Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Auf dem Kriegsschauplatz.

So stolz und glücklich auch Mr. George Ellington und seine Familienangehörigen wegen seiner Ernennung zum Unterstaatssekretär im Marineamt waren, Mr. Septimus Crashaw, Generalsekretär der konservativen Partei in Ashminster, teilte diese Gefühle keineswegs. Er zürnte dem Ministerpräsidenten, daß er ihm in diesem Augenblick die Last einer Nachwahl aufhalste. Und als der frischgebackene Marinelord, ein wenig geschwollen im Bewußtsein der neuen Würde, bei ihm eintrat, empfing er ihn mit Klagen und unheilvollen Prophezeiungen.

»Sie können sich auf einen verzweifelten Kampf gefaßt machen, Mr. George«, begrüßte er ihn. Denn da er das Parlamentsmitglied von dessen ersten Hosen an kannte, hatte er sich im Verkehr mit ihm einen etwas familiären Ton angewöhnt. »Sie wissen, daß wir das letztemal nur eine Mehrheit von sechzig Stimmen hatten, und das kann bei unserer Wahlordnung leicht eine Minderheit werden. Vier Jahre ist die Regierung nun an der Macht, ihre Energie ist verbraucht. Unsere Gegner haben tüchtig gearbeitet, und in Oberst Emsworth haben sie einen guten Kandidaten. Er wird sich zur Wehr setzen.«

»Unken Sie nicht, Crashaw«, sagte der neue Unterstaatssekretär. »Ich habe Emsworth zweimal geschlagen, ich schlage ihn noch einmal. Wir müssen nur unsere Kräfte sammeln, dann gewinnen wir die Schlacht.«

Crashaw sah auf den jungen Mann, für den das Leben bisher nichts als Erfolg bedeutet hatte. Sein Vater, der millionenschwere Fabrikant, hatte George von der Geburt an für die politische Laufbahn bestimmt. Seine ganze Erziehung war nach diesem Gesichtspunkt geleitet worden. Für ihn hatte er den Wahlkreis Ashminster warmgehalten, mit dreiundzwanzig Jahren hatte George ihn bekommen. Jeder war überzeugt, daß der junge Mann vor dem dreißigsten Jahr ein Regierungsamt haben würde. Und nun stand er vor Crashaw, das Urbild eines jungen Engländers, groß, kräftig gebaut, froh im Bewußtsein seiner Stellung. Hier wehte die Luft des Erfolges.

»Sie haben immer guten Mut und Hoffnung, Mr. George«, bemerkte der alte Mann. »Das ist eine Gottesgabe. Aber, wie ich gestern zu Ihrem Vater sagte, ich wünschte, wir wären etwas besser vorbereitet. Wir müssen, wie Sie vorhin richtig bemerkten, unsere Kräfte sammeln. Übrigens, was glauben Sie, wer sich gestern bei mir meldete und sich erbot, Ihnen Wahlhilfe zu leisten? Sie würden es in alle Ewigkeit nicht raten.«

»Wer denn?« fragte Ellington.

Crashaw sah den Kandidaten listig an.

»Lord Hartsdales Schwester.«

Ellington pfiff durch die Zähne.

»Sie meinen die Frau von Oberst Tressingham?«

»Freilich. Sie schien ganz wild danach, und sie versteht allerlei von Politik. Wir haben lange geplaudert. Sie bedauerte, Sie noch nicht zu kennen, würde aber gern für Sie arbeiten. Und – ich habe ihr Anerbieten angenommen.«

