Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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5.

Beim Schlosser Baumann.

Beim Schlosser Baumann wurde das Abendbrod auf den Tisch gestellt: Kartoffeln in der Schale, kräftiges Schwarzbrod, Butter, Käse und ein Krug Bier dazu; denn Baumann arbeitete allerdings ganz tüchtig und war ein geschickter Mann, ließ sich jedoch nichts abgehen und hielt etwas auf seinen innern Menschen. Aber er duldete auch nicht, daß die Leute schlechteres Essen bekamen, als er selber. Er verlangte ordentliche Arbeit von ihnen und wahrhaftig kein Feiern dabei, denn wie er selber zugriff, mußten auch die Anderen mit angreifen. Doch ordentliche Nahrung sollten sie dazu in die Knochen haben und dann hielten sie es auch mit Vergnügen aus und schlugen in der Schmiede nicht zu, als ob sie Nüsse knacken wollten.

Nur auf seinen äußern Menschen gab er nichts. Sonntags allerdings, wenn er einmal mit der Frau ausging, zog er seinen langen blauen Rock an und band sich eine etwas unbequeme hohe Cravatte um; in der Woche aber ging er in Hemdsärmeln und mit dem Schurzfell, und dazu ein schwarzes kleines Käppchen auf; ja, selbst wenn er Arbeit in der Stadt hatte und ausgehen mußte, wechselte er das nicht, wie auch die Frau dagegen redete. Es schicke sich nicht für einen Meister, sagte sie, daß er wie ein Gesell umherlaufe, und er solle doch etwas mehr auf seine ›Reputation‹ sehen. Aber Meister Baumann lachte dann nur immer und meinte, er sähe in seinem Schurzfell ein ganz Theil besser und anständiger aus, als sie selber mit ihrer aufgedunsenen Crinoline, mit der sie dem Ambos nicht einmal mehr zu nahe kommen dürfe. Und dabei blieb es, denn Baumann, so seelensgut er sonst sein mochte, hatte einen entsetzlichen Dickkopf in manchen Dingen und auch gerade nicht ganz Unrecht mit der Crinoline, die er seiner Frau vorwarf.

Seine Frau war wirklich herzensgut und sorgte für ihren Mann und ihre Kinder, wie nur eine Mutter sorgen kann, und besonders an dem jüngsten, einem Mädchen von sieben Jahren, hing sie mit unsagbarer Liebe; aber sie besaß einen Fehler: sie war ein wenig eitel, und zwar nicht mehr auf ihre Schönheit, so hübsch sie auch vielleicht in früheren Jahren gewesen sein mochte, sondern auf ihr Aeußeres, auf ihre »Stellung« im Leben, und das Gefühl geht freilich durch alle Schichten der Gesellschaft, von hoch herunter bis zur niedrigsten. Meister Baumann versuchte nun allerdings zuweilen, ihr den ›Dünkel‹, wie er es nannte, auszutreiben und argumentirte dann ganz einfach, daß sie nichts als schlichte Handwerker wären, die keinen Anspruch machten und an die kein Anspruch gemacht würde; aber darin gab sie ihm nie Recht. Er, ihr Mann, sei, wie sie behauptete, ein geachteter Bürger der Stadt, wenn auch nur ein Handwerker, der sich sein Brod mit seiner Hände Arbeit verdiene: aber deshalb gerade könne sie nicht wie eine Tagelöhnersfrau in einer »schlampigen Fahne« umherlaufen, und »wenn dem Tischler Behrens seine Frau und dem Bäcker Gluck seine« in großen Crinolinen einherstolzirten, so möchte sie einmal das Gesicht sehen, mit dem die sie angucken würden, wenn sie »nur so« zwischen ihnen herumliefe.

Baumann lachte bei solchen Argumenten, und die Sache war abgethan. Nur als sie einmal den Versuch machte, eine Schleppe zuzulegen, curirte er sie gründlich gleich von vornherein. Er sagte nämlich kein Wort darüber; wie aber Abends, nach einem stolz verlebten Sonntag-Nachmittag, das Kleid im Schrank hing, nahm er eine Scheere, ging hin und schnitt heimlich hinten alles Ueberflüssige herunter. Gesprochen wurde auch darüber gar nichts. Die Frau fand das etwas arg zugerichtete Kleid – denn Baumann war nichts weniger als ein Damenschneider –, reparirte es wieder, so gut es gehen wollte, und gab dann jeden weiteren Versuch in dieser Richtung auf.

