Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Vierunddreißigstes Kapitel.

In der Falle.

Zitternd trat Barthelemy vom Fenster zurück. Er war kein Mann von starken Nerven, und Frau Tressinghams Revolver hatte ihm nicht wenig Furcht eingejagt. Er hatte die Verzweiflung in ihren Augen bemerkt, und seine Angst war gewesen, sie möchte unbewußt abdrücken. Er empfand ein Gefühl der Erleichterung, als der gefährliche Besuch gegangen war, aber dieses Gefühl machte äußerster Bestürzung Platz, als er sah, was vor seinem Hause geschah.

Da gab es keinen Zweifel. Sie war festgenommen, verhaftet unmittelbar vor seinem Hause. Das bedeutete, sein Haus wurde überwacht. Ohne Frage erstreckte sich diese Überwachung auch auf den Klub und das medizinische Bad.

Fluchend und jammernd trat Barthelemy an einen Schrank, nahm die Brandyflasche heraus und stärkte sich durch einen langen Zug. Dann machte er eine Bewegung, als wollte er die Furcht abschütteln. Aber er wußte, daß aller Brandy der Welt sie nicht wegschaffen konnte. Es lag etwas in der Luft, und darum mußte er handeln. Zum mindesten mußte er die eigene Haut in Sicherheit bringen, wenn schon sonst nichts zu retten war.

Barthelemy hatte stets damit gerechnet, daß sein Unternehmen eines Tages wie ein Kartenhaus zusammenstürzen könnte. Darum war er auf eine plötzliche Katastrophe vorbereitet. Nichts, was ihn hatte kompromittieren können, hatte er im Hause. Wertsachen, Papiere, bar Geld befanden sich in Sicherheit. Er war immer bereit, im Augenblick von dem Schauplatz seiner Tätigkeit zu verschwinden.

Jetzt hatte er nichts zu tun, als ein paar Kleinigkeiten aus dem Schreibtisch zu holen. Seine Hand zitterte nicht, als er die Sachen aus den Schubladen nahm und einsteckte. Etwas tat er in eine verborgene Westentasche. Es war das Fläschchen, aus dem er Avorys Getränk gewürzt hatte. Für den letzten, verzweifelten Ausweg mochte es brauchbar sein, dachte er.

Aber Barthelemy war nicht der Mann, die Flinte zu früh ins Korn zu werfen. Vielleicht war auch noch gar kein Grund zur Beunruhigung vorhanden, sagte er sich. Daß man Frau Tressingham verhaftet hatte, brauchte noch nichts mit ihm und seinem Hause zu tun zu haben. Wer wußte etwas gegen ihn? Wer konnte etwas Ungünstiges über ihn aussagen?

Immerhin wollte er auf der Hut sein. Es war höchst unangenehm, daß Frau Tressingham, die Polizei hinter ihr her, in sein Haus gekommen war. Er verwünschte sie darum aus tiefstem Herzen. Vielleicht begnügte man sich damit, sie zu verhaften. Aber möglicherweise auch nicht. Dieser Gedanke trieb ihm den Angstschweiß aus. Er mußte etwas tun, mußte handeln.

Barthelemy hatte seine vielseitige Tätigkeit nicht ausüben können, ohne sich dabei der Hilfe von zwei oder drei vertrauten und natürlich sehr hoch bezahlten Leuten zu bedienen. Einem traute er noch mehr als den übrigen, das war der höfliche, elegante Angestellte, mit dem Banister King in dem medizinischen Bad verhandelt hatte. Barthelemy kannte dunkle Punkte aus dem Leben dieses Mannes, die ihn in seine Gewalt gaben, und er sorgte dafür, daß dieser es nicht vergaß. Aber nicht darum vertraute er ihm ganz besonders, sondern weil er des Mannes angeborene Lust an Intriguen und krummen Wegen aller Art kannte, sofern dabei etwas zu verdienen war. Barthelemys Unternehmungen warfen große Gewinne ab auch für alle seine Angestellten, aber am meisten verdiente dieser sein Vertrauter. Daher nahm Barthelemy zu ihm seine Zuflucht. Der Mann erschrak, als er seines Herrn verstörtes Aussehen bemerkte.

»Ist etwas geschehen?« rief er aus, als Barthelemy in sein kleines Zimmer trat und sich wie ein gebrochener Mann auf einen Stuhl fallen ließ.

»Vielleicht nichts, vielleicht sehr viel. Ich bin etwas aufgeregt, Sie haben ruhiges Blut. Hören Sie zu.«

Und er erzählte ihm, was sich seit Frau Tressinghams Ankunft ereignet hatte. Das Gesicht des Zuhörenden wurde ernst.

