Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Die Rache.

Ruhig und abwartend saß Banister King in seinem Zimmer. Die Atmosphäre dieses Raumes war friedvoll wie in der Zelle eines Eremiten in einsamer Bergwelt. Nichts von dem Lärm der Großstadt konnte man hören. Aber das war auch alles, was das Zimmer mit der Behausung eines frommen Büßers gemeinsam hatte. Sonst zeugte alles von Luxus und Wohlleben. Ein lustiges Feuer brannte im Kamin. Auf dem Tisch standen Likörflaschen, Siphons, Zigarren und Zigaretten, und dazwischen grinste das häßliche Götzenbild, das einst Richard Avory in Verwunderung gesetzt hatte. Und wieder stiegen Weihrauchwolken zu ihm empor.

King wartete in Geduld. Er wußte, daß Lydia, so unangenehm ihr ihre Aufgabe auch sein mochte, das einmal gegebene Wort halten und den Brief abliefern würde. Und ebenso sicher war, daß Barthelemy nur zu bereitwillig kommen würde.

Und er kam. King hörte ein schwaches, ängstliches Klopfen an der Tür. Er öffnete.

»Kommen Sie herein«, sagte er ganz ruhig.

Seufzend trat Barthelemy ein. King schloß die Tür hinter ihm, während sein Gast den Pelz ablegte.

»Nehmen Sie diesen Stuhl, er ist am bequemsten«, sagte er und deutete auf einen schweren Stuhl, der dem Götzenbild gegenüber stand. »Nehmen Sie sich eine Zigarre. Brandy gefällig? Sie sehen etwas blaß aus.«

Barthelemy ließ sich schwerfällig nieder. Er erschrak, als er die Statue bemerkte. King lachte.

»Ja, Brandy«, bat Barthelemy. »Und einen ordentlichen Schuß davon in die Soda.«

»Ja, nichts hilft mehr als Brandy, wenn die Nerven versagen. Aber hier sind Sie sicher. Gegen meinen Willen kann keiner zu Ihnen.«

»Ich danke Ihnen herzlich«, sagte Barthelemy, nachdem er getrunken hatte. »Aber wie konnten Sie es wissen?«

»Ich habe so etwas läuten hören. Ein Freund von mir ist bei der Polizei, von ihm erfahre ich manchmal etwas.«

»So handelt es sich tatsächlich um eine regelmäßige Razzia?«

»Natürlich. Man wird jeden Winkel in Ihren drei Häusern untersuchen. Ich fürchte, mit Ihrem Geschäft ist es aus.«

Barthelemy stöhnte.

»Wenn ich bloß wüßte, wer mich verraten hat. Wenn ich das bloß wüßte!«

»Dem würden Sie es eintränken, was?« lachte King. »Aber schließlich hat alles einmal ein Ende. Wo ist übrigens Ihr französischer Freund, Garnier, heute abend?«

»Garnier? Der ist mein Partner. Sie haben doch nicht etwa ihn im Verdacht?«

»Partner würde ich immer im Verdacht haben«, meinte King.

Barthelemy schob ihm sein Glas hin.

»Bitte noch einen Schluck. Ich bin ganz zerbrochen. So ein schönes Geschäft, und nun alles dahin!«

»Vielleicht fangen Sie woanders vom Frischen an«, sagte King mit seltsamem Lächeln. »In einer anderen Gegend? In einem fernen Land?«

»Ich möchte nicht aus England heraus und noch weniger aus Europa.«

»In der Not frißt der Teufel Fliegen, vielleicht auch Sie. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«

Er ging in das Nebenzimmer, und Barthelemy trank seinen Brandy. Einen Augenblick starrte er in das Kaminfeuer. Ein Gefühl von Behaglichkeit überkam ihn in all seinem Unglück. Und dann schlief er ein.

Erschreckt fuhr er nach Weile aus seinem Schlummer auf. Er hatte geträumt, jemand habe ihn mit dem Kopf in einen Eimer eiskalten Wassers getaucht. Er wollte aufspringen, konnte sich aber nicht rühren. Und dann entdeckte er, daß er mit Armen und Beinen an den Stuhl gebunden war, und daß King gerade über seinem Kopf einen nassen Schwamm ausgedrückt hatte. Er starrte und ächzte und gab unartikulierte Töne von sich.

