Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Sechzehntes Kapitel.

Eine verhängnisvolle Kriegserklärung.

Ein paar Minuten schritt Avory auf der nun stillen und verlassenen Straße auf und ab. Garnier war wieder in das Haus gegangen und hatte die Tür hinter sich abgeschlossen. In keinem der Fenster war ein Lichtschein zu sehen. Aber Avory wußte, daß die beiden Männer im Hause sein mußten. Und er war entschlossen, sie aufzusuchen. Denn ihm fehlte es durchaus nicht an Mut, und er war scharfsinnig genug, einen Vorteil auszunutzen, wo er sich ihm darbot.

Aber bevor er die Straße überschritt, um mit Garnier und Barthelemy zu reden, kam ihm noch ein anderer Gedanke. Er eilte in die Jermynstraße zu Banister Kings Wohnung. Irgendeine Vorahnung riet ihm, King wissen zu lassen, was er zu unternehmen im Begriff war. Er konnte nicht voraussehen, was bei Barthelemy seiner harrte, und so hatte er mit der Mitteilung, daß King um seinen Besuch wisse, eine Waffe gegen Garnier und den Klubhausbesitzer in der Hand, falls ihm von den beiden Gefahr drohte.

Banister King war ausgegangen. Wenigstens antwortete niemand auf Avorys Klopfen und Klingeln. Dieser verlor keine Zeit. Er schrieb ein paar Worte auf eine Karte und warf sie in Kings Briefkasten. Dann eilte er die Treppe hinunter und zu Barthelemys Haus.

Dort drückte er auf den Knopf der elektrischen Klingel. Er hörte von ferne das schwache Läuten, aber niemand meldete sich. Nach einer Minute schellte er noch einmal. Schließlich hörte er Schritte. Eine Klappe, die er nicht bemerkt hatte, wurde aufgestoßen, und Barthelemys Stimme ertönte.

»Wer ist da?«

»Ich bin es, Avory. Ich muß Sie in dringenden Geschäften für einen Augenblick sprechen.«

Barthelemy brummte etwas Unverständliches, wenig erbaut durch die Störung. Aber er schloß die Klappe, öffnete die Tür und winkte Avory, einzutreten.

»Eine etwas ungewöhnliche Stunde, von Geschäften zu sprechen, Freund Avory. Es ist Zeit, zu Bett zu gehen.«

»Ich wußte, daß Sie noch nicht schliefen, Barthelemy, denn ich sah Garnier hineingehen.«

Barthelemy fuhr sichtlich zusammen. Wenn der Rechtsanwalt Garnier gesehen hatte, dann hatte er vermutlich auch die beiden Damen bemerkt. Er nahm den Besucher beim Arm und führte ihn weiter.

»Es ist finster hier, Garnier? Ja, er kam noch für einen Augenblick herein, um einen Schluck zu trinken. Ist Ihr Geschäft sehr vertraulich?«

»Es geht Sie und Garnier an. Ich wollte Sie beide sprechen und habe es günstig getroffen.«

»Kommen Sie hier entlang«, sagte Barthelemy, indem er ihn durch schwere Samtvorhänge in einen nur wenig erleuchteten Gang führte und schließlich in ein offenes Zimmer schob. Dort stand Garnier und rauchte eine Zigarre.

»Hier finden Sie Garnier. Wünschen Sie etwas zu trinken?«

»Gern«, erwiderte Avory. Er blickte Garnier vertraulich an.

»Hallo«, sagte er, »ich wußte, daß Sie hier sind.«

Garnier warf ihm einen eiskalten Blick zu.

»So?« bemerkte er. »Sonderbar.«

Barthelemy hatte inzwischen die Tür geschlossen. Er nötigte den Besucher in einen Stuhl, mischte ihm einen Trunk und schob ihm die Zigarrenkiste zu. Dann nahm auch er Platz – zwischen dem Gast und der Tür. Mit einem bedeutsamen Blick auf Garnier sagte er spöttisch:

»Avory will uns beide geschäftlich sprechen.«

Garnier runzelte die Stirn.

