Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Hintertreppen.

In ihrer Wohnung angelangt, überdachte Hilda die Lage. Sie erkannte klar, daß ihre Pläne mit Letty Ellington gescheitert waren. Mit Bedauern mußte sie feststellen, daß Letty ein für sie bisher unbekannter Frauentyp war. Eine Frau, die sich nicht scheute, ihrem Mann zu beichten, das war etwas ganz Neues für sie. Sie sah ein, daß sie niemals George Ellingtons Tasche durch die Hilfe seiner Frau bekommen würde, so einfältig und harmlos sie ihr auch vorgekommen war.

Aber wenn Hilda die fünftausend Pfund von Garnier verdienen, wenn sie von ihm gewisse Papiere wiederhaben wollte, die ihre Unterschrift trugen, mußte sie irgendwie zu den Geheimdokumenten kommen. Auf geradem Wege war es nicht möglich, sie mußte sich auf etwas anderes vorbereiten. Wie konnte es am leichtesten geschafft werden?

Sie war nicht die Frau danach, über Kleinigkeiten zu stolpern, aber sie suchte eine Möglichkeit, ohne persönliche Gefahr ans Ziel zu kommen. Sie formte und verwarf einen Plan nach dem anderen und rauchte unzählige Zigaretten dabei. Aber der Nachmittag kam, ohne daß sie einen Ausweg gefunden hätte.

»Ich fürchte, ich werde meine Zuflucht zu der Parminter nehmen müssen«, überlegte sie endlich. »Und die wird dann mit Erpressungen hinter mir her sein.«

Weiteres Nachdenken überzeugte sie, daß die Parminter ihre einzige Hoffnung blieb. Für ihren Zweck schien das Mädchen in der Tat die geeignete Person zu sein.

Als Ellingtons in Hartsdales Haus übersiedelten, brauchte Letty eine Zofe. Hilda erbot sich, ihr eine zu besorgen, und verschaffte den begehrten Artikel in Susanne Parminter, die früher in ihren eigenen Diensten gestanden hatte und zur Zeit ohne Stellung war. So hatte sie in ihr ein gefügiges Werkzeug, und sie beschloß, in diesem Fall davon Gebrauch zu machen.

»Damit geht etwas von meinem Verdienst dahin«, murmelte sie, »aber es ist nicht zu ändern. Ich muß gute Miene zum bösen Spiel machen.«

Und nach dem bewährten Geschäftsprinzip, daß man Dinge, die getan werden müssen, am besten sofort in Angriff nimmt, schrieb Hilda an Susanne Parminter, sie möchte sie zu einer bestimmten Stunde aufsuchen.

»Es wird keine Schwierigkeiten machen«, überlegte sie. »Sie ist wie geschaffen für Intriguen und dazu geldgierig.«

Susanne Parminter traf pünktlich ein mit dem Bewußtsein, daß etwas in der Luft lag. Sie war auf der Hartsdaleschen Besitzung geboren und aufgewachsen und wußte allerlei von Frau Tressinghams Privatgeschäften, in denen sie öfters eine Vermittlerrolle gespielt hatte. Gewissenlos wie sie war, bewunderte sie Hildas Verschlagenheit, und war immer bereit, mitzumachen, da sie überzeugt war, daß alles einen erfolgreichen Ausgang nehmen müsse. Und als Hilda sie ansah, wie sie ihre stechenden, schwarzen Augen forschend auf die frühere Herrin richtete, wußte sie, daß sie für alle Unternehmungen eine fähige Gehilfin hatte. So kam sie geschäftsmäßig sofort zur Sache.

»Susanne«, begann sie, »willst du Geld verdienen?«

Das Mädchen lächelte.

»Ich stehe immer zur Verfügung, Frau Tressingham«, sagte es.

»Und ich nehme an, du hast immer noch die Absicht, mit Waters ein Logierhaus zu eröffnen, wenn ihr das nötige Kapital beisammen habt?«

Susanne nickte und lächelte wieder.

»Wenn wir zweitausend gespart haben, wollen wir heiraten und damit anfangen«, erwiderte sie. »Wir haben schon etwas im Auge, am Bayswater Weg.«

»Schön, du kannst etwas verdienen. Aber es handelt sich nur um eine Sache. Wenn die erledigt ist, bezahle ich dich, und damit ist Schluß. Du darfst dann nicht mehr mit Forderungen zu mir kommen.«

Susannes schwarze Augen verloren allen Ausdruck.

»Was soll es sein?« fragte sie ruhig.

»Höre zu. Nächsten Freitag, von ein bis zwei Uhr in der Nacht, muß ich in Mr. Ellingtons Arbeitszimmer sein. Was ich dort will, geht dich nichts an. Du hast nur dafür zu sorgen, daß ich unbemerkt herein- und herauskomme.«

Das Mädchen dachte nach.

»Du kennst die Gepflogenheiten der Bewohner«, fuhr Hilda fort. »Du kannst das leicht einrichten.«

»Aber wie?« fragte Susanne.

