Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Zehntes Kapitel.

Ererbte Leidenschaft.

Die drei Menschen, die manches gemeinsame abenteuerliche Unternehmen miteinander verband, und die doch sehr wohl wußten, daß jeder einzige daneben auch seine eigenen Pläne verfolgte, sahen einander einen Augenblick fest an. Mr. Barthelemy blickte auf die beiden wie eine Spinne auf zwei Fliegen, die sie gern als Beute haben möchte. Garnier sah Hilda ein wenig ängstlich an, wie ein älterer und erfahrener Spieler den jüngeren Genossen, der zuviel wagt. Hilda trommelte mit ihren schlanken Fingern auf dem Tisch. Als sie die Augen zu Barthelemy erhob, stand Argwohn darin.

»Bevor ich mich zu Ihrem Vorschlag äußere«, begann sie, »müssen Sie mir eine Frage beantworten. Kommt Isidor Bernstein immer noch her?«

Mr. Barthelemy sah Garnier an und lächelte. Es war ein flüchtiges, wissendes Lächeln. Als er sich an Hilda wandte, wurde dieses Lächeln väterlich wie das eines Patriarchen.

»Meine Gnädigste«, sagte er, »Sie sind von London abwesend gewesen. Infolgedessen wissen Sie nicht das Neueste.«

»Das müßte ich eigentlich, denn ich habe in letzter Zeit jede Zeile in den ›Times‹ und der ›Morgenpost‹ gelesen.

»Neuigkeiten, wie ich sie meine, pflegen in diesen bekannten Zeitungen nicht zu stehen. Mr. Isidor Bernstein ist keine so bedeutende Persönlichkeit, um die Leser zu interessieren.«

»Also, was ist los mit ihm?« fragte Hilda ungeduldig.

»Er hat London verlassen. Vermutlich ist er dahin gegangen, wo er herkam. Unser Freund Garnier kann es bestätigen.«

Hilda wandte sich an Garnier, der nickte.

»Ja, es ist wahr, aber ich erfuhr es auch erst gestern. Im übrigen hat er nichts mehr von Ihnen in der Hand«, fügte er mit bezeichnendem Lächeln hinzu.

»Darum handelt es sich nicht. Ich wollte nur sagen, daß ich mich nicht mehr mit diesem Menschen zusammen an einen Spieltisch setzen würde. Er hat mich betrogen. Ich kann es ihm nicht beweisen, aber ich weiß es.«

Mr. Barthelemy hob entsetzt die Hand auf.

»Aber, meine Gnädigste, kein Mensch betrügt in meinem kleinen Spielsalon. Im übrigen ist der fragliche Mann verschwunden, für immer.«

Hilda gab keine Antwort, und Barthelemy schritt leise seufzend der Tür zu.

»Gehen wir hinunter?« fragte er, indem er sich noch einmal umblickte. »Es ist nette Gesellschaft heute abend da.«

Durch einen Wink bedeutete Garnier ihn, zu gehen.

»Wir kommen im Augenblick«, sagte er.

Mr. Barthelemy verschwand, und Garnier wandte sich an Hilda.

»Ich muß Ihnen eine kleine Vorlesung halten«, begann er lächelnd.

»Sie haben während der Wochen ländlicher Erholung Zeit genug zum Nachdenken gehabt. Ich hoffe, das wird für Sie vorteilhaft gewesen sein. Aber sei dem wie ihm sei, Sie müssen mich einen Augenblick anhören. In der Tat, Sie müssen.«

Etwas gebieterisch deutete er auf einen Stuhl, und Hilda setzte sich achselzuckend mit dem Gesichtsausdruck eines Kindes, das eine Strafpredigt erwartet.

»Sie wissen,« begann Garnier, »daß Sie eine Spielratte sind. Das liegt nun einmal bei Ihnen im Blut.«

»Das Gegenteil wäre ein Wunder, wenn man unsere Familiengeschichte betrachtet,« murmelte sie bitter. »Wir sind alle Spieler, seit Generationen.«

»Recht so. Aber es gibt solche und andere Spieler. Da ist der Spieler, der unüberlegt ins Zeug geht, in ein förmliches Fieber gerät, von seiner Leidenschaft besessen ist, nicht mehr aufhören kann und schließlich ruiniert wird. Zu dieser Klasse gehören Sie. Und dann gibt es den ruhigen, kaltblütigen, entschlossenen Spieler, der immer Herr seiner selbst bleibt, der genau weiß, wann er sein Glück probieren darf, und der infolgedessen gewinnt. In diese Klasse –«

»Gehören Sie!« unterbrach sie ihn mit verächtlichem Lächeln. »Sie natürlich. Aber ich bin nicht so kalt und berechnend wie Armand de Garnier. Unsere Herkunft, mein lieber Freund, ist ein wenig verschieden.«

