Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Dreißigstes Kapitel.

Die Belohnung der Regierung.

King mußte eine geraume Zeit warten, bis der Beamte endlich zurückkam.

»Nun, Mr. King«, sagte er vergnügt, »da bin ich wieder. Tut mir leid, daß Sie warten mußten, aber wir hatten noch eine Konferenz mit dem Minister. Wundern Sie sich nicht, daß er an der Sache so lebhaft interessiert ist?«

»Allerdings, obwohl ich weiß, daß er früher Staatsanwalt war.«

»Da wir Ihnen trauen dürfen, sollen Sie über alles unterrichtet sein. Es handelt sich nicht mehr allein darum, das Geheimnis des Amaranthklub zu lüften, das ist zur Nebensache geworden. Sie werden zweifellos erfahren haben, daß eine französische Zeitung den streng geheimgehaltenen Entwurf unseres neuen Flottenbauprogramms veröffentlicht hat?«

»Ich habe es gelesen.«

»Es wird aller Staatskunst bedürfen, zu verhindern, daß die Angelegenheit Ursache eines europäischen Krieges wird. Seit langen Jahren haben wir einen solchen kritischen Fall in der Außenpolitik nicht gehabt. Nun werden Sie das Interesse des Ministers begreifen.«

»Aber was haben diese beiden Dinge miteinander zu tun?«

»Das will ich Ihnen erklären. Es steht ziemlich fest, daß jenes Dokument aus dem Hause des Unterstaatssekretärs Ellington gestohlen worden ist, und zwar von Frau Tressingham.«

King war verblüfft.

»Ah«, rief er, »nun geht mir ein Licht auf.«

»Frau Tressingham gibt selbst zu, das Dokument in Händen gehabt zu haben. Ihre Begründung, wie sie dazu gekommen ist, glaubt ihr kein Mensch. Nun ist Frau Tressingham aller Wahrscheinlichkeit das Werkzeug einer Bande, die wiederum ihr Hauptquartier im Amaranthklub hat.«

King nickte und dachte einen Augenblick nach.

»Garnier und Barthelemy«, sagte er endlich.

»Vermutlich, besonders der erstere. Sicherlich werden diese Leute über die Sachlage heute im Klub beraten. Frau Tressingham ist bereits dort.«

»Woher wissen Sie das?«

»Seit sie Mr. Ellingtons Haus heute nachmittag verlassen hat, steht sie unter Beobachtung. Sie fuhr zuerst zu Garnier, verließ dann dessen Haus durch eine Hintertür und begab sich darauf zu dem medizinischen Bad.«

»Richtig«, sagte King. »Auf diesem Wege konnte sie in den Klub.«

»Dank Ihrer gütigen Hilfe wissen wir das. Und dort ist sie noch.«

»Bestimmt?«

»Ganz bestimmt. Seit ihrem Eintritt wird jeder Zugang zu den drei Häusern auf das schärfste bewacht. Wir rechnen damit, daß auch Garnier hinkommen wird. Vor wenigen Minuten bekam ich die Nachricht von unseren Leuten, daß er noch in seiner Wohnung ist.«

»So wird er auch überwacht?«

»Sicherlich. Wir haben ein Netz um die Leute gesponnen, durch das sie nicht entwischen können. Wir wollen sie zusammen fassen.«

King dachte nach.

»Freilich, Garnier kommt jeden Abend in den Klub. Elf ist seine Zeit, wenn geöffnet wird. Barthelemy betritt ihn von seinem Hause aus. Wann geht es los?«

»Sobald Garnier da ist. Wollen Sie dabei sein?«

»Ich wäre trostlos, wenn ich es versäumte.«

»Sehr gut. Unsere Leute kennen Sie bereits, Sie können also unbehelligt sich dort bewegen. Nehmen Sie diese Karte, Sie wird Ihnen alle unnötigen Erklärungen ersparen. Seien Sie also für die Zeit nach elf bereit. Die ganze Gegend ist umstellt, keine Maus kann entwischen. Das wird eine hübsche Sensation für die Presse werden. Die Verhaftung der Diebe des Geheimdokuments.«

Draußen in der Abendluft überdachte King alles noch einmal. Er hatte sich die Entwicklung der Dinge anders vorgestellt. Er hatte Barthelemy auf seine Kappe nehmen, seine Rache voll auskosten wollen. Nachdem die Polizei sich hineingemengt hatte, verlief alles anders. Er war nicht mehr der Direktor des Stückes, das da gespielt werden sollte, er war nur noch einfacher Mitspieler.

