Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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3.

Ein unbequemer Besuch.

Der alte Freiherr von Wendelsheim ging eben in seinem »Studirzimmer«, das er aber kaum je zu dem Zwecke benutze, auf und ab und rauchte dazu aus einer langen Pfeife mit Meerschaumkopf.

Es war eine hohe Gestalt, nur mit etwas schwammigem Oberkörper und eben nicht besonders ansprechender Physiognomie, obgleich er einmal ein schöner Mann gewesen sein mußte; aber das Alter rückte früh an ihn heran. Die schon etwas in's Graue spielenden Haare wurden um die fast zu flache Stirn schon dünn und spärlich, und die kleinen dunkeln Augen kniff er, nach einer häßlichen Gewohnheit, nur noch mehr zusammen. Er sah auch nie den, mit dem er gerade sprach, fest an, sondern fuhr mit den Blicken unstät über dessen ganzen Körper oder bald da, bald dort in die Stubenecken hinein, als ob er etwas suche. Uebrigens galt er für einen ächten Cavalier von sogenanntem »alten Schrot und Korn« und war jedenfalls ein ausgeschulter Hofmann, wenn er auch selbst dort manchmal mit einer gewissen Derbheit kokettirte.

Allerdings sollte er früher viele gute gesellige Eigenschaften und besonders einen trocknen, wenn auch etwas bittern Humor besessen haben; jetzt war der freilich verschwunden oder doch wenigstens bei Seite gestellt, denn er verließ das Schloß selten oder nie, so lange er seinen Wohnsitz dort hatte, und in dem Schlosse, mit der bissigen Schwester zur täglichen Gesellschafterin, mußte der Humor wohl weichen, und wenn es der vorzüglichste gewesen wäre. Man konnte aber auch nicht sagen, daß er gerade mürrisch oder verdrießlich sei; er ließ die Welt eben an sich kommen und schien nur dem fast unmittelbar bevorstehenden Zeitpunkt entgegen zu harren, wo die Erbschaft ausbezahlt und damit auch zugleich die Schuldenlast getilgt wurde, die ihn jetzt zu Zeiten drückte.

Heute zogen sich aber, ganz ungleich anderen Tagen, finstere Wolken über seine Stirn, denn rechts in einem der Fauteuils lehnte sich, mit der Reitpeitsche die Stiefelschäfte klopfend, sein erstgeborener Sohn Bruno; und sonderbarer Weise zeigte er sich gerade gegen den, von dem der ganze neue Wohlstand seines Hauses ausgehen sollte, auf dem er allein basirte, fast immer mürrisch und verschlossen, und Bruno konnte sich kaum erinnern, je ein freundliches Wort von ihm gehört zu haben. Auch heute war er in nicht besserer Laune, und den Sohn, der eben erst eingetreten sein konnte, denn er hatte noch die Mütze in der Hand, mit dem Blick nur streifend, sagte er:

»Und was wolltest Du eigentlich heute? Du sagtest doch neulich, Du hättest jetzt strengen Dienst und könntest nicht abkommen.«

»Freundlich ist die Frage gerade nicht,« lächelte der Lieutenant, aber doch etwas verlegen, denn er war sich bewußt, daß die Ursache seines Besuches den Vater allerdings nicht besonders ergötzen würde; »aber – ich will Dich auch nicht lange auf die Folter spannen, Vater, und Dir rund heraussagen, was mich hergeführt.«

»Geld,« sagte der Alte trocken.

»Geld allerdings.«

»Das konnte ich mir denken; aber wofür schon wieder?«

»Ich muß den Fuchs bezahlen.«

»Und was kostet der?«

»Zweihundert Louisd'or.«

»Bist Du wahnsinnig?« rief der Vater, indem er vor ihm stehen blieb und dabei eine alte, verräucherte Silhouette fixirte, die gerade über ihm hing. »Und wer heißt Dich jetzt ein so theures Pferd kaufen? Konntest Du nicht warten?«

»Nein; denn wenn ich nicht rasch zugriff, hätte ihn Graf Bentheim gekauft; er hatte schon darauf geboten. Es ist ein prachtvolles Pferd.«

