Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Zwanzigstes Kapitel.

Lydia wird eingeweiht.

King merkte, daß sie bereit war, zu sprechen. Darum drängte er nicht, sondern zündete sich eine Zigarette an und wartete. Plötzlich legte sie die Hand auf seinen Arm.

»Bedenke«, sagte sie ernsthaft, »es ist keine einfache Sache. Beantworte mir eine Frage. Woher weißt du, daß ich im Bilde bin?«

»Gern. Es ist doch kein Geheimnis, daß du Klubmitglied bist?«

»Wenigstens keins für die anderen Mitglieder.«

»Schön. Zu diesen Mitgliedern gehörte auch Richard Avory. Hast du ihn gekannt?«

»Avory? Nein.«

»Er wurde kürzlich tot in seinem Bett gefunden. Seine letzten Stunden hatte er im Amaranthklub zugebracht. Hier ging er wohl und munter fort und starb im Lauf der Nacht.«

»Ich habe ihn nicht gekannt, wie ich viele Mitglieder nicht kenne.«

»Jedenfalls hat er dich gekannt. Von ihm weiß ich, daß du Mitglied bist. Willst du zugeben, daß eine Verbindung des Amaranthklubs mit Bartheleyms Haus und dem medizinischen Bad besteht?«

»Da du es sowieso weißt – ja.«

»Avory hatte großes Interesse daran, hinter dieses Geheimnis zu kommen. Er hatte gemerkt, daß nicht alle Mitglieder um zwei den Klub verließen.«

Lydia fuhr zusammen und nickte.

»Ich dachte es mir doch, daß früher oder später einer dahinter kommen würde.«

»Er kam dahinter. In einer Nacht fiel es ihm auf, daß drei, die er wenigstens vom Sehen kannte und die im Klub gewesen waren, um zwei nicht fortgingen. Es handelte sich um Hazeldane, Kapitän Dilkes und dich. Erinnerst du dich?«

Lydia nickte.

»Ich besinne mich, es stimmt.«

»Schön. Ich weiß nicht, wie weit Avory mit seinen Nachforschungen gekommen ist. Ich fuhr damals nach Italien. Als ich wiederkam, war er tot. Nun brauche ich das Geheimnis der Häuser für meinen eigenen Zweck. Du bekommst deine Mitteilungen anständig bezahlt. Und du weißt – es bleibt alles unter uns.«

Sie sah ihn eine Weile an, als wollte sie seine Absichten erraten.

King fuhr fort:

»Du sollst wissen, warum ich hinter das Geheimnis kommen will. Ich bin überzeugt, daß Avory ermordet worden ist. Und ich glaube, daß sein Tod mit dem Mysterium des Amaranthklubs zusammenhängt. Verstehst du?«

»Ja. Aber – ich weiß, daß ich dir trauen darf, Banister. Aber vergiß nicht, daß Barthelemy mich töten würde, wüßte er, daß ich geplaudert habe. Du kennst den Menschen nicht.«

»Ich hoffe, ihn kennenzulernen. Aber von mir wird er natürlich nichts erfahren, sei ohne Sorge.«

»Gut. Wie du schon geahnt haben wirst, ist der Amaranthklub für gewisse Mitglieder nur ein Deckmantel für eine Spielhölle in Barthelemys Haus.«

»Richtig. Und der Zugang?«

»Es gibt einen geheimen Weg vom Klub aus, den nur die Eingeweihten kennen. Die meisten ahnen von all dem nichts.«

»Wieviel Mitglieder hat der Klub?«

»Zweihundert, mehr werden nicht aufgenommen.«

»Wie viele davon sind eingeweiht?«

»Nicht mehr als fünfzig.«

»Kennst du sie alle?«

»Kaum die Hälfte. Ich kenne die beiden, die du vorhin nanntest. Dazu Armand de Garnier, Frau Tressingham und ein paar andere. Von einigen weiß ich den Namen oder den Spitznamen.«

»Und was wird gespielt?«

»Trente-et-quarante, Bakkarat, manchmal auch etwas anderes.«

»Hoch?«

»Sehr, wenigstens ab und zu.«

»Und du hast dich reichlich beteiligt?«

Lydia verzog das Gesicht.

»Allzu reichlich. Du weißt, ich war schon immer eine Jeuratte. Aber ich bessere mich, mein Ehrenwort. Vergangene Nacht habe ich seit acht Tagen zum erstenmal wieder gespielt.«

King lächelte.

»Gut, nun weiß ich, wie man hineinkommt. Wichtiger ist mir, zu wissen, wie man hinauskommt.«

»Das kommt darauf an. Von elf an kann man spielen. Wer vor zwei aufhört, verläßt den Klub auf dem gewöhnlichen Weg. Wer bis drei oder vier spielt, geht durch Barthelemys Haustür. Diejenigen, die die Nacht durch sitzen, gehen so fort, wie ich heute morgen.«

»Aha! Dann ist also das medizinische Bad auch nur ein Deckmantel.«

»Nicht ganz. Aber es gehört Barthelemy und wird von ihm geleitet. Wie kam es, daß ich dich heute morgen nicht sah?«

»Deine eigene Schuld. Du gingst dicht an mir vorbei, hattest es aber so eilig, daß du mir nicht einen Blick gönntest.«

»Was hattest du dort zu tun?«

»Ich wollte unter dem Vorwand, zu baden, eindringen.«

Lydia schüttelte den Kopf.

