Johannes Freumbichler
Philomena Ellenhub
Johannes Freumbichler

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Das Mysterium der roten und weißen Federn

Am nächsten Tag, einem Sonntag, nach der Arbeit, hatte die Mena nichts Eiligeres zu tun, als in den Roßstall hinüberzulaufen. Er war so hell und rein wie eine Stube, und am unteren Ende, in einem separierten Abteil, stand der Bräunl. Er fraß fast den puren Hafer und hatte prächtiges gelbes Stroh unter sich. Sie schob ihm Brot und Zucker ins Maul, kraulte seinen Kopf und bat ihn heimlich um Verzeihung, daß sie, ob der prächtigen Schecken auf dem Haginghof, des schönen Ochsen beim Krämer halber den Gefährten ihrer allerseligsten Kindheit vergessen hatte. Ach, Bräunl, wo ist diese Kinderzeit? Ellenhub war zerstückelt. Von dorther strahlte nicht mehr jener warme Glanz wie damals, als Vater und Mutter noch gelebt hatten. Etwas Gleichgültiges, Kaltes wehte sie an, so daß sie erschauerte. Sie dachte: Ach, welche heilige Sonne hat mich damals beschienen, welcher heilige Baum beschattet?

In dieser flauen Stimmung präsentierte sich ihr der Schuster Kröll.

Sie merkte gleich, daß er vom Biertisch kam. Seine Augen glänzten fieberhaft. Er sah sie eine Weile schweigend an und drückte ihr dann einen gefalteten Zettel in die Hand. – »Streng geheim!« sagte er. Als er fort war, las sie die unbeholfenen Schriftzüge: »Am Sonntag, Schlag acht, Versammlung der Brüderschaft. Erscheinen Pflicht. Der Bundesoberst.«

Sie hatte sich an die Abende, die sie beim Bund verbracht, kaum mehr erinnert. Der eine hatte sich so ziemlich wie der andere abgespielt; Bibelstellen waren vorgelesen, und dann war sie in die »zweite Stufe des Geheimnisses« eingeweiht worden. Der Bundesoberst, in Samtmantel und Barett, hatte ihr das Gelöbnis vorgesprochen, darin gipfelnd, daß kein Mitglied vom eigentlichen Bundesleben jemals etwas verraten dürfte, bei Todesstrafe. Ein angenehmes Gruseln hatte sie gefaßt, aber im ganzen hatte sie doch mehr Spaß empfunden, und ein besonderes Vergnügen, wenn jemand mit einem Blick auf ihr weißes Federchen gefragt hatte: »Bist du auch 401 beim Bund?« oder sie einen Alten sagen gehört: »Da schau, die Kletzlianer gehen wieder um!«

Es war eine unglaubliche Zeit, und die Dorfluft mit Explosionsstoff geladen. Eine Zügellosigkeit machte sich überall bemerkbar, besonders bei den Jungen und Jüngsten; sie wurden frech und anmaßend und wollten sich vor nichts mehr beugen. Aber es kamen noch schlimmere Dinge vor. Es zeigte sich eine Entfesselung von Anstand und Scham. Die Gesetzten und Älteren waren entrüstet, oder taten wenigstens so. Ein sonderbares Fürchtemachen und Prophezeien ging um, als ob die Welt, die bisher so regelmäßig durch Herbst und Winter, Lanzing und Sommer gerollt war, unversehens aus den Angeln fallen könnte.

Der prophetische Wahnsinn, der seinen Träger in den Augen der Menschen so wichtig macht, hatte besonders den Schuhmacher Kröll ergriffen. In seinem Gehirn blitzte es ununterbrochen, untermischt mit dem Donner der grandiosen Phrasen aus der Johannis-Offenbarung. Wenn er nach dem Frühamt über die Kirchenstiege herabkam, blickte er drohend auf die Menge. Die politischen Versammlungen der letzten Zeit, das Anwerben der Nationalgarde, die aufregenden Zeitungsmeldungen hatten dem »Bund« sehr viel Interesse entzogen. Krölls Mienenspiel besagte: Ihr sollt mich noch kennenlernen! – Dagegen lag auf den Mienen der Bauern schlechtverhehlter Hohn, ein Lächeln, das ausdrückte: Plag dich nicht! Putz dich nicht auf; du bist kein gewaltiger Mann! Schuster, bleib bei deinem Leisten! – Dazu kam ein Getuschel: die Ziehtochter hätte Engelserscheinungen gehabt; der Heilige Geist wäre über sie gekommen; sie lebte schon mehr im Himmel, als auf Erden, und ließe sich daher auch öffentlich nicht mehr sehen. Andere meinten: Die Kletzlianer reden in den Wirtshäusern herum, daß der »Bund« keinen Vorstand und keinen Pfarrer, kein Amt und kein Gericht brauchen und jede Gemeinde, ob groß, ob klein, aufs beste regieren würde.