»Dann sieh auch zu, wie Du ihn bezahlst,« knurrte der Vater und setzte seinen Spaziergang fort. »Der Verkäufer mag bis zum Termine warten; ich habe kein Geld.«

»Das geht nicht, Vater,« sagte Bruno ernsthaft; »ich muß das Geld bis spätestens morgen Abend sechs Uhr schaffen; denn ich habe mein Ehrenwort gegeben und in der Stadt schon umsonst Himmel und Hölle aufgeboten, um das Capital nur für menschliche Zinsen zu bekommen.«

»Weshalb giebst Du Dein Ehrenwort in Geldsachen?« sagte der Vater finster. »Jetzt sieh, wie Du es einlösest; ich kann Dir nicht helfen.«

»Und ließe es sich denn gar nicht machen, die paar Wochen vor der Zeit ein Paar Tausend Thaler abschläglich von der Erbschaft zu bekommen?«

»Daran ist kein Gedanke; sie thun es nicht.«

»Hast Du es schon versucht, Vater?« fragte Bruno nicht ohne Spott.

»Sie können es auch nicht,« fuhr der alte Freiherr fort, ohne die Frage zu beantworten; »denn das Testament lautet auf Auszahlung erst nach dem zurückgelegten vierundzwanzigsten Lebensjahre meines Sohnes. Stürbest Du noch vorher, so müßte der Zeitpunkt erst in Benno's Alter abgewartet werden, und stürbe auch er, was Gott verhüten wolle, so wäre die ganze Erbschaft für uns verloren.«

Ein schmerzliches und doch bitteres Lächeln zuckte über das Antlitz des jungen Officiers, als er erwiderte: »Du sagtest nur bei Benno, Vater, was Gott verhüten wolle.«

»Sei nicht kindisch!« murmelte der Baron. »Wenn ich das Geld hätte, solltest Du es haben; aber das ist nicht der Fall, also kann ich Dir nicht helfen. Sieh, wie Du mit Deinem Gläubiger ein Abkommen triffst. Du mußt doch auch Uebung und Erfahrung darin haben; vielleicht hilft Dir auch die Tante – versuch' es.«

»Sie könnte, wenn sie wollte, das weiß ich,« sagte Bruno finster, »und wenn es Benno gebrauchte, würde sie sich keinen Augenblick besinnen; ich selber bin ja aber bei Euch Beiden immer der Ausgestoßene gewesen, der lästig wurde, sobald er sich nur blicken ließ.«

»Das hast Du Dir nur gedacht, kein Mensch weiter; geh zur Tante; wenn sie Dir helfen kann, thut sie es.«

»Ich will zu ihr gehen, weil ich muß,« sagte Bruno aufstehend, »aber ich weiß vorher, daß es nutzlos ist; ich kenne meine ›steinerne Verwandte‹.« Und langsam schritt er aus dem Zimmer.

Der alte Freiherr folgte dem Sohne, als dieser ihm den Rücken drehte, mit den Augen, und sein Blick haftete noch fest an der Thür, als diese sich schon geschlossen. Aber es war ein häßlicher Blick, mit nicht einer Spur von väterlicher Liebe darin, ja die zusammengebissenen Lippen bewegten sich sogar, als ob er eine Verwünschung hinter ihm drein murmele; doch wurde kein Laut hörbar; nur seine buschigen Brauen zogen sich zusammen, und fest auf einander hatte er die Zähne gebissen. Er stand auch eine lange Weile so, bis draußen wieder ein Schritt auf dem Gange laut wurde. Kehrte sein Sohn zurück? Nein, es war nur ein Diener, der in der Thür stehen blieb und meldete, es sei eine alte Frau draußen, die Frau vom Schuhmachermeister Heßberger, die sage, der gnädige Herr hätte sie herausbestellt, um ihm die Hühneraugen auszuschneiden.

