Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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16.

Frau Heßberger.

Oben in der dritten Etage eines der Häuser in der Bergstraße von Alburg saß der Schuhmacher Heßberger mit einem Gesellen und drei Lehrjungen bei der Arbeit und war emsig beschäftigt, ein Paar sehr elegante Damenschuhe, die einen außerordentlich kleinen Fuß verriethen, frisch zu besohlen. Er hatte seinen Tisch aber dicht an's Fenster gerückt, denn schwere, graue Wolken lagen vor der Sonne und dumpf grollender Donner verrieth ein nahes Gewitter. Nichtsdestoweniger arbeitete er fleißig fort und schien sich um das Wetter draußen wenig zu kümmern, bis plötzlich ein greller Blitz die Stube hell erleuchtete und gleich darauf ein so schmetternder Donnerschlag hinterdrein folgte, daß der kleine Mann ordentlich zusammenfuhr. Statt jedes andern Ausrufes setzte er aber plötzlich mit gellender Stimme in einen Choral ein, daß sich die Lehrjungen untereinander ansahen und heimlich lachten, aber nur ganz heimlich, denn es wäre ihnen bös ergangen, wenn es der Meister gemerkt oder nur Verdacht geschöpft hätte. Dieser aber, nur mit seiner Sohle (denn er unterbrach seine Arbeit nicht) und dem Lied beschäftigt, schrie mehr, als er sang, während der Regen an die Fenster peitschte:

»Oh Mensch, gedenk' an's Ende,
Willst Du nicht Uebles thun –
Der Tod bringt oft behende
Das allerletzte Nun.
Am Lebens-Augenblicke
hängt ewig Wohl und Weh',
Drum denke wohl zurücke,
Wohin Dein Ende geh'!«

Und wieder ein Blitz – wieder ein Schlag, als ob die Erde von einander bersten wollte und die Fensterscheiben zitterten und klapperten ordentlich dazu. Der Schuhmacher ließ sich aber nicht stören und ohne eine Miene zu verziehen, setzte er eben zu dem gerade so beginnenden zweiten Vers ein:

»Oh Mensch, gedenk' an's Ende –«

als es heftig an die Thür pochte und der Gesell, ohne dazu des Meisters Befehl abzuwarten, laut »Herein« schrie. Fast zu gleicher Zeit wurde dieselbe auch geöffnet, und eine etwas corpulente Frau, einen triefenden rothbaumwollenen Regenschirm mit Messinggriff in der Hand, den Hut etwas zerdrückt und jedenfalls von dem Unwetter mitgenommen, das Gesicht geröthet und eben nicht besonders freundlich ausschauend, trat in's Zimmer und warf einen raschen Blick darin umher.

Der Schuhmacher schien keine besondere Lust zu haben, sich in seiner Andacht stören zu lassen, denn er fuhr, ohne auch nur den Kopf nach der Thür umzudrehen, unverdrossen fort:

»Wer weiß, ob nicht noch heut'
Der Tod Dich treffen könnte,
Drum mache Dich bereit –«

Die Dame schien aber nicht gesonnen, das Ende des geistlichen Liedes abzuwarten, denn mit einer ziemlich tiefen und derben Stimme rief sie dazwischen: »Na, bei mir könnt Ihr Eure Faxen lassen, Meister Heßberger! Ist Eure Frau zu Haus? Das fehlte auch noch, daß ich in dem Hundewetter den Weg umsonst gemacht hätte!«

Der Schuhmacher fuhr blitzschnell herum. Er kannte die tiefe Stimme und sagte, von seinem Sessel emporspringend und den Schuh, an dem er arbeitete, ziemlich rücksichtslos bei Seite werfend: »Ach, Madame Müller – ist mir doch sehr angenehm, Ihre werthe Persönlichkeit wieder einmal nach so langer Zeit condoliren zu dürfen.«

»Reden Sie keinen Unsinn,« erwiderte Madame Müller, gar nicht, wie es schien, in der Stimmung, viele Worte zu machen. »Was Ihnen angenehm ist oder nicht, kümmert mich einen Quark. Ich will wissen, ob Ihre Frau zu Hause ist.«

»Bitte, Madame Müller,« sagte Heßberger, »ich rede nur ganz höflich, und eine Höflichkeit ist der andern werth; Madame scheinen aber – oh Du Herr Jesus, der Donner! – nicht guter Laune zu sein. Da wird sich meine Frau ganz besonders darüber scharmiren, paßt ihr gerade – sie ist drinne – bitte, treten Sie näher, demelliren Sie mir aber nur das Porzellan nicht!«

Madame Müller warf ihm einen nichts weniger als achtungsvollen Blick zu und stieg dann, ohne es weiter der Mühe werth zu halten, ihm noch eine Antwort zu geben, über Leisten, Handwerksgeräth und andere derartige Dinge hinweg der Thür zu, welche, wie sie aus früheren Zeiten wußte, das Wohn- und Schlafzimmer der Heßberger'schen Gatten von der Werkstätte abschloß. Sie klopfte auch hier nicht lange an, wartete wenigstens nicht einmal den gewöhnlichen Zuruf ab, sondern trat in demselben Moment in's Zimmer, als wieder ein greller Blitz über den Himmel zuckte und gleich darauf, aber doch etwas später als bisher, grollender, dumpfer Donner hinterdrein rollte. Das Gewitter war jedenfalls vorübergezogen und nur der Regen goß noch in Strömen nieder.