»Wüßte nicht, was ich mit Avory für Geschäfte hätte, noch dazu um diese Stunde. Indessen –«

»Ja«, unterbrach ihn Barthelemy. »Indessen, wie Sie sagen. Also, schießen Sie los, Avory. Setzen Sie sich, Armand.«

Garnier ließ sich in einen Sessel fallen. Avory bemerkte plötzlich, daß er zwischen den beiden Männern saß, und daß Barthelemys riesiger Körper die Tür versperrte.

Der Rechtsanwalt tat, als merkte er davon nichts.

»Ich komme zur Sache«, begann er. »Ich wollte Sie beide sprechen, und ich habe Sie glücklich getroffen. Glauben Sie nicht, daß ich mich fürchte, Garnier. Machen Sie ruhig ein finsteres Gesicht, das stört mich nicht. Nun, Barthelemy, will ich eine offene Frage an Sie richten: Welches Spiel spielen Sie noch neben dem Amaranthklub?«

Barthelemy verriet keinerlei Überraschung bei diesem brüsken Angriff. Er sah den anderen ruhig an.

»Spiel?« fragte er.

»So sagte ich. Ich wiederhole meine Frage: Was für ein Spiel spielen Sie in Verbindung mit dem Amaranthklub? Daß ein solches im Gange ist, weiß ich ebensogut wie, daß Garnier mit von der Partie ist.«

Barthelemy und Garnier sahen sich an. Ihre Gesichter waren undurchdringlich. Dann sprach Barthelemy, ruhig und unbekümmert.

»Erklären Sie sich näher, ich verstehe Sie nicht.«

»Schön. Zunächst will ich Ihnen verraten, daß mir der Drang angeboren ist, Dingen, die meine Neugierde erregen, auf den Grund zu gehen. Um so etwas handelt es sich in diesem Fall. Sie möchten natürlich wissen, was im Amaranthklub meine Neugierde erregt hat?«

»Freilich«, murmelte Barthelemy.

»Es war der Umstand«, sagte Avory grinsend, »daß gewisse Personen den Klub um zwei Uhr nicht verließen.«

Barthelemy nickte. Garnier entfernte die Asche von seiner Zigarre.

»Geben Sie Einzelheiten«, sagte schließlich Barthelemy.

Avory lächelte. Mit einem guten Vorrat von Selbstbewußtsein war er hergekommen. Dieser Vorrat vergrößerte sich.

»Das will ich«, begann er. »Sie werden sich beide des Abends erinnern, als Frau Tressingham nach wochenlangem Landaufenthalt nach London zurückkehrte.«

»Fahren Sie fort«, sagte Barthelemy ruhig, »wir erinnern uns.«

»Gut. Damals befanden sich verschiedene Personen im Klub, die um zwei Uhr nicht nach Hause gingen. Zunächst Frau Tressingham selbst, dann Jack Hazeldene, Kapitän Dilkes, Lydia Linkinshaw. Diese vier Menschen waren im Klub, haben ihn aber um zwei nicht verlassen. Doch das ist noch nicht alles.«

Er unterbrach sich und sah die beiden an. Ihre Gesichter zeigten keinerlei Bewegung. Barthelemy nickte gleichgültig.

»Noch nicht alles?« fragte er.

»Noch nicht alles«, wiederholte Avory. »Heute abend brachte Frau Tressingham George Ellingtons Gattin mit in den Klub. Das steht im Widerspruch zu § 7 der Statuten, der besagt, daß Gäste nicht eingeführt werden dürfen. Aber das ist nebensächlich. Wichtig ist: die Damen haben mit Ihnen beiden soupiert. Nach dem Essen sind Sie alle vier verschwunden. Sie haben den Klub durch die Tür nicht verlassen, waren auch nirgends im Hause. Die Damen gingen auch nicht um zwei, als alle anderen aufbrachen. Aber« – und dabei sah er die beiden scharf an und klopfte energisch auf den Tisch – »um halb drei kamen sie mit Garnier aus Ihrem Haus, Barthelemy.«

Barthelemy seufzte ergeben und fragte ruhig:

»Was schließen Sie daraus?«

Avory lachte.