Kräfte, die bisher in ihrer Tiefe festgehalten worden waren, erhoben unleugbar ihr Haupt und bemächtigten sich der Menschen. Weil diese Gotteswelt, in der sie lebten, diese Wiesen und Blumenfelder, dieser blaue Himmel und diese Berge, von so göttlicher Einfachheit und Klarheit war, konnte es die enge Menschenseele nicht fassen; es bedrückte sie, und sie erschuf sich, als Gegensatz, das Verwirrte, Dunkle, das – Geheimnis. 402

Man hätte sagen können, daß, was die Mena bewog, dem Ruf des Bundes Folge zu leisten, einfach die weibliche Neugier war, und hätte damit recht und unrecht gehabt. Es war ihr ein paarmal der Gedanke gekommen, ihren Austritt zu erklären; aber die Freude am Besonderen hatte sie immer wieder davon abgehalten.

Freilich, als sie in der finsteren Vorstube stand und ihre Maske empfing, erschrak sie neuerlich: sie sollte heute in die »dritte Stufe des Geheimnisses« eingeführt werden, in die oberste und letzte. Wiederum durchzuckte sie etwas wie Reue. Aber schon forderte man das Losungswort; sie trat in den Raum mit der leuchtenden Ampel, und der Vorleser las eben Stellen aus dem Alten Testament: »Die neue Regierung wird die des Christus, des Messias sein, und eine Herrschaft des Friedens und des Segens, wie es geschrieben steht: in Jesaja 9, 6, 7. Ihm werden alle Völker gehorchen. Und das Reich und die Herrschaft und die Größe der Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volke der Heiligen der höchsten Örter gegeben werden. Seine Herrschaft wird eine gerechte sein, denn: er wird die Geringen richten in Gerechtigkeit und den Demütigen des Landes Recht sprechen in Geradheit. Und Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. Merket wohl: Die Herrschaft wird dem Volke der Heiligen der höchsten Orter gegeben werden!«

Die Mena horchte gierig auf diese Worte und Sätze, obgleich sie nichts davon verstand. Aber wie sie so von der Kanzel herabströmten, erregten sie durch ihre Dunkelheit und ihren Wortklang ein Ameisenlaufen im Kopf und ein Schwelen und Glosen im Herzen. Die Sätze der Apokalypse waren hier ganz ohne Sinn und Geschmack, wie Roß und Ochse zusammengekoppelt, und hatten nur den einen Zweck, die klaren Gehirne zu vernebeln. Die Worte wirkten wie ein Rauschgift, das sie zur Abwechslung von Brot und Milch ebenso gierig einschlürften, wie an gewissen Festtagen Met, Bier und Wein. Dem Alltag zu entkommen, um jeden Preis, auch um den der Narrheit, war das Ziel.

Während die Mena noch hingegeben horchte, flüsterte ihr eine Stimme zu, mitzukommen. Eine Tür öffnete sich, ein dunkler Gang; sie betrat einen zweiten Raum, wo wiederum Maskierte saßen, und auf einer Estrade, die einem Altar glich, eine Gestalt mit einer turmartigen Mütze auf dem Kopf: der Bundesoberst! Er hielt 403 in seiner Hand den silbernen Stab mit Schlange und Stern. Links und rechts von ihm standen zwei Samtsessel, und auf jedem eine Schüssel mit großen, weißleuchtenden Hühnereiern.