»Ich?« rief der Freiherr und drehte sich plötzlich auf seinem Absätze herum; »das alte Weib ist wohl – wie hieß sie?«

»Die Heßberger, Herr Baron; sie kam früher wohl manchmal heraus, ist aber jetzt die langen Jahre nicht dagewesen.«

Der Baron qualmte wieder, daß eine dicke Rauchwolke über ihm emporwirbelte, und ging mit langen Schritten auf und ab, so daß der Diener im Stillen die Beobachtung machte, arg weh thun könnten dem Herrn die Hühneraugen nicht, denn er trat wenigstens ganz herzhaft auf. Es war auch fast, als ob er den auf ihn Wartenden ganz vergessen habe, bis dieser endlich wieder fragte:

»Wie befehlen der Herr Baron? Soll ich sie vielleicht wieder fortschicken, daß sie ein andermal . . .«

»Laß sie hereinkommen, Christoph,« unterbrach ihn sein Herr; »wenn sie einmal da ist, mag sie meinetwegen nachsehen. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht. Wo ist Benno?«

»Er geht unten im Garten mir dem Fräulein spazieren.«

»Es ist gut; daß Du mir nachher Niemanden hereinläßt, bis wir fertig sind!«

»Sehr wohl, Herr Baron.«

Der Diener verschwand und es dauerte nicht lange, so klopfte es leise an die Thür, die sich fast augenblicklich auf das barsche »Herein« des Freiherrn öffnete.

»Sie entschuldigen, mein gnädigster Herr Baron, wenn ich vielleicht stören sollte,« sagte die alte Frau, indem sie die Thür wieder vorsichtig in's Schloß drückte; »da Sie aber gewünscht hatten . . .«

»Ich habe gewünscht?« rief der alte Herr, dessen Laune der Besuch wahrlich nicht gebessert zu haben schien. »Was wollt Ihr von mir, daß Ihr Euch mit einer Lüge hier hereindrängt? Was habe ich noch mit Euch zu schaffen?«

Die alte Frau Heßberger war eine hagere, etwas lange Gestalt. Sie hatte schon eisgraue Haare, eine spitze Nase und etwas zusammengezogene Lippen, auch zahllose Falten im Gesicht, aber ein Paar große, kluge, lichtblaue Augen, und ging auch ganz nett und sauber angezogen. So demüthig sie dabei auftrat, lag aber doch in ihrem ganzen Wesen nichts weniger als Schüchternheit, ja fast wie mit einem leichten Anflug von Spott erwiderte sie auf die rauhe Frage:

»Ach, gnädigster Herr Baron, Unsereins muß gar oft lügen; aber nicht unserer selbst, sondern zuweilen nur der Herrschaften wegen, die wir bedienen – und was für Dank haben wir nachher davon!«

»Was wollt Ihr? macht es kurz!« fuhr der Freiherr sie an; »ich habe keine Zeit, mich lange mit Euch einzulassen.«

Die Frau antwortete nicht gleich; sie horchte erst nach der Thür, als ob sie sich vor einer Störung oder vielleicht vor einem Horcher fürchte. Endlich trat sie dem Freiherrn, der sie eben nicht freundlich betrachtete, näher und sagte mit leiser, aber vollkommen deutlicher Stimme:

»Eigentlich hatte ich geglaubt, daß der Herr Baron eine arme alte Frau, die seinetwegen viel Ungelegenheit gehabt, nicht ganz vergessen hätte; aber Du lieber Gott, es ist einmal so der Welt Lauf, und ich will Ihrem Gedächtnisse zu Hülfe kommen. Ich bin die Frau Heßberger, die alte Kartenschlägerin aus der Stadt, und war früher, als die gnädigste Frau Baronin von einem so allerliebsten Knäblein entbunden wurden, die Hebamme bei der gnädigen Frau.«

»Was soll der Unsinn?« fragte der Freiherr finster. »Eure Person habe ich doch wohl nicht vergessen; ich denke, Ihr sorgtet schon dafür, daß das nicht geschah. Was wollt Ihr jetzt?«