Mit dem Donnerschlag – selber ein kleines Gewitter in sich – stand aber Madame Müller auf der Schwelle und der barsche Gruß schon, den sie der Herrin vom Hause entgegenrief: »Guten Tag, Frau Heßberger, ich habe 'was mit Ihnen zu reden!« deutete nicht auf viel Gutes.

Heßberger, obgleich er keine Ahnung hatte, was die Frau, mit der sie seit Jahren nicht verkehrt, hierher im Zorne geführt haben könne, fühlte sich doch vielleicht nach verschiedenen Seiten hin nicht so ganz sattelfest und da er wußte, daß seine Frau bei irgend einer passenden Gelegenheit sehr laut sprach und die Frau Müller schrie, so bemühte er sich bei Zeiten, wenigstens einen lästigen Zeugen zu entfernen – kein Mensch konnte ja sagen, was da verhandelt wurde.

»Backhof,« brummte er deshalb, eben nicht besonders heiter gestimmt, »Sie können Schicht machen und mir noch einen Weg besorgen.«

»Aber ich möchte so gern noch den Schuh fertig machen,« sagte der Gesell, denn in der Nebenstube wurden die Stimmen schon etwas lauter und er wünschte vielleicht ebenfalls, einen etwa entstehenden Zank mit anzuhören, der sicherlich der Mühe werth sein mußte. Seine Meisterin kannte er, was ihre Zunge betraf; die eben gekommene Frau sah auch nicht so aus, als ob es ihr an den Sprachwerkzeugen fehle, und

Es schwankt der Sieg, wenn Griech' auf Grieche trifft.

Sein Meister mochte aber Verdacht geschöpft haben, daß ein anderer Wunsch, als nur den alten Schuh fertig zu bekommen, in seinem Herzen lauere. Zeit war auch nicht zu versäumen, denn Madame Müller schien nicht viel zu verlieren und er sagte deshalb hastig: »Machen Sie ein bischen zu – die Stiefel sollten schon um drei Uhr beim Herrn Geheimen Obergerichtsrath sein.«

»Ja, aber Meister, die bringen doch sonst immer die Jungen fort. Das ist doch nicht meine Sache . . .«

»Das weiß ich wohl; ich will es auch nicht for Plesir haben,« sagte Heßberger, der sich augenscheinlich die größte Mühe geben mußte, höflich zu bleiben. »Hier sind fünf Groschen, da trinken Sie einmal auf meine Gesundheit – aber machen Sie ein bischen – alleh, Backhof – und hier, nehmen Sie dem Herrn Geheimen Obergerichtsrath gleich die quintirte Rechnung mit.«

Backhof, der Gesell, merkte wohl, daß ihn der Meister unter jeder Bedingung los sein wollte, und es wäre doch jetzt hier so hübsch gewesen – gerade ging's da drinnen los. Aber er hatte auch nicht gut einen Vorwand, da zu bleiben; die fünf Groschen lockten ihn ebenfalls. Er stand auf, warf sein Schurzfell ab und zog den am Nagel hängenden Rock an, dann nahm er Rechnung und Stiefel und ging damit hinaus, immer noch in der Hoffnung, auch dort etwas zu hören. Darin sah er sich jedoch getäuscht, denn die dazwischen liegende Küche war wie gewöhnlich abgeschlossen.

Den Meister genirten jetzt noch die Lehrjungen, aber doch nicht so viel, als es der Gesell gethan hätte, denn die waren eine etwas lebhafte Unterhaltung im Hause schon gewohnt und – konnten nicht die Condition wechseln, sie mußten im Hause bleiben, durften also nichts daraus schwatzen, oder – der Teufel sollte sie bei lebendigem Leibe holen! Er ging auch wirklich selber wieder zu seiner Arbeit zurück, aber es war keine Andacht dabei. Die großen, schweren Tropfen schlugen draußen gegen die Scheiben, daß sie das Zimmer fast dunkel machten und da drinnen wurden die beiden Damen immer lauter und heftiger. Das ging nicht mehr, er mußte da einschreiten oder doch wenigstens erfahren, um was es sich handelte; denn was ihn dabei beunruhigte, war, daß er die Stimme seiner Frau gar nicht so scharf hervorhörte; Madame Müller schien ziemlich allein das Wort zu führen, und das konnte unmöglich ein gutes Zeichen sein. Wenn die Frau Heßberger eine gute oder doch wenigstens haltbare Sache hatte, sprach sie auch gewöhnlich mit – und wie!

Er fühlte sich nicht mehr behaglich auf seinem Schemel. Er stand auf, band sich anstandshalber das Schurzfell ab, wobei sich die Jungen schon wieder untereinander anstießen, fuhr in den schwarzen, abgeschabten Frack hinein und dann sein fettglänzendes Mützchen abnehmend und die Haare vorn in die Stirn streichend – es war dies die einzige Art, wie er seine Frisur arrangirte –, drehte er sich noch einmal gegen die Jungen um und sagte: »Daß mir keiner von Euch von seinem Schämbel aufsteht, oder – Ihr wißt wohl . . .« Und damit stieg er nach der Thür hinüber.

