Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Das Netz wird geflochten.

Es war nicht schwer, das Ehepaar Ellington dazu zu bewegen, nach Hartsdale Park zum Lunch zu kommen. Die Bekanntschaft einer Woche hatte genügt, die beiden Hilda Tressinghams Einfluß zu unterwerfen. Für Ellington war sie eine ebenso elegante wie kluge Frau. Mit größter Aufopferung hatte sie für ihn gearbeitet, und er war ihr dankbar. Und Letty betrachtete Hilda mit der Bewunderung, die einfache Seelen immer der in die Augen fallenden Klugheit zollen. Sie verglich sie mit Marcia, deren geistige Überlegenheit sie bisher bedingungslos anerkannt hatte. Als sie zu ihrem Mann davon sprach, meinte er:

»Marcia lebt in der Welt der grauen Theorien, Frau Tressingham beherrscht die Dinge des praktischen Lebens.«

Dieser Ausspruch kam ihm höchst weise vor, und er lächelte zufrieden. Dann fuhr er fort:

»Frau Tressingham ist mir ungemein nützlich. Letzten Endes verdanke ich es ihr, wenn ich gewählt werde. Die unsichersten Kantonisten unter den Wählern hat sie einzuwickeln verstanden. Natürlich nehmen wir ihre Einladung an. Crashaw wird zwar aus der Haut fahren, wenn ich auch nur für eine Stunde vom Schauplatz verschwinde, aber der Weg nach Hartsdale Park ist ja nicht weit. Dabei fällt mir ein – du erinnerst dich dessen, was ich dir neulich wegen eines Stadthauses sagte?«

»Freilich«, erwiderte Letty im Bewußtsein des Geheimnisses, das sie mit ihrer neuen Freundin verband. »Ich erinnere mich, George.«

»Ich habe mich anders besonnen, jetzt brauchen wir natürlich ein Haus in der Stadt. Ich kann nicht wie bisher zwischen hier und London hin und her sausen. Das war etwas für meinen Vater, der kein Amt hatte. Ich aber muß während der Parlamentstagung immer zur Stelle sein. Deshalb brauchen wir ein Haus, und zwar sofort. Frau Tressingham erwähnte beiläufig, daß ihr Bruder sein Stadthaus vermieten wolle. Es liegt in der Curzonstraße und ist alter Familienbesitz, prachtvoll möbliert, wie sie sagt. Die Miete macht nur vierzig Pfund die Woche«, fügte er hinzu und umschrieb damit vor seiner sparsamen Frau die Tatsache, daß die Jahresmiete zweitausend Pfund betrug. »Ich denke, ich bespreche das beim Lunch mit Lord Hartsdale, meinst du nicht?«

»Ich glaube auch, daß wir jetzt ein Haus in der Stadt haben müssen, aber was wird dein Vater dazu sagen?«

Ellington zuckte die Achseln. Schließlich war er Mitbesitzer der ausgedehnten Fabrikanlagen, die sich das Tal entlang erstreckten.

»Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen«, sagte er. »Wir bezahlen die Miete, nicht er. Und ich habe diese gräßliche Wohnung in der Spießbürgergegend satt. Mayfair ist schöner, was Letty?«

Echt weiblich erwiderte Letty, daß ihr alles recht wäre, was George gefiele, und daß sie in erster Linie Wert darauf lege, auf diese Weise immer bei ihm zu sein.

»Jedenfalls werde ich mit Hartsdale darüber sprechen«, bemerkte er. »Nach Frau Tressinghams Ansicht ist es ein behagliches Heim, und warum sollen wir uns die Gelegenheit entgehen lassen?«

Dann lachte er plötzlich, und Letty sah ihn fragend an.

»Ich glaube, Hartsdale wird uns das Haus gern lassen«, sagte er. »Nach allem, was man hört, ist er arm wie eine Kirchenmaus. Sonst würden wir kaum eine solche Wohnung so billig bekommen. Erinnerst du dich noch der Amerikanerinnen, die wir in Paris trafen, der Frau Trout-Salmon und ihrer Töchter? Sie zahlten für Lord Dilkesbys Haus fünfundsiebzig Pfund die Woche. Hartsdale wird froh sein, daß bares Geld in seine fadenscheinigen Taschen kommt.«

»Ist er denn wirklich so arm?« fragte Letty naiv. »Er ist doch Pair des Königreichs.«

