Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Fünfzehntes Kapitel.

Der Spinne seidenes Gewebe.

Nach Talleyrand ist das einzige Mittel, ein Unternehmen zum erfolgreichen Ende zu führen, Gelegenheit, nochmals Gelegenheit und zum drittenmal Gelegenheit. Sonst nichts.

Diese Gelegenheit der ahnungslosen Letty Ellington gegenüber ersah Hilda Tressingham bei einem flüchtigen Blick in die Morning Post, wo berichtet war, daß George Ellington mit den anderen Mitgliedern des Marineministeriums auf einer Reise zum Zweck der Besichtigung schottischer Flottenstützpunkte begriffen war. Fünf Tage würde er fortbleiben. Während dieser Zeit mußte sie handeln.

Hilda hatte bereits alle Vorbereitungen für ihren Feldzug getroffen. Ihr blieb nur übrig, Letty aufzusuchen und ihr dann eine kurze Botschaft zu senden: Heute abend!

Letty, die sich allein in ihrer prachtvoll eingerichteten Wohnung befand, freute sich riesig über den Besuch ihrer vornehmen Freundin. Das Londoner Leben hatte ihre Erwartungen nicht erfüllt. Sie war es schnell müde geworden, im Herzen von Mayfair zu leben und die Hartsdaleschen Familienbilder anzustarren. Sie fühlte sich nicht als Mieter, sondern als Gast im Hause. Die neuen Dienstboten fielen ihr auf die Nerven, weil es Fremde waren. Sie und George hatten wenig Bekannte. Die Parlamentskollegen, die sie manchmal zum Essen bei sich hatte, hielt sie für langweilige Tölpel. Selten hatte George Zeit, sie irgendwohin mitzunehmen. Vergebens hatte sie bisher gehofft, daß Frau Tressingham sie in die erträumte Welt einführen würde. Aber Hilda hatte nichts dergleichen getan. Wohl hatte sie ein paarmal in ihrer hübschen Wohnung Tee getrunken, aber obgleich Hilda des öfteren ihr Mittagsgast gewesen war, hatte sie Letty nie zum Essen eingeladen. Und als Hilda an diesem Morgen vorsprach, fand sie die junge Frau Ellington äußerst gelangweilt und in schlechter Laune.

»Sie sehen aus, als gingen Sie zu einem Begräbnis«, begann Frau Tressingham.

»Nichts von alledem. Ich gehe überhaupt zu nichts als zu einem Spaziergang in den Park, zwei-, dreimal am Tage, und das habe ich herzlich satt.«

»Ist Mr. Ellington verreist?« fragte Hilda unschuldig.

»George ist für fünf Tage verreist.«

»Und hat er für die Zwischenzeit nichts an Unterhaltungen für Sie vorbereitet?«

Letty schnitt ein Gesicht.

»Er sagte etwas von Marcia. Vermutlich wird sie mich zum Lunch überfallen. Sie wird nachsehen, ob ich noch lebe oder mir ihre üblichen Predigten halten. Bleiben Sie zum Lunch?«

»Nicht, wenn Marcia kommt. Ich mag Ihre Schwägerin nicht ausstehen.«

»Ich auch nicht. Und ich würde mich nicht wundern, wenn Vater Ellington auch noch käme.«

Hilda sah Letty prüfend an. Dann sagte sie:

»Ich weiß, was Ihnen fehlt. Sie müssen etwas aufgeweckt werden. Ich fürchte, ich habe mich zu wenig um Sie gekümmert. Sie wissen ja, Letty, ich habe immer mit den Angelegenheiten anderer Menschen zu tun. So muß ich jetzt Hartsdales Geschäfte führen, der den Sommer in Norwegen zubringt. Da Oberst Tressingham noch immer in Indien ist, liegt auch ein Teil unserer Vermögensverwaltung auf meinen Schultern. So habe ich oft Tag und Nacht zu tun. Aber heute abend bin ich frei. Und Sie?«

»Ich? Ich bin immer frei.«

»Sind Sie sicher, daß Ihre Verwandten Sie nicht etwa abends besuchen?«

»Ganz sicher. Marcia treibt sich immer in den Siedlungen im Osten herum, wenn sie in London ist, und Mr. Ellington verbringt jeden Abend in seinem Klub.«

»Dann haben wir den Abend für uns«, sagte Hilda vergnügt. »Hören Sie zu, ich hole Sie um halb sieben ab. Sie brauchen keine große Toilette zu machen, ziehen Sie sich ganz unauffällig an. Wir essen in einem Künstlerkaffee, wo schon die Umgebung Ihnen Spaß machen wird. Dann gehen wir ins Theater. Um dem Abend die Krönung zu geben, nehme ich Sie hinterher mit in meinen Klub.«

Lettys Augen glänzten. Sie stammelte:

»In Ihren Klub? Aber geht es an diesen Orten nicht etwas – frei zu?«

Hilda lachte.

»Seien Sie doch kein Gänschen. Mein Klub ist hochanständig. Sie werden dort die vornehmsten Leute antreffen. Natürlich ist Anstrich etwas bohemienhaft.«

Letty zögerte.

»Was wird George dazu sagen? Er hat etwas vom Philister an sich.«

Wieder lachte Hilda.