»Es gibt eine geheime Verbindung zwischen diesem Gebäude und dem Klubhause«, antwortete er.

»Aber ist das denn so etwas Verwunderliches?« fragte Barthelemy. »Dies ist meine Privatwohnung, und der Klub nebenan gehört mir auch. Warum sollte es da keinen Verbindungsweg geben?«

»Und die Klubmitglieder, die heimlich diesen Weg benutzen und die Nacht hier zubringen? Halten Sie mich doch nicht für dämlich. Ich habe die Augen offen gehabt. Fast jede Nacht befinden sich Mitglieder in diesen Räumen. Und es ist nur ein Ausnahmefall, daß sie von hier aus nach Hause gehen. Damit Sie sehen, daß ich alle Trümpfe in der Hand habe – sie gewinnen das Freie durch das medizinische Bad nebenan. Was sagen Sie dazu?«

Barthelemy steckte die Hände in die Taschen und klimperte mit Goldstücken.

»Und was schließen Sie daraus?« fragte er.

»Daß in diesem Hause etwas Gesetzwidriges vorgeht. Vermutlich unterhalten Sie einen Spielklub.«

»Und was dann?«

»Da ich hinter Ihr Geheimnis gekommen bin, möchte ich meinen Nutzen daraus ziehen. Weiter nichts.«

Barthelemy sah den Eindringling fest an.

»Wieviel?« fragte er kurz. »Darauf läuft es doch hinaus.«

»Freilich. Entweder es lohnt sich für mich, den Mund zu halten, oder es geht Ihnen morgen an den Kragen.«

»Wieviel also?«

»Fünftausend Pfund bar und einen laufend zu zahlenden Betrag, auf den wir uns später einigen können. Damit kommen Sie noch billig davon. Ich habe Ihnen beiden hinter die Kulissen gesehen.«

Barthelemy stand auf und zeigte auf die Tür.

»Möchten Sie für einen Augenblick draußen warten, während ich mich mit meinem Partner bespreche?« sagte er. »Die Angelegenheit bedarf der Überlegung.«

Avory sagte nichts und ging hinaus. Aber anstatt mit Garnier zu sprechen, ging Barthelemy zu einem Schränkchen, nahm aus einer Schublade eine Phiole heraus, die er Garnier zeigte.

»Gibt es keinen anderen Ausweg?« flüsterte dieser.

»Nein«, erwiderte Barthelemy hart.

Er goß ein paar Tropfen aus dem Fläschchen in Avorys Glas, hantierte wieder an dem Schrank und öffnete dann die Tür.

»Wir sind einverstanden«, sagte er kurz. »Kommen Sie morgen um elf Uhr, dann will ich Ihnen die Summe übergeben. Über das weitere sprechen wir dann noch. Vermutlich werden wir Ihnen Beteiligung anbieten.«

»Sehr gut. Das ist glattes Geschäft. Also morgen um elf.«

Barthelemy nickte. Schweigend füllte er die Gläser mit Whisky und Soda. Schweigend tranken die drei Männer.

»Damit wären wir einig«, sagte Barthelemy. »Es ist nun Zeit, schlafen zu gehen.«

Mit kurzem Abschiedswort ließ er seinen Besuch heraus, und Avory begab sich sofort zu seiner Wohnung in der Jermynstraße. Noch einmal klingelte er bei King, ohne Antwort zu bekommen. Müde und gähnend ging er in sein Schlafzimmer und legte sich zu Bett.

 


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