Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel.

Das Haus für medizinische Bäder.

Im Wartezimmer sah der Mann King mit höflich fragendem Ausdruck an.

Dieser begann sein Sprüchlein noch einmal.

»Eine Reihe medizinischer Bäder, mit denen ich sofort beginnen möchte.«

Der Angestellte schüttelte den Kopf.

»Es tut mir leid, aber das ist nicht möglich.«

King tat sehr erstaunt.

»Nicht möglich? Sie haben doch das Schild draußen.«

Der Mann lächelte.

»Sehr wohl, mein Herr. Aber –«

»Und soeben hat doch eine Kundin das Bad verlassen. Es muß also doch geöffnet sein.«

»Freilich, wir haben Patienten, die nach Anordnung des Arztes so früh Bäder nehmen. Das hier ist ein Privatetablissement.«

King sah ihn verblüfft an.

»Privat? Was soll das heißen?«

»Hier werden nur Privatpatienten bedient, für das große Publikum ist das Haus nicht geöffnet. Wir haben unsere besondere Kundschaft. Wenn Sie Wert darauf legen –«

Er sah King forschend an.

»Nun?«

Der Mann ging an ein Schränkchen und nahm eine Karte heraus.

»Wenn Sie Bäder nehmen wollen, mein Herr, müssen Sie sich an unseren Arzt wenden, Dr. Marinetti. Hier ist seine Adresse. Er wird alles anordnen und uns Mitteilung machen.«

King nahm die Karte und sah auf die Adresse. Der Arzt wohnte ganz in der Nähe.

»Schön«, sagte er, »ich werde hingehen, wann kann ich dann mit den Bädern beginnen?«

»Das wird der Doktor bestimmen. Er setzt die Art der Bäder und die Stunde fest.«

»Gut«, erwiderte King, »ich werde ihn heute morgen noch aufsuchen.«

»Zwischen zehn und eins«, sagte der Angestellte.

Nachdem King gefrühstückt hatte, ging er nach der angegebenen Wohnung. Er wurde von einem sehr gelehrt aussehenden Herrn empfangen, offensichtlich einem Ausländer, der ihn nach seinen Wünschen fragte.

»Ich leide an Rheumatismus«, begann King. »Es ist nicht schlimm, plagt mich aber doch zeitweise. Besonders in dieser heißen Jahreszeit ist es mir lästig. Ich komme nun gerade von Italien zurück. In Florenz lernte ich einen Mann kennen, der mir gegen Rheumatismus medizinische Bäder empfahl. Da mir heute morgen das Institut an der Ecke auffiel, ging ich hin. Man wies mich an Sie.«

Der Arzt verbeugte sich. Er stellte die üblichen Fragen und schrieb Kings Namen und Wohnung in ein Buch. Dann füllte er einen Diätzettel aus.

»Meine Verordnungen sind sehr einfach. In Ihren täglichen Gewohnheiten lassen Sie sich gar nicht stören. Ihren Lunch nehmen Sie pünktlich um ein Uhr ein. Natürlich leichte Kost. Ein bißchen Fisch, Geflügel, Früchte, weiter nichts. Bis vier Uhr ruhen Sie. Dann nehmen Sie Ihr Bad. Dann ruhen Sie wieder eine Stunde. Nachher können Sie tun, was Ihnen beliebt, aber natürlich alles mit Maßen.«

King sah auf den Zettel.

»Vier Uhr nachmittags?« sagte er etwas verblüfft. »Nicht am frühen Morgen?«

»Unter keinen Umstanden. Vier Uhr nachmittags, das ist die Zeit für Sie. Kommen Sie in vierzehn Tagen wieder.«

Lächelnd verbeugte er sich, und King ging mit dem Bewußtsein, daß sein Plan mißlungen war.

»Ich sollte mich wundern, wenn das nicht abgekartetes Spiel ist«, murmelte er. »Sicher steckt dieser Arzt mit den anderen unter einer Decke. Vier Uhr! Heute gehe ich jedenfalls nicht hin. Erst will ich das andere versuchen.«

King speiste bei Frascati, rauchte gemütlich seine Zigarre und nahm dann eine Droschke. Er befahl dem Kutscher, ihn nach Maida Vale zu fahren. Gegen drei Uhr kam er vor einer großen Mietskaserne an, und mit nachdenklicher Miene stieg er die Treppen hinauf.