»So, der Herr Baron erinnern sich also noch?« lächelte die Frau. »Nun, dann kann ich kurz zur Sache kommen und wir brauchen keine Umschweife weiter zu machen. Sie wissen, Herr Baron – aber Sie erlauben vielleicht, daß ich mich ein bischen auf den Stuhl da setzen darf, der Weg ist weit hier heraus und die alten Knochen wollen doch nicht mehr so recht mit fort – Sie wissen also, Herr Baron, daß letzt die Zeit bald umgelaufen ist, wo Sie die große Erbschaft antreten – lieber Gott, Unsereins kann sich so viel Geld fast nicht einmal denken, – und wenn Sie das erst einmal haben, dann wird wohl das Gedächtniß für die arme Heßbergern ganz weg und verloren sein, und da wollte ich mir nur noch einmal vorher erlauben, ganz gehorsamst nachzufragen, ob Sie uns nicht mit einer Kleinigkeit auf die Füße helfen könnten. Der Verdienst ist jetzt bei den harten Zeiten so schlecht, und, Du lieber Himmel, man thut ja wohl, was man kann, und ist immer bei der Hand, aber der Neid der Menschen macht Alles wieder zunichte. Die Herren Aerzte, wenn sie auch viele Krankheiten gar nicht curiren können, gönnen es doch einer armen Frau nicht, daß sie mit Kräutern, die sie sich mühsam im Walde sucht, und mit frommem Gebet die Bresten der Menschheit lindert. Nichts als Verfolgung und Anfeindung habe ich zu leiden gehabt die langen Jahre, und seit der Zeit sogar, wo einmal das Kind der Frau Baronin Zühfel starb – du lieber Himmel, es war ein Wechselbalg und konnte nicht leben –, da haben sie mir gar das Metier verboten, und ich muß nun sehen, wie ich mich durchschlage durch die Welt.«

»Und was habe ich damit zu thun?« fragte der Freiherr.

»Nichts, Herr Baron, gar nichts,« erwiderte die Frau seufzend; »es ist nur unser alltägliches Elend, das wir durch's Leben schleppen müssen. Gott behüte, daß Sie damit zu thun bekämen! Wessen aber das Herz voll ist, Sie wissen ja wohl, davon geht der Mund über. Es thut mir auch leid, Ihre werthvolle Zeit damit so lange in Anspruch genommen zu haben, aber – es ging eben nicht anders. Dazu sind wir Menschen ja auch da auf der Welt, daß wir einander helfen und beistehen sollen, und ich habe das Meinige redlich gethan, Herr Baron, das Zeugniß müssen Sie mir geben – wie?«

»Ich habe Euch noch nicht das Gegentheil zum Vorwurf gemacht,« sagte der Freiherr finster; »aber . . .«

»Das ist hübsch von Ihnen,« nickte die Frau, und wieder zuckte das spöttische Lächeln um ihre dünnen Lippen, »und ich werde es Ihnen gedenken, so lange ich lebe; aber – schöne Worte verfliegen im Winde, wie die Spreu, denn nur das Korn fällt auf den Boden und wiegt. Bis jetzt kann Ihnen kein Mensch die Erbschaft streitig machen, Herr Baron, kein Mensch auf der ganzen Welt, und wird es auch nicht, denn eher biß ich mir die Zunge ab, ehe ein Wort von der Geschichte über meine Lippen käme, aber leben wollen wir Alle, und selbst der ärmste Bauer läßt die Kinder, wenn er sein Korn einfährt und den Segen in die Scheune führt, ein paar einzelne Aehren lesen. Sie werden wahrhaftig nicht weniger thun, Herr Baron.«

»Aber die Aehrenleser dürfen erst auf das Feld kommen, wenn das Korn eingefahren ist,« sagte der Freiherr, der schon lange verstand, auf was die Frau abzielte; »das meinige steht noch draußen.«

»Aber fertig geschnitten, beim schönsten Wetter, und die Wagen zum Einfahren bereit,« nickte die Frau, nicht so leicht abgewiesen; »ich kann auch nicht länger warten. Uebermorgen ist der Erste, und wir müssen Hauszins bezahlen; die Rechnungen sind uns außerdem über den Kopf gewachsen, denn mein Mann war lange krank und konnte das Salz nicht zu seinem Brode verdienen.«

»Macht es kurz – was wollt Ihr?« unterbrach der Baron sie ärgerlich. »Ich sehe, das Ganze läuft nur auf eine Gelderpressung hinaus. Ich sage Euch auch, Frau, heute will ich Euch noch einmal zu Willen sein; aber meine Geduld ist jetzt zu Ende – das kann so nicht fortgehen, und kommt Ihr dann noch einmal auf den Hof, so . . .«

»So? Der Herr Baron haben noch nicht ausgesprochen.« Und ihre blauen Augen hafteten in lauerndem Trotze auf ihm. Er begegnete aber dem Blick nicht.

