sie hier in der Nähe einen ordentlichen Advocaten, der weiß, was Rechtens ist?«

»Das sollten sie eigentlich alle wissen,« lächelte der Meister, »aber es kommt darauf an, zu was Sie ihn haben wollen. Brauchen Sie einen recht verschmitzten und durchtriebenen, so . . .«

»Nein, den brauch' ich nicht,« rief Madame Müller; »ich will einen ehrlichen haben, der geradeweg ist, denn ich habe auch eine ehrliche Sache!«

»Ja, liebe Madame Müller,« sagte Baumann, sich den Kopf kratzend, »mit den Advocaten hier in der Stadt bin ich, Gott sei Dank, nicht besonders bekannt; aber wenn Sie in der Sache einen guten Rath hören wollen, dann gehen Sie zum Staatsanwalt Witte. Ob er sich selber damit einläßt, weiß ich nicht, aber was der Ihnen sagt, können Sie getrost thun, denn das ist ein ehrlicher Mann.«

»Gut, danke schön, weiter verlang' ich nichts; das Uebrige besorg' ich mir dann schon selber, denn auf den Kopf gefallen bin ich auch nicht, und in meinem eigenen Hause brauch' ich mich nicht beschimpfen und beleidigen zu lassen.«

»Nein, das allerdings nicht,« sagte Meister Baumann; »und hat das wirklich Jemand gethan?«

»Ih, denken Sie nur,« rief die Frau, »kommen da neulich – ich habe zehn Tage von dem Aerger krank im Bette gelegen – so ein paar ganz anständig gekleidete Herren – der eine war ein Rath und der andere ein Major – zu mir in's Haus hinein und reden so zuckersüß und gehen immer wie die Katze um den heißen Brei herum, thun auch, als ob sie gar nicht zu mir, sondern nur zu meinem Schwiegersohne gewollt hätten, der gerade wieder mit meiner Tochter fortgefahren war. Wie ich aber nicht anbiß, denn wer denkt denn in seiner Gutmüthigkeit an so 'was, fingen sie an vom Baron Wendelsheim und seinem ältesten Sohne zu reden.«

»Vom Baron Wendelsheim?« rief Frau Baumann.

»Ja wohl,« nickte Madame Müller; »und auf einmal sagte der eine von ihnen, der Rath – und ein Mundwerk hatte er, daß Einem angst und bange wurde – sagte mir der Rath – man sollte es gar nicht für möglich halten – das Bild von meiner Tochter, das über meinem Sopha hängt und das der Maler Schröter hier gemalt hat, wie sie neunzehn Jahre alt war, wäre gar nicht meine Tochter, sondern das Kind vom Baron, und ich hätte das Kind vertauscht, und die Heßberger hätte es ihnen erzählt.«

»Aber das ist doch ganz unmöglich!« rief Frau Baumann, von ihrem Stuhl emporfahrend.

»Na, ich hab' ihnen aber heimgeleuchtet,« lachte Madame Müller ingrimmig vor sich hin, »die kommen so bald nicht wieder! Was ich ihnen eigentlich gesagt habe, weiß ich gar nicht mehr, aber Excellenz habe ich sie nicht genannt, darauf können Sie sich verlassen. Ich wollte auch gleich nachher auf's Gericht und das Lumpengesindel auf frischer That verklagen; aber der Aerger war mir so in die Glieder geschlagen, daß ich mich wahrhaftig zu Bett legen mußte, und da kriegte ich meinen alten Rheumatismus in das linke Knie, daß ich mich die ganze Zeit nicht rühren konnte. Aber jetzt geht's wieder, und mein erster Gang war heute Morgen zur Heßbergern, Ihrer Schwester, Baumannen, um der einmal ordentlich die Leviten zu lesen, daß sie von einer ehrlichen Frau solche Schandgeschichten erzählt. Die leugnet aber Stein und Bein; kein Wort will sie, weder mit dem Rath noch mit dem Major, gesprochen haben. Aber ich trau' ihr nicht, Baumannen, wenn's auch Ihre Schwester ist; sie hat immer ihre Hinterkniffe gehabt, so lange ich sie kenne, und da wollen wir denn kurzen Proceß machen. Ich muß der Sache auf den Grund gehen, und wenn die Heßberger Recht hat, dann sollen mir die beiden Patrone, der Rath und der Major, vor's Messer.«

»Aber, liebe Madame Müller,« sagte Baumann kopfschüttelnd, während seine Frau aufstand und in die Küche ging, »wegen eines solchen Klatsches wollen Sie vor Gericht? Wenn Sie meinem Rathe folgen, so lassen Sie die Hände davon, denn dabei kommt nichts heraus, als höchstens Lauferei und Geldkosten. Kennen Sie denn den Rath Frühbach?«

»Ich? In meinem ganzen Leben hab' ich den Menschen nicht gesehen.«

»Nun ja, der ist aber in der ganzen Stadt dafür bekannt, daß er die Leute auf der Straße anfällt und todtschwatzt.«

»Aber dann soll er mir nicht in's Haus kommen, und Ihnen kann es auch nicht recht sein, Baumann, daß er von Ihrer Schwägerin solche Sachen erzählt.«

