Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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6.

Der alte Salomon.

Lieutenant Bruno von Wendelsheim hatte seine Dienstwohnung eigentlich in der Kaserne; da ihm das aber aus mancherlei Gründen nicht recht paßte, so miethete er sich derselben gerade gegenüber ein kleines freundliches Parterre-Logis mit Stallung, und führte dort eine Junggesellen-Wirthschaft, in der es manchmal außerordentlich vergnügt herging. – Er sah aber heute Morgen nicht so vergnügt aus. Es konnte kaum zehn Uhr sein, und er kam schon erhitzt und müde, mit bestaubten Stiefeln, von einem Gang zurück, warf Mütze und Handschuhe auf den Tisch und ging mit untergeschlagenen Armen und finster zusammengezogenen Brauen in seiner Stube auf und ab.

Die Sache war aber auch unangenehm, denn daß er, der Erbe eines so ungeheuren Vermögens, ja eigentlich schon der Besitzer, da es sich nur um Wochen handelte, jetzt seit drei Tagen fast vergebens in der Stadt herumgelaufen sein sollte, um lumpige zweihundert Louisd'or zu bekommen, schien fast unglaublich, ließ sich aber nicht ableugnen, denn die Thatsache stand fest. Aber er mußte das Geld haben; er konnte sich nicht so furchtbar blamiren, den Handel rückgängig zu machen – der Verkäufer wäre auch gar nicht darauf eingegangen –, und er zerbrach sich eben den Kopf, wie er es am besten ermöglichen könne, ohne zu riesige Procente zu zahlen, als der Briefträger draußen anpochte. Er kannte ihn schon am Klopfen.

Der Herr Lieutenant wußte recht gut, daß ihm von daher keine Hülfe kam; Correspondenz hatte er fast gar keine, und was ihm die Post in's Haus schickte, waren beinahe nur eingesiegelte Rechnungen oder gar directe Mahnbriefe. Er warf auch kaum einen Blick auf die drei oder vier Couverts, die ihm der Bote auf den Tisch legte; aber plötzlich haftete sein Auge auf einem der nicht so kunstgerecht wie die übrigen zusammengelegten Schreiben, und er brach es, wie er sich nur wieder allein sah, rasch auf. Die Adresse trug nur seinen Namen und die Wohnung – die letztere sehr gewissenhaft angegeben – und war mit etwas schwerfälligen Zügen, wie von der Hand eines Quartaners, geschrieben. Inwendig enthielt das Couvert aber keine Silbe weiter, sondern nur einfach einen Fünfthalerschein.

»Das ist aber doch merkwürdig,« sagte der Officier, indem er kopfschüttelnd die wunderliche Sendung betrachtete; »wieder eine Fünfthaler-Note und kein Sterbenswort dabei, als die nämliche Handschrift auf der Adresse – und richtig, wieder mit einem Geldstück petschirt! Wer mag denn nur in aller Welt mein sehr großmüthiger, aber leider, wie es scheint, sehr unbemittelter Protector sein, der mir von Zeit zu Zeit so bedeutende Geldsendungen zukommen läßt? Fünf Thaler! Du lieber Gott, nicht einmal fünfhundert könnten mir heute helfen, und das ist höchstens genügend zu einem Frühstück, um mir die Grillen aus dem Kopfe zu jagen!«

Noch während seines kurzen Selbstgespräches hatte er das Couvert nach allen Seiten genau betrachtet, ob nicht irgendwo ein Stempel oder ein anderes Zeichen auch nur auf die Spur des Absenders deuten ließe, aber umsonst. Es war noch dazu ziemlich ordinäres Schreibepapier, mit Packsiegellack geschlossen, mit einem Geldstück petschirt, und er steckte kopfschüttelnd den Fünfthalerschein in die Westentasche und warf das Papier in die Ecke.

Was wollte er auch anders machen? Was konnte er thun? Irgend Jemand liebte ihn oder schwärmte für ihn und sandte ihm – jetzt schon das zehnte oder zwölfte Mal – durch die Post, ohne irgend einen Werth auf der Adresse anzugeben, einen Fünfthalerschein. Zurückschicken konnte er denselben nicht, er wußte ja nicht an wen, und das Geld auf die Straße werfen? Es wäre schade darum gewesen. Monate lang hatte er sich auch bei früheren Sendungen den Kopf darüber zerbrochen, wer nur möglicher Weise der freundliche Geber sein könne, aber natürlich vergebens; denn der Fall, daß ihm Jemand Geld schickte, war so außerordentlich, daß er jedes Versuches spottete, ihn jemals zu enträthseln.