»Macht es kurz – wie viel braucht Ihr? Aber ich schwöre es Euch zu, es ist das letzte Mal; nachher thut Euer Schlimmstes. Was Ihr selber dabei riskirt, wißt Ihr besser, als ich es Euch sagen könnte.«

»Es ist nicht nöthig, viel darüber zu reden,« lächelte die Alte. »Wir sind Beide nicht von gestern, Herr Baron, und wissen genau, wie weit wir gehen können; nur das ausgenommen, daß der eine Theil nichts oder doch beinahe nichts dabei zu verlieren hat und der andere eben Alles.«

»Das ist nicht wahr,« fuhr der Baron auf; »Gott ist mein Zeuge, wie ich bereue, jemals Euren Worten, Eurem Rathe gefolgt zu sein, und zehn-, ja tausendfach trage ich jetzt an der Last, die ich mir damals ganz unnützer, unnöthiger Weise aufgeladen!«

»Unnöthiger Weise, Herr Baron? Sie vergessen die Clausel.«

»Und habe ich nicht einen rechtmäßigen Erben für mein Haus – für meinen Namen?«

»Sie meinen den Baron Benno, nicht wahr? – Armer Vater, sehen Sie denn nicht, daß das Kind nur ein wurmstichiger Apfel ist? Und sechs Jahre müßte er noch leben, um der Frist zu genügen.«

»Ich hoffe, daß er noch sechzig leben soll!« rief der alte Mann; »denn die Gefahr der Krankheit ist beseitigt. Heute noch war er kräftiger und gesünder als je. Seine Wangen bekommen wieder Farbe, sein Geist ist frischer, sein Körper kräftiger geworden, und wenn . . .«

Der alte Freiherr horchte auf, denn über den Gang kam ein hastiger Schritt; kaum fünf Secunden später wurde die Thür aufgerissen und der alte Christoph stürzte mit einem ganz verstörten Gesicht hinein.

»Was giebt's? Was hast Du?« rief ihn der Baron erschreckt an.

»Ach, gnädiger Herr Baron,« stammelte der Alte, und schon sein Gesicht kündete ein Unglück – »Sie – Sie möchten doch einmal schnell in den Garten kommen; der junge Herr Baron . . .«

»Benno?« schrie der Freiherr in Todesangst.

»Der junge Baron Benno hat plötzlich einen Blutsturz bekommen, und Fräulein Kathinka ist allein mit ihm.«

»Armes junges Blut!« sagte die Frau, während der alte Herr fast starr vor Entsetzen auf einem Stuhl zusammenknickte und einen Moment das Antlitz in den Händen barg. Aber es war auch nur ein Moment. Im nächsten schon fuhr er wieder empor und griff mit wildverstörtem Blick nach seinem Hut.

»Ist schon Jemand fort nach einem Arzte?«

»Der Karl sattelt eben das eine Wagenpferd; der Schimmel lahmte heute Morgen ein wenig.«

»Mein ältester Sohn ist mit seinem Fuchse hier; er soll augenblicklich selber in die Stadt jagen und einen Arzt heraussenden.«

Der Diener eilte fort, und der Baron wollte ihm nach, als sein Blick die noch dort stehende Frau trat.

»Aber jetzt – jetzt kann ich nicht!« rief er von Angst gepeinigt aus.

»Nein, Herr Baron,« sagte die Frau, mit dem Kopf schüttelnd, »jetzt gewiß nicht; ich komme wieder – morgen oder übermorgen oder in acht Tagen vielleicht – wenn die sechzig Jahre vorüber sind,« setzte sie leise murmelnd hinzu und verließ das Gemach und gleich darauf auch das Schloß.

Der Diener hatte den Unfall, der den armen jungen Mann getroffen, nicht übertrieben. Als der Vater mit zitternden Gliedern, aber festen Schrittes den Park durcheilte, fand er den Sohn auf dem Rasen liegend, den Kopf an Kathinka's Knie gelehnt, deren lichtes Kleid von seinem Blute geröthet war. Er sah todtenblaß aus, und die Augen hafteten mit einem ganz eigenthümlichen Glanz auf dem Nahenden.