Verwundert überlegte Ellington, warum wohl Ihre Hochwohlgeboren Frau Tressingham für ihn arbeiten wolle. Er kannte sie und ihre Familie vom Sehen und Hörensagen, solange er lebte. Aber nie hatten die Hartsdales sich für die Angelegenheiten Ashminsters interessiert. Vor ihrer Heirat mit dem Oberst Tressingham, einem alten Haudegen, kannte man Hilda nur als eine junge Dame, die ihre Zeit mit Pferden und Hunden zubrachte. Nach ihrer Verheiratung hatte sie einige Jahre in Indien gelebt, wo ihr Gatte auch nach seiner Verabschiedung noch geblieben war, weil er dort Pflanzungen besaß. Seit ihrer Rückkehr nach England kannte Ellington sie als eine mondäne Frau, die in Kreisen verkehrte, die über seiner Sphäre lagen. Er wußte, daß Lord Hartsdale dem Namen nach zu seiner Partei gehörte und auch gelegentlich einmal zu einer Abstimmung im Oberhaus erschien. Aber nie hatte sich die Familie lebhaft für Politik interessiert, und darum sah er Crashaw fragend an.

»Was kann das zu bedeuten haben?«

Der Alte zuckte die Achseln.

»Wie soll ich wissen, was solch eine vornehme Dame sich denkt? Vielleicht sucht sie ein bißchen Abwechslung, eine neue Sensation, was weiß ich. Ist ihr Gatte nicht noch immer in Indien? Und Kinder hat sie auch nicht. Vermutlich langweilt sie sich in Hartsdale. Die Leute erzählen, daß aus Seiner Lordschaft und ihr selbst kein Mensch dort ist, daß sie nie Gäste haben. Dazu ist er schwer verschuldet, und das gab mir eigentlich zu denken.«

»Warum?« fragte Ellington.

»Sie sind nicht gerade beliebt in Ashminster, wenigstens der Lord nicht. Nachdem er bei den Geschäftsleuten tief in der Kreide steht, bezieht er seinen Bedarf aus London. Trotzdem –«

Er brach ab, kaute an seinem Federhalter und sah den Kandidaten vielsagend an.

»Trotzdem –?« fragte Ellington.

»Sie ist eine sehr schöne und bezaubernde Frau, und eine solche kann den Leuten klarmachen, daß Schwarz Weiß ist. Unter den Wählern gibt es immer Menschen, bei denen eine hübsche Frau mit einer flinken Zunge erreicht, was sonst niemand fertigbringen kann. Sie könnte uns nützlich sein.«

»Natürlich werden wir Nutzen aus ihr ziehen. Wir weisen keine Hilfe zurück, woher sie auch immer kommen mag. Wir –«

In dem Augenblick öffnete ein junger Mensch die Tür und steckte seinen Kopf herein.

»Eine Dame möchte Sie sprechen, Mr. Crashaw«, sagte er. »Frau Tressingham.«

Crashaw sah seinen Chef an und bemerkte:

»Führen Sie die Dame sofort herein.«

Er stellte einen Sessel zurecht und sagte lächelnd:

»Nun können Sie selbst mit ihr sprechen oder – ihr zuhören.«

Etwas schüchtern und unbeholfen blieb Ellington vor dem Kamin stehen und blickte erwartungsvoll auf die Tür. Unbewußt fühlte er, daß etwas Neues in sein Leben trat.

Hilda Tressingham, in einem Hut, wie man ihn in Ashminster nicht zu sehen gewohnt war, schwebte mit strahlendem Lächeln in das Zimmer. Sie wartete eine formelle Vorstellung nicht ab. Obwohl sie in ihrem Leben mit George Ellington noch kein Wort gesprochen hatte, streckte sie ihm wie einem alten Freunde die Hand hin, während sie Crashaw vertraulich zunickte. Die beiden Männer konnten sich dem Reiz ihrer Persönlichkeit nicht entziehen. Es war, als hätte sich das schäbige Zimmer mit seinen Büchern und verstaubten Akten plötzlich verändert.

»Wie geht es Ihnen, Mr. Ellington«, begann sie mit einer entzückenden Offenheit. »Wir können wohl auf eine feierliche Vorstellung verzichten. Ich freue mich, von Ihrer – wie soll ich es nennen? – Beförderung zu hören. Ohne Zweifel hat Mr. Crashaw Ihnen erzählt, daß ich bei Ihrer Wahl helfen möchte. Sie werden nichts dagegen haben?«

Ellington geleitete sie zu dem Sessel. Er stellte fest, daß sie eine außergewöhnlich schöne Frau war, und er konnte sich dabei seltsamerweise eines Gefühls des Unbehagens nicht erwehren.