Aber die Zeit verstrich. Er hatte erst die Absicht gehabt, an dem Morgen noch einmal nach Wendelsheim hinaus zu reiten, um zu hören, wie es seinem Bruder ginge; aber er konnte heute unmöglich, und hoffte ja auch, daß es doch nur einer jener Anfälle gewesen, die der stets Kränkliche von je gehabt und der dann wahrscheinlich auch eben so rasch vorüberging. Hier aber drängte ihn die Zeit; er pfiff seinem Burschen, ließ sich noch einmal sorgfältig abbürsten, zog seine Handschuhe an und eilte dann, mit wahrlich schwerem Herzen einen Gang zu thun, den er gern vermieden hätte. Aber es ging eben nicht mehr, er mußte, und wenn er dort auch kein Geld bekam . . . – Er biß die Zähne auf einander und schüttelte die trüben, bitteren Gedanken ab. Noch war es ja nicht so schlimm.

Vor dem Hause begegnete er einer ältlichen Frau aus den geringeren Ständen, die ihn freundlich, aber achtungsvoll grüßte. Er warf ihr einen Blick über die Achsel zu und hob dann die rechte Hand etwa zehn bis zwölf Zoll, als ob er damit an die Mütze greifen wolle, kam aber noch nicht einmal bis zum ersten Knopfloche der Uniform. Er kannte die Frau, sie war ihm schon begegnet, aber er wußte nicht, wer es sei – möglicher Weise seine Wäscherin, die Geld von ihm haben wollte; er that viel besser, sie vollständig zu ignoriren.

Sein Weg führte ihn durch die nämliche Straße, in welcher, Nr. 11 im ersten Stocke, der Staatsanwalt Witte wohnte; aber sein Herz dachte heute Morgen weder an ihn, noch an seine Tochter, und nur zufällig hob er im Vorübergehen den Blick zu den Fenstern. Aber dort saß Ottilie schon am Nähtisch bei ihrer Arbeit, lange jedoch nicht so beschäftigt, um nicht dann und wann das Auge nach der Straße hinabgleiten zu lassen. Es war ja so interessant, zu sehen, wer vorüberging. Sie hatte auch schon mehrfach an dem Morgen Gelegenheit gehabt, zu grüßen, oder vielmehr grüßend zu danken, aber noch nie so freundlich und so tief dabei erröthend, als diesmal, und Wendelsheim selber, ordentlich erschreckt, daß er sie fast übersehen hätte, grüßte auf das Verbindlichste.

Dadurch aber, daß er seine Aufmerksamkeit nach dem Fenster oben richtete, lief er einer andern Gefahr in den Rachen, und zwar gerade gegen den unvermeidlichen Rath Frühbach an, der ihn auch ohne weiteres Säumen stellte.

»Ah, mein lieber Herr Baron, auch schon auf der Promenade, und wie ich sehe, sehr angenehm beschäftigt? Ja, mein lieber junger Freund – na, ich gehe ein Stück mit Ihnen hier herunter, denn ich habe doch nichts zu versäumen – mein junger Freund, was ich gleich sagen wollte – in meiner Jugend habe ich es auch nicht besser gemacht, und ich war Ihnen ein verfluchter Kerl. Da lebte in Schwerin ein alter reicher Rauchwaarenhändler, ein steinreicher Bursch, sag' ich Ihnen, aber auch ein komischer Kauz, eine Art von Sonderling, der hatte eine wunderhübsche Tochter, Rosine hieß sie – nein, warten Sie einmal, das war eine andere; Rosine war die Nichte vom Ober-Appellationsrath Breitnagel, mit der ich auch einmal verlobt sein sollte – die Tochter von dem Rauchwaarenhändler – Herr Gott, fällt mir jetzt der Name nicht mehr ein – na, wenn sie das wüßte – aber es bleibt sich gleich, ich komme auch vielleicht noch darauf – aber es ist ärgerlich, wenn Einem so ein Name fehlt, und man quält sich manchmal einen Tag damit herum, ja, kann Nachts nicht davor einschlafen. Dieser Tochter also, Fräulein Therese – Jesus ja, Therese, wie ich das auch vergessen konnte! – machte ich damals furchtbar den Hof. Lieber Gott, ich war jung, sie war jung, und wenn sich ein paar junge Leute gern haben – warum nicht? Ja, das war ein wunderhübsches Mädchen, und ich hätte eine ganz gute Speculation mit der Heirath gemacht.«