Diese Eitelkeit hatte aber auch ihre guten Seiten, denn sie warf sich auf die Erziehung der Kinder, für die sie Alles anstrengte. Ein paar Jahre nach ihrer Verheirathung hatte sie eine kleine Erbschaft gemacht, und wie der Erstgeborene heranwuchs, wollte sie absolut, daß er studiren und ein gelehrter Mann werden solle. Dagegen aber legte Meister Baumann entschieden Protest ein; denn wenn das Kind auch in den ersten Jahren etwas kränkelte, entwickelte es sich doch später vortrefflich, und der Vater behauptete, daß sein Sohn nichts Anderes werden dürfe, als was der Vater gewesen: ein ehrlicher und tüchtiger Schlosser auch. Das bahne ihm dann den Weg weiter, und habe der Junge Talent und Geschick, könne er es schon noch zu Allerlei bringen, denn das Schlosserhandwerk sei in jetziger Zeit der Anfang zu allen möglichen ehrenvollen Laufbahnen geworden.

Fritz, wie der Knabe getauft worden, trat denn auch bei ihm selber in die Lehre, und der Erfolg bewies, daß der Vater Recht gehabt. Er zeigte sich bald so außerordentlich fleißig und geschickt, daß ihn der alte Schlossermeister selber nach drei Jahren dem Mechanikus Obrich überließ, um etwas Tüchtiges aus ihm heran zu bilden.

Der zweite Sohn, ein derber, prächtiger Junge, wurde ebenfalls Schlosser, und der dritte, da er mehr Neigung zu Holzarbeiten verrieth, kam zu einem Tischler in die Lehre. Mit dem Studiren, wie es die Frau immer gehofft, war es also nichts, und die Knaben befanden sich auch alle drei bei dem gewählten Beruf vortrefflich.

»Sag' einmal, Alte,« begann der Meister, während er mit seiner Frau, den Gesellen und einem Lehrling am Tisch saß und eben eine etwas heiße Kartoffel schälte – Fritz war gleichfalls herüber gekommen, hatte aber schon gegessen und sich nur ein Glas Bier eingeschenkt, was es drüben nicht gab – »kennst Du denn den Staatsanwalt Witte oder seine Familie näher?«

»Näher?« sagte die Frau kopfschüttelnd. »Woher soll ich die Leute näher kennen? Die Kinder haben früher oft zusammen gespielt; ich bin aber nie zu ihnen in's Haus gekommen. Weshalb denn?«

»Oh, ich meinte nur,« sagte der Meister, während Fritz, ohne jede scheinbare Veranlassung, ordentlich roth wurde und fast wie verlegen aussah. »Aber wie ich heute drüben war, denn er ließ mich wegen eines Schlüssels zu seinem Schreibtisch rufen, fragte er mich so angelegentlich nach Euch Allen, und wie viel Kinder wir hätten, und ob es Jungens oder Mädchen wären, und ob uns keins gestorben sei, und wie lange wir verheirathet seien, kurz, tausenderlei, was ihm doch eigentlich verwünscht gleichgültig sein könnte.«

»Ich kenne die Leute, Vater,« sagte jetzt Fritz, indem er zugleich das Bier an die Lippen hob; »ich komme manchmal hinüber, wenn wir etwas für den Staatsanwalt zu thun haben.«

»Du kommst hinüber?« sagte der Vater erstaunt. »Wozu?«

»Nun, wenn irgend eine gemachte Arbeit abgeliefert wird.«

»Na, das hat bei Euch der Werkführer zu thun? Bei uns thut's der Junge.«

»Oh,« meinte Fritz, doch jetzt etwas verlegen, »wenn einmal irgend etwas sehr Zerbrechliches vorkommt, was man dem Jungen nicht gut anvertrauen kann. Er ist gar zu zerstreut.«

»So?« sagte der Vater und nickte still lächelnd vor sich hin; »ei, wie besorgt der Fritz ist. Das junge hübsche Mädchen drüben hast Du wohl noch gar nicht einmal gesehen?«

»Oh doch, Vater,« sagte Fritz rasch, und der Alte lachte.