»Benno, mein armer Benno, was ist geschehen?« rief der Baron, neben ihm niederkniend und seine Hand ergreifend. »Du bist gewiß zu rasch mit ihm gegangen, Kathinka, ich habe es Dir so oft verboten.«

Der Kranke schüttelte leise mit dem Kopf und hob mühsam die eine Hand; dann sagte er leise: »Nein, Kathinka ist nicht schuld daran; es kam so plötzlich – ich – fühlte mich so wohl und leicht – wie lange nicht mehr. Ich war so glücklich – es ist so schön, gesund sein – und ich bin immer krank gewesen. Arme Kathinka, und wie Dein hübsches Kleid aussieht – aber ich konnte nicht dafür.«

»Mein lieber, guter Benno,« sagte das junge Mädchen bittend, »das hat ja gar nichts zu sagen!« Sie hielt inne, um die aufsteigenden Thränen zu unterdrücken. Der Vater hatte mit angsterfüllten Blicken den Sohn betrachtet, und seine Worte schnitten ihm in's Herz. Nur erst, als Benno einen Versuch machen wollte aufzustehen, wehrte er ihm.

»Bleib noch einen Augenblick, mein Kind,« sagte er mit herzlicher Stimme: »die Leute werden gleich mit einem Stuhle hier sein, um Dich hinauf zu tragen – ich bin ihnen nur vorausgeeilt. Du darf Dich jetzt nicht anstrengen, oder es könnte sich wiederholen.«

»Aber Kathinka wird müde mich zu halten, Papa.«

»Nein, gewiß nicht, gewiß nicht – ich könnte noch eine Stunde so knieen,« rief diese; »und dort hinten sehe ich auch schon die Leute kommen. Du darfst Dich nicht anstrengen.«

»Nun werde ich wieder diese Woche nicht mit meiner Maschine fertig,« seufzte der Knabe – »ich soll auch gar keine Freude haben! Aber da kommt auch Bruno – den habe ich recht lange nicht gesehen.«

»Und weshalb bist Du nicht fort nach dem Arzt?« rief diesem der Vater entgegen. »Was thust Du noch hier?«

»Was ich hier thue, Vater?« rief Bruno erstaunt. »Soll ich nicht selbst nachsehen dürfen, wie es dem Bruder geht?«

»Guten Tag, Bruno!« sagte der Knabe, ihm die Hand entgegenstreckend; »ich bin wieder einmal krank geworden.«

»Mein armer Benno – wie blaß Du aussiehst! Soll ich Dich hinauf in Dein Zimmer tragen?«

»Du wirst mir weh thun.«

»Ah, dort kommen sie ja schon mit einem Sessel,« rief Bruno; »so, das ist recht, Kathinka, laß ihn den Kopf ein wenig anlehnen. Habe nur einen Augenblick Geduld, Benno, Du sollst gleich zur Ruhe und auf Dein Bett kommen.«

Der Knabe nickte ihm freundlich zu, und Bruno sprang jetzt selber fort, um den gebrachten Stuhl so herzurichten, daß sie den Kranken gut darauf transportiren konnten. Da hinein setzten sie ihn dann, und während die Dienerschaft herbeigerufen war, um ihn langsam und vorsichtig in's Schloß zu tragen, ging Kathinka an der einen, Bruno an der andern Seite und unterstützten ihn.

Indessen war auch Bruno's Fuchs gesattelt worden, und wie er den Bruder nur erst einmal gut untergebracht wußte, eilte er hinab, sprang, ohne weder von Vater oder Tante Abschied zu nehmen, in den Sattel und ritt, seinem feurigen Thier die Sporen eindrückend, in einem scharfen Trabe aus dem Schloßhof hinaus und durch das Dorf.

Am letzten Hause des Dorfes stand eine Frau, die dem Reiter, als er vorüber brauste, freundlich und fast vertraulich zunickte. Bruno kannte sie auch, es war die alte Heßberger, die er sonst wohl oft in seines Vaters Hause gesehen; er bemerkte auch vielleicht, daß sie ihn grüßte, sah wenigstens die Bewegung, hatte aber den Kopf so voll der verschiedensten Dinge, daß er gar nicht daran dachte, ihr auch nur zu danken, sondern gleich darauf, ohne ihr nur den Kopf noch einmal zuzuwenden, die breite Fahrstraße verließ und rechts ab in einen Fußweg einbog, der nicht allein die Strecke bis zur Stadt etwas verkürzte, sondern auch zwischen den Getreidefeldern einen weichen und elastischen Rasenboden für sein Thier gewährte.