Der Bundesoberst blätterte in einem Buch und sprach dann, wie der Mena dünkte, mit verstellter Stimme: »Der Bund grüßt feierlich die neue Bundesschwester! Ehre, Heil und Segen! Sie trägt ihre Maske, wie wir alle hier unsere Maske tragen, und keiner unter uns ist, der sie nicht trüge. Und warum, geliebte Brüder und Schwestern? – Damit der Mensch, Name, Herkunft und Beruf, ausgelöscht werde und das reine Wesen übrigbleibe.«

Der Bundesoberst stieg die Stufen herab und sprach: »Komm her, geliebte Schwester!« Er legte ihr ein weißes Band um die Stirn. »So rein wie dieses Band, so rein sollen deine Gedanken werden. Denke und handle so, daß du würdig wärest, glücklich zu sein.« Er legte ihr den Finger auf den Mund: »Schwöre und sprich diese Worte nach: Meine Zunge soll mir abfaulen, wenn ich jemals ein Wort über den Bund und seine Einrichtungen aussage.«

Und Menas jetzt etwas zittrige Stimme erfüllte für einen Augenblick den Raum: »Meine Zunge soll mir abfaulen, wenn ich jemals ein Wort über den Bund und seine Einrichtungen aussage.«

Der Bundesoberst fuhr fort: »Du gehst heute, liebe Schwester, in die letzte Stufe unseres Bundes ein. Sie umschließt einen festen Bezirk; sie zeigt dir sein Geheimnis; sie erklärt dir unseren obersten Glaubenssatz, daß der Menschenleib göttlich, alles an ihm, jeder Muskel und jede Linie. Daß die Seligkeit, so das Weib, insonderheit das schöne, zu vergeben hat, und die Seligkeit, so der Mann, insonderheit der starke, zu vergeben hat, so groß sind, daß alle Seligkeiten der Erde und des Himmels dagegen verblassen. Darum steht mit Recht im ›Lied der Lieder‹ geschrieben:

›Wie groß ist deine Liebe, du bräutliche Schwester!
Viel angenehmer als Wein ist deine Liebe,
Und besser der Duft deiner Salbe, als alle Gewürze!
Es träufeln Honigseim, Braut, deine Lippen;
Unter deiner Zunge sind Honig und Milch.
Und der Duft deiner Kleider ist wie Libanons Duft.
Du bist ein verschlossener Garten, du bräutliche Schwester!
Du bist ein verschlossener Quell, ein versiegelter Born . . .‹ 404

Ehre, Heil und Segen! Der Bund grüßt die neue Bundesschwester. Geh ein in dritte und letzte Stufe des Geheimnisses!«

Harmoniumklänge ertönten. Die Ampel erlosch. Völlige Dunkelheit herrschte. Doch nun glomm ein gelbes Licht auf; Buchstaben leuchteten, immer heller und deutlicher; sie meinte zuerst, es wäre ein E oder ein P, aber es waren und blieben drei große, deutliche F. Die Stimme von vorhin sprach: »Die drei heiligen F. Sie werden unser Reich beherrschen: Friede, Freude, Fröhlichkeit.«

Die drei Buchstaben verblaßten. Ein neues Licht, ein blaues, zuckte auf. Glitzernde Blumen, Sterne und Falter waren zu sehen. Felsen türmten sich auf, und uralte Rieseneichen spiegelten sich in blauen Gewässern. Die Stimme sprach: »Gott-Natur! Betet ehrfürchtig an!«

Auch diese Erscheinung verschwand, und im gelben Licht erstrahlte ein neues Bild: ein nackter Mann auf der einen Seite, ein nacktes Weib auf der andern. Die Stimme erklärte: »Gott-Mann und Gott-Weib! Die Toren und Lügner, die Armen im Geiste nennen es die ›Sünde‹. Uns Bundesbrüdern aber ist das nackte Weib ein Gott; euch Bundesschwestern der nackte Mann. Und ich sage euch: in der Nacktheit von Mann und Weib ist das letzte Geheimnis Gottes verschlossen.«

Die Mena war von dieser Erscheinung so befangen, daß sie erst nach einer Weile mit Schrecken bemerkte, daß alle knieten, die Hand auf der Herzseite, und den nackten Leib eines Weibes und eines Mannes wirklich anbeteten. Immer ein oder zwei sahen nach links, und immer zwei oder drei scharf nach rechts, starr, wie mit Drähten hingezogen. Sie beugte sich selbst rasch nieder und konnte erst jetzt aus der verschiedenen Haltung der Maskierten feststellen, ob es Männer oder Frauen waren.

Auch dies Bild erlosch.