Als er sie öffnete, fand er die Damen in sehr lebhafter Unterhaltung.

Frau Heßberger hatte friedlich, trotz Blitz und Donnerwetter, am Fenster gesessen und eine etwas sehr schadhaft gewordene Unterjacke ihres Gemahls ausgebessert. Sie beschäftigte sich allerdings in geeigneten Stunden vortheilhafter mit der höheren Magie, mit Kartenlegen und Prophezeien, wofür sie, wunderbarer Weise, in Alburg ein sehr gläubiges Publikum fand. Aber die nothwendigen Hausarbeiten mußten doch auch erledigt werden und Frau Heßberger war die richtige Frau dazu, um das zu besorgen.

Und dazwischen zuckte der Blitz und prasselte der Donner; aber wie eine nur von metallenen Rädern abhängige Maschine saß sie dazwischen und rührte und regte sich nicht weiter, als es ihre Arbeit erforderte. Sie blinzelte nicht mit den Augen, wenn das gelbe, grelle Licht durch das Zimmer zischte, sie fuhr nicht zusammen, wenn der Donner das Haus in seinen Grundfesten zu erschüttern drohte – sie hatte überhaupt keine Nerven, die das möglich machen konnten.

Drinnen in der Werkstatt hörte sie eine Stimme, aber sie achtete nicht darauf. Der Besuch, der zu ihr kam – verschleierte Damen gewöhnlich, manchmal in Begleitung von jungen Herren – traf erst in viel späterer Stunde und bei vollständig angebrochener Dunkelheit ein; was früher kam, wollte nur Stiefel oder Schuhe haben.

Da klopfte es plötzlich, und wie sie ein halb erstauntes »Herein!« rief, stand auch schon, mit passendem Donner, eine fremde Frau auf der Schwelle, deren Züge sie sich nicht einmal, mit anderen Personen im Kopfe, gleich zurück in's Gedächtniß rief. Der Frau selbst schien aber gar nichts daran gelegen, sie lange über sich in Zweifel zu lassen, denn sowie sie nur die Schwelle betrat, sagte sie schon mit ihrer etwas tiefen Altstimme, den Raum dabei mit den Blicken überfliegend:

»Guten Tag, Frau Heßberger! Ich hab' mit Ihnen zu reden.«

»Madame Müller, so wahr ich einst selig zu werden hoffe;« rief Frau Heßberger, und nicht einmal in gekünsteltem Erstaunen aus, denn so gut und genau sie die Frau kannte, so lange Zeit war verflossen, seit sie dieselbe nicht gesehen. »Ei, was verschafft mir denn die Ehre eines so unverhofften Besuches? Freue mich doch wirklich sehr!«

»Wollen wir erst abwarten,« sagte Madame Müller, noch immer den triefenden Schirm in der Hand, mit dem sie schon eine lange nasse Gosse über Leder und Leisten gezogen und jetzt anfing, einen kleinen See in der Stube zu bilden. »Thut mir leid, daß ich das Zimmer naß mache, aber ich weiß nicht, wohin mit dem Schirm; geben Sie einmal einen von den Blumenuntersetzern her – das Wetter ist schuld.«

Frau Heßberger gehorchte wunderbarer Weise augenblicklich der Aufforderung und würde dadurch besonders die Lehrjungen, wenn sie hätten Zeugen sein können, sehr in Erstaunen gesetzt haben; die Madame Müller stellte deshalb ihren Schirm dort ein, denn sie war selber viel zu reinlich und hielt bei sich zu Hause zu sehr auf Ordnung, um eine andere Stube zu beschmutzen. Sobald sie ihr »Regendach« aber untergebracht sah, drehte sie sich auch gegen des Schuhmachers Gattin um.

»So – und jetzt haben wir ein Paar Worte mit einander zu wechseln, Madame Heßberger, wenn es Ihnen recht ist,« sagte Madame Müller, aber gleich in einem so entschiedenen Ton, daß man ihm wohl anhörte, sie würde eben reden, ob es recht wäre oder nicht.

»Wir Beiden, Madame Müller? Aber wollen Sie denn nicht Platz nehmen? Sie stehen ja da an der Thür . . .«

»Sagen Sie einmal, Frau Heßberger,« fuhr die Frau fort, ohne die Einladung weiter zu beachten, »was haben Sie denn von mir in der Stadt erzählt, wenn ich fragen darf?«

»Ich? Von Ihnen?« sagte des Schusters Frau, doch nicht mit einem recht reinen Gewissen, denn sie sprach gewöhnlich sehr viel über andere Leute und nie etwas Gutes, und fühlte sich natürlich nicht so recht sicher, daß irgend eine oder die andere Bemerkung einem oder dem andern der Betreffenden zu Ohren gekommen sein konnte. Jedenfalls mußte sie erst einmal hören, um was es sich eigentlich handle. »Und was sollte ich von Ihnen gesprochen haben? Was hätte ich denn eigentlich sprechen oder erzählen können? Ich weiß ja doch gar nichts von Ihnen!«