»Und warum heiratheten Sie sie nicht?« fragte Baron Wendelsheim, der nur mit halben Ohr auf die Salbaderei hörte.

»Wie ich mir's noch überlegte,« sagte der Rath, »war sie auf einmal mit einem Lieutenant verlobt, und noch dazu mit einem weitläufigen Verwandten von mir, den ich dort selber eingeführt hatte.«

»Das war ein Pech,« sagte der Baron; »aber, à propos, mein lieber Rath, Sie sagten mir doch einmal, daß Sie so etwas von einem Finanzmann wären?«

»Ei gewiß,« rief Rath Frühbach rasch, »ich könnte Ihnen da Arbeiten zeigen . . .«

»Bitte, ist gar nicht nöthig; aber die Hauptaufgabe eines Finanzmannes wäre meiner Meinung nach die, lieber Rath, Geld in Zeiten der Noth zu schaffen, nicht wahr?«

»Und das vorhandene zu verwalten,« ergänzte der Rath.

»Während wir von dem letzteren Punkt vor der Hand absehen,« fuhr der Lieutenant fort, »möchte ich Sie dann bitten, mir, gegen gute Interessen natürlich, bis heut Abend zweihundert Louisd'or zu schaffen.«

Rath Frühbach sah seinen Begleiter über die Brille an und lächelte. »Da fällt mir eine Geschichte ein,« sagte er.

»Mein lieber, bester Rath,« rief der junge Officier, jetzt wahrlich nicht in der Stimmung, lange Geschichten anzuhören, »alle Ihre Erzählungen helfen mir gar nichts, wenn Sie nicht Geld schaffen können!«

»Aber sie erläutern den Fall.«

»Der Fall ist schon so klar wie Krystall; ich brauche zweihundert Louisd'or, um ein Pferd zu bezahlen. Haben Sie so viel?«

»Nöthig, ja, lieber Freund,« erwiderte Frühbach, sich ausnahmsweise einmal kurz und bündig fassend, »aber nicht baar.«

»Und können Sie mir dieselben auch nicht verschaffen?«

»Ich wüßte nicht, wo.«

»Dann leben Sie recht wohl,« nickte ihm der Lieutenant zu, indem er sich dabei ohne weitere Umstände von ihm frei machte und rechts ab in eine der Seitenstraßen bog. Rath Frühbach schien auch einen Moment nicht übel Lust zu haben, ihm zu folgen, denn gewöhnlich ließ er seine Schlachtopfer nicht so rasch wieder frei; aber bei näherer Ueberlegung stand er doch davon ab. Der Lieutenant brauchte Geld, und solchen Leuten geht man eher aus dem Wege, als daß man sie aufsucht.

Der junge Baron kümmerte sich indessen nicht weiter um seinen Begleiter, sondern schritt auf ihm allerdings wohlbekannten Pfaden zuerst eine schmale Gasse entlang, tauchte dann rechts in einen Durchgang und gerieth hier in ein Viertel der Stadt, das vorzugsweise Bekenner der mosaischen Religion zu Insassen zu haben schien. Da war Laden neben Laden, jeder einzeln aus einem kleinen, dunkeln Käfterchen bestehend und mit Waaren vollgestopft, die man sich nicht bunter hätte denken können. Da standen alte Bettladen vor der Thür, mit schauerlichen, bunt gemalten Litographien darüber; da hingen verrostete Flinten und zerbrochene Pulverhörner, alte, getragene Kleider und Stiefel; da standen Porzellan und Steingut friedlich neben eisernen Kochtöpfen und Stutzuhren, da lagen Messer und Gabeln, Terzerole, Kämme, Hosenträger und Gott weiß was Alles bei einander, und in den kleinen, wohl kaum je geputzten Fenstern prangten zerknitterte Blumen, die vielleicht einst ein bildhübsches Mädchen zuerst beim Tanze getragen, unächter Schmuck, Halsketten mit Halbmonden und Kreuzen, und dazwischen war gewöhnlich eine Tafel von Pappe angebracht, auf welcher schreckbar aussehende, vergilbte, zerbrochene Cigarren verkünden sollten, daß auch dieser Geschäftszweig – und welcher nicht? – hier vertreten wäre.