»Was ist das heutzutage?« sagte Ellington mit verächtlichem Lachen. »Ich könnte ein Dutzend Pairs auskaufen. Hartsdale ist bettelarm.«

Lettys Unerfahrenheit merkte freilich von dieser Armut nichts, als Hilda Tressingham die beiden in Hartsdale Park empfing. Hilda führte sie durch den Holländischen Garten, der stets peinlich in Ordnung gehalten wurde, weil er ein Steckenpferd des Lords war. Durch einen Seiteneingang brachte sie die Gäste in das Prinzenzimmer, wo sofort serviert wurde. Das Prinzenzimmer war ein Schmuckkästlein, prächtig in Eiche getäfelt, mit kostbaren alten Möbeln und wertvollen Gemälden. Über dem ganzen lag jenes schwer zu beschreibende Etwas, das man nur in Schlössern alter edler Geschlechter findet. Letty Ellington war keineswegs dumm, und so erfaßte sie schnell den Unterschied zwischen Hartsdale Park und den beiden Villen der Ellingtons. Sie sagte sich: ›Wir fangen erst an, aber diese Leute stehen schon seit Jahrhunderten auf derselben Stufe.‹ Nein, das alte Silberzeug, die tadellosen Speisen, die erlesenen Weine sahen nicht nach Armut aus. Sie empfand es deutlich, daß ihr eigener Diener daheim nicht an die priesterliche Würde Mawseys heranreichte. Und bei aller ihrer Herzenseinfalt verhehlte Letty sich nicht, daß George und sein Vater mit ihren Millionen weit entfernt waren von dem Adel, dessen Symbol das Prinzenzimmer bedeutete.

Sie freute sich außerordentlich über das offensichtliche gute Einvernehmen zwischen George und dem Gastgeber. Mochte sie auch wenig Erfahrung mit Pairs haben, so war sie doch überrascht, in Lord Hartsdale einen freimütigen und angenehmen jungen Mann zu finden. Und als sie mit George und Frau Tressingham nach Ashminster zurückeilte, wo die Wahlarbeit sie erwartete, hörte sie mit Vergnügen, daß George, was das Stadthaus anbetraf, mit dem Lord so gut wie einig war.

»Ich bin bereit, zu mieten«, sagte er zu Hilda. »Vermutlich werden Ausbesserungsarbeiten notwendig sein.«

»Das läßt sich in vier Wochen erledigen. Ich will mich darum kümmern, denn ich wohne ganz in der Nähe«, antwortete sie. »Da ich bald nach London fahre, kann ich alles besorgen.«

»Sie sind zweifellos eine Geschäftsfrau«, erwiderte er lachend und verglich sie im Geiste wieder mit Marcia. Als er dann aber abends bei seinem Vater vorsprach und nur die Schwester antraf, merkte er, daß Marcia sich manchmal auch zu den Dingen dieser Welt herabließ.

»Du scheinst mit einemmal einen Narren an Frau Tressingham gefressen zu haben«, bemerkte sie verdächtig sanft. »Und die arme Letty teilt offenbar deine Leidenschaft.«

Zwischen den Geschwistern bestand keine übergroße Zärtlichkeit. Der Bruder betrachtete die Schwester als verschrobenes Menschenkind, das nicht leicht zu genießen war. Marcia hingegen hielt den Bruder für einen Optimisten wie alle Politiker und darum für ein Hindernis jedes wahren Fortschritts. Infolgedessen sahen sie einander kampfbereit an.

»Warum sprichst du von meiner Frau als der ›armen‹ Letty?« fragte er.

»Nur eine Redensart. Ebensogut kann ich dich den armen George nennen.«

»Was hinter meinem Rücken vermutlich geschieht.«

»Möglich, da du dich so leicht beschwindeln läßt.«

»Und wer, bitte, beschwindelt mich?«

Marcia lachte in einer Art, die Ellington einen grimmigen Fluch entlockte.