»Desto schlimmer, Frau Heßberger, desto schlimmer,« rief Madame Müller, keineswegs gesonnen, sich auf solche summarische Weise abspeisen zu lassen; auf anfängliches Leugnen war sie überdies gefaßt. »Aber aus der Luft greifen's die Leute nicht, das ist nicht möglich, und Ihre Zunge kenn' ich, die ist in der ganzen Stadt bekannt!«

»Hören Sie, Madame Müller,« sagte Frau Heßberger, doch jetzt auch ein bischen warm werdend, obgleich sie noch immer sehr zurückhielt, denn sie mußte erst wissen, auf was die Frau eigentlich abzielte, »beleidigen brauche ich mich hier in meinem eigenen Hause nicht zu lassen, denn wenn ich in der Stadt bekannt bin . . .«

»So? Aber zu mir schicken Sie die Leute in das eigene Haus!« fuhr die Frau Müller, den rechten Arm in die Seite stemmend, fort, »Ich soll mich im eigenen Hause beleidigen und verunglimpfen lassen, nicht wahr? Dagegen haben Sie nichts, oh Gott bewahre, das ist ja nur die Frau Müller, eine alleinstehende Frau und Wittwe – ja wohl, die muß sich Alles gefallen lassen! Aber der liebe Gott hat mir auch eine Zunge gegeben, mit der ich mich wenigstens verteidigen kann, und die will ich denn auch gebrauchen, so lange mir der Herr die Kraft läßt.«

»Daß Sie eine gute Zunge haben, Madame Müller, hat Ihnen noch Niemand abgestritten,« sagte die Frau Heßberger, jetzt ebenfalls gereizt.

»Und Sie brauchen mir die wahrhaftig nicht vorzuwerfen, Frau Heßberger, Sie am allerwenigsten!« rief der Gegenpart wieder, und zwar lauter, als es die Umgebung eigentlich nöthig machte.

»Aber wär's Ihnen denn nicht gefällig, Madame Müller, jetzt einmal zu sagen, was Sie von mir wollen?« sagte die Frau Heßberger mit einem ironischen Knix.

»Ja wohl, Frau Heßberger,« erwiderte die Dame, gerade in der Stimmung, ihr den Knix mit Zinsen zurück zu geben, »wie Sie befehlen – oder möchten Sie mich lieber gleich hinauswerfen? Aber dann wollen wir doch einmal sehen, ob die Gerichte nicht eine arme, alleinstehende Frau schützen!«

»So, Madame Müller, und wissen Sie, daß ich jetzt gleich hingehen und Sie verklagen kann, wenn Sie mir mit den Gerichten drohen?«

»Ja, gehen Sie nur, Frau Heßberger, gehen Sie nur,« rief die Frau Müller in Eifer, »wenn Sie Einem die Worte im Munde herumdrehen wollen! Aber dann wird sich auch zeigen, was Sie dem alten Schlabbermaul, dem Herrn Rath Frühdach, von mir und meinem Kinde erzählt haben, daß ich es umgetauscht hätte und daß mein Kind nicht mein Kind, sondern ein Kind vom Baron von Wendelsheim wäre – Sie schlechte Person Sie . . .«

»Was?« sagte die Frau, jetzt wirklich erstaunt und in dem Gegenstand ganz die ›schlechte Person‹ überhörend (sie bemerkte auch in dem Augenblicke kaum, daß ihr Gatte im Frack in's Zimmer trat). »Ich hätte dem Rath Frühbach erzählt, Sie hätten ein Kind umgetauscht, und Ihre Tochter wäre die Tochter vom Baron?«

»Wenn die Damen so freundlich sein wollten,« sagte Heßberger zwischen den Fingern hindurch, »nur ein klein wenig leiser zu schreien – die Lehrjungen drin spitzen die Ohren und horchen, und brauchen doch wahrhaftig nicht zu wissen, über was wir hier conserviren.«

»Meinethalben kann's die ganze Stadt wissen,« sagte Frau Müller mit Würde; »ich habe ein reines Gewissen, und von Ihnen, Herr Heßberger, lasse ich mir den Mund noch lange nicht verbieten, Sie wären nicht der Mann danach!«

Heßberger warf ihr, als sie vornehm über ihn wegsah – und sie war auch wenigstens einen halben Kopf größer als er – einen tückischen Blick zu, hütete sich aber wohl, sie noch mehr zu reizen, und sagte mit seiner freundlichsten Stimme: »Würde ich mir auch gar nicht unterstehen, verehrte Madame. Aber wollen Sie sich denn nicht platzen? Die ganze Sache scheint mir übrigens, so viel ich bis jetzt davon gehört habe, auf einem Mißverständniß zu beruhen, denn meine Frau kann doch unmöglich etwas derartiges obschönes Gerede mit dem Herrn Rath Früh . . .«

»Ich habe überhaupt mit dem Herrn Rath Frühbach noch in meinem Leben kein Wort gesprochen!« rief hier die Frau Heßberger dazwischen. »Seine Frau kommt manchmal zu mir – eine liebe, gute Seele, die sich die Karte legen läßt und wissen will, ob sie 'was in der Lotterie gewinnt oder ob ihr Mann eine Anstellung als Director kriegt, aber nie ist auch nur der Name der Madame Müller in ihrer Gegenwart über meine Zunge gekommen!«

»Und der Rath Frühbach soll aus freien Stücken zu mir hinaus nach Vollmers kommen und sich noch dazu einen lebendigen, wirklichen Major mitbringen, wenn an der ganzen Sache kein wahres Wort wäre? Das machen Sie einer Andern weis, aber mir nicht, verehrte Frau Heßberger! Ich will gar nicht behaupten, daß ich zu den Gescheitesten gehöre, aber so dumm bin ich denn doch, Gott sei Dank, noch lange nicht!«

»Was denn für ein Major?« sagte die Frau Heßberger, aufmerksam werdend.