Der Baron durchschritt auch die enge Gasse mit einiger Vorsicht, besonders wenn sich irgendwo ein Fenster öffnete, denn er wußte aus Erfahrung, daß die Bewohner dieser Spelunken gerade nicht sehr wählerisch in den Gegenständen waren, die sie zuweilen von oben herab auf die Straße schütteten. Er selber aber, obgleich ein Officier in diese Umgebung allerdings nicht paßte, schien hier nicht die geringste Aufmerksamkeit zu erregen. Es war eben nichts so Seltenes, daß sich sehr anständig gekleidete Herren, in Uniform wie in Civil, in dieses Viertel verloren, und wenn sie auch nichts von den da aufgestellten Waaren gebrauchen konnten, wurde doch manches »Geschäft« mit den Eigenthümern derselben abgemacht. Wer konnte diesen verwehren, daß sie auf Uhren oder sonstige Pretiosen Geld verborgten! Und Mancher, der sich scheute, offen in das städtische Leihhaus zu gehen, suchte dringenden Bedürfnissen hier ganz im Geheimen, wenn auch mit etwas größeren Opfern, abzuhelfen.

Das aber galt doch nur für kleine, unbedeutende Verlegenheiten, wenigstens für solche, die eine geringe Summe betrafen. Bruno von Wendelsheim brauchte aber mehr und kannte auch genau die Quelle, zu der er gehen mußte. Und trotzdem ging er den Weg mit schwerem Herzen, denn gerade dem Manne gegenüber fühlte er sich unbehaglich, gerade diese Schwelle hätte er nicht mit einem Ansuchen um Geld mehr überschritten, wie er es früher so oft gethan, wenn ihm nur eben eine Wahl geblieben wäre; aber es half ihm nichts, er mußte.

Die enge Gasse hatte er jetzt durchschritten, in welcher das Proletariat dieser Bevölkerung zu leben schien. Hier kreuzte sie eine andere Straße, und sie nahm von da ab einen andern Namen an und wurde breiter. Die Namen der Schilder gehörten allerdings noch ganz entschieden israelischer Abkunft an; da gab es einen Oppenheimer und Hirsch, einen Goldmeier und Levy, einen Süß und Rosenstengel, aber die Läden wurden eleganter und die Häuser reinlicher und sahen wohnlicher aus. Der junge Officier schritt immer noch weiter, bis er fast das Ende der Straße erreichte, und dort erst betrat er gleich darauf einen Laden, der wohl auch eine wunderliche Mischung von Dingen zeigte, aber sich nicht mit dem Abwurf des gewöhnlichen Lebens beschäftigte.

Es war ein großes Kreuzgewölbe, mit einem dicken steinernen Pfeiler in der Mitte, und sah so aus, als ob es weit eher zu dem Refectorium eines Klosters, als zu seiner jetzigen Bestimmung gepaßt hätte. Der Hintergrund blieb auch düster, obgleich ihm vorn zwei hohe Bogenfenster Licht gaben. Der ganze Raum zeigte sich aber mit Dingen gefüllt, die der Umgebung entsprachen und fast sämmtlich vergangenen Jahrhunderten zugehören mußten. Da waren alte, wunderlich geformte und gemalte Vasen, mit Silber und Elfenbein eingelegte Kästen, riesige, ächt beschlagene Trinkhörner, kostbare, aber ebenfalls altertümliche Waffen, chinesische und japanische Schnitzereien und Lackarbeiten, prachtvolle, aber schon angerauchte alte Meerschaumpfeifenköpfe, Bernsteinspitzen vom größten Umfange; dann Rüstungsstücke, mit Silber eingelegte Panzerhemden, Spazierstöcke mit mächtigen Amethysten oder anderen edlen Steinen als Knopf, Theebretter mit kostbaren Malereien, Tabaksdosen mit in Brillanten eingelegten Namenschiffern und Kronen, Thee-Service in Rococoform, kurz alles nur Erdenkliche, was in dieses Fach schlug und aus allen Theilen der Erde, von allen Völkern hier versammelt schien.