»Ja, kann ich mir denken; aber da laß die Finger davon, mein Junge. Das ist nichts für Unsereinen, und ein ehrlicher Handwerker soll sich auch nicht einmal der Gefahr aussetzen, von dem vornehmen Volk abgewiesen zu werden.«

»Aber wie Du nur gleich wieder bist, Vater,« sagte die Frau; »Fritz ist ein ganz schmucker Bursche, und wer weiß denn, ob sich der Herr Staatsanwalt nicht gerade deshalb so genau bei Dir nach uns erkundigt hat. Lieber Gott, er ist doch auch kein Prinz und sie keine Prinzessin.«

»Ne, Alte, da hast Du Recht,« sagte der Schlosser; »aber Gleich und Gleich gesellt sich doch immer besser, und ich denke, der Alte hat sich da auch schon sein Part ausgesucht – oder vielmehr das junge Blut selber. Wie ich gerade hinüber ging und anklopfen wollte, kam ein Herr Lieutenant, der junge Baron Wendelsheim, aus der Stube, wo er den Damen jedenfalls einen Besuch gemacht hatte, denn der Staatsanwalt war in seinem Bureau; und wie er Adjes sagte, küßte er der Mamsell nicht allein auf das Zärtlichste die Hand, sondern sie wurde dabei auch über und über roth und dachte gar nicht daran, sie wieder fortzuziehen, bis ich ihnen wohl ein bischen in die Quere und nicht besonders gelegen kam.«

»Der junge Herr Baron von Wendelsheim?« sagte die Frau, und ihr Blick flog wie forschend nach Fritz hinüber.

»Na, der Alte küßt keinem hübschen jungen Mädchen mehr die Hand,« lachte der Schlossermeister, »oder sie würden sich wenigstens nicht besonders viel daraus machen. Es war der zierige Lieutenant, der immer den – Rücken so dreht, wenn er geht, wie ein kokettes Frauenzimmer – wir haben so ein eigenes Sprüchwort dafür. Ich weiß nicht, mein Geschmack wär's nicht. Aber Du lieber Gott, das zweierlei Tuch hat schon manchem sonst vernünftigen Mädel den Kopf verdreht und Unheil angerichtet. Weiß der Himmel, wo's drin steckt; ich kann's nicht begreifen.«

»Nun, der Herr von Wendelsheim,« sagte die Mutter, »ist doch gewiß ein ganz sauberer, hübscher Mensch, und so vornehm sieht er immer aus!«

»Hübscher Mensch!« lachte der alte Baumann; »er sieht genau so aus, wie unser Karl da, mit derselben aufgestülpten Nase – nur dümmer; und die Haare hat er sich bis hinten in die Halsbinde hinunter gescheitelt – weiter kann man's nicht sehen. Uebrigens wär er eine ganz famose Partie, das ist richtig, denn er muß ja nächstens die große Erbschaft heben; da giebt's nachher Geld wie Heu, und das können alle Menschen gebrauchen, auch die Advocaten.«

»Und der machte bei Wittes Besuch?« fragte die Frau.

»Nun natürlich, und weshalb sollte er auch nicht? Ein Lieutenant hat ja doch auf der Gotteswelt nichts weiter zu thun, und mit etwas muß der liebe lange Tag todtgeschlagen werden.«

»Aber er war doch heute in Wendelsheim draußen,« sagte Fritz.

»Nun, das war etwa um zwölf Uhr, vielleicht wie er zurückkam. Aber woher weißt Du das?«

»Ich war selber draußen.«

»Du, in Wendelsheim?« fragte die Mutter rasch und erstaunt. »Was hattest Du denn da zu thun?«

»Oh, ich bin oft draußen,« sagte Fritz, »bei dem kranken jungen Baron. Heute brachte ich ihm eine Maschine hinaus, die wir zusammengestellt hatten. Das ist ein liebenswürdiger junger Herr, aber nur leider immer so krank und schwächlich. Ich fürchte, er macht's nicht lange mehr, was mir recht leid um ihn thun sollte.«

»Es ist doch eigentümlich,« sagte die Frau, »daß da weiter gar keine Kinder sind. Wenn der nun auch noch stirbt, so erbt der Aelteste Alles.«

»Nun, und was hast Du darüber zu seufzen?« lachte ihr Mann. »Und der Herr Lieutenant wird ebenfalls nicht böse darüber sein und schon wissen, wohin er mit dem Gelde soll. Der bringt's bald unter die Leute, darauf kannst Du Dich verlassen, denn Schulden hat er schon jetzt in der Stadt wie Sand am Meere – beinahe mehr noch, als sein Vater.«

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte in diesem Augenblicke eine etwas scharfe Stimme in der Thür.

»Hol' Dich der Teufel!« beantwortete Meister Baumann etwas rauh und lästerlich den frommen Gruß.