»Ein Major von Hansen oder Halsen, wenn Sie's wissen wollen, ein alter Herr, der ehrwürdig genug aussah, um gescheidt zu sein – und von solchen Leuten muß man sich solche Dinge sagen lassen! Aber damit ist die Sache nicht abgethan, Frau Heßberger, damit ist sie wahrhaftig noch nicht abgethan! Ich bin eine ehrliche Frau, und Alles, was ich habe, ist mein ehrlicher Name, und den lasse ich mir noch lange nicht von jeder hergelaufenen Person abschneiden!«

»So, Madame Müller,« rief jetzt des Schusters Frau, deren Geduld ebenfalls scharf auf die Neige ging, »jetzt möcht' ich nur wissen, ob Sie mich etwa mit der ›hergelaufenen Person‹ meinen, denn wenn Eine von uns eine hergelaufene Person ist . . .«

»Entschuldigen Sie, meine Damen,« fuhr hier Heßberger dazwischen, der alle Ursache hatte, einen drohenden Ausbruch zu vermeiden, »wenn jener Herr Geheimer Rath etwas Derartiges gegen Sie geäußert hat, Madame Müller, so sind Sie vollständig berechtigt, böse darüber zu werden, jede anständige Frau würde das. Aber dann seien Sie auch so gut und theilen uns genau mit, was er von uns gesagt hat, dann können wir uns verdefendiren, und den Herrn Geheimen Rath wollen wir nachher schon kriegen.«

Madame Müller zögerte einen Moment. Sie fühlte vielleicht, daß sie ein wenig zu weit gegangen sein mochte. Das Verlangen des Schusters war auch zu vernünftig, um eine Einwendung zuzulassen. Die Heßbergers mußten erst erfahren, was sie gesagt haben sollten, und dann sich vertheidigen; das war in der Ordnung, und Madame Müller auch nur eigentlich in der ersten Hitze ein wenig wirr in die Geschichte hineingefahren. Sie sah sich deshalb, als erste Einleitung in ein ruhigeres Gleis, nach einem Stuhl um, den ihr Heßberger bereitwillig hinschob, und sagte dann: »Gut, ich will Ihnen die Sache erzählen, wenn mir auch die Galle noch einmal dabei überläuft; ach, daß ich mir so 'was muß auf meine alten Tage gefallen lassen, wo mir in der Jugend kein Mensch einen Vorwurf machen konnte! Aber ich will wissen, ob der alte grauhaarige Schwätzer die Wahrheit gesprochen oder ob er gelogen hat, und wenn ich damit bis hinauf zum König gehen müßte.«

Und nun erzählte sie mit ziemlich kurzgedrängten Worten, aber natürlich noch immer in jener gereizten Stimmung, welche die Erinnerung an den Morgen in ihr hervorrief, dem aufmerksam zuhörenden Heßberger'schen Ehepaare die Erlebnisse mit Rath Frühbach und dem Major, und Heßberger unterbrach oder störte sie darin nur ein einziges Mal, indem er leise und vorsichtig an die Thür der Werkstatt schlich und diese dann plötzlich aufriß, ob er vielleicht einen seiner Jungen beim Horchen ertappte. Die aber kannten schon sein Manöver und hüteten sich wohl, etwas Derartiges zu versuchen. Wie angeleimt saßen sie auf ihren Schemeln, und darüber beruhigt, schloß der Schuhmacher die Thür wieder.

Die Frau Heßberger schüttelte aber, während ihr Besuch erzählte, immer nur schweigend mit dem Kopf; denn obgleich sie sich von dieser Anklage, dem Rath Frühbach etwas Ähnliches erzählt zu haben, vollkommen rein wußte, so begriff sie doch in aller Welt nicht, wie der genannte Herr erstlich zur Frau Müller kam, und dann auch nicht, wie er sie auf solche Weise da hinein bringen konnte. Aber der Major – den kannte sie gut genug, und der stak auch jedenfalls hinter dem Ganzen.