Der Baron kannte den Platz, und als er ihn erreicht, war es fast, als ob sein Fuß einen Moment zögerte. Aber was half ihm unschlüssiges Besinnen – da drinnen lag seine letzte Hoffnung, und es nützte ihm wahrlich nichts, den Entscheid nur hinaus zu schieben. Wenn er jetzt auch vorbeigegangen wäre, weiter oben hätte er doch umdrehen und hierher zurückkehren müssen. So denn, die Zähne fest zusammengebissen, schritt er auf die Thür zu, warf noch einen raschen Blick nach rechts und links hinüber, ob er nicht doch vielleicht zufällig jemand Bekanntes sähe, was ihm wahrscheinlich nicht lieb gewesen wäre, und trat dann schnell ein.

Der Laden war indessen nicht leer von Besuchern, wie er anfangs geglaubt, denn der alte Mann, der Eigenthümer desselben, stand ziemlich im Hintergrund mit einer kleinen, corpulenten und wunderlich gekleideten Gestalt. Das Geschäft mußte aber beendet oder gar nicht entrirt sein, denn wie er jetzt entschlossen nach hinten schritt, hörte er nur noch, daß der alte Salomon sagte:

»Nein, lieber Freund, thut mir leid, mache gern Geschäfte, aber nicht solche und mit unbekannten Leuten.«

Der Kleine flüsterte etwas dagegen; der Alte schüttelte aber mit dem Kopf und fuhr fort: »Würde Ihnen auch nichts helfen: derlei Sachen kaufe ich nicht, ist auch nicht mein Geschäft, als ich nur offen und ehrlich handele mit guten, reellen Waaren. Sollte mich aber gar nicht wundern, wenn Sie in der Straße weiter unten einen Käufer finden; ich mag nichts damit zu thun haben.«

Dem kleinen Mann schien die Gegenwart eines Dritten nicht besonders angenehm. Der Baron merkte auch, daß er etwas in ein rothbaumwollenes Tuch einschlug und dann unter den Arm nahm. Er erwiderte aber nichts weiter, drehte sich ab und glitt dann an dem Lieutenant, an dem er einen halbscheuen Blick hinaufwarf, vorüber, der Thür zu. Dem Baron war es auch fast, als ob er ihn gegrüßt hätte, das konnte aber auch vielleicht Verlegenheit oder allgemeine Höflichkeit gewesen sein, und überdies fühlte er sich gerade nicht in der Stimmung, darauf zu achten oder den Gruß zu erwidern. Er sah sich nach dem Davonschleichenden, der aber von dem alten Händler fest im Auge behalten wurde, bis er die Thür hinter sich in's Schloß drückte, auch gar nicht um, und nun auf Salomon zuschreitend, streckte er ihm die Hand entgegen und sagte freundlicher, als er bis dahin ausgesehen:

»Nun, wie geht's, alter Freund – immer noch auf dem Zeug?«

»Gott der Gerechte, der Herr Baron!« sagte der Mann mit einem eigenen, fast wehmüthigen Lächeln, die dargebotene Hand aber nehmend und schüttelnd. »Hab' ich doch beinah' geglaubt, daß Sie vergessen hätten, wo der alte Salomon wohnt. Es muß ein Menschenalter sein, daß wir einander nicht gesehen haben.«

»Nun so lange doch wohl nicht, Salomon,« sagte der Baron halb verlegen, »ich dächte, es könnten kaum vier Wochen sein.«

»Wie Sie Recht haben,« sagte der Alte, sich mit dem dritten Finger der linken Hand vor die Stirn klopfend. »Aber das Gedächtniß wird schwach, Herr Baron, das Gedächtniß wird schwach, 's ist ja wahr, vor vier Wochen etwa, wo Sie mir die Ehre gaben, ein kleines Geschäft mit mir zu machen. Gott der Gerechte, wie schlecht die Zeiten seitdem geworden sind!«