»Ich nehme Sie unter meine Fittiche. Wenn George etwas sagt, bekommt er es mit mir zu tun. Aber es wäre närrisch, liebes Kind, wenn man zu seinem Mann von solch kleinen harmlosen Vergnügungen sprechen würde. Unsere Männer beichten uns ihre Seitensprünge auch nicht, glauben Sie es mir. Soll ich um halb sieben kommen?«

Letty sagte gern zu, und Hilda ging mit der Gewißheit fort, die erste Schlacht gewonnen zu haben. Geraden Weges begab sie sich zu Mr. Barthelemys Privatbüro, wo dieser Gentleman sie mit Garnier bereits seit zwölf Uhr erwartete.

»Ich habe das Spiel begonnen«, sagte sie, »und Sie beide müssen nun gleichfalls Ihre Karten zuwerfen. Ich bringe Frau Ellington in den Klub, wir vier werden zusammen essen, und Sie müssen sehr nett sein. Nach dem Essen werden Sie uns eine kleine Unterhaltung in Ihrem Privatzimmer vorschlagen, und Sie werden uns das neue Spiel aus Paris zeigen. Natürlich haben wir nicht viel bares Geld bei uns, und –«

»Also kurz, meine Gnädigste, was wollen Sie?« unterbrach sie Barthelemy.

»Frau Ellingtons Unterschrift auf einem Bogen Klubpapier. Verschaffen Sie mir das, und dann gehe ich meinen eigenen Weg.«

Dann brach sie auf. Garnier und Barthelemy besprachen den Fall und sahen dem Abend mit ebensoviel Neugierde wie Befriedigung entgegen.

»Was will sie mit der Unterschrift?« fragte der Klubbesitzer.

»Vermutlich die Frau in ihre Gewalt bekommen. Dem Mann dürfte es nicht sehr erfreulich sein, zu erfahren, daß die teure Gattin um Mitternacht im Amaranthklub gewesen ist.«

Barthelemy zog die Augenbrauen empor.

»Eine gescheite Frau. Aber diese junge Frau Ellington – sie ist noch grün?«

»Ganz grün.«

»Dann werde ich mich wie ein guter Papa benehmen. Und Sie?«

»Mache ich mich nicht gut als älterer Bruder?« grinste Garnier. »Wir werden die Sache schon machen. Also bis heute abend.«

Es waren noch nicht viele Leute da, als Hilda mit ihrer Schutzbefohlenen den Klub betrat. Aber darunter befand sich Richard Avory, und obwohl sie ihn nicht bemerkten, sah er Hilda und Letty.

»Großer Gott!« dachte er. »Letty Ellington – und hier! Ebensogut könnte der alte Stephan hier auftauchen oder meine vielgeliebte Marcia. Was heißt das?«

Er war so verdutzt ob dieses unerwarteten Zusammentreffens, daß er sich einen Schnaps kommen ließ und in einer Ecke überlegte, was das zu bedeuten haben mochte. Vor allen Dingen machte ihn eins stutzig. Nach den Statuten des Klubs durfte kein Mitglied Gäste einführen. Avory war aber davon überzeugt, daß Letty nicht Mitglied war, sie konnte also nur von Hilda Tressingham mitgebracht worden sein. Aber wie war es dieser möglich gewesen, gegen eine so streng beachtete Bestimmung zu handeln? Da mußte aus besonderen Gründen eine Ausnahme gemacht worden sein, und zwar von Barthelemy selbst. Aber warum?

Er war im Begriff, nach den oberen Räumen zu gehen, um die beiden Damen zu beobachten, als ihm ein anderer Gedanke kam. Wenn er hinter diese ohne Zweifel rätselhafte Angelegenheit kommen wollte, war es besser, wenn er von Letty nicht gesehen wurde, obwohl er es sonst nicht nötig gehabt hatte, aus seinem Aufenthalt hier ein Geheimnis zu machen. Denn Marcia wußte, daß er Klubmitglied war. Er hatte ihr gegenüber diese Tatsache damit begründet, daß er Milieustudien für ein Lustspiel, an dem er arbeitete, machen wolle. Er winkte einem Klubdiener, der für ihn öfters Aufträge ausgerichtet hatte, und der seine offene Hand kannte.

Er drückte dem Mann ein Geldstück in die Hand.

»Gehen Sie nach oben und sehen Sie unauffällig nach, mit wem Frau Tressingham zusammen ist.«

Der Diener nickte verständnisvoll und ging. In fünf Minuten war er wieder zurück.

»Sie ist mit Mr. Garnier, Mr. Barthelemy und einer fremden Dame in dem kleinen Privatsalon Mr. Barthelemys beim Essen.«

»Danke«, sagte Avory.

Er wartete in seinem Winkel solange, bis die Gesellschaft seiner Ansicht nach mit dem Abendessen fertig sein mußte. Dann schlenderte er unauffällig durch alle Räume des Klubhauses. Aber da war keine Spur von Hilda und Letty noch von Garnier oder Barthelemy. Davon konnte er sich bald überzeugen.

Er ging nach unten und nahm seinen Beobachtungsposten in der Vorhalle wieder ein. Es schlug zwei Uhr, und alles ging heim. Nur die Personen, auf die er wartete, ließen sich nicht blicken. Auch er mußte das Haus verlassen und ging spähend draußen auf und ab. Um halb drei erschienen die drei endlich, aber sie kamen aus Mr. Barthelemys Privathaus. Garnier half den beiden Damen in eine vorher bestellte Droschke. Dann ging er wieder in das Haus zurück.

 


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