»So geht das nicht. Barthelemy hat einen Arzt an der Hand, Doktor Marinetti, der untersucht erst alle Patienten. Er –«

»Ich war bei ihm. Er hat mir Bäder verschrieben, die ich um vier Uhr nachmittags nehmen soll.«

»Kann ich mir denken. Morgens kann man Fremde nicht brauchen. Außerdem wird der Patient dort ständig überwacht. Das Bad ist schon echt, aber es tritt als solches erst nach dem Frühstück in Erscheinung.«

»Tut nichts«, sagte King, »ich komme schon irgendwie dahinter. Wie wäre es, wenn ich in den Amaranthklub einträte? Könntest du mich nicht vorschlagen? Und könnte ich dann nicht unter die »Eingeweihten« aufgenommen werden?«

Lydia sah ihn ernst an.

»Es ist eine sehr gefährliche Sache. Barthelemy tritt man nicht ungestraft in den Weg. Wenn er etwas merkte – mein Gott!«

»Ich wage es auf jeden Fall.«

»Warum bloß?«

»Weil ich glaube, daß Barthelemy Avorys Mörder ist. Ich will ihn zur Strecke bringen.«

Wieder schaute sie ihn ernst und nachdenklich an.

»Ich vermute, du hast viel Geld?«

»Massenhaft. Seit wir uns nicht sahen, habe ich eine Riesenerbschaft gemacht, und ich war damals schon reich. Ich kann also schon etwas riskieren.«

»Für einen Menschen wie Barthelemy bist du der rechte Mann«, sagte sie nachdenklich. »Ich will sehen, was sich tun läßt. Du willst doch nichts übereilen?«

»Im Gegenteil, ich bin für kaltblütig überlegte Arbeit. Ich sehe ein, daß die Sache Zeit braucht. Aber ich will ihn fangen. Denke darüber nach.«

»Ich bin schon dabei. Erst muß ich dafür sorgen, daß du Mitglied wirst, und dann Barthelemy einen Wink geben, daß du dich für das Nachbarhaus eignest. Aber vergiß nicht – Barthelemy nimmt niemand auf, dessen ganze Geschichte er nicht kennt.«

»Er soll alles wissen. Ich bin ein etwas exzentrischer Lebemann, reich, interessiert für alles, was aus dem Rahmen des Gewöhnlichen fällt. Ich habe von einem Onkel, der in Indien Zucker baute, ein großes Vermögen geerbt. Aber, da ich gerade von Geld spreche, ich schulde dir noch dreihundert.«

Lydia verwahrte die Banknoten ebenso, wie die erste Summe.

»Danke, besuch' mich heute in acht Tagen. Aber, Bannie King, es ist ein gefährliches Unternehmen.«

King brach auf und überdachte, was er erfahren hatte. Er wollte Barthelemy der strafenden Gerechtigkeit überliefern, mochte es kosten, was es wolle. Zweifellos war es ein gefährliches Spiel. Aber es war dazu ein gutes und aufregendes, und das entsprach just seinem Temperament. Er war entschlossen, alles zu wagen, mochte er gewinnen oder verlieren.

Am folgenden Tage begann er mit seiner Bäderkur. Er entdeckte nichts als eine elegant eingerichtete Badeanstalt. Er wurde aufmerksam bedient und bezahlte entsprechend. Aber, wie Lydia vorausgesagt hatte, sah er wenig von dem Haus, da immer jemand um ihn war. Es gab keine Möglichkeit, zu spionieren.

Während der Woche las King eifrig in Werken, die er sich von dem Spezialisten geliehen hatte, und die von geheimnisvollen Giftmorden handelten. Allmählich konnte er sich eine Vorstellung davon machen, wie Avory vermutlich zu Tode gekommen war, und was er zu tun hatte, um sich vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren.

Da bekam er einen Brief von Lydia, in dem sie ihn bat, sie zu besuchen. Sofort fuhr er nach Maida Vale. Lydia empfing ihn mit einem Schreiben in der Hand.

»Das wäre in Ordnung«, begrüßte sie ihn. »Nun bist du regelrechtes Mitglied des Amaranthklubs. Barthemely ist über deine Verhältnisse orientiert. Es ging ganz leicht.«

King las den Brief durch. Es war die formelle Bestätigung, daß er in den Klub aufgenommen sei, und die Aufforderung, Eintrittsgeld und Beitrag zu zahlen. Mit finsterem Lächeln steckte er das Schreiben ein.

»Eine Einlaßkarte«, sagte er. »Aber wozu?«

»Das kannst du eben nicht wissen«, erwiderte Lydia, »und ich auch nicht. Das beste ist, du ziehst in meiner Begleitung in den Klub ein. Wann paßt es dir?«

»Wir wollen heute dort zu Abend essen. Um zwölf Uhr, denk' ich.«

 


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