»Es wäre aber besser für Sie, wenn Sie mehr Zurückhaltung und Berechnung zeigten. Hören Sie auf meinen Rat. Bedenken Sie, wenn Sie wieder zu spielen beginnen, daß es angenehmer ist, zu gewinnen als zu verlieren. Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir. Der Abschluß eines Jahres weist bei mir stets ein Plus auf. Manchmal habe ich mittelmäßig gewonnen, manchmal viel, manchmal auch nur ein wenig. Aber noch nie habe ich einen Penny zugesetzt.«

»Glück«, murmelte sie, »nichts als Glück.«

»Unsinn. Nichts als vernünftiges Disponieren. Merken Sie sich die Grundregel: Spielen Sie mit dem einzigen Ziel, zu gewinnen. Hören Sie auf, sobald Sie merken, daß die Karten an dem betreffenden Abend gegen Sie sind. Hören Sie auf mich, Hilda. Es ist Torheit, die Nächte hindurch zu sitzen, bis Ihre Nerven ruiniert sind, immer in der vergeblichen Hoffnung, das Glück möchte sich wenden. Spielen Sie nur kurze Zeit und bleiben Sie kalt wie Eis dabei. Stürzen Sie sich vor allen Dingen nicht in so dumme Abenteuer, wie das mit Bernstein war. Und« – er sah sie forschend an – »vergessen Sie nicht, daß der Bernstein ausgestellte Schuldschein jetzt in meinem Besitz ist.«

Hilda erhob sich ungeduldig.

»Ich dachte es mir, daß Sie mich daran erinnern würden. Natürlich bin ich in Ihrer Schuld und damit in Ihrer Gewalt. Aber ich denke, es wird nicht immer so bleiben. Wenn ich erst die fünftausend Pfund verdient habe –«

»Nun, was ist dann?«

»Dann bezahle ich Sie.«

Garnier lachte.

»Kommen Sie«, sagte er, »wir wollen für ein, zwei Stunden unser Glück versuchen. Aber denken Sie an meinen Rat.«

Er drehte bei diesen Worten das Licht aus, und das Zimmer lag ebenso im Dunkel wie der Gang draußen. Aber für die beiden in Mr. Barthelemys Geheimnisse Eingeweihten war Finsternis keine Schwierigkeit. Ein geschickt angelegtes Gewirr von Treppen und Korridoren führte zu einer jener Spielhöllen, an denen der Londoner Westen reicher ist, als die Polizei es sich träumen läßt. Daß Mr. Barthelemys Privatwohnung neben dem Klubgebäude lag, war ziemlich bekannt. Aber daß er in diesem Hause einen geheimen Spielsalon unterhielt, zu dem es einen Zugang nur von dem Amaranthklub aus gab, war nur einer sorgsam ausgewählten Anzahl von Klubmitgliedern bekannt, die wie Armand und Hilda geborene Spieler waren und das nötige Kleingeld besaßen.

Die Räume, zu denen die beiden alsbald gelangten, strahlten im hellsten Licht. Die Einrichtung war luxuriös, so daß man sich wie zu Hause fühlen konnte. Da gab es zwei Gesellschaftszimmer, eins für Damen und eins für Herren. Da war ein Erfrischungsraum, in dem man die erlesensten Weine und Liköre sowie allerlei Delikatessen bekommen konnte. Überall durfte man rauchen, und die Gäste wählten natürlich nur die teuersten Zigarren und Zigaretten. Und, was das wesentlichste war, es gab hier zwei elegant ausgestattete Spielzimmer. In dem einen beschäftigte man sich mit Trente-et-Quarante, in dem anderen mit Roulette und Bakkarat. Und es kam auch vor, daß Gäste, übersättigt und nach neuen Aufregungen dürstend, an einem Seitentisch sich um ein Spiel versammelten, das seinen Ursprung in einer Lasterhöhle des fernen China hatte.

Wäre Mr. Barthelemy ein eitler Mann gewesen, der vor einem Vetter vom Lande mit seinen Gästen protzen wollte, er hätte bewirken können, daß sein Besuch vor Staunen Mund und Augen aufsperrte. Hier trafen sich Leute, die ein harmloses Gemüt an diesem Ort niemals vermutet hätte. Hier waren Politiker, Diplomaten, Gardeoffiziere, Schauspieler, ein bekannter Weltreisender. Und dazwischen befanden sich Damen, die ausschließlich den höchsten Gesellschaftskreisen angehörten.

»Vergessen Sie meinen Rat nicht«, murmelte Garnier, als er mit seiner Begleiterin die Schwelle überschritt. »Er ist weise.«

Hilda Tressingham antwortete nicht. Sie zitterte schon im Fieber des Spielers.

 


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