»Sind Sie sicher, daß sie verhaftet worden ist?« fragte er.

»Ganz sicher, ein Irrtum war gar nicht möglich.«

Der Mann überlegte.

»Ich kenne eine ganze Menge von diesen Burschen«, sagte er. »Ich will mich einmal draußen umsehen.«

Barthelemy strich seinen Bart.

»Handelt es sich um eine Razzia«, sagte er, »so werden sie vermutlich warten, bis die meisten unserer Mitglieder da sind. Das wäre so gegen Mitternacht. Meinen Sie nicht auch?«

»Sicher. Trotzdem werde ich jetzt gehen und das Terrain sondieren. Aber Sie?«

»Ich?«

»Sie werden doch keinen Wert darauf legen, angetroffen zu werden, wenn die Polizei kommt?«

»Nein, das wäre unnötig.«

»Schön. Ich gehe also jetzt hinaus und nehme dieses Feuerzeug mit. Sie halten sich in dem Zimmer über der Haustür auf und stellen sich ans Fenster. Ja kein Licht machen. Wenn ich mich ein wenig umgesehen habe, gehe ich unauffällig auf die andere Straßenseite. Ist alles in Ordnung, komme ich wieder. Bemerke ich etwas Verdächtiges, so stecke ich gerade Ihrem Fenster gegenüber mir mit diesem Feuerzeug eine Zigarre an.«

»Ich verstehe.«

»Und in dem Fall –?«

Barthelemy nickte.

»Ich verschwinde. Sofort.«

»Ich kehre gleichfalls nicht zurück. Ich weiß, wo wir uns morgen treffen.«

»Haben Sie denn nichts mitzunehmen?«

Der Mann lächelte.

»Nichts. Ich bin immer bereit.«

»Auch ich«, sagte Barthelemy. »Dann los.«

Der andere ging hinaus. Barthelemy begab sich in das Klubhaus. Es war gerade elf, und einzelne Gäste kamen schon. Die Diener gingen hin und her, der Betrieb lief wie geölt. Barthelemy hätte blutige Tränen vergießen mögen bei dem Gedanken, daß dieser so tadellos funktionierende Apparat in einem Augenblick zerstört werden sollte. Es war gräßlich verrückt.

Nachdem er einige Bekannte begrüßt hatte, ging er in das Zimmer, das sein Vertrauter vorhin bezeichnet hatte. Aus dem Dunklen sah er auf die hell erleuchtete Straße hinab. Draußen war nichts Auffälliges zu sehen. Automobile, Droschken, elegante Privatkutschen fuhren vor. Der Abend sah aus wie jeder andere.

Aber der Mann am Fenster kümmerte sich nicht um die Gäste, die dem Klub zuströmten. Er hatte das Gefühl, das einen wohl überkommt, wenn man allein durch einen dunklen Wald geht und plötzlich von der Vorstellung gepeinigt wird, daß hinter jedem Busch ein feindliches Wesen sitzt. Und so wartete er ungeduldig auf das verabredete Zeichen seines Angestellten.

Schließlich tauchte der Mann drüben auf der anderen Straßenseite auf. Barthelemy erkannte ihn an Gang und Figur. Er blieb stehen. Würde er das Zeichen geben oder nicht? Der Mann suchte in der Tasche. Plötzlich flammte ein kleines rötliches Licht auf. Das bedeutete – Gefahr.

Barthelemy verlor keine Zeit. Er sah noch, wie der andere langsam rauchend weiter ging. Dann verließ er das Zimmer und eilte die Treppe hinunter. Unten traf er einen Diener.

»Fräulein Linkinshaw möchte Sie sprechen, Herr.«

»Ich habe jetzt keine Zeit. Sagen Sie –«

Aber in diesem Augenblick stand Lydia vor ihm und reichte ihm einen Brief.

»Ich denke, Sie werden Zeit haben, das zu lesen«, sagte sie.

Sie war verschwunden, ehe er eine Frage stellen konnte. Er sah nur noch, wie sie durch die Haustür hastete und in ihr Auto sprang. Da betrachtete er den Brief und erkannte Banister Kings Handschrift. Er las:

»Sie sind in großer Gefahr. Verlieren Sie keinen Augenblick und kommen Sie zu mir. Da sind Sie in Sicherheit. Rasch!

King.«

Es war für Barthelemy charakteristisch, daß er das Schreiben zunächst in das Kaminfeuer warf und wartete, bis es verglüht war. Dann gewann er auf Wegen, die außer ihm kein Mensch kannte, das Freie.

 


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