Ihr Mann mußte ähnliche Gedanken gehabt haben, denn wie die Frau einen Augenblick schwieg, mehr um Athem zu schöpfen, als weil es ihr an Stoff gefehlt hätte – sie würde einen Monat lang damit ausgereicht haben –, sagte er artig:

»Escusiren Sie, Madame Müller, behauptete denn der Herr Geheime Major etwas Aehnliches?«

»Ja, ob es ein geheimer Major war oder nicht,« sagte Madame Müller, »weiß ich nicht – eine Uniform trug er freilich nicht, wie sich's für einen Major gehört, sondern einen alten grauen Rock und einen runden Hut – aber er sprach wenig oder gar nichts; der Rath führte ziemlich allein das Wort und trank auch allein meinen Wein aus, der graue Sünder der . . . Aber nun, Frau Heßberger, frage ich Sie, wie konnten Sie sich unterstehen, etwas Derartiges von mir zu erzählen? Habe ich je in meinem ganzen Leben . . .«

»Ereifern Sie sich nicht unnöthiger Weise, Madame Müllern,« sagte die Heßberger mit Würde, denn sie hatte Zeit genug gehabt, um sich Alles genau zu überlegen. »Ich kann es auf die Hostie beschwören, daß Ihnen jener Herr Rath, was mich betrifft, nichts als blanke Lügen erzählt hat, und wenn Sie mir ihn hierherbringen, will ich ihm das in's Gesicht hinein sagen. Und was Ihren Major betrifft, so kenn' ich den gar nicht und habe ihn wohl noch nicht einmal gesehen, viel weniger gesprochen, und noch viel weniger über Sie. Außerdem,« fuhr sie fort, als sie sah, daß Madame Müller etwas darauf erwidern wollte, »steht hier die Frau, die von der Geburt des Wendelsheim'schen Kindes an bei ihm war und doch wohl wissen müßte, ob es vertauscht wäre oder nicht denn mir kann in der Hinsicht Keiner ein X für ein U machen. Ich habe aber den Jungen – und ein prächtiger junger Herr ist es geworden – zuerst auf den Armen gehabt, und Wochen und Monate und Jahre lang vor Augen, und wenn den Einer hätte verwechseln wollen, der hätte es klug anlegen müssen. Aber ich weiß, woher das Alles kommt: der Major steckt dahinter; das ist derselbe, der das Geld gekriegt hätte, oder doch einen Theil davon, wenn die Wendelsheim'sche Familie ohne männlichen Erben geblieben wäre. Jetzt hat sie, Gott sei Dank, deren zwei, und da nun das Geld bald ausgezahlt werden soll, kommt bei ihm die Wuth und der Aerger, daß er nichts kriegt und leer ausgeht, und er versucht's auf allerlei Art, um noch einen Haken daran zu finden.«

»Aber, Heßbergern,« sagte die Madame Müller, »das ist ja doch gar nicht möglich! So schlecht kann doch ein Mensch gar nicht sein . . .«

»Lehren Sie mich die Menschen kennen, Madame Müllern!« sagte die Heßberger, während der Schuster einen salbungsvollen Blick nach oben warf und schwer aufseufzend mit dem Kopf nickte – er schien sie ebenfalls zu kennen. »Mir sind schlimmere Dinge passirt, viel schlimmere, und die ersten Jahre – Sie waren wohl damals schon in die weite Welt gegangen und über die See – da hatten sie bald dies, bald das Gerede, und Alles über die arme Heßberger, die konnte herhalten, weil sie zu gutmüthig war, fest gegen sie aufzutreten. Aber zuletzt mußten sie's doch aufgeben – Wahrheit und Ehrlichkeit bleiben immer oben, Madame Müllern, immer und ewig, und wie sie erst ausfanden, daß sie mir nichts anhaben konnten, ließen sie mich zufrieden.«

»Und dann wollen sie jetzt vielleicht mit mir dasselbe Spiel versuchen?« rief Madame Müller, deren ganzer Zorn sich nun gegen ihren neulichen Besuch kehrte. »Aber da sind sie an die Falsche gerathen! Ich bin nicht zu gutmüthig, die Versicherung kann ich Ihnen geben, Heßbergern, und wenn mich neulich nicht der Aerger und der Zorn so krank gemacht hätte, daß ich mich niederlegen und volle zehn Tage das Bett hüten mußte, ich wäre augenblicklich auf die Gerichte gelaufen! Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und dazu heute so gut ein Tag, wie gestern oder vor acht Tagen!«

»Aber beste Madame Müller,« sagte Heßberger sehr artig, »da treten Sie die Geschichte erst recht breit. Ich würde solche Menschen mit Verachtung strafen und laufen lassen. Die kommen Ihnen nicht wieder, so viel kann ich Ihnen versichern.«

»Na, das fehlte mir auch noch, daß die wiederkämen,« sagte die Frau, ganz resolut von ihrem Stuhl aufstehend und nach ihrem Schirm greifend, den sie wie eine Waffe packte; »ich wollte ihnen zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat! Aber so kommen sie nicht davon, so viel ist sicher, denn ich will nicht umsonst die ganze Zeit vor Aerger krank im Bett gelegen haben! Ich suche mir einen Advocaten, und dann wollen wir doch einmal sehen, ob so ein paar Kerle zu mir hereinbrechen und mir ihre Lügen unter die Nase reiben dürfen!«

»Da müssen Sie schmähliches Geld blechen,« sagte Heßberger, »und es hilft Ihnen gar nichts.«