»Indem du die Tür unverschlossen läßt.«

Susanne schüttelte den Kopf.

»Das geht nicht so leicht, eben, weil ich die Gewohnheiten der Bewohner und die Gelegenheiten im Hause kenne. Ich könnte höchstens die Seitentür offenlassen.«

»Daran dachte ich auch.«

»Ja, aber dicht daneben ist das Schlafzimmer des Haushofmeisters Jarvis. Wie kann ich da um eins hinuntergehen und die Tür aufschließen? Er geht immer erst spät zu Bett, und ich habe ihn oft sagen hören, daß er einen leisen Schlaf hat. Nein, so geht es nicht. Außer –«

»Nun, was denn?« fragte Hilda ungeduldig.

»Wenn Sie nur zu der angegebenen Zeit in das Haus wollen, und wenn keine Nachfragen kommen –«

»Das ist ganz sicher.«

»Gut, in dem Fall«, fuhr das Mädchen fort, »könnte ich Jarvis beruhigen. Wenn –«

»Sprich doch weiter.«

»Wenn Sie mir Geld dazu geben wollten. Jarvis verläßt den Dienst, und er läßt mit sich handeln. Wenn er weiß, daß keine Nachfragen kommen, kann ich ihn einwickeln. Allerdings gegen Bargeld.«

Hilda dachte einen Augenblick nach.

»Ich möchte nicht, daß mein Name zu Jarvis genannt wird«, sagte sie plötzlich.

»Ist auch nicht nötig, ich mache schon alles mit ihm ab. Er hat dafür zu sorgen, daß die Tür bis zwei Uhr unverschlossen bleibt und daß sie sich geräuschlos öffnen läßt.«

»Gut, das wäre vortrefflich.«

»Sie wollen nur in das Arbeitszimmer, sonst nirgends hin?«

»Nirgends. Bin ich einmal im Hause, so finde ich den Weg mit verbundenen Augen.«

»Brauchen Sie Licht, das Aufsehen machen könnte?«

»Nein. Ich komme und gehe so still, daß niemand etwas merkt.«

Susanne streckte die rechte Hand aus.

»Das beste ist, Sie geben mir das Geld für Jarvis gleich.«

Hilda war darauf vorbereitet und ging an ihren Schreibtisch.

»Vergiß nicht, Susanne. Je weniger du anlegst, desto mehr bleibt für dich.«

Das Mädchen lachte.

»Jarvis weiß, was seine Gefälligkeit wert ist.«

»Für ihn gilt dasselbe wie für dich. Ich dulde auch von ihm später keinerlei Erpressungen. Vergiß nicht, ihr seid Mitschuldige.«

»Ich vergesse nichts.«

Hilda zählte ihr eine Anzahl Banknoten hin.

»Das dürfte genügen.«

»Ich will es versuchen, denn Jarvis ist nicht unverschämt, wenn er es natürlich auch versteht, eine gute Gelegenheit auszunutzen. Aber – was bekomme ich?«

»Wieviel verlangst du?« fragte sie mit angenommener Gleichgültigkeit. »Vergiß nicht, daß es hinterher nichts mehr gibt.«

»Ganz recht, so muß ich meinen Preis machen. Ich verlange fünfhundert Pfund, Frau Tressingham.«

»Unsinn«, rief Hilda, »das heißt, mich bestehlen.«

»Es ist mein Preis«, sagte die Parminter ruhig. »Was das Stehlen angeht, so weiß ich nicht, was Sie nachts in dem Zimmer wollen, und es geht mich auch nichts an. Aber ich ahne, daß Sie hinter irgendwelchen Regierungsakten her sind, und da werden Sie es sich wohl leisten können, mich für meine Hilfe zu bezahlen. Fünfhundert Pfund und nicht einen Penny weniger, Frau Tressingham.«

»Ich habe schon soviel für dich getan, Susanne. Der Preis ist ungeheuerlich.«

»Mag sein, aber damit werden unsere zweitausend Pfund für das Gasthaus gerade voll. Geben Sie mir einen Scheck.«

Hilda hatte keine Wahl. So zahlte sie, und noch vor dem Abend bekam sie die Nachricht, daß Jarvis mit im Bunde sei. Sie brauchte also nur noch mit Garnier zu verabreden, daß er an einem bestimmten Seitenfenster in der verhängnisvollen Nacht wartete, um die Tasche in Empfang zu nehmen und ihr später wieder auszuhändigen. Sie hatten sich schon dahin geeinigt, daß er das Öffnen und Untersuchen der Papiere in ihrer Wohnung vornehmen sollte. Vielleicht ließ sich dann alles in einer kürzeren Frist abmachen. Als sie den Fall durchgesprochen hatten, lachte sie.

»Es ist seltsam«, bemerkte sie. »Nur eins an diesem Abenteuer ist mir sehr zuwider. Raten Sie, was.«

»Kann ich mir nicht denken.«

»Daß ich eine ganze Stunde in diesem Hause warten muß, bis Sie mir die Tasche zurückbringen. Diese Wartezeit wird mich verrückt machen.«

 


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