»Aber, Baumann,« sagte die Frau, während der Schuhmacher Heßberger, ein kleines schwarzes Buch unter dem Arm, und nicht im Mindesten zurückgeschreckt, das Zimmer betrat – »schämst Du Dich denn gar nicht? Vor den Kindern und dem Lehrlinge solltest Du Dich wenigstens geniren!«

»Ach was,« sagte Baumann ärgerlich, indem er sich das schwarze Käppchen auf's eine Ohr schob. »Dein Schwager soll auch die albernen Faxen lassen, denn er müßte doch nun nachgerade wissen, daß er bei mir damit an den Unrechten kommt!«

»Du bist und bleibst ein Heide, Bruder Baumann,« sagte der Schuhmacher, indem er näher zum Tisch trat und in den Bierkrug sah – er war aber geleert. »Ein gutes Wort sollte auch eine gute Statt finden, und ich thue keinem Menschen damit weh.«

»Nicht weh?« sagte Baumann mürrisch. »Sand willst Du den Leuten damit in die Augen streuen, Du alter Heuchler Du, weiter nichts, denn im Herzen bist Du ein so durchtriebener Strick, wie's nur einen auf der Welt giebt! Und woher kommst Du jetzt?«

»Aus der Kirche,« erwiderte Heßberger ruhig.

»Aus der Kirche? Am Werkeltag?«

»Aus der Abendstunde, die unser Herr Pastor hielt – es war sehr schön!«

»Und weshalb bist Du nicht dort geblieben?« lachte Baumann, der den kleinen Schuster kopfschüttelnd betrachtete. – Er sah auch in der That komisch genug aus, denn er trug schwarze, ganz abgeschabte und an den Knieen ordentlich glänzende Hosen, einen eben solchen, aber etwas zu engen, besonders in den Aermeln zu kurzen Frack, eine weiße Halsbinde und Weste und einen wahrhaft monströsen Seidenhut mit fuchsigem Deckel. »Junge, Junge, wie Du so da stehst, könnte man Dich, bei Gott, für Geld sehen lassen – es wär' der Mühe werth!«

»Bruder Baumann,« sagte der Schuster mit Würde, »Du redest, wie Du es eben verstehst. Wenn ich in ein Gotteshaus gehe, muß ich mich auch anständig constimiren . . .«

»Und das nennst Du anständig . . .?«

»Und kann nicht einhergehen, als ob ich zu Bier ginge,« fuhr der Schuhmacher unbekümmert fort.

»Und was willst Du?« sagte Baumann trocken.

»Nichts von Dir,« entgegnete Heßberger mit scharfem Ton; »nur meiner Schwägerin Guten Abend sagen und dann den Staub wieder von meinen Füßen schütteln.«

»Na, dann schüttele,« lachte Baumann; »je eher, desto lieber.«

»Aber, Gottfried!« bat die Frau.

»Ach was,« rief der Schlosser ärgerlich, »er soll sich betragen wie ein anderer vernünftiger Mensch, nachher wird er auch so behandelt; aber die Firlefanzereien duld' ich nicht in meinem Hause.«

Die Meisterin war praktischer Natur. Sie hatte dem Lehrjungen schon ein Zweigroschenstück in die Hand gedrückt und mit dem Auge nach dem Bierkrug hinüber gewinkt, und der fuhr auch, ohne daß der Meister auf ihn Acht hatte, damit zur Thür hinaus.

»Na, Onkel Heßberger,« sagte da Karl, dem es selber leid that, den kleinen Mann so rauh behandelt zu sehen, »so legen Sie doch wenigstens ab und nehmen Sie sich einen Stuhl. Wie geht's zu Hause? Ist die Tante wohl?«

»Danke, mein Sohn,« sagte der Schuhmacher, indem er der Einladung Folge leistete – denn das Verschwinden des Bierkruges war von ihm nicht unbeachtet geblieben – »leidlich wenigstens; sie hat aber heute wieder über Land gemußt, um ein paar Patienten in Wendelsheim zu besuchen, leider jedoch keine guten Nachrichten von dort mitgebracht.«

»Von Wendelsheim?« rief Fritz schnell. »Doch nicht vom Schlosse?«

»Ja, allerdings,« nickte der Schuhmacher mit einem wehmüthigen Blick nach oben. »Des Herrn Hand ruht schwer auf dem stolzen Baron; sein zweiter Sohn, der Benno . . .«

»Es ist ihm doch nichts geschehen?«

»Er hat heute Morgen einen furchtbaren Blutsturz bekommen und liegt am Tode.«

»Oh Du großer Gott!« rief Fritz erschreckt aus. »Aber das ist gar nicht möglich. Ich bin selber noch heute Morgen bei ihm gewesen, und als ich fortging, hörte ich noch, wie er sich laut unterhielt und fröhlich lachte.«