»Schreien und Winseln hat keinen Zweck, Barthelemy«, bemerkte King. »Die Polizei war zu dumm, Sie zu kriegen, aber ich habe Sie, denn ich bin ein gut Teil klüger. Nun wollen wir unsere Rechnung machen.«

Unter dem Einfluß des kalten Wassers war Barthelemy zu klarer Besinnung gekommen. Er sah ein, daß er völlig in Kings Gewalt war. Aber was ihn am meisten in Bestürzung versetzte, war, daß ihm gegenüber unter dem Götzenbild eine große Photographie von Richard Avory stand. Und daneben bemerkte er das Fläschchen, das er aus seinem Hause mitgebracht hatte. Der kalte Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er stöhnte. King lachte vergnügt.

»Die herrlichste Musik könnte mich nicht mehr erfreuen, als Ihr Jammern, Barthelemy.«

Barthelemy kam langsam zum Bewußtsein seiner Lage und damit wieder in den Besitz seiner Kaltblütigkeit. Er richtete den Blick fest auf den anderen und sagte:

»Sie sind ein gemeiner Mensch, ein feiger Schurke.«

King lachte wieder. In aller Gemütsruhe mischte er sich sein Getränk und zündete sich eine Zigarette an.

»Im Gegenteil«, sagte er, »ich bin ein echter Gentleman. Ich bleibe meinen Freunden treu auch noch über ihren Tod hinaus. Und den Lebenden bin ich ein unversöhnlicher Feind. Begreifen Sie nun, Barthelemy? Hier sehen Sie Richard Avory, den Sie ermordet haben. Und darum –«

»Wollen Sie mich morden«, sagte Barthelemy ruhig, »kaltblütig morden. Sie sind mehr als ein Schuft, Sie sind ein Lügner. Sie haben mich unter dem Vorwand, mir Schutz und Obdach zu geben, hierher gelockt, Sie haben mir ein Betäubungsmittel eingegeben und wollen mich jetzt töten. Sie sind ein Lump, Mr. Banister King.«

»Ich will mit Ihnen nicht streiten, Barthelemy. Sie werden zugeben, daß Sie Avory kaltblütig umgebracht haben. Ich weiß alles, ich habe Monate darauf verwandt, Ihnen auf die Spur zu kommen. Sie gaben ihm das Gift in Ihrem Hause, das ihn nachher in seinem Bett tötete. Sie verließen sich auf Ihre Sachkunde und bedachten nicht, daß noch mehr Leute etwas davon verstehen. Hier ist das Fläschchen, das Sie benutzten. Ich wußte, daß Sie es mitbringen würden.«

Schweigend starrte Barthelemy auf seinen Peiniger, und dieser fuhr fort:

»Ich war es, der die Polizei auf Sie gehetzt hat – Ihr Fluchen ist sinnlos –, ich habe alles in die Wege geleitet. Aber Sie wollte ich der Polizei nicht überlassen, Sie wollte ich für mich selbst haben. Nun werden Sie selbst das Zeug schlucken, das Sie dem armen Avory gegeben haben. Verstehen Sie mich, mein Freund?«

»Dazu können Sie mich nicht zwingen«, rief Barthelemy.

King stand auf, nahm das Fläschchen, entkorkte es und kippte es um. Nicht ein Tropfen lief heraus.

»Sie sehen, daß es leer ist, Barthelemy«, sagte er ruhig. »Ich habe Ihnen die Tropfen eingegeben, während Sie schliefen. Nun können Sie weiter schlafen und dann – sterben.«

King wandte sich ab und warf die Phiole in das Kaminfeuer. Ein seltsamer Laut veranlaßte ihn, sich umzublicken. Er sah, daß Barthelemy ohnmächtig geworden war. Er war in den Stuhl zurückgesunken. Der Unterkiefer klappte herunter wie bei einem Toten.

Eine Weile betrachtete King seinen Gefangenen. Barthelemy erwachte aus seiner Ohnmacht, um in neue Bewußtlosigkeit zu versinken. Da nahm King seinen Hut und ging fort. In fünf Minuten kam er mit einem halben Dutzend uniformierter Männer zurück. Und immer war Barthelemy noch bewußtlos.

»Da ist er«, sagte King. »Ihnen konnte er entwischen, mir nicht. Jetzt bin ich mit ihm fertig. Einmal ist er schon in seiner Einbildung gestorben. Nun können Sie ihn dem wirklichen Tod überantworten. Sie suchen ihn um einer Kleinigkeit willen. Das ist nichts im Vergleich zu der Anklage, die ich gegen ihn erhebe.«

»Worum handelt es sich denn?« fragte einer der Beamten.

»Um Mord«, antwortete King.

 


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