»Und wenn mich die Geschichte zwanzig blanke Thaler kosten sollte!« rief Madame Müller bestimmt und schlug sich mit dem nassen Regenschirm in die linke Hand. »Ich kenne freilich die Advocaten hier nicht, denn ich habe mit derlei Leuten nie in meinem Leben etwas zu thun gehabt; aber ich gehe zu Eurem Schwager, dem alten Baumann, das ist ein ehrlicher, braver Mensch, der den Kopf auf der rechten Stelle hat; der wird mir schon einen ordentlichen Menschen nennen können, der Einen nicht blos zum Vergnügen über's Ohr haut.«

»Liebe Madame Müller,« sagte da die Frau Heßberger rasch, »thun Sie das nicht; mein Schwager ist ein seelensguter Mensch, aber was weiß der von den Advocaten! Wenn Sie denn absolut einmal Ihren Willen durchsetzen wollen, so wohnt hier gleich nebenan ein sehr tüchtiger Mann, der Herr . . .«

»Lassen Sie mich nur machen, Frau Heßberger,« sagte Madame Müller, die eben nicht besonders viel auf eine Empfehlung derselben zu geben schien. »Ich bin von klein auf in der Welt gewesen und weiß selber, was ich zu thun habe. Meister Baumann ist ein ganz tüchtiger Mann, und ich will auch gar keinen spitzfindigen Advocaten, sondern nur einen ehrlichen haben. Wenn Sie dann vorgeladen werden, brauchen Sie nur auszusagen, was Sie mir heute versichert haben, und dann wollen wir die beiden Herren, den Herrn Rath und den Herrn Major, schon kriegen, darauf dürfen Sie sich verlassen!«

»Aber es regnet so sehr, meine gute Madame,« sagte Heßberger, der sie jetzt merkwürdiger Weise noch gar so gern eine Weile dabehalten hätte.

»Und wenn es Schusterjungen regnete, Herr Heßberger,« versicherte Madame Müller, »ich komme mit meinem Parapluie schon durch. Also guten Morgen allerseits – wünsche gesegnete Mahlzeit!« und damit öffnete sie die Thür der Werkstatt selber, schritt, ohne mehr nach rechts oder links einen Blick zu wenden, hindurch und stieg dann langsam die etwas steile und dunkle Treppe hinab.

Unten im Hausflur hatte sich indessen ebenfalls Gesellschaft eingefunden. Der Staatsanwalt Witte war, gerade wie der Schauer begann, ohne Regenschirm die Straße heruntergekommen und, da er sich besonders vor Erkältung fürchtete, dort untergetreten. Er glaubte natürlich, daß es, da es mit solcher Wuth und Heftigkeit einsetzte, auch eben so rasch vorüberziehen würde, denn »gestrenge Herren regieren nicht lange«. Aber der Donner folgte immer langsamer und in größeren Zwischenräumen dem Blitz, bis zuletzt noch kaum ein leises Grollen hörbar wurde, und immer wollte der eigentliche Guß nicht nachlassen, ja, schien eher heftiger zu werden.

Witte schüttelte mit dem Kopf, fand sich aber darein, eine Weile auszuhalten, denn ewig konnte es ja nicht dauern, und vielleicht kam auch eine leere Droschke vorüber, die er dann anrufen konnte. Wer aber hat schon je bei Regenwetter, und wenn er sie am nothwendigsten brauchte, eine leere Droschke gefunden? Es kommt gar nicht vor, und überhaupt scheinen die Droschkenkutscher in solcher Zeit einzukriechen wie die Fliegen, denn man trifft nur in Ausnahmefällen einen von ihnen auf der Straße. Der Staatsanwalt lauerte denn auch vergeblich eine volle Viertelstunde und nahm sich schon ein paar Mal vor, lieber mitten im Regen hinaus zu springen und scharf an den Häusern wegzulaufen. Jedesmal aber, wenn er zu solch' einem halben Entschlusse gekommen war, schien es, als ob es mit frischen Kräften zu gießen anfing; es dachte gar nicht daran, aufzuhören, und er gab jedesmal den Versuch wieder auf.

Wie er noch so dastand, arbeitete sich ein Herr mit einem großen hellblauen seidenen Regenschirm an der Thür vorüber; gerade aber als er vor dem Thorweg war, kam ein plötzlicher Windstoß die Straße herunter, faßte unter den Schirm und klappte im Nu die Fischbeinstäbe nach oben, während eine benachbarte Dachtraufe, welche ebenfalls durch den Windstoß eine andere Richtung erhielt, ihren vollen Inhalt über den unglücklichen und nun vollständig wehrlosen Eigentümer des Schirmes ausschüttete.

»Herr Du meine Güte!« sagte der Mann und fuhr mit einem Seitensprung so rasch in das Haus hinein, daß ihm Witte kaum aus dem Weg kommen konnte. Dort bog er sich vor, um wenigstens erst einmal das Gröbste von Hut und Rock ablaufen zu lassen; dann nahm er die Brille ab, um diese klar zu wischen, denn er war vollständig überschüttet worden, und Witte erkannte jetzt erst in dem Eingeregneten den Rath Frühbach.