»Und wie geht es Ihrer Fräulein Tochter?«

»Danke der Nachfrage, Herr Baron – aber wollen Sie nicht ein wenig Platz nehmen bei einem alten Manne? – der liebe Gott sei gepriesen, recht gut geht's ihr! Sie blüht wie ein Röschen im Moos, und der Herr hat mich Freude erleben lassen an dem Kind; nur in der letzten Zeit ist sie leidend gewesen. Hat ihr nichts gefehlt im Körper, ist blos gewesen schwermüthig und betrübt, wie junge Mädchen haben ja manchmal die Laune. Es ist ein gutes, liebes Kind, aber mit viel Gefühl, zu viel Gefühl für Unsereinen – möge sie mir lange erhalten bleiben.«

»Sie erlauben mir doch vielleicht, daß ich sie nachher begrüßen darf?« sagte Wendelsheim, immer noch mit einer gewissen Empfindung, das, was ihn eigentlich hierher geführt, so lange als möglich hinaus zu schieben.

Der alte Mann zögerte einen Moment mit der Antwort; endlich sagte er, still vor sich hin mit dem Kopf nickend: »Sie hält viel auf den Herrn Baron und hat oft gesagt, er hätte versprochen, einmal wieder zu kommen und mit ihr zu musiciren. Wie haißt? hab' ich gesagt – der Herr Baron hat zu thun, wird er nicht haben so viel Zeit, sich zu Dir herzusetzen und Musik zu machen.«

»Es ist wahr,« sagte der junge Mann, »ich hatte ihr versprochen, bald wieder zu kommen und ihr die Schubert'schen Lieder zu accompagniren; ich hatte aber wirklich so viel zu thun . . .«

»Nu, wer hat nicht zu thun?« sagte der alte Mann. »Ist ein Kunststück. Sie haben zu thun in Ihrer, wir in unserer Art; jeder Mensch hat zu thun und kann nicht immer auf Zeitvertreib denken.«

»Ich hoffe aber, jetzt öfter kommen zu können.«

»Versprechen Sie nichts, Herr Baron, besonders der Rebecca nichts, denn man weiß nicht immer, ob man's halten kann, und das Warten macht nachher müde. Es giebt kaum was Schlimmeres auf der Welt, als Warten.«

»Ja,« sagte der Baron etwas zerstreut; »aber – was ich gleich sagen wollte – ich bin noch weit in Ihrer Schuld, lieber Salomon . . .«

»Da giebt's ein Mittel, das zu ändern,« lächelte der Alte.

»Ein Mittel?«

»Nun, Sie zahlen eben.«

»Ja so, – gewiß – das ist wahr – aber . . .«

»Nun, ich habe Sie noch nicht gedrängt,« erwiderte der Händler. »Unser Contract lautet: bei Zurücklegung Ihres vierundzwanzigsten Jahres, wann wird ausgezahlt werden die Erbschaft. Gott Abraham's, es ist viel für mich, aber Ihnen wird es dann nicht weh thun!«

»Aber wenn ich heute noch um weitere Vorschüsse käme?«

»Heute?« sagte der Alte, etwas verlegen auf seinem Stuhl umherrückend. »Der Herr Baron werden gewiß einem alten Mann nicht mehr aufbürden, als er tragen kann, und es sollte mir leid thun, Ihnen eine abschlägige Antwort zu geben.«

»Aber ich muß heute Geld haben, Salomon!« rief Wendelsheim, also gedrängt und in die Enge getrieben. »Ich brauche bis heut Abend sechs Uhr zweihundert Louisd'or . . .«

»Gott der Gerechte, was ein Geld!«

»Die zu der bestimmten Frist zu zahlen ich mein Ehrenwort gegeben habe. Als Officier muß ich das einlösen oder meinen Abschied nehmen.«

»Wär' kein Unglück,« sagte Salomon; »Wenn Sie die Hunderttausend erben, was thun Sie mit der Lieutenants-Gage? Sie reicht nicht einmal zu Taschengeld.«