»Fällt dir Frau Tressinghams Eifer für deine Sache nicht auf?« sagte sie. »Noch nie hat ein Mitglied ihrer Familie sich um Politik gekümmert oder sich nach unserer Gesellschaft gesehnt. Ich nehme an, die Dame will etwas von dir, George.«

»Das sieht dir ähnlich, Marcia. Willst du auch immer etwas von dem langhaarigen Volk mit schmutzigen Kragen, dessen Gesellschaft du suchst?«

»Nein, denn von ihnen ist nichts zu holen. Aber von dir als einem Mitglied, wenn auch nur einem sehr kleinen, der Regierung, könnte etwas zu holen sein. Und ich bin überzeugt, daß Frau Tressingham etwas im Schilde führt. Hypatia Standish, die mich gestern besuchte, weiß manches von ihr. Sie sagt, sie ist liederlich.«

»Liederlich?«

»Sie gehört zu einem verdächtigen Klub in London«, sagte Marcia mit Genugtuung. »Und wenn du noch mehr wissen willst, Richard Avory, der neulich zum Lunch da war, als du sie mitbrachtest, stellte eine wunderliche Frage über sie.«

»Das kann ich mir denken. Er sieht aus wie ein Mensch, der die anderen Gaste betreffend verrückte Fragen stellt.«

»Richard Avory,« fuhr Marcia unentwegt fort, »ist ein sehr kluger junger Mann und hört als Rechtsanwalt allerlei. Er fragte, ob das dieselbe hochgeborene Frau Tressingham sei, die vor zwei Jahren in einem Buchmacherskandal auf der Rennbahn verwickelt war.«

»Sieh mal an! Und du sagtest ihm –«

»Ich sagte ihm, daß sie es vermutlich sein würde, da sie zeitlebens nur mit Pferden und Hunden zu tun gehabt habe. Und sie muß es sein, denn es gibt sonst keine hochgeborene Frau Tressingham. Sieh bitte im Adelskalender nach, lieber Bruder.«

»Der Adelskalender ist nicht gerade meine Lektüre. Vom Rednerpult aus ziehst du immer gegen die Aristokratie zu Felde, und nun weißt du anscheinend den Debrett auswendig.«

»Man muß die Feinde des Volkes kennen. Ich liebe es, ihren Ursprung bis zu den Räubern und Mördern zu verfolgen, von denen sie abstammen. Ich bin kein Snob, das überlasse ich dir und Letty. Fühlt ihr euch nicht sehr gehoben, nachdem ihr in Hartsdale Park gespeist habt? Bekenne es.«

»Ich kann nur bekennen, daß ich mich wegen deines häßlichen Betragens schäme.«

Wütend ging er fort, als er merkte, daß Marcia ihn auslachte. Der Gedanke, daß jemand über ihn lachte, beleidigte sein Selbstgefühl. Und das war nicht gering. Die bloße Vorstellung, daß Hilda Tressingham ihn ausnutzen könnte, erschien ihm unsinnig. Sie war eine hübsche, kluge, anziehende Frau, und er schuldete ihr Dank für ihre Hilfe. Das war alles.

Am Wahltag selbst hatte er noch mehr Grund zur Dankbarkeit. Schon in aller Frühe war Hilda in der Stadt. Sie wurde nimmer müde in ihren Anstrengungen, das politisch reife Volk an die Wahlurne zu treiben und zu bewegen, für Ellington zu stimmen, bis die Uhr am Abend acht schlug. Da erst gönnte sie sich Rast sowie Speise und Trank. Viel Zeit dazu war freilich immer noch nicht, denn die Entscheidung stand nahe bevor. Crashaw war bleich und zitterte vor Aufregung, und auch Ellington war aufs höchste erregt.

Um zehn wurde das Resultat bekannt. Der neue Unterstaatssekretär war wiedergewählt, wenn auch nur mit elf Stimmen Mehrheit.

»Das habe ich Ihnen zu verdanken und sonst niemand«, flüsterte Ellington mit Inbrunst, als er zwei Stunden später Hilda in ihr Auto hob. »Auch Crashaws ist der Ansicht, und er weiß, was er sagt. Ich bin jetzt nicht imstande, Ihnen so zu danken, wie ich möchte. Wann kann ich zu Ihnen kommen und wohin?«

»Morgen fahre ich wieder nach London«, antwortete sie hastig. »Essen Sie nächsten Mittwoch bei mir. Ich schicke Ihnen einen Brief ins Parlament. Dann können wir auch wegen des Hauses in der Curzonstraße sprechen. Ich freue mich so über Ihren Sieg. Gehen Sie jetzt und schlafen Sie aus.« Sie lächelte ihn bezaubernd an, während der Wagen sich in Bewegung setzte, und George Ellington hatte nur den einen Wunsch, daß dieser Mittwoch schon morgen sein möchte.

 


 << zurück weiter >>