Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Achtes Kapitel.

Der Amaranthklub.

Nach Ihrer Rückkehr aus Indien hatte Hilda Tressingham lange und reiflich überlegt, wo und wie sich ihr Leben in Zukunft abspielen sollte. Über das »Wie« machte sie sich die geringsten Kopfschmerzen. Sie hatte keineswegs die Absicht, sich nach Brighton, Bournemouth, Harrogate oder Cheltenham zurückzuziehen, wo Strohwitwen, deren Männer am anderen Ende der Welt weilten, zu leben pflegten. Ebensowenig war sie gewillt, Hartsdales Einsiedlerleben zu teilen, noch, wie er wünschte, das Haus in der Curzonstraße zu hüten. Von irgendeinem Vorfahren her hatte sie ein paar Tropfen Zigeunerblut in den Adern, die sie antrieben, just nach ihrem eigenen Willen zu handeln, und so nahm sie sich vor, in London wie ein Junggeselle zu leben. Mochte der Oberst, wenn er einst heimkam, einen geregelten Haushalt einrichten. Inzwischen wollte sie so ungebunden wie möglich hausen.

Trotz ihres Bohemientums hatte Hilda durchaus Sinn für den Wert des Geldes. Tausend Pfund betrug ihr Jahreseinkommen, und sie hatte keine Lust, einen großen Teil davon in Miete und Dienstbotenlöhnen anzulegen. Die Art ihrer Lebensführung duldete nicht einmal die Anwesenheit eines Dienstmädchens in derselben Wohnung. Das Frühstück, das stets nur aus einer Tasse Kaffee und ein paar Biskuits bestand, konnte sie sich selbst bereiten, die anderen Mahlzeiten im Restaurant einnehmen. Hatte sie Gäste, so bestand die Möglichkeit, die Speisen vom besten Koch der Stadt herrichten zu lassen. Nur in der Wahl der Gegend legte sie sich einen Zwang auf. Sie hatte gute Gründe, auf Mayfair zu bestehen.

Nach langem Suchen fand sie eine geeignete Wohnung in der Downstraße, fünf Zimmer und dazu spottbillig. Hilda hatte sich eine Menge Teppiche aus indischen Bazaren mitgebracht. Damit stattete sie die Wohnung aus. Auch die übrige Einrichtung kostete sie keinen Penny, da Lord Hartsdale ihr gern gestattete, Möbel, Leinenzeug, Porzellan und Bilder aus dem Haus in der Curzonstraße zu nehmen. Auf diese Weise richtete sie sich ein wunderhübsches, behagliches Heim ein, in dem sie tun und lassen konnte, was sie wollte. Als einzigen Dienstboten besorgte sie sich eine Aufwärterin, die sie jederzeit wieder zu entlassen die Möglichkeit hatte. So konnte niemand spionieren, und sie war immer imstande, nach Belieben ihre Wohnung abzuschließen und auf unbestimmte Zeit zu verreisen.

Seit einem Monat hatte Hilda ihr luxuriöses Heim nicht mehr aufgesucht. Diese Abwesenheit war nötig geworden durch ein geschäftliches Manöver eines gewissen Isidor Bernstein, der sich dabei nicht so vornehm benommen hatte, wie sie erhofft. Aber durch die freundschaftliche Hilfe Armand de Garniers war dieser Stein des Anstoßes aus dem Wege geräumt, und Hilda atmete befreit auf, als sie an dem Tage nach Ellingtons Wiederwahl den Zug verließ. Ehe sie zu ihrer Wohnung fuhr, begab sie sich in ein Hotel und aß. Während sie noch etwas beim Kaffee verweilte, dachte sie über ihre Geschäfte nach. So wurde es spät, bis sie nach Hause kam. Wenigstens hätten solide Leute von einer späten Stunde gesprochen. Aber für Hilda Tressingham war es erst der Anbruch der Nacht, und sie hatte noch mancherlei zu erledigen, ehe die Sonne über London wieder aufging.

Sie brachte nicht mehr Zeit in ihrer Wohnung zu, als nötig war, ihr Reisekostüm mit einem Abendkleid zu vertauschen. Gegen elf Uhr ließ sie sich von dem Portier eine Droschke holen. Der Mann war an ihre nächtlichen Ausflüge derart gewöhnt, daß er auf ein kurzes Kopfnicken ihrerseits dem Kutscher sofort sagte: »Zum Amaranthklub!«

Der Amaranthklub, dessen Gebäude in einer der ruhigsten Straßen im St. Jamesviertel lag, gehörte zu jenen modernen Unternehmungen, die erst in den letzten Jahren aufgekommen sind. Er war eine private Gründung, und sein Besitzer, Mr. Barthelemy, wurde von den Damen und Herren, die den Vorzug seiner Bekanntschaft hatten, als ihr Wohltäter betrachtet. Mr. Barthelemy hatte es sich überlegt, daß die englischen Alkoholgesetze es unmöglich machten, nach dem Theater in Ruhe und Frieden an Stätten zu soupieren, über denen jene Gesetze wachten. Warum sollte man also nicht einen Klub gründen, in dem eine erlesene Gesellschaft die Zeit von elf bis zwei Uhr nach eigenem Ermessen zubringen konnte? Die Aufgabe war nicht schwierig, und Mr. Barthelemy löste sie. Als Besitzer eines Westendtheaters wußte er genau, wie man die erforderlichen Mitglieder aufbringen konnte.