»Aber das genügt mir nicht«, murmelte er. »Mag die Polizei sich an Garnier und Frau Tressingham halten, Barthelemy gehört mir.«

Er suchte ein ruhiges Restaurant auf und aß ein wenig. Dann rauchte er eine Zigarre, trank mehrere Tassen Kaffee und dachte nach. Schließlich riß er ein Blatt Papier aus seinem Notizbuch, schrieb ein paar Worte darauf, tat es in einen alten an ihn gerichteten Umschlag und klebte es mit mehreren Briefmarken zu. Seinen Namen und seine Adresse strich er durch und schrieb statt dessen das eine Wort »Barthelemy«, dick unterstrichen, darauf. Dann begab er sich zu dem Tempel der fröhlichen Tanzkunst, dessen vernehmlichste Priesterin Lydia Linkinshaw war.

Der Portier sah mißtrauisch auf Kings zerdrückten Filzhut und nahm sich erst gar nicht die Mühe, ihn nach seinem Begehren zu fragen.

»Ich möchte Fräulein Lydia Linkinshaw sprechen«, sagte der verdächtige Besucher.

»Wirklich? Geht nicht.«

»Wenn ich Ihre kostbare Zeit nicht zu sehr in Anspruch nehme – warum nicht?«

»Weil es verboten ist.«

King griff in die Tasche und suchte einen Sovereign heraus.

»Mein lieber Mann, zu Zeiten müssen die strengsten Gebote der eisernen Notwendigkeit weichen. Ich muß die Dame so schnell wie möglich sprechen. Ich will ein paar Worte auf diese Karte schreiben. Zeigen Sie das Schriftstück dem Direktor, dem Regisseur, wem Sie wollen, aber bringen Sie es Fräulein Linkinshaw. Und dieser Sovereign gehört Ihnen.«

»Freilich, wenn es sich um etwas Wichtiges handelt –«

»Um Leben und Tod. Hier, nehmen Sie das Geld. Ich warte draußen.«

Er ging auf einen kleinen Hof und wartete, bis der Portier den Kopf heraussteckte.

»Sie kommt, wenn der Akt zu Ende ist. Schneller geht es nicht.«

»Danke, das genügt.«

Er blieb auf dem Hof, bis er zu Lydia gerufen wurde. Er fand sie auf dem zugigen Korridor, in ihren Pelz gehüllt und frierend.

»Mein Himmel«, rief sie, »was ist passiert? Etwas Fürchterliches offenbar, sonst hätten sie dich nicht hineingelassen.«

»Lydia«, sagte King, »wann bist du hier fertig?«

»Zehn Uhr vierzig, genau.«

»Kannst du dich umziehen und Punkt elf im Amaranthklub sein?«

»Gewiß.«

»Dann fährst du nachher sofort hin. Du gehst zu Barthelemy und gibst ihm diesen Brief. Dann verläßt du auf der Stelle den Klub.«

»Und wohin soll ich gehen?«

»Nach Hause, auf schnellstem Wege nach Hause. Heute nacht platzt die Bombe, und da bist du zu Hause am besten aufgehoben.«

Lydia starrte auf den Brief.

»Kann mir nichts geschehen, wenn ich ihn hinbringe?«

»Nichts, mein Ehrenwort. Vorausgesetzt, daß du befolgst, was ich dir sage.«

Lydia nickte.

»Ich will es tun. Auf Wiedersehen morgen.«

King verließ das Theater und begab sich in sein Stadtviertel. Als er über den Leicester Square ging, kamen die Zeitungsjungen mit den neuesten Abendblättern. Laut schrien sie ihre Ware aus.

»Das gestohlene Flottenprogramm – hohe Belohnung der Regierung!«

King kaufte eine Zeitung. Unter einer Straßenlaterne überflog er das Blatt. Da stand, was er eben gehört hatte. Die Regierung wollte dem zehntausend Pfund zahlen, der Aufschluß über den Diebstahl des Geheimdokuments geben könnte.

King warf die Zeitung in die Gosse und ging langsam nach Hause.

 


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