Ein Harmonium begann zu spielen, und ein gedämpfter Gesang hob sich aus der enggedrängten Masse:

Wir ehren dich, verhüllter Gott,
Und flehn zu dir um Hilfe in der Not.
Ach, höre uns, schaff unsere Seele rein,
Daß wir, dein Volk, auch deiner würdig sei'n. 405

Und jetzt traute die Mena ihren Augen nicht: Ein uraltes, splitternacktes Weib, auf einen Stock gestützt, und ein ebensolcher Mann, standen in einem meergrünen Licht. Sonne und Bäume und Sterne, Falter und Quellen waren versunken und nichts geblieben, als diese Schaudergestalten, deren Hände an den Krücken zitterten und deren Totenköpfe unheimlich wackelten.

Wiederum erstrahlte das erste Licht. Harmoniumklänge ertönten, und kleine, überaus bunte Heftchen wurden verteilt.

»Wir singen«, sagte jetzt die Gestalt in einem natürlichen Mannston, »das ›Lied vom heiligen Menschenleib‹.«

»Heilig ist der Leib des Menschen,
Heilig, heilig, heilig!
Kein Wunder kommet diesem gleich,
Beglückt davon ist arm und reich.
Und keiner trüg der Erde Schmerzen,
Erglühte nicht dem ärmsten Herzen
Die schöne, goldene Seligkeit
Vom dreimal heiligen Menschenleib.«

Die Stimme des Bundesobersten dröhnte, wie aus einer Urmannsbrust kommend; und der ganze Menschenhaufe wiederholte inbrünstig, wie eine Kinderschar, die zum Singen abgerichtet wird, Zeile für Zeile. Und kaum war die erste Strophe verklungen, griff jeder Bundesbruder nach der nächsten weiblichen Bundesschwester und schmatzte sie laut und schallend ab. Wieder erscholl die Stimme: »Heilig ist der Leib des Menschen . . .« Sie sangen eine zweite und eine dritte Strophe. Zugleich wurde das Geschmatze immer heftiger und lauter. Der Bundesoberst hob den Stab, ein Vorhang teilte sich, und die Mena sah ein Bild von solcher Unfaßbarkeit, daß sie augenblicks beide Hände vors Gesicht schlug. Und während sie, durch den Vorgang wie versteinert, stand, erhob sich ein verworrenes Getümmel, sie hörte, wie man sich gegenseitig die Kleider vom Leibe riß, hörte Schreie, Stöhnen und Seufzen. Zugleich fühlte sie sich von rückwärts umfaßt und ins Dunkel gezogen.

Aber in diesem Moment, wo sie vergeblich versuchte, sich zu wehren, dröhnten plötzlich so wuchtige Schläge ans Haustor, daß 406 der ganze Bau davon erzitterte. Die Gestalten auf Matratzen, auf dem Fußboden, auf der Estrade, rasten wild auseinander und hinaus, die Holztreppe hinan, die Kellerstiege hinab; es war ein stummes Toben und Flüchten.

Die Mena lief einen Gang zurück, stieß eine Tür auf; es war, wie sie im Halbdunkel feststellen konnte, eine Gerümpelkammer. Sie sah ein Fenster und sprang ins Freie. Und zwar, wohl um die Abkühlung zu verstärken, mitten in den Dorfbach, dessen Wasser ihr freilich nur bis zu den Knöcheln reichte. Sie kletterte auf allen vieren hinaus und befand sich in einem Anger mit Obstbäumen. Sie sog gierig die reine Nachtluft ein. Eine Ernüchterung ohnegleichen erfaßte sie. Eine Ahnung hatte ihr schon immer gesagt, ob nicht vielleicht hinter diesem ganzen »Bund«, hinter dieser Geheimniskrämerei etwas steckte, was ihr im Grund ihrer Seele zuwider sein mußte. Sie wunderte sich, wieso sie sich in diese Sache so weit hatte einlassen können. Sie suchte sich die erste Bekanntschaft mit dem »Bund« zu vergegenwärtigen; erinnerte sich genau, wie sie den Schneider Veit mit einer roten Feder gesehen, die der Toni schiefgezupft hatte, und daraus fast eine Rauferei entstanden wäre. Des Ähnls Worte fielen ihr ein: »Die Neugier, das ist des Menschen Verderb. Brenn sie aus, so wie du eine faule Wunde ausbrennst!«

Als sie keuchend und von der Flucht ganz außer Atem in ihr Bett schlüpfte, schoß es wie eine Flamme in ihr empor: das Leben im hellen lichten Tag, mit seiner Arbeit, seinen Freuden und seinen Beschwernissen – das ist der »Bund«, das ist die »erste und letzte Stufe des Geheimnisses«.