»Sie sind zu liebenswürdig«, begann er, um dann etwas ungeschickt fortzufahren: »Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie sich für Politik interessieren.«

»Ich fange damit an«, erwiderte sie prompt. »Und ich lerne rasch. Mr. Crashaw wird mir bezeugen, daß ich leidlich auf dem laufenden bin.«

»Von ganzem Herzen«, sagte Crashaw lächelnd. »Frau Tressingham weiß mit allen schwebenden Fragen Bescheid.«

Ellington stand noch immer verblüfft da. Und gleichzeitig betrachtete und studierte ihn Hilda Tressingham. Sie hatte ihn dann und wann zuvor gesehen und kannte ihn als einen gut aussehenden jungen Mann, den man eher für einen Landedelmann denn für einen Politiker halten konnte. Er war groß, wohlgebaut, und seinem braungebrannten Gesicht nach hätte man ihm eher ständigen Aufenthalt in frischer Luft als die Beschäftigung mit Büchern und Akten zugetraut. Aber in diesem Augenblick forschte sie tiefer und schätzte Charakter und Fähigkeiten ab. Und sie kam zu dem Schluß, daß George Ellington bei einer gewissen geistigen Bedeutung alle Merkmale der Eitelkeit an sich trug, daß man ihn mit Schmeicheleien würde beeinflussen können. Sie empfand ein freudiges Vorgefühl kommenden Sieges.

»Ich kann ihn um den Finger wickeln«, dachte sie. Und dann sagte sie laut:

»Was für Arbeit werden Sie mir geben, Mr. Crashaw?«

Septimus Crashaw blickte auf Ellington.

»Ich habe es mir eben überlegt«, sagte er. »Wir müssen uns besonders um die Wähler in Saint Sepulchres Ward kümmern. Ein bißchen Hausagitation kann da Wunder wirken. Ich wollte Sie eigentlich hinschicken, Mr. George. Hier ist die Liste. Möchten Sie nicht Frau Tressingham mitnehmen? Sprechen Sie mit den Frauen, sie haben mehr Einfluß auf die Männer, als man gewöhnlich annimmt. Schmieren Sie ihnen Honig um den Mund und küssen Sie ihre kleinen Kinder.«

»Dies Geschäft werde ich Mr. Ellington überlassen«, sagte Hilda. »Darin hat er Erfahrung.«

Ellington hatte ein seltsames Gefühl von gehobener Stimmung und Vergnügen, als er in der Gesellschaft von Lord Hartsdales schöner Schwester die Hauptstraße von Ashminster entlang ging. Trotz seiner sorgfältigen Erziehung, seiner glänzenden Karriere und seiner Zukunftsaussichten hatte er etwas von einem Emporkömmling an sich. In der Industriestadt aufgewachsen, hatte er eine gewisse Ehrfurcht vor der Aristokratie noch nicht abgelegt. Das Gefühl war mächtig in ihm, es sei doch eine schöne Sache, die Schwester eines Pairs neben sich zu haben. Sehr bald hatte er noch mehr Grund, stolz zu sein und sich zu beglückwünschen. Denn er entdeckte, daß Crashaw mit seiner Behauptung, Hilda verstände zu reden, recht behielt. Bewundernd folgte er ihr den Rest des Vormittags, ließ sie ihre Überredungskünste nach Belieben anwenden und warf nur ein paar Worte ein, wenn er es für unbedingt notwendig hielt.

Die Zeit verging dabei so schnell, daß er sich wunderte, als seine Begleiterin plötzlich stehen blieb und die Hand auf seinen Arm legte.

»Jetzt keinen Schritt weiter«, sagte sie lachend. »Sie müssen mir erst etwas zum Lunch geben.«

 


 << zurück weiter >>