Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Dreizehntes Kapitel.

Fortschritte.

In den nächsten Wochen war Hilda Tressingham so beschäftigt, daß sie sich mit Kleinigkeiten, die außerhalb ihrer Pläne lagen, nicht befassen konnte. So vergaß sie auch den Oberst in Indien bis zu dem Grade, daß sie einen Brief von ihm zunächst ungelesen fortlegte. Und dann beging sie den schweren Fehler, zu vergessen, daß dieser Brief ungeöffnet in einer Schublade lag. Sie hatte sorgfältig das Telegramm gelesen, das er ihr als Antwort auf ihren Brief geschickt hatte, und in dem er ihr mitteilte, daß er ihrem Rat folgen und in Indien bleiben wolle. Daraufhin hatte sie ihm in einem herzlich gehaltenen Brief dafür gedankt, daß er ihren Rat angenommen habe. Somit war sie sicher, daß er für absehbare Zeit an Ort und Stelle bleiben würde, und hinfort bildete er keinen Faktor mehr in ihrer Rechnung.

Und sie hatte wirklich viel zu tun. Zuerst wollte sie ihrem Bruder helfen, überzeugt davon, daß Blut dicker ist als Wasser, und daß man mit Wohltätigkeit zu Hause beginnen muß. So kümmerte sie sich zunächst um die Vermietung seines Hauses an Ellington. Sie arbeitete selbst wie ein Sklave, um alles in Ordnung zu bringen, und trieb die Handwerker unbarmherzig zur Eile an. Überall hatte sie ihr wachsames Auge.

So war noch kein Monat seit der Wahl in Ashminster vergangen, als die Ellingtons behaglich in ihrem neuen Stadthaus saßen. Hilda konnte ihrem Bruder mitteilen, daß ihre Arbeit für ihn beendet sei.

»Du mußt zugeben, Hartsdale, daß ich eine gute Seele bin, mich so für einen faulen Bruder abzurackern«, sagte sie, als er für einen Tag ihr Gast war, im Begriff, eine Angelexpedition nach Norwegen zu unternehmen.

»Ich habe dein Haus für drei Jahre günstig vermietet, und vermutlich werden sie es darüber hinaus behalten. Zweitausend Pfund bekommst du jährlich. Ich hoffe, du wirst dankbar sein.«

»Natürlich«, erwiderte Lord Hartsdale. »Du hast alles glänzend gemacht, an dir ist ein Geschäftsmann verloren. Auf Wunsch gebe ich es dir schriftlich. Ich vermute, daß du nun dein eigenes Wild jagen wirst. Weidmannsheil!«

Hildas Jagd hatte schon begonnen. George Ellington war ein paarmal bei ihr zum Essen gewesen, bevor er mit seiner Frau das Stadthaus bezogen hatte. Aber bei dieser Gelegenheit war sie sich nicht klar darüber geworden, ob dieser Fisch so leicht zu fangen sei, wie sie zuerst gedacht hatte. Sie wußte, daß er von ihren Reizen bezaubert war, aber sie spürte auch, daß etwas in ihm war, das ihren Angriffen starken Widerstand leistete. Sie bemerkte, daß sein Benehmen zeitweise sehr reserviert war. Sie kam zu der Überzeugung, daß mehr Diplomatie und List dazu gehörte, in George Ellingtons Vertrauen einzudringen, als sie in so kurzer Zeit würde entfalten können.

In der Tat war Ellington seiner ganzen Herkunft nach bis zu einem gewissen Grade gegen Hilda Tressinghams Pläne gefeit. Er kam aus einer Familie, in der sich konservative und puritanische Gesinnung seit Generationen vererbt hatte. Und wenn er auch überzeugt war, daß nichts von der starren Prinzipienreiterei seines Vaters in ihm war, so kann sich doch ein Mann nie ganz von den Einflüssen seiner Umwelt freimachen. Und George Ellington war seines Vaters Sohn.

Sicherlich bewunderte er Frau Tressingham. Es war ihm angenehm, mit ihr plaudern zu dürfen und sie reden zu hören, mit ihr in ihrer eleganten Wohnung zu speisen, ihre Hand zu berühren, den Hauch ihrer Gegenwart einzuatmen. Aber – und das war das entscheidende – er blieb sich immer bewußt, nicht in ihre Welt zu gehören, und er fühlte instinktiv, daß in dieser Atmosphäre eine Gefahr für ihn war. Trotz alledem liebte er es, wie manches große Kind, dem Feuer, an dem er sich verbrennen konnte, so nahe wie möglich zu sein, es mit den Fingerspitzen zu berühren.

George Ellington sprach darüber weder zu seiner Frau noch zu seiner Familie. Aber Letty plauderte in ihrer Einfalt ganz offen von Frau Tressingham zu dem alten Stephan und zu Marcia, und der Vater nahm die erste beste Gelegenheit wahr, um mit seinem Sohn zu reden. Über seines Sohnes Privatleben hatte er keine Kontrolle. George war Teilhaber an den Ellingtonschen Fabriken und infolgedessen ein schwerreicher Mann. Und es lag nicht in Stephan Ellingtons Art, sich um die Geldausgaben erwachsener Kinder zu kümmern, die schon eine Rolle in der Welt spielen. Aber als er eines Abends in London war, entschloß er sich, zu sprechen, und er tat es ganz unmißverständlich.