Mr. Barthelemy wahrte in allem, was den Amaranthklub anging, streng den äußeren Schein. Junge Leute hielt er ebenso fern wie jeden, der zu Exzessen irgendwelcher Art neigte. Alles sollte den Eindruck höchster Verfeinerung erwecken. Und wenn ein Mann, der London kennt, weiß, was er will, kommt er auch ans Ziel. Mr. Barthelemy kannte London und kam infolgedessen ans Ziel.

Kein Mensch hätte ein Wort gegen den Amaranthklub sagen können. Auch dem gerissensten Späher wäre es unmöglich gewesen, eine Gesetzesüberschreitung festzustellen. Mr. Barthelemy war in allen Kleinigkeiten überaus groß. Name, Ziel und Adresse des Klubs, dazu sein eigener Name als Besitzer und Sekretär, das alles hatte er pflichtmäßig eintragen lassen. Die Behörden kannten die Namen der Mitglieder, die Statuten, nach denen sie gewählt wurden, Beitrag und Eintrittsgeld. Kurz, der Amaranthklub entsprach auch den strengsten gesetzlichen Vorschriften, und niemand konnte ihm an den Wagen fahren.

Außerdem legte Mr. Barthelemy Wert darauf, daß die erlesenen Mitglieder, von denen er jedes persönlich genau kannte, das eleganteste und gemütlichste Klubhaus in ganz London besaßen. Speise- und Rauchzimmer, Billard-, Lese- und Gesellschaftsräume, Trinkstuben, alles war in modernster Gestaltung vorhanden. Diese Atmosphäre von Eleganz und Verfeinerung ging auch von den Mitgliedern aus. Sie bildeten in der Tat eine im höchsten Grade auserwählte Gesellschaft und glichen jenen Genußmenschen der Antike, die als Sybariten in der Geschichte weiterleben.

Es war noch zeitig für den Amaranthklub, dessen Räume sich erst gegen Mitternacht zu füllen pflegten. Hilda suchte sofort eine Nische in dem von beiden Geschlechtern benutzten Rauchsalon auf. Dort war ihr Stammplatz. Dabei begegnete ihr Mr. Barthelemy, und sie hatte eine kleine Unterhaltung mit ihm. Er gab lebhaft seiner Freude Ausdruck, sie wiederzusehen. War sie wirklich nur einen Monat fortgewesen? Ihm schien es eine wahre Ewigkeit.

Hilda nahm ein paar Zeitungen, setzte sich in einen Sessel und legte ihr Zigarettenetui auf den Tisch. In den Blättern stand allerlei über die Wahl in Ashminster, und sie war als Ellingtons Mitarbeiterin genannt. An die Berichte, die Wahl betreffend, waren Betrachtungen über die vermutliche Lebensdauer der gegenwärtigen Regierung geknüpft. Die Oppositionspresse hielt sie nicht für erheblich und gab der Überzeugung Ausdruck, daß das Rücktrittsgesuch des Premierministers noch vor Weihnachten in den Händen des Königs sein würde. Hilda dachte darüber nach, ob Garniers Pläne durch einen Regierungswechsel beeinflußt werden mochten.

Sie erwartete sein Eintreffen jeden Augenblick, und von Zeit zu Zeit blickte sie zu der Tür, durch die er kommen mußte. Plötzlich wurde der schwere Vorhang über der Tür beiseite geschoben, und ein Mann sah für einen Augenblick hinein, als suchte er jemand. Das Zimmer war in der Gegend der Tür nur gedämpft beleuchtet, und der Mann, der offenbar kurzsichtig war, blinzelte durch eine Brille. Er schien Hilda nicht zu bemerken, aber sie erinnerte sich seiner sofort. Es war der junge Jurist, den sie beim Lunch in Ellingtons Haus vor acht Tagen getroffen hatte, und der anscheinend mit Marcia sehr im Einvernehmen gewesen. Ihr fiel sogar der Name ein – Mr. Avory.

Sie wunderte sich darüber, daß ein Freund von Marcia Ellington im Amaranthklub auftauchte. Da trat Garnier gemächlich in das Zimmer und ließ sich auf einem Stuhl neben ihr nieder.

 


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