»Ganz richtig,« sagte der Schuhmacher; »nach dem Deschuneh war er in den Garten spazieren gegangen, und da hat's ihm arrivirt. Er ist ja auch elend von seiner Geburt an gewesen; seine ganze Constitution ist corrumführt. Kurz und gut, er bekam plötzlich einen Blutsturz, und als meine Frau, die unten zufällig im Dorfe war und davon hörte, hinauf eilte, waren ihm schon die ganzen Extermitäten kalt.«

»Ach, das ist ja schrecklich,« stöhnte Fritz; »der arme junge Herr! Und ich freute mich noch so, als ich fortging, daß er so vergnügt und heiter war.«

»Ja, Du lieber Himmel,« sagte der Schuhmacher, »mit dem Menschen geht es oftmals schnell zu Ende, und es weiß Keiner, wann ihm sein Brod gebacken ist. Aber was thut's, der Freiherr hat ja noch immer den einen Sohn und der erbt jetzt die ganze Bescherung. Es soll ein heidenmäßiges Vermögen sein.«

»Der arme Vater!« seufzte die Frau.

»Ja, das kann nichts helfen,« sagte Baumann; »der Tod sieht nicht auf Rang und Stand und kehrt bei Armen und bei Reichen ein. Wer mag's ändern!«

»Wir müssen Alle sterben,« sagte der Schuhmacher und schenkte sich von dem Bier ein, das der Lehrling eben auf den Tisch stellte; »der Gerechte mit dem Ungerechten, und erst dort werden die Schafe und die Böcke gesondert werden.«

»Na, Schwager Heßberger,« lachte Baumann wieder, der die Familie Wendelsheim viel zu wenig kannte, um größeren Antheil an ihrem Verlust zu nehmen, wie bei anderen fremden Menschen. »Du kommst zu den Böcken, darauf kannst Du Dich verlassen; denn Du hast schon hier auf Erden so lange bei den Schafen gestanden, daß Dir eine Veränderung ingrimmig Noth thut.«

»Du redest, wie Du es verstehst, Bruder Baumann,« sagte Heßberger, indem er sich noch einmal einschenkte. »Was ich aber gleich sagen wollte, Schwägerin, meine Frau läßt Dich bitten, Du möchtest doch heut Abend einmal zu ihr hinüber kommen; sie hätte Dir etwas zu sagen.«

»Und weshalb kommt sie da nicht her?« fragte Baumann. »Sie liegt ja doch den aufgeschlagenen Tag auf der Straße.«

»Eben deshalb,« erwiderte ruhig der Schuhmacher, »weil sie so viel herum zu laufen und bald da, bald dort eine Besorgniß zu machen hat, muß sie die wenige Zeit im Hause zusammennehmen und uns doch auch etwas zu essen machen. Vom Canditer können wir es uns nicht holen lassen und von Confett leben.«

»Na,« lachte Baumann, »dazu seid Ihr Beide nicht hübsch genug.«

»Was hat sie denn? Ist was vorgefallen?« fragte die Frau.

»Nicht, daß ich wüßte,« sagte Heßberger kopfschüttelnd; »Du bist aber auch so lange nicht bei uns gewesen und wenn sie hierher kommt, kriegt sie ewig mit Deinem Manne Streit.«

»Mit mir?« sagte Baumann. »Ich thu' ihr wahrhaftig nichts; aber sie soll mir auch mit ihrem Kartenlegen und Prophezeien vom Leibe bleiben.«

»Na, guten Abend denn miteinander!« sagte der Schuhmacher, indem er wieder aufstand; »ich muß auch heim, sonst machen mir die verflixten Jungen lauter dumme Streiche.« Und nach kurzem Gruß gegen die Verwandtschaft nahm er sein Buch wieder unter den Arm, setzte den riesigen Hut auf und stieg aus der Thür.