»Aber ich bin auch zugleich beschimpft.«

»Es ist ein sonderbar Ding,« sagte der alte Jude, langsam dazu mit dem Kopfe nickend, »daß sich die Menschen ein Wort so hoch hinstellen und so verehren, und dann nachher doch so leichtsinnig damit umgehen. Ich versteh's nicht und kann's nicht begreifen. Aber haben Sie vielleicht für einen guten Freund oder Verwandten, der in großer Not und Gefahr war, gutgesagt, Herr Baron, daß Sie das viele Geld brauchen, oder haben Sie – Gott will's verhüten! – gespielt?«

»Nein, Salomon,« sagte der Baron, »gespielt habe ich nicht. Ich versprach Euch ja bei dem letzten Anlehen, nicht zu spielen; aber – mein Pferd war schlecht, ich mußte ein anderes Thier haben, und der englische Lord, der hier kürzlich seinen Marstall verkaufte, hatte einen so wundervollen Fuchs . . .«

»Für zweihundert Lujedor?« rief der alte Mann, seine Hände vor Bewunderung zusammenschlagend.

»Es ist ein Spottpreis für das Pferd,« rief der Lieutenant, »und ich konnte es mir nicht entgehen lassen. Die Kaufbedingungen waren aber baar Geld, oder letzter Zahlungstermin heut Abend unter Garantie. Mein Ehrenwort wurde natürlich als solche angenommen, und ich bekam das Pferd.«

»Zweihundert Lujedor für ein Pferd,« sagte Salomon noch immer kopfschüttelnd über den Gedanken, »und wenn Sie drauf sitzen und es stolpert und bricht ein Bein, so sind die zweihundert Lujedors mitgebrochen. Man sollt's nicht glauben, wenn man's nicht mit eigenen Ohren hörte.«

»Und kann ich das Geld bekommen, Salomon?«

Der alte Mann hörte nicht auf den Kopf zu schütteln. »Herr Baron,« sagte er endlich, »Sie wissen, daß ich Ihnen bin gefällig gewesen, wo ich konnte, aber – es hat Alles seine Grenzen – auch mein Geldbeutel. Ich bin kein armer Mann, der Herr hat meine Arbeit und meinen Fleiß gesegnet; aber in den Waaren steckt viel Geld und wenig Leute kommen, die kaufen. Wer soll sorgen für meine alten Tage, wenn ich's nicht thue? Keine Seele. Was kümmert sie der alte Salomon!«

»Aber das Geld ist Euch doch sicher, Salomon.«

»Weiß ich nicht,« sagte der alte Mann entschlossen, »denn es ist keine Erbschaft wie sonst, sondern noch in den Händen des Gerichts und an Bedingungen geknüpft.«

»Die aber in kurzer Zeit gelöst sind.«

»Weiß ich wieder nicht,« sagte der Alte. »Der Herr Baron sind Officier und die Herren Officiere haben einen starken Begriff von Ehre. Es darf Einer dem Andern aus Versehen auf den Fuß treten und sich nicht entschuldigen – Gott der Gerechte, was für ein Unglück! – und sie gehen hinaus und schießen mit geladene Pistolen auf einander. Der Herr Baron kann in den paar Wochen auf dem theuren Pferde ausreiten und fallen und den Hals brechen, und geb' ich das Geld, so bricht der Herr Baron den Hals nicht allein, der alte Salomon bricht ihn mit.«

»Aber ich werde mich gewiß in der Zeit sehr in Acht nehmen, Salomon. Ich weiß ja doch, was für mich und die Meinen davon abhängt.«

»Ist recht schön von Ihnen,« erwiderte der alte Mann, »aber ich stecke schon tief genug in der Geschichte drin, und mehr noch zu riskiren, wäre nicht klug gehandelt, selbst angenommen, daß ich das Geld hätte, was aber, soll mir Gott helfen, nicht der Fall ist. Wenn Sie ein Haus versichern bei einer Gesellschaft, so nimmt es die Gesellschaft nur zu einem bestimmten Werth, nicht mehr. Ich bin schon weiter gegangen. Als ich habe nachgesehen meine Bücher am letzten Ersten, habe ich gefunden große Summen hinter dem Herrn Baron seinen Namen, und alle auf der einen Seite – war doch die andere blank und rein, eine wahre Papierverschwendung. Auf die Seite geht noch viel, auf die andere nichts mehr, oder der Salomon könnt's nicht verantworten vor Weib und Kind und dem Gott seiner Väter, als ich will bleiben gesund – das ist mein letztes Wort.«