»Da sie um acht erst schlafen gegangen ist, müßte sie jetzt auf sein«, murmelte er. »Sonst muß ich warten.«

Als er an einer Wohnung im dritten Stock schellte, hörte er erst das wütende Gebell eines Hundes und dann eine Frauenstimme, die das Tier beruhigte. Die Tür wurde geöffnet, und eine große, schlanke Frau, mit einem japanischen Kimono bekleidet, schaute mit schläfrigen Augen auf den Besucher.

»Du!« rief sie aus.

»Ich«, antwortete King.

»Die Welt geht unter«, rief sie, stieß den Hund mit einem Fußtritt beiseite und streckte die Hand aus.

»Tritt ein«, fuhr sie fort. »Ich bin allein, mein Mädchen ist in die Stadt gegangen. Ich bin eben erst aus dem Bett gekrochen.«

King ging in ein kleines Wohnzimmer, das überreich möbliert war und besonders durch die zahlreichen Photographien der Bewohnerin auffiel, die alle Wände bedeckten.

»Setz dich«, sagte sie zu King. »Lieber Himmel, es sind wohl zwei Jahre her, daß ich dich nicht mehr gesehen habe.«

»Ungefähr«, erwiderte King.

»Du hast dich inzwischen nicht verändert. Ich will uns Tee machen, richtigen Tee, nicht das übliche Spülwasser. Einverstanden?«

»Gern.«

»So warte hübsch, bis ich fertig bin«, sagte die Dame im Kimono. »Hier sind Zigaretten.«

Sie wirbelte hinaus und kam bald mit kostbarem Porzellan und dem duftenden Trank wieder.

»Ich freue mich, dich wiederzusehen«, sagte sie, nachdem sie ihn eine Weile wie ein seltsames Tier angestarrt hatte. »Zwei Jahre, das ist eine lange Zeit. Vielleicht hast du mich inzwischen einmal gesehen, ohne mich zu erkennen.«

»Ich glaube nicht, außer – heute morgen.«

Die Dame sah ihn scharf an.

»Heute morgen?«

»Ganz gewiß.«

Sie knabberte an einem Stück Kuchen.

»Wo denn?«

»Als du aus der medizinischen Badeanstalt kamst«, sagte King gemütlich. »Sieh, Lydia, da du die schönste Figur und die hübschesten Beine von ganz London hast, kannst du dich vor einem nicht unkenntlich machen, der das alles so gut kennt, wie ich.«

Die Dame sah ihn groß an und lächelte dann, so wie sie auf allen Bildern dargestellt war.

»Wie hübsch du das sagen kannst«, meinte sie. »Du hast dich gebessert. Ich denke, wir knüpfen da wieder an, wo wir vor zwei Jahren aufgehört haben, Bannie. Also heute morgen hast du mich gesehen?«

»Freilich, und deshalb bin ich jetzt gekommen.«

»Wie soll ich das verstehen?«

King setzte die Teetasse hin und beugte sich vornüber.

»Ich möchte wissen, was du dort um sieben Uhr morgens zu tun hattest.«

»Gehen dort nicht Leute hin, um Bäder zu nehmen?« fragte sie, indem sie ihn aufmerksam beobachtete.

»Möglich. Aber sie gelangen nicht alle dorthin vom Amaranthklub und von Barthelemys Haus aus, und noch dazu des Nachts um zwei.«

Lydia Linkinshaw blickte auf den Rand ihrer Tasse. Infolge langer Bühnenerfahrung hatte sie ihre Gesichtsmuskeln in der Gewalt. Trotzdem merkte King ein leises Zittern um ihre Mundwinkel.

»Worum handelt es sich, Bannie?« fragte sie ruhig.

»Das sollst du gleich erfahren. Bist du gut bei Kasse?«

»Was du nicht denkst! Ich bin in der Klemme, wie meistens.«

»Schön«, sagte King, indem er ihr einen Briefumschlag reichte, »hier sind ein paar Hunderter, die dir helfen sollen, den Mund zu halten. Erzähl mir, was ich wissen muß, und du bekommst noch dreihundert. Bar auf den Tisch, Lydia.«

Das Mädchen schob den Umschlag in die Falten ihres Kimonos.

»Sag erst, worum es sich handelt«, sagte sie etwas unbehaglich.

»Hab keine Angst. Ich will nur wissen, was in Barthelemys Haus vorgeht, nachdem der Amaranthklub geschlossen ist. Du weißt es, Lydia.«

Schweigend sah sie ihn einen Augenblick an. Dann rückte sie ihren Stuhl näher an den seinen.

 


 << zurück weiter >>