Die Heßberger sah ihm mit demselben lachenden Gesicht, mit dem sie ihn vorhin gegrüßt, nach, selbst wie er schon weit von ihr entfernt durch die Kornfelder dahintrabte, bis er endlich eine kleine Erhöhung überritt und dann dahinter verschwand; und nun erst nickte sie still vor sich hin mit dem Kopf und murmelte dabei:

»Merkwürdig, merkwürdig – und man lernt doch nie im Leben aus. Sonst denkt man doch immer, es stäke im Blute und wär' angeboren – aber es läßt sich auch anerziehen, wenn es nur recht begonnen und durchgeführt wird. Ja, ja, Puppe, reite Du nur da so stolz auf Deinem hübschen Gaul, als ob Du ein König oder Kaiser wärest, und gucke die alte Frau nicht an, die den Staub von Deines Rosses Hufen schluckt. Und wenn die alte Frau wollte – doch sie will eben nicht und läßt Dich so lustig hinreiten, als ob Du wirklich alles das wärest, was Du Dir denkst. Nun, vielleicht kommt doch einmal die Zeit, wo sie Dir in den Weg tritt – und wie höflich Du dann werden wirst, mein Bürschchen, wie erstaunlich höflich!«

Bruno von Wendelsheim trabte indessen, ohne auf die Alte auch nur einen Gedanken zu wenden, scharf den Rasenpfad entlang, und das Herz war ihm so voll und schwer, der Kopf that ihm so weh vom vielen Grübeln.

Benno, sein armer Bruder, er war viel kränker, als er es je für möglich gehalten – und wer blieb ihm von all' seinen Verwandten, wenn der Knabe starb? Sein Vater? Er hatte wohl rauhe und heftige Reden oder Ermahnungen, nie aber ein Wort der Liebe von seinen Lippen gehört. Seine Tante? Er biß die Zähne fest auf einander, wenn er nur an das letzte Begegnen mit ihr dachte, wo sie ihn ordentlich mit Hohn abgewiesen. Hatte sie Liebe zu ihm? Wahrlich nicht! Und vor sich hin schüttelte er still den Kopf, wenn er daran dachte, wie groß der Haß gegen ihn sein müsse, daß sie sich nicht einmal aus Klugheit freundlicher gegen ihn benahm.

Seinem Fuchs hatte er dabei die Zügel gelassen; er mußte bald in der Stadt sein, einestheils seiner eigenen Angelegenheit wegen, anderntheils aber auch, um den Arzt so rasch als nur irgend möglich nach Wendelsheim hinaus zu senden. Wie er so auf dem schmalen Weg dahin trabte – und der Fuchs war eigentlich halb mit ihm durchgegangen, denn der Reiter bekümmerte sich gar nicht mehr um seine Führung –, machte der Weg, gerade an einer niedern Stelle, wo das Korn außerordentlich hoch stand, eine scharfe Biegung, und als Bruno dahinflog, sah er plötzlich einen Fußgänger vor sich, der auf dem weichen Rasen das nahende Pferd gar nicht gehört hatte und jetzt kaum noch Zeit genug behielt, um zur Seite zu springen. So dicht an ihm vorbei aber schoß der Fuchs, daß Bruno den Fremden, in dem er jetzt den jungen Baumann erkannte, noch mit dem Knie streifte. Er versuchte auch sein Pferd einzuzügeln, um sich zu entschuldigen; aber es war nicht möglich. Der Fuchs hatte das Gebiß zwischen die Zähne genommen und setzte in eine ordentliche Carrière ein, daß Kies und Rasenstücke hinter ihm emporstiebten. Bruno mußte ihn eben laufen lassen, und wenige Minuten später erreichte er schon die Thore der Stadt, wo er das wilde Roß erst wieder in seine Gewalt bekam.



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