Ganz unbegründet war ihre Angst nicht. Die Aufregung im Dorf war groß. Die Leute vernachlässigten die Arbeit und standen in Gruppen vor den Häusern. Denn so sehr auch die katastrophalen Weltereignisse der letzten Zeit sie durcheinandergeschüttelt hatten, so konnten diese es doch nicht mit dem aufnehmen, was dahier in ihrem Dorfe geschah. Allenthalben wurde von Anklagen wegen Geheimbündelei, Gotteslästerung und ähnlichen Paragraphen gesprochen, und da man nichts Bestimmtes erfahren konnte, malte sich jeder die Vorgänge an jenem Abend selber aus. Die unglaublichsten Dinge wurden aufs Tapet gebracht und mit allerderbsten Einzelheiten schonungslos ausgeschmückt. Die Bauern redeten davon, daß die Kröllin so heftigen Widerstand geleistet, daß man 407 sie hatte binden und in einem Kälberwagen abführen müssen; daß die drei heiligen F nichts anderes bedeuteten als: Freßsucht, Faulheit, Feigheit; und daß das Dorf nichts anderes wäre als ein Grind, mitten in ihren goldgelben Korn- und Weizenfeldern, in ihren grünen Flachs- und Kleeländern. Das lauteste Geschrei erhoben die geeichten Mucker, die im Dorf brüten, wie die Kröten im Sumpf. Sonst wurden sie von der allgemeinen Lebenslust kräftig niedergehalten, aber jetzt bekamen sie Oberwasser. Daneben gab es noch eine ganz besondere Strömung, die aus dieser Sache einen möglichst langwährenden Spaß für den Biertisch machen wollte. Ihr Hauptvertreter war Lambert. Er schnappte alles, was damit zusammenhing, gierig auf und schmückte es in seiner Art und Weise aus. »Die allerfescheste Bundesschwester beim Tanz im Adamskostüm«, sagte er, »war die – Mena. Da weiß ich fein Bescheid. Bin oft genug bei ihr im Bett gewesen.« Er lachte dröhnend über die Kletzlianer, über ihre Herrlichkeit und ihr Ende.

Diese Verleumdung brachte Mena aus dem Häuschen. Lambert hatte sie einmal beim Ankleiden in ihrer Kammer überrascht. Zu mehr als zum Antappen war es aber nicht gekommen; und für jene Schläge, die er ins Gesicht erhalten, setzte er wohl jetzt das böse Gerücht über sie in die Welt. Was sollte sie tun? – Der Mannsschutz fehlte. Wäre der Toni oder einer der Brüder hier gewesen, er hätte es niemals gewagt. Der Krämer trieb es aber immer ärger; er kam in den Gaststätten nicht mehr aus dem Lachen; seine Phantasie erfand immer neue Ausschmückungen. Die Profitträger davon waren seine Frau und seine Töchter. Sie schwatzten ihm die Erlaubnis zum Herabputzen des Hauses ab. Sein Besitz repräsentierte sich nun in einer Stattlichkeit ohnegleichen.

Die Mena kaute indessen an dem großen Brocken. Wer gar keine Macht hat, einem anderen zu schaden, sollte auch den widerlichsten Bissen hinabwürgen; aber sie wollte nicht. Und so geschah es eines Morgens, als Lambert, übernächtig vom Trinken, jedoch in seinem gewaltigen Leibesumfang von dem vielen Lachen aufs wohltuendste erschüttert, ins Freie trat und einen stolzen Blick zur Außenseite seines Hauses hinaufwarf, daß er blaß wurde: bis zu den Fenstern des ersten Stocks hinauf verbreiteten sich ein Dutzend häßlicher Teerstrahlen . . .

In einer halben Stunde wußte es das ganze Dorf. Lambert hatte 408 Neider und Feinde. Die Frauen wollten zur Gendarmerie; aber er hielt sie zurück und höhnte sie noch, wie schmuck das Haus jetzt herabgeputzt wäre. Dann ging er ins Wirtshaus. – Wer? Wer? – Er riet auf mehrere. Ein Gedanke kam ihm, aber er verwarf ihn wieder. – Sie ist doch so eine Ehrenhafte! – Jedoch plötzlich hatte er keinen Zweifel mehr: sie hat sich gerächt und ich hab meine Strafe verdient. 409

 


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