»Ei, ei, mein lieber Herr Rath,« sagte er, »Sie sind ja in ein ganz gehöriges Sturzbad hineingerathen. Das nenn' ich ja vollkommen unter Wasser gesetzt. Es ist aber auch wirklich ein Hundewetter.«

Rath Frühbach brauchte einige Zeit, bis er seine Sehwerkzeuge wieder in Ordnung hatte, denn er erkannte den Staatsanwalt nicht gleich an der Stimme. Während er aber die Brille noch abwischte, bog er den Kopf herunter, als ob er sie auf der Nase hätte und darüber hinwegsehen wollte, und rief plötzlich aus: »Ei, mein lieber Herr Staatsanwalt, das ist mir ja ein ganz besonderes Vergnügen, Sie hier so zufällig zu treffen! Das nehme mir aber kein Mensch übel, so ein Wetter ist ja noch gar nicht dagewesen – dreht Einem den Schirm ordentlich um.«

»Wenn wir nur eine Droschke bekommen könnten,« sagte der Staatsanwalt, der ungeduldig auf die Straße hinaus sah; »ich habe gar nicht einmal so lange Zeit, ich muß nach Hause, und nun das Wetter – mit meinen dünnen Stiefeln – wenn ich nur wenigstens Gummischuhe mitgenommen hätte!«

»Die helfen auch nicht viel,« sagte der Rath. »Da kam ich einmal Abends in Schwerin aus dem Theater; es war auch nasses Wetter gewesen und ich hatte meine Gummischuhe mitgenommen. Während der Vorstellung mußte sich aber der Wind gedreht haben; es wurde bitter kalt und fror, und wie ich nur hinaus auf die steinerne Treppe trete, fühle ich schon, daß ich an zu rutschen fange. Ich trete also sehr vorsichtig hinunter auf das Pflaster, erst mit dem rechten und dann mit dem linken Fuß, und immer ein bischen weiter, und so bin ich den ganzen Weg nach Haus gegangen.«

Der Staatsanwalt überlegte sich eben, ob er lieber dem Regen und einen jedenfalls darauf folgenden Schnupfen, oder den endlosen Erzählungen des Raths trotzen sollte, als hinter ihnen eine Frau die Treppe herunterkam, auf welche Rath Frühbach, da er gerade wieder seinen Schirm in Ordnung brachte, gar nicht achtete.

Es regnete noch mit derselben Hartnäckigkeit weiter, und die Frau spannte unten im Flur, ohne sich um die Herren zu bekümmern, ihren Schirm auf, wollte auch eben hinaus in den Guß treten, als ihr Auge zufällig auf Rath Frühbach fiel, der ihr in seiner aufmerksamen Weise Platz machte.

»Ne, so 'was lebt nicht!« rief sie plötzlich im größten Erstaunen aus. »Da ist er ja – wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt! Ist auch ein vortreffliches Plätzchen hier, um andere ehrliche Leute schlecht zu machen und zu bereden, nicht wahr? Ja wohl, kann ich mir denken! Aber jetzt wollen wir einmal sehen, ob die Gerichte das zugeben! Wenn noch Recht und Billigkeit im Lande ist, so will ich's schon finden, darauf können Sie sich verlassen, und Ihren saubern Major, den kauf' ich mir noch dazu!«

»Liebe, beste Frau,« sagte der Rath, der zu seinem Entsetzen die Frau Müller aus Vollmers erkannt hatte und jetzt nicht übel Lust zu haben schien, seine ganze Existenz abzuleugnen, denn der Staatsanwalt durfte um Gottes willen nichts von der Geschichte erfahren.

Madame Müller war aber nicht die Frau, irgend jemand Anderes reden zu lassen, so lange sie noch etwas zu sagen hatte, und die wohlwollende Anrede reizte sie ganz besonders. »Der Teufel ist Ihre ›liebe, beste Frau‹!« rief sie zornig und schien nicht übel Lust zu haben, den schon geöffneten Schirm wieder zu schließen. »Sie sollen mir aber vor's Messer, darauf können Sie sich verlassen, und wenn ich . . .«

»Heh, Droschke! Droschke!« rief der Staatsanwalt auf die Straße hinaus. Er begriff nicht recht, was Rath Frühbach mit der Frau haben oder gehabt haben konnte, hatte aber auch keine große Lust, einem etwaigen Streit zuzuhören, und der Wagen, der gerade zufällig gegenüber eine »Fuhre« abgesetzt, kam ihm gut zu Statten. Der Kutscher hörte auch den Ruf und lenkte um, und mit einem kurzen Gruß gegen den Rath sprang der Staatsanwalt mitten in den Regen hinaus.

Das war dem Rath aber zu viel. Mit der entsetzlichen Frau sollte er hier im Thorweg, und außerdem noch durchaus naß, das Unwetter abwarten? Nein – hier drinnen wüthete es ärger als draußen, und einen herzhaften Entschluß fassend, spannte er mit einem plötzlichen Ruck seinen Schirm, sagte »Guten Morgen, Madame!« und war mit drei Schritten wieder unter der Traufe. Er hörte noch hinter sich her etwas von »Gerichten« und »Hausschleichern«, aber der auf den Schirm schlagende Regen ertödtete die Worte, und dem Sturm in die Zähne arbeitete er sich, Madame Müller ihren eigenem Schicksal überlassend, die Straße hinaus.



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