»Aber Salomon,« rief der Officier in Todesangst, »ich habe keinen Menschen auf der Welt, von dem ich heute noch so viel Geld bekommen könnte, und ich muß es haben oder ich weiß nicht, was ich thue! Ihr treibt mich zur Verzweiflung, und mir bleibt nichts Anderes übrig, als . . .«

»Drohen Sie nicht mit einer Sache, junger Mann,« sagte der alte Jude ernst, »wo der Gedanke, noch nicht einmal ausgesprochen, schon Sünde ist vor dem Thron des Höchsten. Denken Sie an Ihren Vater, an Ihre todte Mutter, denken Sie an die Leute, die Ihnen vertraut haben, wenn auch ohne gegebenes Ehrenwort, doch mit gedachtem, und die Sie auf die Weise nicht bezahlen können. Sie sind noch jung, und ein Fehler ist in Ihrem Alter leicht wieder gut gemacht – aber das müssen Sie selber thun – ich nicht –, und doch verlangen Sie's von mir.«

Der Officier saß vor ihm, die rechte Faust auf seinem Knie geballt, die Augen stier und düster am Boden haftend. Ein Gedanke, wie ein Blitz, schoß ihm durch die Seele. Noch war Hoffnung. Rebekka, des Juden Tochter, hatte ihn lieb, das wußte er, und wenn er oft mit dem wunderbar schönen Mädchen getändelt, traf ihn manchmal ein Blick aus ihren schwarzen Augen, der ihm in die Seele schnitt. Er mied sie auch deshalb, denn er war nicht schlecht und wollte keine Neigung erwecken, die er, wie er glaubte, doch nie erwidern durfte. Aber jetzt galt es, ihn aus einer wirklichen Noth zu erretten, und zwar einer Summe wegen, die er ja in wenigen Monden schon mit reichen Zinsen zurückzahlen konnte und wollte. – Sie mußte ihm helfen, den Vater zu erweichen, und sie that es, denn mit dem Alten war, nach dem letzten Schwure, den er gethan, kein Wort weiter zu reden, das wußte er gut genug.

»Ihr seid hart heute, Salomon,« sagte er endlich, »hart und zäh, wie ich Euch nie gefunden . . .«

»Schade für mich,« sagte der Alte störrisch.

»Ich weiß auch im Augenblick nicht, wie ich mir helfen soll, wenn Ihr mich im Stiche laßt. Ich muß Zeit zum Ueberlegen haben, und es ist das Beste, daß ich gehe . . .«

»Thut mir leid,« sagte der alte Mann, »den Herrn Baron umsonst den weiten Weg haben machen zu lassen; aber soll mir Gott helfen, ich kann nicht anders. Ich habe mehr für Sie gethan, als für einen andern fremden Menschen auf der Welt; aber eine Grenze muß sein, und wir stehen dran.«

»Es ist möglich, Salomon,« sagte der junge Mann, »daß wir uns jetzt in längerer Zeit nicht sehen. Erlauben Sie mir, Ihre Tochter noch zu begrüßen?«

Der Alte zögerte. »Gehen Sie,« sagte er endlich; »ihre Mutter ist oben, ich kann jetzt noch nicht; es ist vier Uhr gerade, und ein Freund wollte kommen, mit dem ich habe zu reden. Ich folge gleich nach, muß dann erst zuschließen die Ladenthür, denn viel Gesindel treibt sich herum.«

»Ich werde vorausgehen.«

»Der Herr Baron wissen ja den Weg, die Treppe ist etwas dunkel; erst vier Stufen, dann ein Absatz, und dann drei. Fallen Sie nicht.«

»Ich kenne ja die Treppe – also auf Wiedersehen, Salomon!« Und mit schwerem Herzen schritt der junge Mann durch die Hinterthür über den Hof und dort dem schmalen Eingang zu, der zu dem eigentlichen Wohnhaus des alten Mannes hinaufführte.



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