»Ich weiß nicht, ob es klug von dir ist, George, die Freundschaft der Familie Hartsdale zu pflegen«, begann er. »Ich will mich nicht in deine Angelegenheiten mischen, aber was Letty erzählt, gibt uns zu bedenken.«

»Und was erzählt Letty?« fragte George ärgerlich.

»Oh, an sich unbedeutende Kleinigkeiten. Aber diese Frau Tressingham – du hast sie neuerdings oft besucht?«

»Natürlich, da sie die Freundlichkeit hatte, sich um das Haus in der Curzonstraße zu kümmern. Sie hatte eine große Last auf ihre Schultern geladen.«

»Richtig«, sagte Stephan mit trockenem Lachen. »Aber heutzutage ist eine solche Menschenliebe nach so kurzer Bekanntschaft selten.«

George sah seinen Vater mit ungeheucheltem Erstaunen an.

»Ich versteh' dich nicht«, bemerkte er.

»Nicht, mein Junge? Nun, ich meine, daß auch Frau Tressingham nichts umsonst tun wird.«

»Du meinst –«, begann George, um dann plötzlich abzubrechen. Er zündete sich umständlich eine Zigarre an und fuhr fort:

»Was willst du eigentlich damit sagen? Du drückst dich etwas rätselhaft aus.«

»Ich will damit sagen, daß Frau Tressingham sich schließlich die Mühe mit deinem Haus nicht so für nichts und wieder nichts gemacht hat. Sie mag an der Rolle eines Häuseragenten Vergnügen finden, aber sicher verlangt sie dann auch die Vermittlergebühren eines solchen Agenten.«

»Sie hat nicht einen Penny von mir verlangt«, antwortete George.

»Dann mag ihr Bruder sie bezahlt haben. Obwohl er nach allem, was ich von ihm gehört habe, nicht leicht mit etwas herausrückt. Es ist eine wunderliche Familie, George.«

»Das ist deine und Marcias Rede. Aber meine Verbindung mit ihnen liegt klar zutage. Ich habe von Lord Hartsdale ein Haus gemietet, wie ich es auch von jedem anderen hätte bekommen können. Seine Schwester hatte die Freundlichkeit, sich für das Geschäft zu interessieren, das ist das ganze. Sie hat aus Freundschaft gehandelt.«

»Aber weshalb?« sagte der Alte. »Warum diese plötzliche Freundschaft zu uns? Solange sie in Hartsdale und wir in Ashminster sitzen, hat sich nie jemand von ihrer Sippe für uns interessiert. Warum nun auf einmal?«

George griff in einer Weise, die zeigte, wie wenig genehm ihm der Gegenstand der Unterhaltung war, nach einer Zeitung. Im geheimen war er davon überzeugt, daß Frau Tressingham an seine politische Zukunft glaubte, und daß sie sich in seinem kommenden Ruhm sonnen wolle. Aber er sagte es seinem Vater nicht. Denn so sehr er ihn als Geschäftsmann bewunderte, für so hoffnungslos altmodisch hielt er ihn in politischen und sozialen Dingen. Außerdem betrachtete er sich als durchaus fähig, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen.

»Ich weiß es nicht«, beantwortete er die letzte Frage seines Vaters. »Man kann nicht immer wissen, weshalb andere Menschen etwas tun.«

»Ich glaube, daß du es nicht weißt, aber sei auf deiner Hut, mein Junge. Ich habe mehr als eine hoffnungsvolle politische Laufbahn durch eine schöne Frau zerstört gesehen.«

George antwortete nicht, obwohl er sich ärgerte. Er ärgerte sich immer, wenn der Vater oder die Schwester so sprachen. Und heute war er um so mehr verstimmt, als er selbst ein leises Unbehagen empfand.

Die Ruhe seines Gemüts wurde nicht verbessert durch die Stichelreden eines Kollegen, mit dem er einige Tage später im Rauchzimmer des Unterhauses saß. Dieser Herr war älter als George, kannte jeden Menschen in der Stadt und liebte es, seinem boshaften Witz die Zügel schießen zu lassen.

»Sie haben also neuerdings mit Frau Tressingham Freundschaft geschlossen?« begann er ganz unvermittelt.

»Wie meinen Sie?« fragte George, derart überrumpelt.

»Ich sah Sie neulich mit ihr im Park.«

»Wir sind Nachbarn in Ashminster. Unsere Besitzungen grenzen aneinander. Außerdem habe ich von ihrem Bruder ein Haus gemietet.«

»Richtig. Immerhin nehme ich an, daß Ihre Bekanntschaft nicht seit langem besteht. Darum fragte ich, ob Sie Freundschaft mit ihr geschlossen haben.«

»Und warum sollte ich das nicht?«

»Weil Mitglieder der Regierung vorsichtig sein müssen«, antwortete Georges Freund.

»Ich verstehe Sie nicht«, knurrte Ellington. »Was hat das mit Frau Tressingham zu tun?«

»Oh, ich habe nur eine einfache Bemerkung gemacht. Aber wenn ich Ihnen einen guten Rat geben dürfte, sprechen Sie mit dieser Dame nicht über Politik.«

Er ging fort und ließ George ärgerlicher zurück, als er nach der Unterredung mit seinem Vater gewesen war. Immerhin wurde er immer zugeknöpfter und mißtrauischer, was Hilda Tressingham sehr schnell spürte. Daher beschloß sie, ihre Netze hinfort mehr nach Letty auszuwerfen.

 


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