»Liebe Madame Müller,« sagte Baumann und sah sich vorher im Zimmer um, ob seine Frau nicht da wäre, »von meiner Schwägerin wollen wir nicht weiter reden; die schwatzt auch mehr, als sie verantworten kann, wenn ich auch nicht gerade glaube, daß sie das gesagt hat, und noch weniger zum Rath Frühbach. Die Heßberger hat ein böses Mundwerk, und je weniger ich von ihr zu sehen bekomme, desto lieber ist es mir – wenn ich's auch meine Alte nicht gern merken lasse, da es ihr weh thut.«

»Nun ja, es sind Schwestern,« sagte Madame Müller; »so ungleich habe ich aber noch gar keine Schwestern gesehen – im ganzen Leben nicht. Ihre Frau ist eine brave, ordentliche Hausfrau, und die Heßberger – na, ich will mir das Maul nicht verbrennen. Hat sie mich aber wirklich auf eine solche gemeine Weise hinter meinem Rücken schlecht gemacht, dann soll sie auch dafür bezahlen, und hat sie's nicht, gut, dann kriegen wir den Rath, denn Einer von Beiden hat gelogen, und bei der Müllern sind sie nun unglücklicher Weise gerade an die Unrechte gerathen. A propos, wo wohnt der Herr Witte?«

Der alte Baumann sah Fritz an, der wie auf Kohlen saß und nur das Aufhören des Regens erwartete. Was interessirte ihn der Alteweiberklatsch! Der wollte jetzt hinüber, und wenn ihm die Frau Müller in die Quere kam, war nichts zu machen – die mußte er deshalb noch eine Weile zurückhalten.

»Oh, gar nicht weit von hier,« sagte er nach einer kleinen Pause; »aber jetzt können Sie ihn nicht sprechen, Madame Müller. Der Mann hat so viel zu thun, daß er nur in bestimmten Stunden Fremde annimmt. Weißt Du, in welcher Zeit das ist, Fritz?«

»Ich weiß es nicht, Vater,« sagte Fritz, dem selber nichts daran lag, daß ihm die Frau jetzt zuvorkam. »Vor halb Eins ist er, glaub' ich, nicht zu sprechen.«

»Gut, dann geh' ich um halb Eins hin,« nickte die Frau, die sich nun einmal von ihrem Vorsatz nicht abbringen ließ.

»Dann bleiben Sie aber so lange bei uns, Madame Müller,« sagte Baumann, »und essen mit uns, was da ist – viel wird's so nicht geben, und ich glaube, meine Frau ist auch deshalb schon hinaus in die Küche gegangen.«

»Schön, Herr Baumann, von Ihnen nehm' ich das an, denn ich weiß, Sie meinen's genau so, wie Sie's sagen.«

»Ich glaube nicht, daß mich schon Jemand anders gefunden hat.«

»Nein, gewiß nicht – also es bleibt dabei, und indessen trocknet mir auch die Fahne ein bischen ab, daß ich nicht gar so schlumpig aussehe, wenn man zu fremden Leuten kommt.«

»Na, Fritz, dann könntest Du wohl indessen Deinen Weg abmachen,« wandte sich der Alte jetzt an diesen, »und vielleicht bist Du zum Essen wieder hier – Du müßtest denn gleich eingeladen werden,« setzte er mit einem eigenthümlichen Lächeln hinzu.

»Wo will denn der Fritz hin, er ist ja in seinem Sonntagsstaat?«

»Oh, nur zu einem Professor wegen Instrumenten,« meinte der Vater; »der Regen hat ja auch jetzt aufgehört und da oben guckt schon wieder der blaue Himmel durch. Das war aber ein Wetter!«

Ein eigenes, schelmisches Lächeln flog über die Züge des jungen Mannes, als er eben an seinen Professor dachte. Aber der Vater hatte Recht, denn wenn er gehen wollte, war es besser, er ging gleich, und ließ sich nicht von der alten Frau Müller zuvorkommen, da er doch den alten Staatsanwalt selber gern einmal vorher gesprochen hätte. Wo war nur die Mutter hingerathen? Er suchte sie draußen in der Küche, konnte sie aber auch dort nicht finden; er hätte gern Abschied von ihr genommen, da er einen so wichtigen Schritt seines Lebens thun wollte – aber er sah sie ja auch gleich nachher.

»Also, Vater, ich gehe jetzt,« sagte er, auf diesen zugehend und ihm die Hand reichend – der alte Baumann wischte aber die seinige erst an einem dort liegenden Tuche ab – »und wenn ich etwas Genaueres erfahre, komme ich her und theile es Euch mit.«

»Schön, mein Junge,« schmunzelte der Alte, »und – grüß' mir Deinen Professor,« setzte er hinzu, »und sag' ihm – wenn Ihr Euch über die Arbeit einigt, natürlich –, er möchte doch auch einmal zu mir herüber in die Werkstätte kommen – verstanden?«

»Gewiß, Vater,« sagte Fritz, während ihm das Blut in die Schläfe stieg, »und hoffentlich einigen wir uns ja. Grüß' die Mutter noch einmal – Adieu – Adieu, Madame Müller!« Und rasch wandte er sich und schritt zur Thür hinaus.



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