Baumann hatte ihm kopfschüttelnd zu- und nachgesehen und ließ den Lehrjungen dann das Geschirr hinausräumen. Wie der draußen war, sagte er finster: »Kathrine, Du darfst mir's glauben, der Heßberger, wenn er auch Deine Schwester geheirathet hat und dadurch unser Schwager wurde, ist ein Erzlump, und Deine leibliche Schwester – bestärkt ihn nur darin.«

»Aber, Gottfried!«

»Nein, nein,« winkte ihr Mann mit der Hand, »das ist der reine Betrug, was die Beiden mitsammen treiben und daß sie nur noch Esel finden, die ihnen glauben und Geld bezahlen, ist das einzige Unglück bei der Sache.«

»Aber sie hat schon so viel vorhergesagt, was eingetroffen ist.«

»Bah, komm Du mir nicht auch etwa mit dem Unsinn! Wenn der Zufall einmal sein Spiel hat, wird es ausgebeutet und wenn es nicht eintrifft, eben nicht weiter davon gesprochen. Ueberhaupt, Kathrine, es thut mir leid, daß ich es sagen muß, denn es ist nun einmal Deine Schwester, aber der Umgang mit ihr ist mir nicht lieb, und da Du lange Jahre fast gar nicht mit ihr verkehrt hast, thut's mir leid, daß das jetzt wieder von Frischem anfangen soll.«

»Sie meint es gewiß gut,« sagte die Frau mit einem recht aus tiefer Brust geholten Seufzer. Aber Baumann schüttelte auch dazu den Kopf.

»Mit sich, ja, das geb' ich zu, aber nicht mit anderen Leuten,« sagte er finster; »sie hat kein gutes Herz, das steht ihr schon in den Augen geschrieben, und wenn sie Einen damit ansieht, kommt es mir immer so vor, als ob sie durch und durch bohrte, um Alles zu errathen, was man denkt.«

»Du kannst sie nun einmal nicht leiden, Gottfried.«

»Ehrlich gesagt, nein, und kein Mensch in der ganzen Stadt. Niemand hält mit ihr Umgang, und wenn sie die vornehmen Weibsleute Nachts heimlich besuchen, um sich von ihr die Karten legen zu lassen, oder wer weiß was sonst für Mittel und Latwergen zu holen, so sitzt der augenverdrehende Lump, der Heßberger, nebenan in der Stube bei seinen Leisten und brüllt geistliche Lieder ab. Es ist rein zum Verrücktwerden, wenn man's nur mit ansehen muß!«

»Aber kann ich's ändern, Gottfried? Ich habe auch schon dagegen gesprochen . . .«

»Und sie hat auch keinen guten Einfluß auf Dich ausgeübt, Kathrine,« fuhr der Mann, finster vor sich hin mit dem Kopfe nickend, fort. »Das erste Jahr nach unserer Verheirathung warst Du ganz anders, bis plötzlich Deine Schwester hierher zog und immer so viel mit Dir zu erzählen und zu schaffen hatte. Nachher war's aus, und wie viel hast Du damals nicht geweint, und wenn ich Dich fragte, was Du hättest, immer nur gesagt, das Herz thäte Dir so weh und Du wüßtest eigentlich selber nicht, weshalb Du weinen müßtest.«

»Aber, Gottfried, das ist gewiß nicht so arg gewesen.«

»Nicht so arg? Wie Du damals mit Deiner Schwester fort warst, um die Erbschaft zu heben, und wieder zurückkamst, sahst Du mehr todt als lebendig aus, und ich glaubte schon, Du würdest ganz ernstlich krank werden. Der arme Junge, der Fritz, hatte auch darunter zu leiden, denn der kam ganz von Kräften – na, er scheint sich doch wieder aufgefuttert zu haben. Jetzt war auch die langen Jahre Frieden, und ich habe Deine Schwester über Jahr und Tag nicht einmal gesehen – fangt mir deshalb also nicht die alten Geschichten an, denn ich will von der Gesellschaft nichts wissen, und wenn wir zehnmal mit einander verschwägert sind.«

»Wer weiß denn, was sie von mir will?« sagte die Frau, die bis dahin mit im Schooße gefalteten Händen vor sich nieder gestarrt hatte. »Vielleicht thut's ihr leid, daß wir so gar nicht zusammenkommen, und hart kann ich doch nicht gegen sie sein; sie hat mir ja noch niemals 'was zu Leide gethan und bleibt doch immer meine Schwester.«

Der alte Schlosser rückte wieder an seinem Mützchen. Recht war's ihm nicht, aber er konnte der Frau auch nicht so ganz Unrecht geben und litt eben – was er nicht verhindern mochte. Er war aber doch ärgerlich geworden und mußte sich ein klein wenig zerstreuen; da war denn freilich das Beste, daß er hinüber in den »Goldenen Stern« ging und noch ein Glas gutes Bier trank. Nachher vergaß er all' die unangenehmen Sachen und bekam wieder eine glatte Stirn.



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