Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Das geheime Dokument.

Es war leicht für George Ellington, zu sagen, er wäre mit Hilda Tressingham fertig. Aber er übersah, daß die verschlagene Frau noch nicht mit ihm fertig war. Das Abenteuer der Nacht und das Zusammentreffen mit Marcia beschäftigte sie den ganzen Vormittag, und als sie zu Garnier ging, hatte sie mehr Möglichkeiten erwogen, als Ellington sich hatte träumen lassen.

Garnier hörte Hildas Erzählung gleichmütig an.

»Mag der gute Mann zu allen Polizeigrößen in London gehen. Er vertrödelt nur seine Zeit. Sie können und werden nichts tun.«

»Aber könnte der Klub nicht in Verdacht geraten?«

Garnier zuckte die Achseln.

»Barthelemy ist ein kluger Mann. Er hat seinen Kreis sorgfältig ausgewählt. Er kennt seine Leute und ihre kleinen Geheimnisse.«

»Unsinn. Meins kennt er zum Beispiel nicht.«

Garnier lächelte rätselhaft.

»Soweit diese Geheimnisse von Wichtigkeit sind.«

»Er hat Bernstein zugelassen, und der war ein Betrüger.«

»Dafür hat er auch das Weite suchen müssen. Nein, Barthelemy weiß, was er tut.«

»Es könnte sich ein Verräter einschleichen.«

»Derartige Verräter müßten einen finanziellen Vorteil von ihrem Verrat haben. Barthelemy nimmt aber nur reiche Leute auf. Und wir kennen uns alle. Bedenken Sie, wie selten ein fremdes Gesicht auftaucht.«

Trotzdem sahen die beiden ein fremdes Gesicht, als sie wieder in Barthelemys Spielzimmer kamen. Es war Banister King. Dieser Herr war bis in den vertrauten Kreis des Klubbesitzers eingedrungen. Lydia Linkinshaw, der man zutraute, daß sie junge Männer beurteilen könne, verbürgte sich für ihn. Barthelemy hatte sich davon überzeugt, daß King ein reicher Mann war. So gewöhnte man sich daran, seine sonderbare Gestalt an den Spieltischen zu sehen.

Und dabei schien der Neuling vom Glück förmlich verfolgt. Nichts, was er anfing, schlug fehl. Er wagte, was niemand gewagt hätte, und gewann. Für die anderen war er ein reines Wunder.

»Noch nie sah ich ein solches Glück wie deins, Bannie King«, sagte Lydia zu ihm, als sie eines Tages zusammen aßen, ehe sie sich in Barthelemys Privatkasino begaben. »Nie verlierst du.«

»Seltsam, aber es war schon immer so«, sagte er gleichgültig. »Schon als Junge gewann ich den andern alle Murmeln ab. Das ist so geblieben. In Monte Carlo habe ich zweimal die Bank gesprengt. Sie waren froh, als ich wieder fortfuhr.«

»Ich glaube, Barthelemy hat auch noch keine Seide bei dir gesponnen.«

»Das war auch nicht meine Absicht«, meinte King.

Lydia blickte nach der Ecke, in der Barthelemy zu speisen pflegte. Er saß dort mit ein paar Bekannten und sah um sich wie eine Spinne, die in Ruhe auf Fliegen wartet. Hätte sie in seiner Seele lesen können, so hätte sie gewußt, daß Barthelemy Banister King für eine wertvolle Erwerbung hielt, dem er gönnte, Geld zu gewinnen, solange er immer wiederkam und Geld hereinbrachte.

Was Kings Pläne angeht, so wartete er seine Zeit ab. Er beobachtete, überlegte, immer in dem Bestreben, Avorys Tod zu rächen. Nichts geschah, um die idyllische Ruhe des Amaranthklubs zu stören. Hilda Tressingham, die immer noch darauf wartete, daß Ellington etwas unternehmen würde, hörte nichts. Garnier lachte, wenn sie darauf zurückkam. Natürlich würden sie nichts von ihm hören.

»Aber bald werden Sie etwas erfahren«, sagte er mit bedeutsamem Lächeln. »Heute ist Mittwoch. Lesen Sie am Montag die Mittagsblätter. Da werden Sie überrascht sein wie ganz England.«

Er ging fort, ehe sie eine Frage tun konnte, und sie erriet, daß er auf das Geheimdokument anspielen wollte. Ihr Interesse an dem Gegenstande war verflogen. Sie hatte ihre Belohnung bekommen, damit war die Angelegenheit für sie erledigt.

Außerdem hatte sie andere Sorgen. Sie wunderte sich, daß sie keine Nachrichten mehr von ihrem Mann aus Indien bekam, der sonst immer ein sehr pünktlicher Briefschreiber gewesen war. Über diesen befremdlichen Umstand dachte sie gerade nach, als just an dem Montag, von dem Garnier zu ihr gesprochen, sich etwas ereignete, das ihren Gedanken eine andere Richtung gab.

Während sie am Nachmittag in ihrer Wohnung saß, brachte ihr ein Messenger Boy einen Brief. Sie erkannte sofort George Ellingtons Handschrift. Hastig riß sie den Umschlag auf und las die wenigen Zeilen.

Der Schreiber bat, ihn in einer äußerst wichtigen Angelegenheit in seiner Wohnung aufzusuchen, da er selbst nicht kommen könne.

Hilda überlegte einen Augenblick. Sie konnte sich denken, worum es sich handelte. Aber für sie konnte ihrer Ansicht nach nichts Schlimmes dabei herauskommen. So wandte sie sich nach kurzem Zögern an den Boy.

»Bestellen Sie, ich würde sofort kommen.«

Unterwegs hörte sie die Mittagsblätter ausrufen. Sie warf einen Blick auf die Schlagzeilen und las:

»Das britische Flottenprogramm in französischen Zeitungen veröffentlicht!«

Hilda lachte unbekümmert. Nun wußte sie genau, was man von ihr wollte. Als sie vor dem Hause anlangte, öffnete sich gerade die Tür, und ein hoher Beamter des Marineministeriums kam heraus. Hilda kannte den großen Mann persönlich, aber er war so in Eile und Aufregung, daß er sie nicht beachtete. Wieder lachte sie.

Jarvis sah sie scharf an und führte sie in Ellingtons Arbeitszimmer. Dort traf sie die ganze Familie. Neben George saß blaß und mit tränenüberströmtem Gesicht Letty. Am Kamm stand, mehr Puritaner denn je, Stephan Ellington. Hilda brach das allgemeine Schweigen.

»Ich bin Ihrer Einladung gefolgt, Mr. Ellington. Und sofort.«

Es lag etwas Flehendes in dem Blick, mit dem George sie ansah.

»Frau Tressingham, meine Frau und mein Vater wissen, daß ich Sie nachts in meinem Arbeitszimmer antraf. Bitte, sagen Sie mir, sprachen Sie damals die Wahrheit?«

»Warum fragen Sie mich?«

Ehe George antworten konnte, trat Jarvis ein und brachte zwei Karten. Verwundert sah Ellington sie an. Dann sagte er:

»Führen Sie die Herren herein. Frau Tressingham, es sind dies die Karten Ihres Bruders und Ihres Herrn Gemahls.«

 


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